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Willi´s Schicksal (überarbeitet)

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©  Amazone   
   
Genüßlich breitete Willi seine Äste aus, und streckte seine Nadeln der Wärme des Feuers entgegen. Er stand im Warmen, nahe des Kamins und draußen klopften die Schneeflocken ans Fenster. Willi fühlte sich wohl, denn die Kälte kroch ihm nicht mehr so arg den Stamm empor.
Familie Keller, die ihn aus seiner Heimat, dem Wald am See mitgenommen hatten, besaßen auch einen Hund. Bunny riefen sie ihn, wegen seinen löffelartigen Ohren. Doch Bunny mochte Willie wohl nicht, denn gleich am ersten Tag, hob er sein Bein und pinkelte an Willis Stamm und mit einem kurzen, befriedigenden "Wuff" ließ sich Bunny im Sessel nieder und ließ ihn nicht mehr aus den Augen.
Willie stand starr in der Ecke und wagte nicht, nur eine Nadel zu rühren. Er hatte Angst vor Bunny, doch noch schlimmer war, das die Hinterlassenschaft des Hundes seinen Stamm jucken ließ, dass er es kaum aushielt. Seine untersten Zweige reichten nicht an die Stelle heran, denn Kellers hatten ihm ein paar der unteren Äste abgeschnitten. Die Wunden schmerzten und der Topf, dort wo seine Wurzeln eingezwängt waren, war zu eng.

Er wünschte sich nach Hause, wollte seine Wurzeln tief in die kalte, feuchte Erde graben und dachte sehnsüchtig an die anregenden und spannenden Gespräche mit dem Wind.

Doch nach einigen Tagen spürte Willi die Fürsorglichkeit der Kellers die ihn gossen und ihn an dem besten Platz im Zimmer gestellt hatten, wo er alles überblicken konnte. Willi vergaß allmählich das Gefühl der Freiheit. Er fühlte sich zu Hause.
Die Familie begann ihn zu schmücken, mit roten Kugeln, goldenem Haar, einem Stern auf seiner Spitze und Willi kam sich soo groß vor und so geliebt. So strahlte er lange und die "Ohhs" und "Ahhs" der Besucher machten ihn ganz verlegen.

Doch als die Nacht mit Feuer am Himmel und Musik zu Ende war, die Kellers mit müden Augen vor ihm standen, drohten ihm die dunkelsten Stunden seines Lebens. Der Schmuck wurde abgenommen und die Kellers benahmen sich nicht mehr so gut gelaunt und fröhlich wie Willie sie sonst kannte.
Sie trugen ihn in den Keller, wo es feucht und dunkel war, legten ihn auf eine Werkbank, wo er die nächsten Wochen ein armseliges Dasein fristete. Er durstete und hatte Angst allein im Dunkeln. Willi erinnerte sich wieder an seine verlorene Freiheit und daran wie seine Freunde sich mit seinen Ästen verzweigt hatten, während sie den Geschichten des Windes zugehört hatten.
Willi machte sich Vorwürfe, das er vielleicht nicht schön genug war und malte sich aus, das ein anderer, schönerer und größerer Baum dort oben stünde, mit dem Schmuck und dem Stern auf der Spitze und das machte ihn wütend.

Als die Wochen vergingen und Willi immer noch im Keller lag, ohne dass sich jemand um ihn kümmerte, wuchs seine Wut und sein Harz war nicht mehr golden sondern wurde schwarz. Sein Herz erstarrte und nichts Gutes war mehr in ihm. Willi wartete auf den Tag seiner Rache obwohl er nicht wußte, wie er das anstellen sollte, denn alle Pläne wurden zunichte gemacht, als er sich klarwurde, dass er nichts tun konnte. Seine Zweige knackten in den Gelenken und wurden immer unbeweglicher.
Sein Harz schwoll auf das Doppelte an, verwandelte sich in einen Klumpen an der untersten Wurzel und die schwarze Seele die sich dort niederließ, schwor Rache.

Als die Kellers ihn schließlich hinaus trugen, wo der Frühling schon Einzug erhalten hatte, war sein Harz so angeschwollen, dass Willie das Doppelte wog.
Willi dachte schon, sie würden ihn zurück in den Wald bringen, wo er mit seinen Freunden wieder zusammen sein würde, doch die Kellers schleppten ihn auf eine Wiese, wo er entsetzt seine alten Freunde und auch fremde Bäume sah, die übereinander geworfen dalagen. Der Berg aus Ästen, Stämmen, und restlichen Weihnachtsschmuck war sehr groß und die Kellers hatten große Mühe, Willi oben drauf zu werfen.
"Was soll das?" fragte sich Willi leise, während er versuchte ein paar seiner eingeklemmten Zweige zu befreien die teilweise unter manch anderer Äste lagen. "Welch eine Frage" ertönte es dumpf unter ihm. "Hast du noch nicht von dem großen Osterfeuer gehört, was die Menschen jedes Jahr mit Unseresgleichen anstellen?"
"Nein, was passiert denn da mit uns?" flüsterte Willi ängstlich und seine Nadeln zitterten.
"Nun ja," brummte es unter ihm. " In drei Tagen werden sie ein schönes Feuerchen aus uns machen, Kartoffeln braten und sich den Hintern wärmen, schätze ich" hüstelte der andere.
"Das dürfen wir nicht zulassen! Das können die mit uns nicht machen!" erzürnte sich Willi und ballte ein paar Äste zusammen. Zustimmung wurde laut und bald riefen alle Bäume durcheinander und erklärten welch einen Haß sie auf die Menschen hatten.
Und während der nächsten Tage heckten die Bäume einen Plan aus, um ihrem Schicksal zu entfliehen.

Viele Menschen waren gekommen, um sich zu betrinken, zu feiern und zu sehen wie das Osterfeuer entzündet wurde. Still lagen die Bäume, als die Menschen die Wiese betraten, sich um den Haufen stellten. Der Bürgermeister hob eine brennende Fackel und rief mit einem Grinsen: "Auf das jedes Jahr ein so schönes Fest kommen möge" während er die Fackel zwischen die Zweige hielt, die sofort Feuer fingen. Knisternd fraß sich das Feuer den Weg durch Äste und Zweige. Das Feuer erzeugte sanftes Licht auf den Gesichtern und man sah wie glücklich sie waren.

Im Inneren des Haufens wurde es kalt. Willi und seine Leidensgenossen verschlangen ihre Äste ineinander, und in diesem Knäul von Ästen und Stämmen floss langsam das schwarze Harz jeden Baumes ineinander.

Der Wind heulte auf, Hagel setzte ein und fegte über die Menschenmenge. Die Menschen schrieen, rannten auseinander und suchten schützende Plätze.

Der Wind ließ urplötzlich nach. Rot glühte der Haufen, doch es war keine Flamme zu sehen. Auch keine Hitze war zu spüren und die Menschen traten neugierig näher und tuschelten, was das wohl zu bedeuten habe.

Willi und die anderen waren kaum noch zu erkennen. Sie schmolzen dahin, wie Butter und aus ihrer Mitte wuchs ein Baum, der Feuerlodernd und wie auf zwei Beinen heraustrat.
Drohend nickte der Feuerbaum mit der Krone und die Zweige formten sich zu Krallen um jeden in seiner Reichweite zu vernichten.
Brennende Zweige fielen von ihm und auch sie verwandelten sich in kleinere, tödliche Feuerbäume die die Menschen jagten, verbrannten und sie mit ihren spitzen Ästen durchbohrten.

In jedem Feuerbaum war ein Tropfen des schwarzen Harzes von Willi und den anderen, und jedesmal wenn ein Feuerbaum einen Baum berührte, wurde der Harz übertragen und sie verwandelten sich auch in Feuerbäume.

Mit jedem Tag und jedem Jahr verbreitete sich die "Baumseuche", wie die Menschen es nannten, in der ganzen Welt.
Die Menschen mussten sich zurückziehen und flohen auf das Meer oder versteckten sich in den Bergen.

Die Feuerbäume beherrschten bald die ganze Erde.
Willi war verschmolzen und verbunden mit allen Bäumen und tief in der Seele wußten sie:
Sie hatten die Macht und niemand würde sie ihnen mehr nehmen.
 

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