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Danilos Post

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
"Wer schlafe, liebe nicht", schrieb einst ein berühmter Autor.
Das stimmt nicht ganz. Wer schläft, der träumt. Und Danilo träumte sehr gerne, insbesondere von Christine. Von "seiner" Christine wie er zu sagen pflegte - von "seiner" Christine, die ihm schon so unzählige Male in den wirrsten Situationen erschienen war und die er immer wieder aufs Neue im Sturm eroberte.

Doch das war alles nur ein Traum. Eine Seifenblase.

Immer wenn Danilo aus geträumt hatte und der Tag begann, lang und länger zu werden, quälte ihn die Erkenntnis, dass überhaupt kein Fundament vorhanden war, auf dem er Christines Herz im Sturm hätte erobern können. Noch nie grüßte sie ihn oder er sie, wenn sie einander auf dem Schulhof sahen, geschweige denn würdigte sie ihm eines Blickes.
Daher fasste Danilo einen Entschluss. Er wolle dafür sorgen, das Christine ihm eines Blickes würdigte, ihn grüßte und am Ende sogar liebte.

Danilo beschloss Christine zu schreiben. Er wollte ihr einen Liebesbrief schreiben, zunächst anonym, aber irgendwann, wenn er Christine in den Schoss der Liebe gewogen hatte, so versprach er sich selbst, wolle er sich ihr zu erkennen geben.
Schließlich, so sein Motto, müsse zusammenkommen, was zusammen gehöre.

Den ersten Brief schrieb Danilo noch am selben Tag, an dem er den Entschluss fasste.
Er lautete ihn etwa so:

"Für meine Zukünftige,

Christine du bist so wunderschön. Ich liebe dich.
In Liebe

Dein Zukünftiger"

Noch am selben Tag – es war übrigens ein warmer Frühlings-Mittwoch - marschierte Danilo los, um beim nächsten Blumengeschäft einen schönen Blumenstrauß zu kaufen. Und noch am selben Tag - mittlerweile Abenddämmerung - stieg Danilo bepackt mit Liebesbrief und Blumenstrauß auf sein Fahrrad, um in den Ort Z. zu fahren. Dort nämlich wohnte seine Christine.

Er fuhr eine Stunde und dreißig Minuten. Allerdings nicht weil die Strecke so ungemein weit war, sondern, weil er so furchtbar langsam fuhr. Seine Gedanken überschlugen sich, und aus dem Anfangs so großen Ergeiz wurde ein kleines bisschen Angst. Er fuhr so langsam, das die Fußgänger ihn fragend anblickten und die Autofahrer ihn mit Drohgebärden von der Straße wegzuscheuchen suchten.
Doch das half alles nichts. Danilo zitterten die Knie.

Als er nun vor dem Haus seiner Liebsten, vor dem Haus Christines stand, vergewisserte er sich zunächst, dass auch niemand auf der Straße war. Doch es war still in der Nachbarschaft und auch im Hause seiner Liebsten. Danilo legte Brief und Blumenstrauß vor die Tür Christines, stieg wieder auf sein Fahrrad und begab sich zurück nach Hause.

Zu Hause angekommen - außer Atem, denn er radelte in ungemein hohem Tempo zurück - begab er sich an seinen Schreibtisch, um gleich den nächsten Liebesbrief zu verfassen.
Der lautete in etwa so:

"Meine Christine,

Du wirst dich sicher fragen wer dir diese Briefe schreibt. Es ist jemand der dich so sehr liebt, wie die gesamte Welt in ihrem Ganzen überhaupt zu lieben vermag - wie die Mutter das neu geborene Kind, der Kapitalist sein Geld, der Diktator seine Macht, das Kind sein Geschenk, Die Pflanze das Sonnenlicht und der Regenbogen seine Farben zu lieben vermögen. So sehr liebe ich dich.
Ich sehe dich tagaus, tagein. Ich träume von dir jede Nacht. Du bist so wunderschön. Ich liebe dich.

In Liebe

Dein Zukünftiger"

Diesen Brief und noch weitere vier Stück, jedes stets in Begleitung eines schönen Blumenstraußes, überbrachte Danilo binnen einer Woche seiner Liebsten. Er fuhr des Abends mit Fahrrad hin und kehrte des Nachts zurück.

So ging es gut, eine Woche lang. Eine Woche, in der keine Komplikationen auftraten.
Komplikationen der Art, dass Danilo etwa von der Polizei erwischt worden wäre, da er stets des Nachts ohne Licht fuhr. Oder dass er des Nachts von seiner Liebsten ertappt worden wäre, wenn er gerade dabei war, seine Liebesutensilien zu überbringen. Denn genau das geschah beim fünften Brief.

Christine - und hierbei muss erwähnt werden, sie ist nicht nur schön, sondern auch klug - beschloss sich auf die Lauer zu legen, um herauszufinden, wer ihr heimlicher Verehrer war. Sie versteckte sich im Wagen ihres Vaters. Auf dem Rücksitz liegend, malte sie sich ihren Verehrer aus. Ideale Mannsbilder erschienen vor ihrem geistigen Auge, überschütteten sie mit Liebeserklärungen, überschwemmten sie mit Küssen und sie fühlte sich sehr wohl dabei. Besonders oft tauchte in ihrer Phantasie ein Junge auf, der mit ihr zusammen die zehnte Klasse besuchte. Gleichsam achtete sie auf jedes Geräusch außerhalb ihrer Phantasiewelt, denn es hätte vom Verehrer stammen können. Einige Male wurde sie bitter enttäuscht, da nur unreife und zudem lautehalsige Bengel an ihrer Straße vorbeizogen. Obgleich sie nicht sicher sein konnte, dass ihr Verehrer an diesem Tag erscheint, war sie dennoch sicher ihn in dieser Nacht zu sehen, zu entlarven.

So geschah es denn auch.
Ein Fahrrad näherte sich. Sie hob vorsichtig ihren Kopf und blickte aus der Autoscheibe. Da war er, der Verehrer. Er stieg ab, öffnete seine Jacke, zog einen Blumenstrauß und einen Umschlag hervor, begab sich langsam und vorsichtig in Richtung ihrer Haustür. Als die Person an das Licht der Eingangstürbeleuchtung trat, erkannte sie ihn.

"Nein", schoss es ihr durch den Kopf.
"Nicht Danilo Torres. Ich kann den Kerl nicht ausstehen."

Doch Christine stieg nicht aus, um Danilo zu Recht zu weisen. Sie beobachtete ihn. Wie er sich schnell zu seinem Fahrrad bewegte, aufstieg und los radelte. Er verschwand in der Dunkelheit und Christine blieb zurück, verärgert, dass es nicht derjenige war, auf den sie schon so sehnsüchtig wartete.

Danilo bekam von alldem nichts mit. Er schreibt ihr noch immer, träumt von ihr tagaus, tagein. Für ihn gilt noch immer, es muss zusammen, was zusammen gehört.
 
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