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4 Seiten

Neuanfang

Spannendes · Kurzgeschichten
Vor zwei Monaten hatte Klaus sich von ihr getrennt und Elke fand, dass es Zeit für einen Neuanfang war. Nach zweieinhalb Jahren Beziehung hatte er sie verlassen, weil sie angeblich zu fett geworden sei. In Wahrheit, so vermutete sie jedenfalls, hatte er eine Andere.
„Ich kann Dich nicht mehr lieben. Du frisst Dich noch zu Tode!“, hatte Klaus ihr an den Kopf geschmettert und dann die gemeinsame Wohnung mitsamt seinen Sachen verlassen. ‚Fresssucht! So ein Blödsinn!’, dachte Elke bei sich während sie sich fertig schminkte. Sie war nicht fett. Gut, hier und da drückte vielleicht mal etwas, aber sie war ja auch älter geworden. „Menschen wachsen eben nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Breite“, sagte sie laut. Das war ihr Lieblingsspruch und sie gebrauchte ihn recht häufig. Zumeist benutzte sie ihn als Schutzschild gegen Menschen, die schlanker waren als sie. Menschen wie Klaus. Gut, dass er weg war. So konnte er nicht die winzig kleine Träne sehen, die jetzt, da sie wieder einmal an ihn dachte, Elkes Wange herunterrollte und dabei das frische Makeup zunichte machte.
Sie atmete tief durch, wischte sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht und trat vor den Spiegel. Der Anblick, der sich ihr bot, war niederschmetternd. Zwar war sie immer noch eine wunderschöne Frau, jedoch hatte der Bruch mit Klaus seine Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Die Beziehung der beiden hatte ein hässliches Ende gefunden und irgendwie kam es ihr vor, als sei sie als hässlicher Mensch daraus hervorgegangen. Dabei war doch sie das Opfer, er der Mistkerl!
Elke bekämpfte die erneut aufkommende Wut und zupfte ihr Kleid zurecht. „Zu fett, hah! Der wird sich noch umsehen!“, sprach sie ihrem Spiegelbild Mut zu und vergrößerte ihr Dekolletè, indem sie das trägerlose Kleid um die Brüste herum etwas lockerte. Heute war ihr Abend. Sie würde mal wieder richtig einen drauf machen, wie früher, bevor sie Klaus kennen gelernt hatte. Zuerst wollte sie in eine Bar und etwas trinken. Wer weiß, vielleicht lernte sie ja hier jemand Neues kennen? In jedem Fall aber würde sie später noch tanzen gehen, ob nun zu zweit oder allein. Nachdem sie sich, so gut wie in ihrer Verfassung eben möglich, vorzeigbar gemacht hatte, ging Elke eiligen Schrittes aus dem Haus und schloss die Tür hinter sich. Draußen peitschte ein fürchterlicher Regen und sie war froh, dass das Taxi schon mit laufendem Motor auf sie wartete. Es war zwar nur ein kurzer Weg bis zu dem Wagen, doch da das kleine Jäckchen, das sie sich über ihr Kleid gezogen hatte, dem Unwetter nicht zu trotzen vermochte, war Elke bis auf die Knochen nass, als sie einstieg. Der Fahrer musterte sie kurz durch den Innenspiegel und fragte sie dann „Wo soll’s denn hingehen, Mädchen?“.
Elke war zu sehr durch den Wind, als dass sie sich über die zudringliche Wortwahl des Mannes hätte aufregen wollen und so raunte sie ihm nur ein kurzes „Na erstmal los!“ entgegen. Wortlos griff der Fahrer nach dem Taximeter und setzte den Wagen in Bewegung.
Nachdem sie ein paar Minuten gefahren waren und Elke sich beruhigt hatte, setzte sie zu einem neuen Gespräch an. „Ich möchte heute Abend Spaß haben. Eine Kollegin auf der Arbeit hat von einer Bar erzählt…, wie war doch noch mal der Name…, hat ganz neu aufgemacht…“. Erneut schenkte der Mann am Steuer ihr einen kurzen, durchdringenden Blick durch den Spiegel. „Ich denke, ich weiß, wohin Sie möchten“, brummte er und bog ab.
„Sehr schön“, sagte Elke kurz, schloss die Augen und lehnte sich zurück. Durch die Fenster konnte man aufgrund des starken Regens sowieso nichts erkennen und so wollte sie die Minuten bis zu ihrem Ziel in Ruhe verbringen. Später, wenn sie unter Leuten war, würde es genug zu sehen geben. Schließlich war sie seit langer Zeit nicht mehr ausgegangen.
Nach etwa zehn Minuten hielt der Wagen an und Elke öffnete die Augen. „Wir sind da, macht zwölfsechzig“, drang es zu ihr nach hinten. „Das ist der Laden?“, fragte sie während sie dem Fahrer den genannten Betrag plus minimalem Trinkgeld aushändigte. „Das ist ihr Laden“, brummte der Empfänger zurück.
Elke hielt sich mit der einen Hand das Jäckchen zu, griff nach der Tür und stieg aus dem Wagen. Einen Augenblick später fuhr das Auto mit quietschenden Reifen auch schon davon.
Sie drehte sich um und rannte mit gesenktem Kopf über die Straße und dem Neonlicht entgegen, das sich im Asphalt spiegelte. „Twister“ war in grellem Neonpink über der Eingangstür zu lesen und Elke bezweifelte, dass dies wirklich die Bar war, von der ihre Kollegin erzählt hatte. Was war das hier überhaupt für ein Stadtviertel? Sie sah sich um, doch weit und breit war niemand zu sehen. Die Straßen schienen wie leergefegt.
„Na toll!“, fluchte Elke. Sie wusste, sie würde nun da rein gehen müssen, schon allein um sich ein neues Taxi rufen zu können, und sie war von dem Gedanken daran wenig begeistert. Doch sie hatte keine andere Wahl und so trat sie widerwillig durch die Eisentür unter der Leuchtreklame und durchschritt den schweren, roten Samtvorhang, der dahinter hing.

Was sie nun sah, war weniger schockierend, als sie es Sekunden zuvor noch erwartet hatte. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, der Laden hier draußen sei eine Rockerbar oder ein Schuppen für Trucker. Doch vor ihr lag in rötlichem Halbdunkel ein weiter Raum, bestückt mit Möbeln im Stil Louis XIV. Die zahlreich vorhandenen Sitzgelegenheiten, zumeist zwei- und dreisitzige Sofas, waren mit rotem, bestickten Samt überzogen; das Holz durchgängig mit Blattgold belegt. In der Luft lag ein süßlicher Duft und im Hintergrund spielte leise ein Klavier in Moll. Alles schien sehr luxuriös und von geheimnisvoller Schönheit und für einen kurzen Augenblick glaubte Elke sich schon in einem fremden Märchen aus tausend und einer Nacht.
Lediglich die wenigen Anwesenden passten nicht so recht in das Bild. Es war ein bunt zusammen gewürfelter Haufen Männer aus allen Schichten und verschiedenen Alters und jeder von ihnen hatte eine Frau an seiner Seite, die kaum älter als dreißig sein konnte. Elke spürte die Blicke jedes Einzelnen auf sich haften und sie wusste, dass sie hier der Fremdkörper war.
Ruhigen, aber zügigen Schrittes und mit gesenktem Haupt ging sie zur Bar, die rechts von ihr lag. Im Gespräch mit dem Mann hinter der Theke, der sie ebenfalls die ganze Zeit argwöhnisch beobachtet hatte, erfuhr sie, dass sie in einer Art Edelbordell der mittleren Klasse gestrandet war. ‚Wenn Klaus das sehen könnte!’, dachte Elke. Der Mann erzählte weiter, dass er der Besitzer des „Twisters“ war und außerdem tagsüber noch ein Restaurant in der Innenstadt führte. Elke fand ihn ganz sympathisch, weil er so gar nicht ihren Vorstellungen eines Zuhälters entsprach und so folgte sie seiner Einladung und nahm Platz an der Bar.
„Hier haben Sie erstmal einen Drink und das Telefon. Ist ja ein Sauwetter da draußen!“, sagte der Mann freundlich und schob ihr ein Glas Whiskey über den Tresen. „Ich lasse Sie erstmal zur Ruhe kommen, sie sind ja noch ganz durch den Wind.“
Elke war froh und erstaunt zugleich, an so einem ungewöhnlichen Ort einen so aufmerksamen Mann zu treffen. Sie legte ihr Jäckchen auf den Hocker neben ihr und nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas. „Ah, tut das gut“, sagte sie und sah zu dem Barmann herüber. Dieser zwinkerte ihr verständnisvoll zu und kümmerte sich weiter um die anderen Gäste.
‚Wie bin ich hier nur hereingeraten?’, fragte Elke sich. Sie hatte doch nur einmal wieder unter Leute gehen wollen. Klaus war schließlich nie mit ihr weg gewesen. War sie wirklich so fett geworden, dass er sich nicht mehr mit ihr zeigen wollte? Oder lag es daran, dass er schon die ganze Zeit zweigleisig gefahren war und langsam befürchtete, man könne sich über den Weg laufen? „Ach, dieser Mistkerl!“, sagte Elke leise und nahm einen weiteren Schluck ihres Getränks.
Sofort war der Barkeeper zur Stelle und schenkte nach. „Von dem Herrn da hinten“, sagte er kurz und wandte sich wieder dem Gast am anderen Ende des Tresens zu, mit dem er seit einigen Minuten in ein Gespräch vertieft war.
Elke sah zu den beiden herüber, hob ihr Glas und bedankte sich mit einem Lächeln. Es war eine Ewigkeit her, dass man sie das letzte Mal eingeladen hatte und so war ihr Lächeln nicht nur aufrichtig, sondern wurde zudem von einer kleinen Träne begleitet.
Nachdem sie dann auch das zweite Glas geleert hatte, griff sie zum Telefon und - schob es von sich weg. Sie wollte kein Taxi mehr rufen. Der Abend war jung und sie war ausgegangen, um einen Neuanfang zu wagen und dabei sollte es auch bleiben. Noch einmal atmete sie tief durch, nahm ihr Jäckchen und ging langsam auf den Mann im Halbdunkel zu, der sich immer noch mit dem Barkeeper unterhielt.
 
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Kommentare  

So Frustausbrüche kenne ich. Wahrscheinlich ist sie wirklich zufällig dort gelandet. Das könnte mir auch passieren. Aber ob ich dann bleiben wollen würde, wäre die andere Frage. Ich finde auf jeden Fall, er hat die Situation gut beschrieben. Sich in eine Frau zu versetzen ist immerhin nicht einfach, aber es ist ihm gelungen. lg Sabine

Sabine Müller (13.04.2006)

eine seltsame geschichte. hat die elke wirklich so wenig selbstbewusstsein, dass sie im bordell landet? nur, weil sie etwas zugelegt und der mistkerl sie verlassen hat? so richtig kann ich das nicht nachvollziehen, wo sie doch einen neuanfang wagen wollte?
vier punkte
lg
rosmarin


rosmarin (27.07.2005)

Doch, ich finde, du hast die Hauptdarstellerin gut gezeichnet, die Situation ist nachvollziehbar. Ein wenig traurige Situationskomik, die Frau möchte wieder "unter Menschen" gehen und landet zufällig im Bordell. Eine etwas "heruntergewirtschaftete" ehemalige Schönheit, die vom Taxifahrer falsch beurteilt wird, ob das nicht mancher Frau so ergehen könnte?

Gudrun (14.11.2004)

Hi Eden. Danke für Deinen Kommentar - und natürlich bin ich nicht böse. Wohl niemand kann alle seine Leser zu jeder Zeit vollends zufriedenstellen.
Außerdem hast Du das im vorliegenden Fall gut beobachtet: Die Szene hat tatsächlich keinen tieferen Sinn, aber das war eben auch nicht beabsichtigt. Für mich war das eher eine Schreibübung, bei der ich versucht hatte, einen weiblichen Charakter darzustellen. Ich gebe zu, das ist mir wahrscheinlich nicht ganz gelungen.


Kaos (08.10.2004)

Naja, ich weiß nicht, nicht böse sein, aber irgendwie find ich das Ganze schön geschrieben, aber ein bisschen nichtssagend, irgendwie wie eine Szene aus irgendeinem schmalzigen deutschen Film...

Eden (01.10.2004)

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