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Die grüne Filzlaus

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© Heinz Winter   
   
Jeden Samstagmorgen herrscht Gedränge vor dem Supermarkt. Parkplätze direkt neben der Ladentür sind um diese Zeit Luxus. Mit laufenden Motoren lauern Autofahrer auf die wertvolle Poleposition in der Parkbox. Dass Abgase die Luft verpesten, kümmert niemanden. Hauptsache der Panther ist auf dem Sprung.

So war es auch an jenem Samstag, als Beckmann vor dem Einkauf Altpapier zum Abfallcontainer bringen wollte. Ein älterer Mann thronte in seinem schwarzen Kombi und starrte geradeaus auf die besetzten Parkplätze. Sein Wagen blockierte nicht nur die Parkplatzzufahrt, sondern auch noch den Weg zu den Abfallcontainern. Der Motor lief.

Mühevoll zwängte sich Beckmann an dem Protzkasten vorbei. „Bloß keinen Heiligenfrevel begehen. Bloß nicht berühren!“ dachte er, als er kaum 20 Zentimeter vom Blech entfernt das Altpapier in den übervollen Container stopfte. Umwoben von Abgasschwaden trat er hinter dem Wagen hervor und wollte seinen Einkauf beginnen. Der Dicke thronte lässsig, die grillfleischgestählte Ellenbogenspitze auf das Seitenfenster gelehnt.
Der Motor lief.

„Warum immer kneifen?“ überlegte Beckmann. „Warum nicht sagen, was man denkt?“

Als er am Dicken vorbei ging, ließ sich Beckmann zu einem zögerlichen „Umweltverschmutzer“ hinreißen.

Sofort kam Leben in den Zeitgenossen: „Mach, dass du weiterkommst, duuu...!“

Mit sichtbarer Beschleunigung tippelte Beckmann zur Ladentür, schaute sich aber noch einmal um.

„Komm zurück, wenn du nicht feige bist,“ schnauzte der Stiernacken. „dann zeige ich dir den Umweltverpester!“

Auf diese Art von Aufklärung hatte Beckmann wenig Lust und verschwand schnell im Geschäft. Der Ausfall vor der Tür peitschte seine Stresskurve in die Höhe. Planlos bewegte sich sein Einkaufswagen durch die Gänge.

„Der Kerl macht Ernst!“ hämmerte es in seinem Kopf. „Für den Umweltverschmutzer kann ich mir locker Prügel einfangen!“

An der Wursttheke konzentrierte sich Beckmann gerade auf seine Einkaufsliste, als urplötzlich der Schwerathlet neben ihm stand und seinen Schwabbelbauch vor Beckmanns Ellenbogen drückte.

„Wenn du nicht feige bist, dann kommst du gleich mit raus!
Ich zeig´ dir dann den Umweltverschmutzer! Du hast ja keine Ahnung!
Ich hab´ nämlich einen Katalysator eingebaut! Das hast du nicht,
duuu...!“ Puterrot rieb der Gockel seinen Mastkörper an Beckmanns
Ellenbogen.

Ängstlich, aber doch amüsiert, antwortete Beckmann: „Mein Rasenmäher hat auch einen Katalysator!“

„Ich warte draussen auf dich...!“

Schnaubend brach der Gorilla seinen Drohtanz ab, drehte sich um und polterte vom Kampfplatz.

Acht Augenpaare verfolgten aus der Warteschlange heraus die Eröffnung zum Kampf. Niemand aus der Herde mischte sich ein. In der Rückwärtsbewegung sah es so aus, als wolle der Kampfhahn noch eine Duftmarke setzen, doch traf er offenbar eine Bekannte, die ihn zu linkischen Bewegungen zwang, als sie mit ihrem Einkaufswagen aus der Regalschneise trat. Lauthals begann er der Frau die Gründe für seinen Balztanz zu erläutern: „Der da! Der Hering da! Umweltverschmutzer sagt der zu mir!“ Seine Wurstfinger deuteten schamlos auf Beckmann. „Wo ich doch einen Katalysator habe... Diese grüne Filzlaus!“

Beckmann sah noch, wie die Frau seiner Geste folgte, dann drehte er sich mehr ängstlich als angewidert zur Verkäuferin. Würde der Dicke tatsächlich vor dem Laden auf ihm warten? Beckmann schluckte. Auf alle Eventualitäten gefasst, beendete er den Einkauf.

Kein schäumendes Gift an der Kasse! Kein Kampfschwein vor der Tür. Die Luft war im wahrsten Sinne des Wortes rein. Der Skandal hatte sich in Luft aufgelöst. Erleichtert atmete Beckmann durch und trat den Heimweg an.
Ab und zu stellte er die Einkaufstasche ab und schlug mit den Fäusten zackige Haken in die Luft. Dabei schrie er aus vollem Halse: „Komm her, du grüne Filslaus, duuu!“

 

http://www.webstories.cc 06.05.2024 - 11:07:11