... für Leser und Schreiber.  

a Perfect World

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31 Stimmen
   
© Marco Frohberger   
   
Die Regentropfen trommelten gegen das Dachgeschossfenster und vertrieben für eine Weile die Stille in dem großen Haus. Die Stimmung war bedrückend, dunkle Wolken zogen am Firmament auf und legten alles in einen finsteren Schatten. Es war so, als bräche die Dämmerung herein. Und dazu die unheimliche Leere, das Gefühl des Alleinseins und der Sehnsucht.
Er sah mit seinen stahlblauen Augen hinunter auf die spiegelnde Straße vor seinem Haus, seufzte schwermütig und versuchte den Frust von seiner Seele zu wischen. Aber es war nicht so leicht für ihn, wie er es sich gerne gewünscht hätte. Furchtbar von dem Gedanken an die schwüle Hitze von heute Morgen abgelenkt, lehnte er gegen den Fensterrahmen und atmete tief die frische Luft ein, die durch das angelehnte Fenster strömte. Seine Hände vergruben sich in den Taschen seiner ausgewaschenen Jeans und das aufgeknüpfte, hellblaue Flanellhemd wehte an seinen Enden durch die frische Luft von draußen.
Er trat einen Schritt zurück und beobachtete den Wagen, der unten vor dem Haus parkte. Vorsichtig quetschte sich das lange Auto in die enge Parklücke. Kurz darauf stieg eine Frau aus dem Wagen, in der rechten Hand eine Handtasche und darum bemüht, sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Sie beeilte sich zur Haustüre zu kommen.
Er hörte noch auf dem Dachgeschoss die Tür ins Schloss fallen. Seine Augen zuckten kurz und der Gedanke an diesen Moment ließ einen Schauder über seinen Rücken laufen. Er presste unentschlossen seine Lippen zusammen, bis sie blutleer waren. Dann zog er beide Hände aus den Taschen und rieb sich den Schweiß von den Handflächen an seiner Jeans ab. Es war still um hin und er versuchte, konzentriert bei der Sache zu bleiben, die er sich überlegt hatte. Angespannt fuhr er sich durch sein schütteres, braunes Haar. Er warf seinen Blick auf den Schreibtisch hinter ihm und griff nach einem blitzenden Gegenstand, den er schnell in seiner Jeans verschwinden ließ. Aufgeregt sah er wieder aus dem Fenster, hinunter auf die Straße. Sie war leer.
Das Telefon klingelte unten plötzlich. Es klingelte zweimal, bis jemand den Hörer von der Gabel nahm. Neugierig lief er die Treppen herunter, darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen. Langsam öffnete er die Tür einen Spalt weit und horchte.
Die Stimme der Frau, die ans Telefon gegangen war, klang zornig und aufgeregt. Irgendwas schien sie zu beunruhigen und das merkte auch er, der lauschend an der Türe stagnierte und auf den richtigen Moment wartete. Auf einmal krachte der Hörer auf die Gabel und die Frau ging zurück in die Küche. Dann blieb es still in dem Haus.
Er öffnete die Tür Vorsichtig und war darum bemüht, sich nicht bemerkbar zu machen. Seine Schritte waren kurz und bedacht. Er ging ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Gedankenverloren sah er sich um. Die Wäsche war über die Kante der Badewanne geworfen und Handtücher lagen auf dem Boden verstreut. Ein heilloses Durcheinander zeichnete sich im Badezimmer ab. Er stieg mit einem großen Schritt über den Haufen und stellte sich vors Waschbecken. Er öffnete das Wasser und hielt beide Hände darunter. Erleichtert fuhr er sich mit einer handvoll Wasser durch das Gesicht und rieb sich den Nacken. Er stellte das Wasser wieder ab und trocknete sich Gesicht und Hände.
Keine Minute später stand er mit finsterer Miene auf der Treppe und hielt sich am Geländer fest. Im unteren Geschoss des Hauses war nach dem Telefongespräch nichts mehr zu hören und so tat er sich schwer, einzuschätzen, wo sich die Frau befand. Treppe für Treppe stieg er weiter herunter und suchte mit seinen konzentrierten Blicken nach ihr. Ohne den Blick vom Flur unten zu nehmen, griff er nach dem Gegenstand, den er sich vorhin in die Hosentasche gesteckt hatte.
Erschrocken schluckte er, als auf einmal das Radio in der Küche ansprang. Aus den knisternden Boxen des Radios klang die Melodie von Big Fran´s Baby von Lennie Niehaus, ein alter Klassiker.
Er ging die restlichen Stufen herunter und stellte sich in den Flur. Der Schatten der Frau wurde in der Küche durch das Licht auf den Boden geworfen, er fixierte ihn. Das Licht glänzte auf den Fliesen der Küche.
Da stand sie, mit zitternden Händen lehnte sie gegen den Tresen in ihrer Küche und versuchte die Tränen in ihren Augen aufzuhalten. Leise schluchzend kniff sie ihre Augen zu und rang nach Luft. Als sie die Kälte des abendlichen Tages einholte, umschloss sie ihren Körper mit den Armen und versuchte sich vor der Einsamkeit zu schützen. Entsetzt über ihre eigene Tragik, in der sie sich befand, griff sie nach einem Taschentuch und rieb ihre Augen wieder trocken. Sie wollte nicht weinen und sich jetzt dagegen wehren. Ein Glas Wasser sollte ihr wieder die nötige Frische verleihen, da sie mit ihrer Traurigkeit nichts anfangen konnte. Als sie sich dann umdrehte und zur Spüle ging, um sich Wasser einzugießen, stand er plötzlich in der Küche. Erschrocken ließ sie das Glas fallen, das auf den Fliesen in tausend Einzelteile zersprang. Die Scherben klangen noch lange nach. Ängstlich ging sie ein paar Schritte zurück und beobachtete das zornige Gesicht des Mannes, der vor ihr stand. Kurzerhand sah sie zum Küchenmesserblock hinüber und entdeckte die Lücke zwischen den Messern, eines fehlte. Ihr Blick eilte wieder zurück zu dem Mann, der ihr gegenüber stand.
?Nicholas. Was machst du hier??, fragte sie fordernd. Ihre Stimme schien zu vibrieren. Er trat einen Schritt nach vorn und sie erschrak. Er blieb stehen.
?Was ich hier mache? Das ist immer noch mein Haus?, sagte er zähneknirschend. Wut spiegelte sich in seinen funkelnden Augen wieder. Und die ihren suchten verzweifelt nach einer Lösung.
Kurz darauf brach sie in Tränen aus. ?Es tut mir so Leid?, flüsterte sie schluchzend. Sie hielt sich die Hand gegen die Stirn und versuchte nach Luft zu schnappen. ?Ich weiß, dass es ein Fehler war?, fügte sie hinzu. Ihre Kräfte ließen sie im Stich und so sank sie auf den kalten Boden der Küche.
Er ballte seine rechte Hand zu einer Faust und trat zu ihr näher. ?Was hat dich bloß geritten??, schrie er wutentbrannt. Er schien kurz vorm Explodieren zu sein. Er knallte seine Faust auf den hölzernen Küchentisch, sie zuckte nur hilflos zusammen. Daraufhin biss er sich auf die Unterlippe und überlegte Stirnrunzelnd, was er tun sollte.
?Bitte?, weinte sie unaufhörlich. Ihre Angst schien er zu spüren, er nahm sich wieder zusammen und versuchte, ihr keine Angst mehr zu machen.
?Hör auf zu weinen!?, sagte er mit forscher Stimme, trat dann zurück zum Tresen und holte tief Luft. Sein Blick fuhr zurück zu ihrem Körper, der schuldig auf dem Boden kauerte. Sie zitterte und versuchte ihr Tränengeschwängertes Gesicht zu verstecken.
Stille kehrte für einen Augenblick ein, bis sie sich ihre Tränen aus dem Gesicht wusch und wieder aufstand. Völlig kraftlos setzte sie sich auf den Küchentisch und sah ihn an. Mit nachdenklichem Blick starrte er aus dem Fenster in den weitläufigen Garten, verlor sich für diesen Augenblick in einer anderen Welt und wünschte sich eine andere Perspektive für sein Leben. Umso ernüchternder war es, als sie ihm näher kam und ihre Hand auf seine muskulöse Schulter legte. Entsetzt wich er beiseite.
?Nicholas?, flehte sie offen, ?in einer perfekten Welt gäbst du mir noch eine Chance?, sah sie ihn hilflos an.
Sein Blick schwenkte zu ihr herüber, er sah in ihre rehbraunen, hoffnungsvollen Augen. Dann zog er den blitzenden Gegenstand in seiner Hand nach oben und hielt ihn vor ihr Gesicht. Entsetzt trat sie zurück. Verzweiflung stand in seinen Augen geschrieben. Er öffnete langsam die geballte Faust.
?In einer perfekten Welt wäre all das nicht geschehen?, flüsterte er mit zitternder Stimme. ?In einer perfekten Welt hättest du dich nicht einem anderen Mann hingegeben?, führte er fort und ihre Tränen kehrten zurück. Mit bitterer Miene zog er ihre Hand zu seiner und ließ den Ring in ihre Handfläche fallen. Anschließend wandte er sich von ihr ab und verließ wortlos das Haus. Das letzte, was ihr von ihm blieb, war der liebliche Duft seines Duftwassers.
 

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