... für Leser und Schreiber.  

Rache

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©  Kersti   
   
Er fährt auf und stößt sich den Kopf an der Bettkante. Scheiße! Da passiert ihm fast jeden Tag. Dieser Wecker weckt einen ungefähr so sanft wie ein Schlag mit dem Hammer. Wieder einmal beginnt ein Scheißtag in einem Scheißleben.

"Morgen, Schatz!" Sie wacht auf. "Morgen! Hast du gut geschlafen?" Er schenkt ihr ein aufgesetzt freundliches Lächeln.

Während sie im Badezimmer verschwindet, bereitet er das Frühstück zu. Sie setzt sich an den fertig gedeckten Frühstückstisch und erzählt begeistert von ihrem Traum. Jemand hat sie verfolgt und wollte sie umbringen. Er gießt den Kaffee ein, nickt an den richtigen Stellen und bedauert, daß es nur ein Traum war.

Wenig später verabschiedet sie sich, um arbeiten zu gehen. "Bis heute abend. Und bleib schön brav!" Er verkneift sich eine Bemerkung und gibt ihr den obligatorischen Abschiedskuß.

Nachdem sie weg ist, setzt er sich nochmal an den Frühstückstisch, um die Zeitung zu lesen. Doch er kann sich nicht konzentrieren. Immer wieder schweifen seine Gedanken ab. Er hatte sich geschworen, nie so wie sein Vater zu werden. Der war nach außen hin immer der perfekte Ehemann und Vater gewesen. Doch wenn daheim irgendeine Kleinigkeit nicht stimmte, drehte er durch. Nein, so wie sein Vater war er nicht geworden. Er war seiner Mutter viel ähnlicher. Die verhielt sich auch immer ruhig und versuchte, alles richtig zu machen. Was unmöglich war. Genervt schleudert er die Zeitung weg. Der Abwasch wartet.

Während er das Geschirr reinigt, denkt er darüber nach, wie es am Anfang war. Eine Zeitlang kam er sich vor wie im Himmel. doch dann verlor er seinen Job. Aber das war ja kein Problem. Sie hatte ja ihre Arbeit. Doch mit der Zeit wurde sie immer unzufriedener. Dauernd motzte sie herum. Warf ihm vor, daß er auf ihre Kosten lebte. Schließlich hatte sie ihn soweit, daß er aus lauter Schuldgefühlen alles für sie getan hätte. Was sie dann auch von ihm verlangte. Sie zwang ihn, sich selbst zu erniedrigen. Sich so klein wie nur möglich zu machen. Dadurch wurde sie nur noch größer. Sie liebte es, ihn leiden zu sehen. Er hatte mehrmals versucht, sie zu verlassen. Doch er blieb nie lange aus. Reumütig wie ein treuer Hund kehrte er immer wieder zurück. Wie ein treuer Hund... der Vergleich paßt genau zu ihm. er kann ganz einfach nicht ohne sie leben. Das klingt kitschig, ist es aber nicht. Er haßt die Erniedrigungen, doch er braucht sie auch irgendwie. Danach wurde es noch schlimmer. Sie weiß, daß sie alles mit ihm machen kann.

Aber das macht sie nicht mehr lange mit ihm. Er geht zum Schrank und sucht. Ganz hinten findet er sie. Es ist eine Magnum. Er berührt sie sanft, fast zärtlich. Sie fühlt sich kalt und schwer an in seiner Hand. Ein beruhigendes Gefühl. Sein Leben ist sowieso nichts mehr wert. Aber er will ihr nicht den Gefallen tun, und einfach so gehen. Nein. Wenn, dann nimmt er sie mit. Aber sie soll nicht gleich sterben. Er hat sich etwas ganz Besonderes für sie ausgedacht. Die Kugel ist nur der letzte Schritt seiner Rache.

Er geht in den Keller, wo er die Überraschung aufbewahrt. Hier kann er sicher sein, daß seine Sammlung von ihr nicht gefunden wird. Sie kommt nie hier herunter. Sie leidet nämlich unter Arachnophobia und fürchtet, daß im Keller Spinnen sind. Womit sie gar nicht unrecht hat. Unzählige Glasvitrinen stehen hier aneinandergereiht. In mühevoller Arbeit hat er über ein Jahr hinweg Spinnen der verschiedensten Arten gesammelt. Es sind auch einige exotische Tiere darunter, die er teuer erworben hat. Doch für sie lohnt es sich. Langsam geht er durch die Reihen von Glasvitrinen, und er holt seine Lieblinge heraus. "Heute gibt es Arbeit für euch. Ich möchte, daß ihr meine Erwartungen erfüllt."

"Hallo, Schatz, ich bin wieder da!" Er geht auf sie zu, um sie zu begrüßen. "Hallo! Ich habe eine Überraschung für dich. Aber du mußt die Augen zumachen!" Langsam zieht er sie in Richtung Keller. Und diesmal ist sein Lächeln nicht aufgesetzt.


 

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