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11 Seiten

Die Innere Sicherheit

Nachdenkliches · Experimentelles
© cicia
„Herr....., Sie können nun eintreten!“, empfing einer meiner Rezeptoren und leitete es an das Nervensystem, um die Bewegung, die dieser Satz herausforderte, auszuführen. Kurz wunderte ich mich noch über das Zögern meiner Beine den ersten Schritt in Richtung der großen sperrigen Tür aus rotem Fleisch zu tun, doch ließ ich es schnell wieder außer Acht und trat meiner ungewissen Zukunft entgegen. Mit leichtem Unbehagen klopfte ich fest an die Tür - man hörte keinen Laut, doch das Vibrieren spürte ich in meinem Plasmakörper als wolle er sich selbstständig machen. Mit der sich aufdrängenden Frage aus welchem Grund man mich zum Generaldirektor der Firma zitiert hatte, trat ich ein und fand mich in einem großen, kargen Büro wieder, das zu dem kleinen, rundlichen, härchenlosen, aber doch Respekt einflößendem Kerl nicht zu passen schien. Trotz der Freundlichkeit, die er mir während der Begrüßung entgegenzubringen versuchte, sah er mich ernst an und ich begriff, dass das folgende Gespräch von höchster Wichtigkeit war.
Er fing damit an mich zu mustern und tat dies nicht, ohne mich eine gewisse Skepsis spüren zu lassen. Eine Skepsis, die ich nicht verstand, da ich den Grund für dieses Meeting nicht kannte. Er setzte sich auch nicht, so wurde ich immer ungeduldiger und fing an nervös mit den Wimpern zu zucken.
Plötzlich brach ein Seufzer seinerseits das Schweigen und mit eindringlichem Blick holte er aus, um das Gespräch zu beginnen:
„Herr....., Sie wurden unter strengster Geheimhaltung hierher gebeten.
Ich bitte Sie nun, einen Verschwiegenheitsvertrag zu unterschreiben, um gewährleisten zu können, dass nichts von dem was ich Ihnen erzählen werde an die Öffentlichkeit gelangen kann.“, hörte ich ihn mit fester, fast tapferer Stimme sagen und meine Neugier wuchs.
„Dennoch haben Sie die Wahl, Sie werden zu nichts gezwungen.
Unterschreiben Sie also nicht, gehen Sie zurück an Ihre Arbeit und werden nicht mehr belästigt.
Leider kann ich Ihnen im Voraus keine weiteren Informationen geben. Denken Sie darüber nach. Ich gebe Ihnen ein wenig Bedenkzeit.“
Er legte den Vertrag vor mich auf seinen großen Schreibtisch hin und machte Anstalten das Büro zu verlassen, doch ehe er die Tür erreichte, gab ich, wider der Vernunft, die mich



warnte, meiner Neugier nach und unterzeichnete den Vertrag.
Sichtlich erleichtert trat mein Chef wieder an den Tisch, setzte sich in seinen herrschaftlichen Sessel und deutete mir, gegenüber von ihm ebenfalls Platz zu nehmen.
Er begann mir die Sachlage zu erklären:
„Sie haben die Veränderungen an Ihrem Arbeitsplatz, dem Magen, sicherlich selbst schon gemerkt und vielleicht haben Sie auch schon das eine oder andere Gerücht um die Ursache dieser Veränderungen gehört. Ich kann Ihnen versichern, diese Stimmen nicht, zumindest sind sie nicht erwiesen. Doch was Sie nicht wissen, ist, dass im ganzen Organismus Störungen auftreten.
Ich, beziehungsweise der Generalausschuss, kann selbst keine Gründe für die Übersäuerung der Magenhalle, die erhöhte Keimkonzentration im Darmtunnel, den sinkenden Muskeltonus, und die zu engen und teilweise blockierten Sauerstofftransportwege nennen – Und das ist nur ein kleiner Anteil der Probleme die uns zur Zeit belasten.
Die Folgen der Störungen können Sie sich nicht vorstellen: Es wurden zum Beispiel Mitarbeiter durch den hohen Säuregehalt im Magen verätzt, es wurden sogar vereinzelt Todesfälle gemeldet.
Auch wird vom Darm extremer Arbeitskräftemangel gemeldet, da die hohe Anzahl der Krankheitserreger vom Personal nicht mehr überwältigt werden kann. Die Bakterien drohen die Übermacht zu erlangen!
Nahezu in jeder Organfabrik scheinen im Arbeitsalltag Unregelmäßigkeiten auf, gravierende Probleme, die zur Zeit nicht behoben werden können.

Die Innere Sicherheit ist in Gefahr Herr.... und im Moment wissen wir keine Möglichkeit uns zu verteidigen“

Mit diesen Worten beendete der Generaldirektor seinen Lagebericht. Kurz empfand ich Mitleid für ihn, da er einen hilflosen Eindruck machte. Gleichzeitig wurde mir aber bewusst, dass ich dieselbe Hilflosigkeit empfand, und blitzartig wurden mir Gedanken gegenwärtig, von denen ich nie glaubte, es würde berechtigte Gründe geben, dass diese Gedanken tatsächlich gedacht würden.
„Was ist, wenn das Schlimmste eintritt, das wir zu befürchten haben? Was ist, wenn nach und nach Arbeitsstätten geschlossen werden, weil keine Sicherheit mehr garantiert werden kann?

Was ist, wenn meine Arbeitstätte, der Magen, geschlossen wird? Ich bin Angestellter, ich tue nichts, außer zu arbeiten, zu verdauen. Ich existiere um zu verdauen. Existiere ich dann noch?“
Ich hatte vorher noch nie das Bedürfnis mein Dasein zu definieren, doch nun begann ich nachzudenken, ob ich meine Arbeit, oder meine Arbeit mich definierte.

Durch ein Räuspern wurde ich aus meiner Verwirrung herausgerissen und langsam wurde ich mir auch wieder der Gegenwart des Direktors bewusst.
„Wollen Sie nicht wissen warum ich Ihnen das alles erzähle?“
Nein, eigentlich wollte ich das nicht mehr.
„Sie haben den Auftrag, die Ursache für die Probleme herauszufinden.“
„Wieso gerade ich?“, dachte ich bei mir, „Ich bin nur jemand Unbedeutendes, ein Arbeiter von vielen in unserer Welt. Wir arbeiten alle hart und beschützen unseren Lebensraum. Warum hat man mich ausgewählt?“ Schleichend machte sich ein Gefühl der Wut in mir breit.
„Hätte ich doch nur abgelehnt und wäre aus dem Büro verschwunden, bevor ich die Hiobsbotschaft hörte.“ Jetzt war nicht nur mein Leben in Gefahr, sondern ich musste es auch noch selbst retten! Und nebenbei auch das einiger anderer Millionen Beschäftigter.
Ich kam aber nicht dazu, meiner Wut Ausdruck zu verleihen, denn eilig, vielleicht sogar ein wenig gehetzt, fuhr der Direktor fort:
„Ihnen wird in Kürze ein Transportmittel zur Verfügung stehen, mit welchem Sie zum Unterbewusstsein, eine Institution, die in der Hierarchie oberhalb des Generalausschusses steht, fahren werden. Der Generalausschuss, der aus den Chefs der einzelnen Organfabriken besteht, ist leider nur zur Beobachtung unseres Organismus fähig. Um das Gleichgewicht in unserem Lebensraum zu erhalten, ist das Unterbewusstsein verantwortlich. Dieses darf jedoch nur in extremen Krisenzeiten aufgesucht werden und es bevorzugt jemanden aus dem gemeinen Volk. Wir wissen nicht wieso, also konnten wir keine Kriterien für den Auserwählten festlegen. Sie wurden also durch das Zufallsprinzip auserkoren, unser Retter zu sein. Sie sind im Herzen bereits angemeldet.“ und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu:
„Wir vertrauen Ihnen unsere Zukunft an! Enttäuschen Sie uns nicht!“
Mit großen Schritten verließ er das Büro durch die Hintertür und zog sich somit aus der




Verantwortung.

Die Fahrt durch das Nervensystem zum Herzen, dem Büro des Unterbewusstsein, war ungewöhnlich ruhig. Früher, vor nicht allzu langer Zeit, war jede Fortbewegung in den Nervensträngen ein Risiko, da elektrische Spannungen überall lauerten und den Verkehr extrem behinderten. Heute durchzog sich, bis auf ein paar kleine Stauzonen, freie Fahrt.
Als ich das Herz erreichte, staunte ich nicht schlecht, als das Anwesen dunkel und gruselig erschien und nicht, wie es Gerüchte beschreiben, freundlich und friedlich. Die Leibwächter des Unterbewusstseins durchsuchten mich bis ins kleinste Detail auf Viren, Parasiten und andere Krankheitserreger, doch als sie nichts fanden, brachten sie mich in den Arbeitsbereich des Schlosses. Es war eine riesengroße Halle, in der Tausende ihre Arbeit taten. Sie saßen aufgereiht neben den Fließbändern, die Schutzanzüge, die die Arbeiter trugen, schienen sie zu behindern, wenn sie die Sauerstoffbläschen zuerst reinigten und dann auf die Fließbänder festschnallten, um sie in die einzelnen Regionen unseres Organismus zu verschicken. Ein anderer Mitarbeiter, offensichtlich ein Sekretär, bemerkte meine Verlorenheit und deutete mir den Weg zum Büro des Unterbewusstseins. Es lag in der Dachetage und als ich klopfte, öffnete mir ein Kind.

Ich fragte höflich, ob ich mich denn in der Tür geirrt hätte, doch das Kind antwortete, dass es mich schon erwartet hätte. Als es meine ungläubigen Augen bemerkte, fügte es noch hinzu: „Ja, ich bin das Unterbewusstsein, ich weiß, das ist schwer zu glauben, aber jetzt komm’ herein und wir reden.“
Noch immer grenzenlos verwirrt, trat ich in den Raum. Wir setzten uns an einen kleinen Tisch auf kleine Stühle – es war die einzige Einrichtung in dem Zimmer.
Das Kind sah mich mit großen Augen, die einerseits eine Fröhlichkeit ausstrahlten, jedoch andererseits eine gewisse Traurigkeit in sich bargen, an. Doch ich konnte den Blick nicht mit Freundlichkeit erwidern, denn ich wartete auf Antworten, persönliche und offizielle. Ich entschied mich den Blick des Kindes zu ignorieren und mit dem Fragen zu beginnen:

„Du bist das Unterbewusstsein?“ Etwas amüsiert über mein Misstrauen antwortete es:



„Ja. Du hast wohl jemand anderes erwartet. Besser gesagt; jemand älteres. Aber ich habe eine größere Lebenserfahrung als du glaubst und sicherlich eine größere als du sie hast.“ grinste es.
„Ich weiß über fast alles in diesem Organismus bescheid und da ich weiß, dass du mich gleich fragen würdest, wie ich das in diesem spärlich eingerichteten Raum ohne Hilfsmittel bewerkstelligen kann, sage ich es dir gleich; ich erfühle alles.
Jede Störung in unserer Welt, wie klein sie auch sein mag, sendet negative Schwingungen aus, die ich spüren kann. Jede dieser Schwingungen überträgt sich auch auf das Herz, meinem Zuhause, das ebenfalls immer mit dem Organismus im Einklang ist. Gibt es nun Probleme in einer Region unserer Welt, verändert sich das Herz. Du hast es heute selbst gesehen, es sieht nicht mehr prachtvoll und schön aus, es leidet sozusagen mit. Schmerz entsteht.“
„Du erfühlst also die Ursachen für bestimmte Probleme in unseren Arbeitsstätten?“
„So leicht ist es nun auch wieder nicht. Ich sagte ich weiß wo die Probleme entstehen, nicht warum.“
„Aber der Generalausschuss schickte mich zu dir um die Ursache herauszufinden.
Wo die Probleme sind, weiß er ja selbst.“
„Nein da hast du Unrecht. Der Generalausschuss sieht die Auswirkungen der Ursache, doch wo sich das generelle Problem befindet, kann er nicht orten. Das kann ich dir aber sagen; Die Ursache befindet sich im Gehirn“
„Das ist typisch, meinst du nicht? Es sind immer die Beamten!“ Damit entlockte ich dem Kind, dass während des Gesprächs immer trauriger zu werden schien, ein Lächeln. Doch ich wurde wieder ernst:
„Hör mal, ich möchte nicht dass du ein schlechtes Bild von mir bekommst, wenn ich das frage. Aber warum merzt du nicht das Problem aus. Wieso muss ich das tun? Kannst du nicht zum Gehirn fahren und fragen was dort los ist?“
„Das Problem ist: Wer hört heutzutage schon auf ein Kind? Außerdem zählen in deren Arbeitsgebieten Gefühle kaum noch. Früher fragten sie mich oft, was mein Gefühl zu dieser oder jener Entscheidung sagen würde, doch nun vertrauen sie mir nicht mehr. Was bei den Beamten zählt sind Fakten, auf das Herz hört niemand mehr.
Du musst zum Gehirn gehen. Du machst deine Sache gut. Versprich mir noch etwas; Wenn du alles erfahren hast, was du wissen musst, komm noch einmal vorbei und berichte




mir, warum mir niemand mehr zuhört! Ich wünsche dir viel Glück!“

Ich verabschiedete mich von dem Kind, das wieder sehr traurig aussah. Als ich den Gang hinunter zum Transportmittel ging, musste ich noch an es denken. Eine gewisse Wertschätzung, ja sogar Ehrfurcht verspürte ich für es. Bei mir dachte ich, dass Gefühle wichtig seien um den Lebensraum im Einklang zu halten, jedoch spürte auch ich gewisse Hemmungen auf meine Gefühle zu vertrauen. Ich war noch nie in meinem Leben darauf angewiesen auf sie zu hören, denn es war, bis zu dieser Odyssee auf der ich mich gerade befand, in geregelten Bahnen verlaufen. Individualität musste ich noch nie beweisen, Ehrgeiz, Fröhlichkeit, Freude, Überwältigung spürte ich noch nie, aber ich war auch vor Traurigkeit, Wut und Missmut gefeit. Nun sollte ich forschen, nach Ursachen für gewisse Probleme, die mich bedrohten. Natürlich blieben Gefühle nicht aus, auf dieser Mission, aber deuten konnte ich sie nicht auch wenn sie mich zu leiten schienen.

Die Fahrt zum Gehirn war wieder problemlos, dafür wollte die Anzahl der Sperren vor dem Areal fast kein Ende nehmen, da wiederum höchste Sicherheitsstufe gefragt war. Das gab mir jedoch Zeit das Umfeld zu beschauen. Links und rechts standen Gebäudekomplexe, eines größer als das andere, schlicht und einfach, ohne große Verzierungen, zogen sie kaum Aufmerksamkeit auf sich. Die vielen Mitarbeiter rund um den Häusern zeigten sich sehr geschäftig, in Reih und Glied, geregelt bis ins kleinste Detail, führten sie ihre Aufgaben aus. Sie verschickten wohl Botschaften an die einzelnen Regionen meines Lebensraumes, denn sie steckten Briefe in kleine Kügelchen, die dann in einem Röhrensystem versenkt wurden, dort gingen sie auf den weiten Weg, den sie jedoch in sekundenschnelle überbrückt haben würden.
Die Wächter an den Sperren erklärten meinem Fahrer den Weg immer genau, doch passierte es ihm oft, dass er die falsche Abzweigung erwischte. In diesem genau durchstruktierten und perfekt organisierten Areal herrschte also doch ein wenig Chaos.

Als ich beim Chef vom Gehirn ankam, stieß ich auf einen Greis. Sein Büro war von Büchern in großen hohen Bücherregalen übersäht. In der Mitte stand ein großer, schäbiger Schreibtisch auf dem wiederum Stoßweise Zettelwerk angesammelt war, die Unordnung war unübertrefflich und der totale Gegensatz zu dem, was ich gerade vorher vom Gehirn kennengelernt hatte. Der Greis war sehr gestresst und kaum willig mich zu begrüßen. Er setzte sich und während er weiterhin Ordner, Akten, Verträge und Mitteilungen durchsah,

legte er los:
„Ich weiß was Sie hier machen, aber Sie sind beim Falschen angelangt, ich kann Ihnen nicht weiter helfen. Ich bin hier nur eingesetzt um die wichtigsten Entscheidungen durchzuführen, qausi meinen Segen darauf zu geben. Ich bin hier um zu überprüfen, ob Wünsche auch ausgeführt werden können, oder ob eine Überbeanspruchung einer gewissen Region im Moment zulässig ist. Mehr Auskunft kann ich nicht geben.“ erklärte er mir mürrisch. Das half mir aber nur wenig bis gar nicht. Er wollte mich schon wieder rausschmeißen, doch ich kam ihm zuvor und fragte: „Wer hat diese Wünsche und Bedürfnisse von denen Sie reden. Wer fragt Sie das alles?“ Auf einmal wirkte er überrascht, es sah aus, als ob ihn gerade ein Geistesblitz getroffen hätte. Er fuhr leise, betroffen und viel freundlicher als vorhin fort:
„Eigentlich darf ich Ihnen das nicht sagen, aber da ich gerade erkannt habe, dass Sie derjenige sind, der die Ursache für unsere Probleme sucht, vertraue ich Ihnen. Ich sage es Ihnen nur, weil ich Angst um meinen Arbeitsplatz habe. In letzter Zeit gibt es nämlich nur noch sehr wenig zu tun. Die Hirnarbeit nimmt stetig ab, da wir kaum noch Befehle entgegennehmen müssen.
Es ist die Persönlichkeit, das „Ich“. Es ist die oberste Instanz unseres Organismus, er ist unser Arbeitgeber. Diese Information habe nur ich und sie unterliegt eigentlich strengster Geheimhaltung. Niemand hat die Persönlichkeit je gesehen, geschweige denn mit ihr gesprochen.“
„Woher wissen Sie dann, dass sie existiert?“ „Sie gibt die Befehle, die wir ausführen. Demnach muss die Ursache für unsere Probleme auch die Persönlichkeit sein.“
„Warum haben Sie das Unterbewusstsein nicht zu Rate gezogen?“
„Das Unterbewusstsein reagiert zu sehr mit Gefühlen, es kann nicht rational arbeiten. Wir, die Persönlichkeit und ich, haben den Kontakt zu ihm schon seit längerer Zeit abgebrochen, da es unsere Arbeit behinderte.“
„Ich glaube, das war ein Fehler. Vielleicht wäre das Problem durch die Mithilfe des Kindes gar nicht entstanden, denn der Organismus hat verschiedene Institutionen damit sie kooperieren“ Ich wusste nicht, warum ich das sagte. Es stand mir nicht zu Vermutungen zu äußern, über Dinge, über die ich nichts wusste. Doch es beschlich mich ein seltsames Gefühl,



als ob ich in weiterer Folge noch eine große Verantwortung zu tragen hätte. Der Direktor sah mich verblüfft an, doch obwohl ich zu weit gegangen war, drückte er seinen Ärger nicht aus. Er gab mir einen kleinen Schlüssel und deutete auf ein großes Postfach an der Wand. „Hier erhalte ich immer Mitteilungen, Befehle, Wünsche und Anregungen von dem „Ich“. Sie müssen nur den Schacht in das obere Stockwerk hinaufklettern, dann kommen Sie beim „Ich“ an. Ich habe keine Ahnung wie es da oben aussehen wird, aber ich wünsche Ihnen viel Glück um herauszufinden, was die Sicherheit aller gefährdet.“
Er verschwand aus dem Zimmer. Vielleicht hatte er Angst. Ich hatte auch ein mulmiges Gefühl, immerhin würde ich den Oberbefehlshaber unseres Organismus treffen, denjenigen der uns die ganze Arbeit aufträgt, der, der unserer Existenz einen Grund gibt, ich würde „GOTT“ treffen.

Ich stieg den schmutzigen Schacht hinauf, als ich oben ankam kletterte ich durch eine viel zu enge Klappe hindurch in ein weißes Zimmer. Es leuchtete von innen heraus und ich musste anfänglich mit den Händen meine Augen vor dem gleißenden, weißen Licht schützen. Im Raum war nichts. Man konnte nicht einmal die Wände, die den Raum begrenzten, erkennen.
Doch ich merkte, dass genau in dem Moment als ich einen Fuß auf den gepolsterten weichen Boden setzte, die Stimmung in dem Raum, die zuerst sehr ruhig und gelassen war, sich zu verändern begann. Aufregung und Verwirrung konnte ich erspüren, und ich merkte zu diesem Zeitpunkt erst, wie viel emotionales Wissen ich von dem Kind auf meine weitere Reise mitnehmen habe können.
Das „Ich“ spürte meine Anwesenheit und ich spürte seine.
„Dieses Gespräch ist laut den Naturgesetzen nicht erlaubt“ hörte ich eine durchdringende Stimme, die nicht aus einer bestimmten Richtung kam, sondern von überall her zu kommen schien. Ehrfurcht, die ich empfand, ließ meinen ganzen Körper erzittern und meine Stimme wurde zu einem Flüstern als ich sagte: „Ich kenne die Naturgesetze nicht. Ich kenne nur Angst und die Angst trieb mich bis hierhin, zu jemandem der mir diese Angst erklären kann. Ich bitte um Verständnis.“
Einige Zeit verstrich bis das „Ich“ antwortete: „Angst kenne auch ich, aber ich konnte mich von ihr lösen. Bist du bereit deine Angst abzulegen? Was danach kommt ist schlimmer als Angst: Gewissheit.“
Ich antwortete nicht, denn beide Antwortmöglichkeiten wären gelogen gewesen. Einerseits

konnte ich die Angst nicht mehr aushalten, doch andererseits fürchtete ich mich auch vor der Gewissheit, wie es das „Ich“ bezeichnet hatte. Ich entschied mich jedoch nicht davonzulaufen, das signalisierte dem „Ich“, dass ich es endlich hinter mich bringen wollte.
Und es fing an zu erzählen:
„Naturgesetze verlangen von uns Persönlichkeiten, nicht mit unserem Körper auf verbale Weise kommunizieren zu können. Ich weiß nicht wie du es geschafft hast, dieses Zwiegespräch als Vertreter meines Körpers zu arrangieren. Verzweiflung muss dich getrieben haben, bis zu mir zu kommen.“
Die Stimme klang herrschaftlich und doch, ich fand fast kein Wort dafür, klein?
Außerdem verstand ich ihn nicht ganz. Es gibt mehrere Persönlichkeiten? Körper? Dieses Wort kannte ich nicht, doch ich wagte es nicht zu unterbrechen.
„Du hast überhaupt keine Ahnung über was ich spreche, ich werde es dir aber genau erklären:
Du bist ein kleiner Teil eines gut funktionierenden Organismus gewesen. Du wusstest nicht für wen oder was du arbeitest, und du hast nie die Möglichkeit gesucht, es zu erfahren. Erst als deine Reise begann, konntest du über dein Leben reflektieren. Deine Entwicklung entstand aus neu gewonnenem Wissen, das deine Existenz bedrohte. Die Angst trieb dich, nach dem Sinn deines Daseins zu forschen. Nun erfährst du ihn: Du arbeitest für einen Körper, den ich benutze. Durch deine Arbeit und der Arbeit die Millionen für mich leisten, kann ich agieren, kann ich entscheiden. Ihr haltet meinen Körper instand.
In der Welt in der ich lebe, gibt es Tausende, Millionen Körper, alle sind eigene Individuen, Persönlichkeiten sitzen in ihnen, wie ich es bin und Arbeiter wie du erhalten sie.
Das ist wohl kaum nachvollziehbar für dich. Für dich ist dein Organismus deine Welt, dein Zuhause. Für mich ist die Erde meine Welt, mein Organismus, mein Zuhause.“
Ich begann zu verstehen: „Meine Welt besteht noch ein zweites mal, in der die Persönlichkeit meine Rolle spielt.“ Da sprach das „Ich“ schon weiter:
„Es gibt jedoch eigentlich keinen Unterschied zwischen uns zweien. Denn auch ich musste mein ganzes Leben für etwas arbeiten, das ich nicht benennen konnte. Am Anfang wollte ich es auch nicht, doch dann, als auch mein Arbeitsplatz bedroht wurde und ich über meine Existenz, die genau wie deine, nur über meine Arbeit definiert wurde, zu reflektieren begann, wusste ich, dass ich etwas ändern musste. Ich forschte nach der höheren Instanz, die mich gezwungen hatte zu arbeiten, so wie du nach mir suchtest, doch ich fand sie ihm Gegensatz zu dir nicht. Zumindest keine Person. Das, was ich fand, war der Kapitalismus.“
„Was ist Kapitalismus?“ fragte ich ungeniert.
„Meine Welt wird von etwas beherrscht, das man Geld nennt. Dieses Geld hat, bestehend aus Papier und wertlosen Metallen, eigentlich keinen Wert, ihm wird nur ein Wert zugeschrieben. Je mehr Geld man jedoch hat, desto reicher ist man. Wir Persönlichkeiten bekommen für jede Stunde die wir arbeiten, eine Belohnung: das Geld. Mit dem Geld kann man sich Sachen kaufen. Kauft man sich etwas, muss Nachschub produziert werden, dieser wiederum, wird wieder von Arbeitern, die wieder Geld dafür erhalten, erzeugt. Die Firma die diese Sachen produziert, schöpft dadurch einen Geldgewinn. Mehr Geld bedeutet aber auch mehr Macht, und diese Macht, die nur wenige haben, wird ausgenützt, um noch mehr Geld zu schöpfen und um noch mächtiger zu werden. So habe ich herausgefunden, dass, wenn ich arbeite, ich für ungefähr 1% der ganzen Menschheit, für die Elite arbeite, die dann wiederum mein ganzes Leben bestimmen, die Regeln aufstellen und mich manipulieren.
Ich bekam ein schlechtes Gefühl. Mein Herz tat mir weh, wenn ich darüber nachdachte, dass ich Teil dieses Systems bin. Ich versuchte es zu ignorieren, was mir auch gelang, jedoch fühlte ich in dieser Zeitspanne meines Lebens auch nie mehr Glück oder Seligkeit, Zufriedenheit.“
Also das war der Grund, warum das Kind nicht mehr zu Rate gezogen wurde. Negative Gefühle übermannten es, das Herz und das Kind wären vielleicht daran zerbrochen.
„Ich fühlte mich durch die Kälte, die ich ausstrahlte, sicher.
Doch der Kapitalismus ist keine Sicherheit. Auf meiner Erde gibt es keine Sicherheit.
Auch eure innerer Sicherheit war ein Trugbild.“ Die Stimme wurde immer leiser.
„Das, was mir gegeben worden ist, was mich von euch unterscheidet, ist, der freie Wille.
Und ich habe mich entschieden nicht mehr für dieses System zu arbeiten. Ich habe keine Arbeit mehr, denn ich will keine mehr haben. Ich habe keine Gefühle mehr, die Welt da draußen hat mich stumpf gemacht. Ich möchte nicht mehr existieren.“

Die Rolle, die ich spielte, die Verantwortung, die ich trug, nun wurde sie mir bewusst. Nun hatte ich die Gewissheit.
Sollte ich den anderen sagen, dass wir für etwas arbeiten, das es nicht wert ist? Dass das „Ich“ den Lebenswillen verloren hat? Wir würden aufgeben, wie die Persönlichkeit selbst es tat.
Doch sollte ich es ihnen nicht sagen, kämpfen wir um unser Leben ohne die geringsten Erfolgschancen.
Kämpfen wir? Oder geben wir auf?
Ich entschied.
 
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Kommentare  

Tolle Idee! Ich hab mich super unterhalten.

Bei den Formatierungen ist aber ein bissel was schief gegangen bei dir: du hast riesige Absätze in deiner Geschichte, die sicher nicht beabsichtigt waren. Aber das kannst du ja nacheditieren.


Zannalee (23.12.2004)

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