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29 Seiten

Open All Nite - teil 2

Romane/Serien · Spannendes
© Tintentod
Gallinas
- Irgendwann, sagt Rick, kann ich mir diese ganzen Kuhdörfer nicht mehr merken.
Sie finden einen Platz in einem Roadhouse in Gallinas, in der fast ausschließlich alte Kerle hocken und Bier trinken, die ihre Witze über Mascots lange Haare reißen und ähnlich unfreundlich tun. Der Barkeeper steht hinter der Theke, macht ein finsteres Gesicht, ohne Partei zu ergreifen. Rick und Mascot ignorieren die Sprüche, essen eine Kleinigkeit, wollen keinen Ärger. Rick kratzt an seiner genähten Augenbraue herum.
- Verdammt, Rick, lass die Finger davon.
- Es juckt wie verrückt.
- Dir fällt der Schorf in den Teller.
Rick will die Nähte endlich loswerden, nicht nur die an der Augenbraue, auch die an der Schläfe über dem linken Ohr, die ihm zwar keine Schwierigkeiten macht, aber immer wieder Aufmerksamkeit erregt. In der Notaufnahme hatten sie ihm die Stelle großzügig ausrasiert, um nähen zu können und so lief er seit seinem kleinen Unfall mit einem halb rasierten Schädel durch die Gegend.
Rick versucht, die Finger auf dem Tisch zu lassen, um Mascot den Gefallen zu tun.
Es sind nur wenige Frauen in dem Roadhouse, die Bedienungen nicht mitgezählt, die, die herumsaßen und die Zeit totschlugen, waren alle bereits jenseits von gut und böse.
- Sieh dir diese alten Schlampen an, sagt Mascot und nippt an seinem Bier. Rick starrt in die andere Richtung und nickt. Sie machen den Eindruck, als hätten sie weder Spaß zusammen, noch als würden sie sich besonders gut verstehen, aber das ist nur der äußere Eindruck.
- Und diese alten Kerle hängen mir auch zum Hals raus, sagt Rick mit tonloser Stimme, greift nach seinem Bierglas und grüsst in die Richtung des Barmannes, der ebenfalls die Hand hebt. Die Männerriege an der Theke bricht plötzlich in schallendes Gelächter aus, einige drehen sich unmissverständlich zu Rick und Mascot herum und einer sagt laut in das Stimmengewirr hinein: „Wo kommt ihr eigentlich her?“
- Direkt aus deinem Alptraum, flüstert Rick und Mascot prustet in sein Bier, dreht sich mit langsamer Bewegung das schwarze Haar im Nacken zusammen.
„He? Wo kommt ihr beiden her? Chicago? Los Angeles?“
„Sind bestimmt aus Los Angeles“, sagt ein anderer Mann, während Rick und Mascot beharrlich schweigen.
„Die sind aus dem Knast ausgebrochen, hat da nicht irgendwas in der Zeitung gestanden?“
- Was sagen die? fragt Mascot und Rick übersetzt es ihm murmelnd.
- Die soll doch alle der Teufel holen, erwidert er.

Gallinas hat einen kleinen Park mit alten Laubbäumen, die viel Schatten spenden, auf den Rasenflächen spielen Kinder. In der Mitte des Parks steht ein grauer Klotz von Springbrunnen mit einem stilisierten Rodeoreiter auf einem hopsenden Pferd, aber aus dem Springbrunnen kommt kein Wasser, er ist so trocken wie Puder. Sie setzen sich auf den Rand des Brunnens, lassen die Zeit vergehen.
Ein ganzes Rudel Kinder rennt grölend und kreischend an ihnen vorbei, ein Haufen kleiner Indianer und Cowboys, bis an die Zähne bewaffnet. Einer der Jungs, ein Indianer auf der Flucht vor dem weißen Mann, kaum zehn Jahre alt, rennt an dem Brunnen vorbei, wirft einen Blick auf Rick und Mascot und stoppt seinem Lauf. Sein faszinierter Blick bleibt an Mascot hängen, aber schon sind ihm zwei Cowboys auf den Fersen und werfen sich von hinten auf ihn. Der kleine Indianer lässt einen empörten Schrei hören, tritt um sich und kommt wieder frei, sein Kopfschmuck aus Hühner- und Taubenfedern hängt über einem Ohr herunter. Mascot sieht ihm entgegen, hat das Kinn gehoben und reagiert nicht, als der Junge zögernd die Hand hebt. Längst sind die anderen Kinder in Richtung Hauptstraße verschwunden, ihre Schreie sind nur noch undeutlich zu hören. Die beiden Cowboys zögern kurz, treten mit den Füßen nach dem Indianer, der schnell ausweicht und wieder zu Mascot hinübersieht. Rick bekommt nichts davon mit, er sieht in eine andere Richtung und kratzt sich den Schorf von der Augenbraue. Je öfter er das macht, desto schorfiger wird die Stelle.
Mascot denkt, dass dieser kleine Indianer traurig aussieht, hat vielleicht gar keine Lust, ein Indianer zu sein und gejagt zu werden, aber er ist noch ein Kind und seit wann wissen Kinder, was sie wollen. Er schickt ihm ein offenes Lächeln hinüber und der Junge erwidert es, rückt seinen Federschmuck zurecht und für einen kurzen Moment scheint die Welt in Ordnung zu sein. Jedenfalls bis zu dem Augenblick, wo der kleinere Cowboy dem sträflich unaufmerksamen Indianer in die Kniekehlen tritt. Er geht zu Boden, das Gesicht verzerrt, aber kein Laut kommt über seine Lippen. Bis er sich aufgerappelt hat, sind die Cowboys längst verschwunden und er folgt lahmend ihrer Fährte, hinaus aus dem Park. Als er die Straße überquert, rempelt er sich durch ein Ehepaar hindurch, wird empört beschimpft. Der Indianer zeigt ihnen den Finger, findet zu seiner alten Kraft zurück und rennt davon.
- Was machen wir, wenn wir in Ruidoso sind?
- Ich werde mich umhören, buddy, und dann sehen wir weiter.
- Hast du dir mal vorgestellt, wie es sein wird, wenn du einen von deinen Leuten findest?
- Nein, sagt Mascot.
- Hast das nicht mal versucht?
- Mein Totem hält mich davon ab.
- Hast du was geraucht und mir nichts abgegeben?
- Haha, macht Mascot.
Sie sitzen lange auf dem Brunnen, pilgern irgendwann zurück zum Pick-up, auf dem Weg dorthin treffen sie wieder auf die Horde Kinder, die einträchtig zusammenhocken und ihre Stöcke und Speere am Rand der Straße in etwas hineingestochen haben, das bei näherer Betrachtung eine tote Katze sein könnte, was Rick aber beim Anblick dieser niedlichen kleinen Gören nicht glauben möchte. Sie hatten einen engen Kreis gebildet, die innere Reihe kniet oder hockt auf ihrem Hosenboden, die anderen stehen gebeugt hinter ihnen, lehnen sich über die Schultern, es herrscht Stille unter ihnen.
Sie haben die Mieze nicht umgebracht, denkt Rick, die war schon tot, als sie sie gefunden haben, bestimmt überfahren, und jetzt sind sie nur neugierig, wie Mieze von innen aussieht.
Im Pick-up teilen sie sich den Rest Tequila, spielen mit dem Gedanken, irgendwo ein richtig blutiges Steak zu essen, selbst wenn Rick dafür noch einen Wagen knacken muss.
- In Texas waren die Steaks am besten.
- Ich denk noch immer dran, wie wir die Bullen abgeknallt haben, wenn ich so'n Stück Fleisch auf dem Teller hab.
- Essen tust du's trotzdem.
- Klar, sagt Rick mit einem Achselzucken, wär doch Verschwendung, wenn's schon mal tot ist.
- Erinnerst du dich noch an die Eintöpfe bei den Batemans?
Sie schütteln sich synchron und lachen wie auf Kommando.
- Hollis hätte mitkommen sollen, sagt Rick plötzlich nachdenklich und reibt wieder an der Naht an seinem Kopf, eine Geste, die Mascot langsam sauer werden lässt.
- Du weißt doch, wie er ist. Sobald er es sich irgendwo gemütlich gemacht hat, geht er nicht mehr auf Tour.
- Aber zu dritt wär’s einfacher gewesen.
- Hollis ist manchmal ein richtiges Arschloch, sagt Mascot gutmütig.
- Genau wie du.
Der Tequila macht sie munter und gleichzeitig etwas müde, sie hängen herum wie müde Bären, bis sie den Ruf der Natur vernehmen. In der Toilette des Roadhouses betrachtet Rick sein Gesicht in einem Spiegel, der halb zerbrochen über dem Waschbecken hängt, ein Riss zieht sich durch sein Spiegelbild wie eine breite Narbe. Mascot pinkelt und wäscht sich danach so gründlich die Hände, als wolle er irgendetwas wieder gutmachen. Rick beugt den Kopf zur Seite, steckt die Nase in Richtung Hemdkragen, bevor er wieder sein Spiegelbild betrachtet.
- Ich könnte mal wieder ne Dusche vertragen, heiliger Mist.
Sie sind beide unrasiert, auf gutem Weg dahin verloren und verwahrlost auszusehen; Ricks Blessuren runden dieses Bild nur noch ab. Die rasierte Stelle über dem Ohr wächst ganz langsam wieder zu, die Augenbraue würde besser aussehen, wenn er einmal die Finger davon lassen könnte. Wieder berührt er die schwarze Naht, die steifen Fäden, die aus der krustigen Haut wie Fühler herausragen und greift in die Hosentasche. Er trägt sein Messer immer bei sich, sein Mittel zur Selbstverteidigung, lässt die Klinge herausschnappen und bringt es in die Höhe seines Gesichts.
- Willst du dich rasieren? fragt Mascot.
- Ich hab diese Antennen satt.
- Lass mich das machen.
Mascot trocknet sich die Hände ab, nimmt das Messer und dreht ein paar Mal das Handgelenk, lässt Rick den Kopf in den Nacken legen und an die Decke starren. Mit einer ruhigen und vorsichtigen Hand schafft er es, die Spitze der Klinge unter den ersten Knoten zu schieben, ohne die Haut zu verletzen.
- Ne Schere wär besser, murmelt er, ich wird die Fäden eher rausreißen als durchschneiden.
- Machs trotzdem, antwortet Rick.
Der schneidende Schmerz ist auszuhalten, nichts im Vergleich zu dem, als er in das Auto gelaufen war und die Windschutzscheibe geküsst hatte.
Wie ein Chirurg säbelt Mascot einen Knoten nach dem anderen auf und zieht die Fäden aus der Haut, es blutet wieder, aber die ursprüngliche Wunde bleibt unversehrt. Nach der Aktion hält Rick zufrieden das Gesicht unter den laufenden Wasserhahn und sagt:
- Alles klar, buddy. Es juckt nicht mehr.
Die abgeschnittenen Fäden liegen wie Spinnenbeine auf den Fliesen des Fußbodens. Sie kehren zurück zum Pick-up, setzen sich in die Sonne und denken unabhängig voneinander daran, den Standort zu wechseln.
Kurz vor Ancho wechseln sie auf die 349, weil Mascot meint, der Name sage ihm etwas, obwohl sie von Ruidoso noch etwa siebzig Meilen entfernt sind, wenn nicht noch mehr. Der Radiosender aus Carrizozo, den sie schon die ganze Zeit empfangen, bringt ein ausgedehntes und extrem nervenzerrendes Trini-Lopez-Special, dem sie nicht allzu lange ihre Aufmerksamkeit widmen, weil Mascot das Radio ausschaltet.
- Ich brauch was zum rauchen, sagt Rick, in Ancho besorg ich uns was und meine Wettschulden stehen auch noch immer aus.
- Das Grab hätten wir uns ansehen sollen, oder? Da steht sein Name bestimmt drauf.
- Elvis Grab?
- Ich rede von Billy the kid.
- Und ich red davon, dass ich wieder was Anständiges rauchen will. Bei deiner Suche bin ich dir doch sowieso keine große Hilfe.
In Ancho geraten sie in ein ausgelassenes Volksfest, laufen schon bald betrunken unter wagenradgroßen Sombreros herum und Rick gelingt es, eine nette kleine Senorita für seinen buddy abzuschleppen.
In einer Nebenstraße parkt der Pick-up, eine Decke ist auf der Ladefläche ausgebreitet, die sie aus dem Lager der Feuerwehrstation geklaut haben, darauf liegt die Senorita, streckt die Beine in die Luft und sieht hinauf zu den Fenstern der engen Gasse. Sie hat die ganze Zeit gekichert, aber jetzt ist sie verstummt, gibt keinen Laut von sich.
Rick sitzt auf der turbulenten Hauptstraße auf einer Apfelsinenkiste, spielt mit dem Gedanken, es sich auch besorgen zu lassen, sobald Mascot fertig ist.
Herausgeputzte Cowboys auf ihren Pferden traben an ihm vorbei, als Nachhut der kleinen Parade, sie sind auf dem Weg zum nächsten Saloon, wo sie ihren Pferden einen Whiskey spendieren werden. Als Kind hatte Rick einige Male die Hühner blau gemacht, weil es komisch war, sie gackernd herumtorkeln zu sehen, aber danach schmeckten die Eier nicht mehr und er hatte dafür eine heilige Tracht Prügel bezogen.
Auf der anderen Straßenseite sieht ein Junge mit dickem Brillengestell im Gesicht den trabenden Pferden nach, sein nichtsahnender Kopf schießt nach vorn, als ihm jemand eine Kopfnuss verpasst und seine Brille rutscht ihm von der Nase, fällt herunter. Obwohl er mit beiden Händen instinktiv nach ihr greift, sie zu halten versucht und sie sogar an einem Bügel halb zu fassen bekommt, entgleitet sie ihm und fällt zu Boden, genau in den Rinnstein der Straße, vor die Öffnung eines Gullis. Der Witzbold, der ihn von hinten gestoßen hat, springt albern herum, fuchtelt mit den Armen und lacht darüber, dass der halbblinde Junge zu weinen beginnt. Es scheint das Spiel zu sein, stadtbekannter Roadie nimmt sich wehrloses Opfer vor. Er krönt seine Leistung, in dem er mit beiden Schuhen gleichzeitig auf das Brillengestell springt, Glas und Plastik zerbrechen knirschend, dann befördert er die Brille mit einem Fußschlenker in den Kanalschacht.
Der Junge ohne Brille ist vermutlich blind wie ein Maulwurf und sein Gesicht sieht nackt und hilflos aus. Man sieht die Gedanken in seinem Kopf hin und herschwirren: Was sag ich Mom, wo meine Brille ist? Sie ist mir geklaut worden. Aber niemand würde meine Brille klauen, was sollte er auch mit ihr anfangen? Sie ist zerbrochen, Mom. So zerbrochen, dass du die Überreste nicht mit nach Hause bringen konntest, junger Mann?
Der Witzbold wirft einen letzten prüfenden Blick in den Abfluss-Schacht, steckt zufrieden grinsend die Fäuste in die Hosentaschen und marschiert davon. Der kleine Kürbiskopf würde nichts weiter tun als dastehen und heulen; der Scherz war gelungen und vorüber.
Er macht nur den Fehler, direkt vor Rick auf die gegenüberliegende Straßenseite zu wechseln; denn Rick packt ihn blitzschnell am Kragen und am Hosenboden, hebelt ihn herum und stellt ihn auf den Kopf. Dem Jungen fehlt die Luft zum atmen, er zappelt herum, das Blut schießt ihm in den Kopf und er rutscht halb aus seiner Jacke, somit kommt sein Schädel dem Asphalt ein Stückchen näher.
„Hat Spaß gemacht, was?“ Rick pfeift durch die Zähne, versucht den kleinen Jungen herüber zu winken, aber mit einer Hand hält er den Kragen der Jacke und mit der andern hält er einen mageren Oberschenkel, den Ellebogen herzhaft in den Schritt gedrückt. Er pfeift noch mal und ruft: „Komm her“ und der Junge ohne Brille reagiert wie ein Hund, dem man eine Wurst hinhält.
Er kommt auf Rick zugerannt, bleibt stehen und starrt ihn ungläubig an. An seiner Nase sind die roten Druckstellen des schweren Brillengestells zu sehen, das er ja nun losgeworden ist und er blinzelt die ganze Zeit. Sein Mund steht offen, als habe sich eine tonlose Frage bereits halb herausgewagt, was er denn mit dem Jungen mache, den er auf dem Kopf hielt.
„Willst du‘s ihm zurückzahlen?“ fragt Rick.
In dem Gesicht des Jungen arbeitet es und er hebt die Fäuste. Er hat magere Arme, aber große Hände, die er zu Fäusten ballt und Rick denkt ‚Richtig so, Kleiner. Der wird dich nicht mehr ärgern’, aber die Prügel bekommt nicht der Brillenzertreter sondern er selbst.
Er kann es nicht fassen – mit Kampfgeschrei stürzt sich der Junge auf ihn, boxt ihm in die Seite und in den Rücken, springt hoch, um seinen Kopf zu treffen. Der Witzbold zappelt herum, entgleitet seinem Griff und als Rick ihn loslässt, kassiert er von den herumwirbelnden Füßen einen Tritt auf die Nase, dass er Sternchen sieht. Blind schlägt er mit der flachen Hand nach dem kleinen Preisboxer, taumelt zurück und spuckt Blut, nachdem er die Nase hochgezogen hat.
„Du Bastard“, sagt er.
Die beiden Jungs stehen beieinander, sehen erst Rick an, dann wechseln sie untereinander einen Blick. Der Kleine möchte ihm vergeben wegen der Sache mit der Brille und hey, du siehst, ich hab mich für dich eingesetzt, ich bin kein Feigling und vielleicht können wir Freunde sein; der andere denkt noch darüber nach, was hier eben passiert ist und ob ihm das irgendeinen tieferen Sinn offenbaren sollte, über seinen Umgang mit seinen Mitmenschen, über seine soziale Stellung, aber Denken ist nicht seine Stärke und so bedankt er sich bei dem kleineren Jungen, indem er ihm saftig in den Hintern tritt, ihn zu Boden ringt, den rechten Turnschuh auszieht und damit grölend davonrennt.
„Du kannst niemandem vertrauen“, erklärt Rick und spuckt Blut auf die Straße.
Der Junge, zu verdattert zum heulen, senkt den Kopf und hinkt davon, in Richtung nach Hause, wo er jetzt noch etwas mehr in Erklärungsnot geraten wird; Rick sieht ihm nach und denkt, dass er es nicht anders verdient hat. Seine Nase wird noch den ganzen Tag weh tun.
Mascot und das Mädchen sitzen auf dem Pick-up, unterhalten sich fröhlich, teilen sich eine Dose Bier. Als Rick zu ihnen hochklettert, fragt Mascot: Was ist denn mit dir passiert?
- Ich hab ’ne Flasche ins Gesicht gekriegt.
- Oje, sagt das Mädchen. Sie macht eine kurze komische Grimasse, worauf Mascot einen fragenden Blick zwischen den beiden hin und her wirft. Er gibt dem Mädchen das Geld, sie drückt ihm einen freundlichen Kuss ins Gesicht und läuft davon, ihr bunter Rock schwingt von ihren Hüften hin und her; bis sie um die Ecke verschwunden ist, sehen Rick und Mascot ihr nach.
- Wer hat dir die Flasche ins Gesicht geworfen?
- Irgendeiner von der anderen Straßenseite.
Knallfrösche brennen knatternd ab, die kurzen satten Böller werfen Echos zwischen den Wänden der engen Gasse. Rick betastet immer wieder seine Nase, die sich innen und außen geschwollen anfühlt.
Ancho ist bis in die frühen Morgenstunden in taumelnder Partystimmung und Rick hat nur wenig Mühe, eine Plastiktüte mit Haschisch zu kaufen, verstaut sie im Hosenbund unter seinem T-Shirt. Unter dem riesigen Sombrero fühlt er sich wie Speedy Gonzales, unbesiegbar und unantastbar – so hat er sich schon lange nicht mehr gefühlt, seit seiner Entlassung war er mit Mascot ruhelos durch die Gegend gefahren, in seinen Gedanken und Gefühlen noch immer eingesperrt und erst jetzt wird es etwas besser.
Auf einem Feld, das unter dem Beschuss der Sonne längst aufgegeben hat und verdorrt ist, steht der Pick-up wie eine Fata Morgana, Rick rollt zwei sagenhafte Joints, die sie mitten ins Wunderland hineinkatapultiert.
Rick hat eine mystische Begegnung mit einer zwergenhaften Gestalt, die mit der Radiostimme von Father McGuire spricht und er unterhält sich sehr lange mit ihr und hat das Gefühl dabei, als würde er Weisheiten hören, die ihn nicht interessieren. Nichts von dem ich ihm wichtig, aber trotzdem ist es gut, sie zu hören.
Als der Trip zu Ende ist, kann er sich an nichts mehr erinnern. Er taumelt auf das Feld hinaus, kotzt sich aus und findet schneller in die Realität zurück als ihm lieb ist. In Jicarilla werden sie von zwei bissigen Hunden verjagt, als sie auf einer Farm nach einem Frühstück fragen wollen und so hat Rick überhaupt nichts dagegen, Mascot Schmiere stehen zu lassen und auf dem Parkplatz der Stadtverwaltung in drei Autos nach Bargeld zu suchen. Mit diesem Geld finanzieren sie sich ein gutes Frühstück in einem Schnellimbiss, in dem sie allerdings keine Ruhe finden. Die Bedienung ist unfreundlich und die Männer, die herumsitzen und Donuts in ihre Tassen tauchen, behalten sie verdächtig auffällig im Auge.
- Wo sind wir hier gelandet? In einer Bullenhöhle?
Die Bedienung bringt das Essen, knallt die Teller auf den Tisch und sagt sehr barsch, dass sie keinen Ärger wolle und sobald sie fertig seien, sollten sie umgehend ihr Lokal verlassen und deshalb wolle sie auch sofort das Geld sehen und Kaffee würde nicht nachgeschenkt.
- Ich hab kein einziges Wort von dem verstanden, was sie gerade gesagt hat, meint Mascot.
Rick bezahlt und versucht, die aufglimmende Wut zu unterdrücken, die in ihm hochsteigt.
- Nicht wichtig, buddy.
- Das sieht scheiße aus, was ich auf dem Teller hab.
Mascot probiert einen Bissen und verschwindet auf die Toilette. Als er durch die Tür verschwunden ist, hört Rick eine halblaut gemurmelte Bemerkung vom Nachbartisch, legt das Besteck beiseite, dreht sich halb herum und fragt: „Was?“, tut noch so, als habe er das ganze als Scherz verstanden.
„Ich wette, mit euch beiden stimmt irgendetwas nicht. Wenn das hier mein Laden wäre, hätte ich euch nicht reingelassen, ihr seid eine Schande. Eure Familien sollten sich in Grund und Boden schämen.“
„Okay“, sagt Rick.
„Ein Arbeitslager würde euch gut tun“, sagt der Mann im Anzug und ein anderer am selben Tisch fährt fort: „Hat dein Freund etwas gegen Friseure? Oder spielt er die Frau bei euch und hält dir den Arsch hin?“
„Vielleicht sollten wir ihm zu einer anständigen Frisur verhelfen.“
Längst ist Rick der Appetit vergangen und er hofft nur noch, dass Mascot endlich vom Klo wiederkommt. Jemand tritt von hinten gegen seinen Stuhl.
„Hey, Punk. Ich weiß genau, worauf Typen wie ihr aus seid. Ihr macht nur Ärger, nichts als Ärger. Euch sollte man loswerden.“
„Wir haben schon mehr als einmal Jungs wie euch fertig gemacht.“
Diese Stimme kommt von Ricks rechter Seite, er sieht den Mann im Augenwinkel, unterlässt es aber, ihn direkt anzusehen. Am Ende sahen diese Männer immer gleich aus; sie hatten immer etwas an sich, was sie miteinander verband, egal, wie alt sie waren und welchen Dialekt sie sprachen.
Mascot kommt zurück, schwingt sich auf seinen Platz und trotz seines Ausflugs beginnt er zu essen. Rick beugt sich etwas vor und zischt ihm zu.
- Lass uns verschwinden, Okay?
- Warum?
- Ich hab schon bezahlt.
- Ich weiß, deshalb kann ich doch aber weiter essen.
- Mascot. Lass uns gehen.
Mascot weiß genau, was los ist. Er grinst in die Runde, steht auf und geht bis an den Nebentisch, schlägt einem der Herren dort freundschaftlich auf den Rücken.
- Hör auf damit, verdammte Scheiße.
Mascot grinst wie von Sinnen, ruft in seinem wundervollen Spanisch durch das Lokal:
- Na, wer trinkt noch was mit uns?
Niemand antwortet, es herrsch Stille wie auf einer Beerdigung und erst die Bedienung wagt auf seine Frage zu antworten, aus sicherer Entfernung an der Küchentür.
„Keinen Ärger, verstanden? Ihr verschwindet am besten sofort.“
„Okay“, sagt Rick sofort.
Er packt seine Jacke und Tasche, will Mascot am Arm greifen und ihn zum Ausgang ziehen, aber der macht sich mit einer Drehung von ihm los und stolziert bis vor die Theke, wo er sich zwischen zwei besetzte Barhocker drückt. Er schlägt mit der flachen Hand auf die Theke, dass die Gläser klirren und sagt noch etwas lauter:
- Ist doch nicht einer hier, der wirklich will, dass wir verschwinden, oder? Weltoffene Männer in den besten Jahren, bereit, mit hungernden Fremden die letzte Mahlzeit zu teilen, hab ich recht?
Trotz allem beginnt Rick zu lachen über diese absurde Show, die Mascot da veranstaltet, er beißt sich auf die Lippen und trotzdem drückt sich der Lachanfall von unten, aus seinem Bauch heraus, nach oben. Endlich schafft er es, Mascot nach draußen zu ziehen, vor dem Diner fallen sie beide vor Lachen auf die Knie, aneinander festgeklammert und brüllen noch mehr, als sie sehen, dass einige der Gäste ihnen gefolgt sind, an den Fensterscheiben hängen und ihnen nachstarren.
Auf dem Pick-up schlägt Rick Mascot mit der flachen Hand auf den Kopf und versucht ein ernstes Gesicht zu bewahren.
- Du bist verrückt, weißt du das? Das nächste Mal hau ich ab und du kannst zusehen, wie du deinen Skalp allein da rausbekommst.
- War doch komisch.
- Nein, war es nicht.
Mascot grinst und zeigt seine Zahnlücke, seinen fehlenden Eckzahn. Manchmal steckte er sich die Zigarette in die Lücke. Bei einem Sturz die Treppe runter hat er sich den Zahn ausgeschlagen und den Daumen gebrochen.
Um sich an dem unfreundlichen Volk zu rächen und sich für das schlechte Essen zu bedanken, suchen sie ein weiteres einsam abgestelltes Auto. Bei Tageslicht ist das eine kniffelige Sache. Mascot steht einige Meter entfernt, raucht nervös eine Selbstgedrehte und sieht sich immer wieder nach allen Seiten um, während Rick neben dem Chrysler kniet und sich zu konzentrieren versucht. Er ist nervös und weiß nicht, warum, seine Hände zittern und er braucht fast zwei Minuten, um die Tür zu öffnen. Hektisch durchwühlt er das Handschuhfach, während er auf dem Fahrersitz Platz nimmt, findet dort nichts, nimmt aber die Straßenkarte mit. Er beugt sich herunter, tastet unter die Sitze und wird fündig; er zieht eine Damenhandtasche hervor, nimmt das Geld heraus und wirft alles andere auf den Rücksitz.
- Anfänger, zischt Mascot, als er zu ihm zurückgetrabt kommt, was ist mit dir los?
- Ich hatte kein Gefühl in den Fingern.
- Da sagst du mir nichts neues. Los, verschwinden wir.
Sie tanken an der letzten Tankstelle der Straße, Rick hebt den Kopf und schnuppert, der Tankwart fragt, was los sei.
„Es riecht nach Ärger“, erklärt Rick.
Der Mann in der schwarzen Latzhose ist groß und kräftig und hat die Arme mit militärischen Symbolen tätowiert und Rick ist froh, dass er sich die Jacke übergezogen hat. Er bezahlt und sie fahren weiter.

Carrizozo
- Es riecht nach Ärger? Wie immer, wenn du fast fünf Minuten für’n Schloss brauchst.
Mascot setzt sich ans Steuer, weil Rick sagt, er habe Krämpfe und fühle sich zum kotzen. Er hockt neben ihm, hat die Beine angezogen, die Knie unterm Kinn und antwortet nicht.
- Was ist los? Willst du was rauchen? Hnh?
Rick schüttelt den Kopf und Mascot lässt ihn in Ruhe.
Mittlerweile sind sie so nahe am Ziel, dass sie durchfahren könnten, aber noch vor Carrizozo muss Mascot dreimal anhalten, weil Rick kotzen muss. Nach jedem unfreiwilligen Stop sieht er schlechter aus, seine Augen verschwinden in tiefen dunklen Schatten und von seiner Sonnenbräune ist nichts mehr zu sehen.
- Buddy, ist es dein Magen?
Obwohl er keine Antwort bekommt, hält er vor der nächsten Apotheke, die im Fenster Werbung für ein Abführmittel macht und versucht dort, irgendetwas gegen Magenbeschwerden zu bekommen. Die Apothekerin versteht ihn nicht, ist freundlich hilflos, bis Mascot versucht, in Zeichensprache einen schmerzenden Magen und den Vorgang des Kotzens darzustellen. Gleichzeitig kommt ein weiterer Kunde in den Laden und Mascot wird es peinlich.
„Father, sie sprechen doch spanisch, vielleicht können sie uns weiterhelfen. Bei seinem Akzent blicke ich einfach nicht durch.“
Der Mann, den sie angesprochen hat, trägt einen Priesterkragen und hat einen kleinen rotznäsigen Jungen auf den Schultern sitzen. Als er durch die Tür gekommen war, hatte er in die Knie gehen müssen, um den Jungen nicht den Kopf anzustoßen. Er wendet sich mit einem ‚hola’ an Mascot und sofort kräht der Junge auf seinen Schultern ‚hola hola hola’ und beginnt hin und her zu zappeln.
- Ich kann ihnen weiterhelfen, wenn sie mir sagen möchten, was sie brauchen. Unsere junge Giftmischerin ist aus Quebec zu uns gekommen und sie versteht leider Gottes erst sehr wenig spanisch.
- Ich brauch was gegen Magenschmerzen.
- Gegen eine Magenverstimmung?
- Keine Ahnung. Mein Freund hat den ganzen Weg her nur noch gekotzt.
- Hat er Schmerzen dabei?
- Keine Ahnung, sagt Mascot. Er betrachtet die Kinderfüße, die abwechselnd rechts und links gegen die Brust des Priesters trommeln, sie sind nackt und schmutzig, hinterlassen Spuren auf dem schwarzen Hemd, aber den Pfarrer scheint das nicht zu stören.
„Caroline, er braucht etwas gegen Erbrechen und vielleicht noch etwas gegen Magenschmerzen. Ich weiß nicht, wie schlimm so etwas werden kann, soll ich ihm sagen, dass er seinen Freund zu einem Arzt bringen soll, wenn es nicht besser wird?“
„Das wäre fabelhaft“, antwortet Caroline.
Mascot bedankt sich bei den beiden, steigt in den Pick-up und versucht Rick davon zu überzeugen, die mitgebrachten Medikamente zu nehmen. Er redet gegen eine Wand, ist nicht mal sicher, ob Rick ihn überhaupt verstanden hat. Als er nicht mehr weiter weiß, schüttelt er die Tabletten aus dem Fläschchen, sagt Rick, er habe ihm etwas dope besorgt und danach würde er sich besser fühlen und lässt ihn die Tabletten mit Bier runterspülen. Damit ist er erfolgreich und schon macht er sich Gedanken darüber, wie er ihm die Tropfen unterschieben soll. Ein geringer Erfolg ist zumindest zu verzeichnen; Rick kotzt nicht mehr, aber dafür weigert er sich auch zu trinken oder eine Kleinigkeit zu essen.
- Du wirst austrocknen, buddy, sagt Mascot.
Rick ist so stumm, als habe er das Sprechen verlernt, er hat sich auf dem Beifahrersitz wie eine Katze zusammengerollt und starrt die ganze Zeit schräg nach oben aus dem Fenster. Es ist seine Art von Depression, die ihn überfällt, wenn ihm wieder bewusst wird, dass er nirgendwo hingehört, dass er keine Familie mehr hat und dass sein Leben aus einem einzigen Chaos besteht und sich daran auch nichts ändern wird, selbst, wenn er es wollte.
Seit seiner Entlassung sind diese Phasen einige Male aufgetreten, Mascot kann sich nicht daran erinnern, dass es davor auch so schlimm gewesen ist.
Etwas ist im Knast mit ihm passiert, denkt er, wer weiß, was die Arschlöcher mit ihm angestellt haben.
Und so, wie beim letzten Mal, macht er nichts anderes, als Rick in Ruhe zu lassen und abzuwarten. Rick geht zum pinkeln in die Büsche, kommt mit verdrossenem Gesicht zurück und setzt sich auf die Ladefläche. Von dort oben blickt er die schmale Straße hinunter, alte Häuser stehen rechts und links, man sieht die Spitze einer Kirche über den Dächern. Bereits in Carrizozo zeigt sich New Mexico von einer anderen Seite; das Land wird hügelig und grün, in den kleinen Tälern zeigen sich die ersten zarten Triebe des organisierten Tourismus. Viele Familien vermieten ein paar Zimmer ihres Hauses, verleihen Ski im Winter und behaupten, den Vergleich mit Colorado standhalten zu können, wenn man nur weit genug in die Rockies hinaufklettert.
Mascots Ziel ist Ruidoso und die nähere Umgebung, aber mit Rick in diesem Zustand bleibt er in Carrizozo, sie nisten sich dort in einem billigen Motel ein und es tut Rick sichtlich gut, mal wieder in einem Bett zu schlafen. In der ersten Nacht schreckt Rick mehrere Male aus dem Schlaf hoch, macht Mascot damit wach und kann sich nicht erinnern, was ihn ausgeweckt hat. Manchmal behauptet er, er habe einen lauten Knall gehört oder jemand habe ihn angestoßen, aber das alles kann nur in seinen Träumen passiert sein, denn Mascot bekommt von diesen Störungen nichts mit.
Diesmal murmelt Rick nur ein ‚Herrgott noch mal verdammte Scheiße’, was eindeutig ein Schritt in Richtung Normalität ist.
Er frühstückt mit Mascot im Diner um die Ecke, aber er sieht noch immer unglücklich und verloren aus.
- Was machen wir heute?
- Ich werde so lange baden, bis ich bis auf die Knochen aufgeweicht bin, sagt Rick. Er nimmt brav seine Medikamente und lässt das Bier für eine Weile weg.
- Irgendjemand hat versucht mich zu vergiften.
- Wie kommst du‘n da drauf?
- Das hab ich im Gefühl.
- Vermutlich ist das eine genauso blöde Idee wie deine Wettereien, wenn wir unterwegs sind. Warum sollte dich jemand vergiften wollen?
- Du kannst darüber lachen. Aber ich weiß es.
Nach dem Frühstück übernimmt Mascot die Bezahlung. Rick wartet draußen auf ihn und raucht eine Zigarette. Die ganze Zeit sieht er nach oben an die an Ketten hängende Reklametafel, an der ein bunt verfärbtes Blatt hängt, ein Stück frühen Herbstlaubs, das sich an dem Schild verfangen hat und nicht herunterfällt. Es gibt keine Erklärung dafür, weshalb es dort kleben geblieben ist, immer wieder muss Rick einen Blick darauf werfen, will sehen, ob die nächste Windböe es herunterreißt. Er raucht die Zigarette bis auf den Filter herunter, sieht durch die Glasscheibe nach Mascot, der mit der Kellnerin flirtet und sich alle Zeit der Welt lässt. Auf Rick macht sie den Eindruck, als sei sie nur nett zu ihm, weil sie auf ein gutes Trinkgeld hofft. Er tritt die Zigarette aus, atmet den Rauch aus und sieht wieder zu dem Laub, es rührt sich nicht, obwohl der Wind nicht gerade still steht.
Mascot verabschiedet sich endlich von der Kellnerin, bleibt bei dem Tipp von zehn Prozent, auf dem Weg nach draußen sieht er ein bekanntes Gesicht, sieht genauer hin und wird angesprochen. Diesmal trägt der heilige Mann keinen kleinen Jungen auf den Schultern.
- Hallo, wie geht’s ihrem kranken Freund?
- Besser, sagt Mascot, das Zeug hat geholfen.
- Gut zu hören. Wenn ihr bis Sonntag noch in Carrizozo seid, besucht meinen Gottesdienst. Ansonsten bin ich auch für jeden anonymen Zuhörer unterwegs dankbar.
- Klar doch, sagt Mascot, obwohl er das nicht verstanden hat. Er öffnet die Tür und sieht Rick die rechte Hand zur Reklametafel heben, auf der Apfelkuchen „home made“ angepriesen wird, und als die Glöckchen über dem Türrahmen laut anschlagen, zuckt Rick zusammen, geht in Deckung, als habe jemand auf ihn geschossen. Mascot fragt nicht, was los ist, sieht nur neben seiner Schulter ein Ahornblatt zu Boden schweben und denkt an den Herbst, der kommen wird.

Obwohl Rick sich beim letzten Joint gehörig ausgekotzt hat, dreht er sich eine neue Tüte und genießt den weichen Hammer, der über ihn kommt. Er liegt hinten auf dem Pick-up, lässt die Beine über den Rand baumeln und niemand stört sich an ihm, obwohl sie nahe der Hauptstraße parken. In einem kurzen lichten Moment hebt er den Kopf und sieht über den Rand hinweg, gerade als ein orangefarbener Schulbus vorbeischleicht. Ein paar Kinder hängen an den Fensterscheiben, werfen ihm Grimassen und komische Gesichter zu, von denen Rick glaubt, dass er sie dem Haschisch zuschreiben muss. Außer flache grellbunte Kindergesichter mit großen Augen und Händen, die ihnen aus den Ohren wachsen, erkennt er gar nichts.
Mascot gibt dem Motelzimmer den Vorzug, aber Rick braucht frische Luft, wenn er stoned ist. Erst am frühen Abend kommt er endlich dazu, sein langes ausgiebiges Bad zu nehmen, dabei Musik zu hören und sich so gründlich zu rasieren, dass sein Gesicht und Hals feuerrot anlaufen.
Auf dem Weg in die nächste Bar nehmen sie die Abkürzung durch den ungepflegten Park, in dem die Bäume so dicht wuchern, als wollten sie ihre Überlegenheit beweisen.
- Gute Bäume, sagt Mascot und sieht sich um, ich mag diese Dinger. Du weißt schon. Die im Winter grün bleiben.
- Nadelbäume, ergänzt Rick beiläufig.
- Nur schade, dass wir noch keinen Schritt weiter sind.
- Schade, dass ich nicht zu Hause bin.
Mascot sieht ihn von der Seite an und fragt ihn beinahe, welches zu Hause er meint. Sicher nicht die Farm in Indiana, die sie gemeinsam niedergebrannt haben. Vielleicht meinte er New York, die Stadt, in der sie sich niederlassen werden, in der sie große Dinge vorhaben.
Rick sagt, er hat Lust auf ein Bier, bedauert, dass sie kein Guinness bekommen werden und Mascot fragt, ob der Joint nicht schon genug für ihn war.
- War nicht gerade ’n Höhenflug.
Vor der Kneipentür bleibt er stehen, dreht sich um und meint: - Lass uns zurückfahren, buddy. Vielleicht haben wir in Atlantic City Glück und holen den Jackpot.
- Ist dir aufgefallen, wie beruhigend dieses Geräusch vorhin war? Als der Wind durch die Bäume ging?
- Wir können ja nicht ewig Pech haben.
- Ich kenne genug Leute, die ewig Pech haben. Lass uns endlich reingehen.
Das Barrel ist laut und gemütlich, draußen beginnt der Himmel sich langsam rot zu färben, helle Wolken ziehen im auffrischenden Wind vorbei. Die Leuchtreklame in dem kleinen Fenster blinkt nervend ihr Bud-Wei-Ser und sie bekommen wirklich kein Guinness in diesem Laden, also halten sie sich an den Bierflaschen fest, die sie vorgesetzt bekommen und tun so, als würde er ihnen schmecken.
Der Mann, der sich mit seinem Glas Whiskey in der Hand zu ihnen an den Tisch setzt, sich einen Stuhl heranzieht und sich draufsetzt, als würde er ein Pferd besteigen, lächelt freundlich und fast etwas weltfremd. Er ist nicht der Mann, den sie im Barrel erwartet hätten, aber er hat Humor.
„Jungs“, beginnt er, blinzelt erst Rick, dann Mascot freundlich an, „muss ich euch erst über die schädliche Wirkung des Alkohols aufklären? Nein, Scherz beiseite.“ Er hebt sein Glas. „Ich habe dich erkannt und weiß sogar, wer du bist. Ein Indianer und sein halb skalpierter Freund. Mit Magenbeschwerden aber auf dem Weg der Besserung.“
Mascot macht große Augen und verzieht keine Miene, konzentriert sich darauf, was der Gottesmann zu sagen hat.
Mach mich nicht wütend, denkt Rick, was redet der Mann für einen Blödsinn? Woher kenn ich seine Stimme?
„Wer ist auf dem Weg der Besserung?“
Aus dem Radio, erklärt ihm seine innere Stimme, du hast seine Predigten im Autoradio gehört. Father McGuire.
Der Mann greift sich an den Hals, nimmt seinen Priesterkragen ab und legt ihn liebevoll vor sich auf den Tisch.
„Den meisten Fremden ist es lieber, so mit mir zu sprechen, sie haben dann nicht das Gefühl, ihnen würde gleich die Beichte abgenommen werden. Ich habe in der Apotheke den Dolmetscher gespielt, ich bin John McGuire, Pfarrer der St. Joseph Gemeinde. Freut mich, dass es dir besser geht.“
„Und was wollen sie von uns?“
„Gar nichts. Ein wenig Unterhaltung. Was möchtest du hören, dass ich vierundzwanzig Stunden damit beauftragt bin Seelen zu retten?“ Er nimmt einen Schluck Whiskey, als sei es Messwein. „Warum bist du so misstrauisch?“
- Er will wissen, warum ich misstrauisch bin, ist das nicht herrlich?
Mascot grinst und wendet sich ab.
„Ich kann ihnen sagen, was los ist. Mit der Zeit wird man schlau, was die freundlichen Mitmenschen angeht und dann wird man misstrauisch. Das ist noch das harmloseste, was man werden kann. Also – wenn ich misstrauisch bin, sollten sie drei Kreuze machen – Padre.“
„Drei Kreuze?“ wiederholt McGuire, als müsse er sich diesen Witz gut merken. Auf seinem Gesicht ist noch immer ein leises Lächeln, aber er ist es gewohnt, ernste Worte zu hören, er kann damit umgehen. Seine freundliche Ruhe und seine kräftige große Statur sind der Garant dafür, dass die beiden Jungs ihm nicht an den Kragen gehen, dass er sich mit ihnen unterhalten kann.
„Okay“, sagt er, „ich lebe ja nicht in einem Kloster, ich weiß, was so läuft. Aber du solltest versuchen, nicht hinter jeder freundlichen Geste ein Messer zu vermuten.“
Rick brummt unwillig; es ist nach seinem Geschmack nicht der richtige Zeitpunkt für eine Bergpredigt.
„Padre, ich bin hier, weil ich was trinken will, sonst nichts.“
„Padre hört sich ein wenig respektlos an, nenn mich ruhig John.“
„Wir sind hier nicht in einem Debattierclub.“
Rick leert mit großen Schlucken sein Glas, stößt Mascot unter dem Tisch an und deutet ihm, dass er verschwinden will.
- Wir haben noch ’ne kleine Strecke vor uns, buddy.

Die Strecke nach Ruidoso ist kurz, aber ihnen kommt ein Mädchen dazwischen.
Rick ist das Diskutieren leid, aber Mascot will immer wieder von ihm wissen, warum er so unfreundlich war, tanzt um ihn herum, hört sich die Ausflüchte an und verspricht, nicht mehr davon anzufangen, okay, versprochen. Zehn Minuten später versucht er es wieder. Rick stößt ihn zur Seite und boxt nach ihm, halb ärgerlich, halb im Scherz, Mascot boxt zurück und schon raufen sie sich wie zwei Hunde mitten auf der nächtlichen Straße, über sich ein wolkenloser kalter Himmel und so viele Sterne, dass man versucht ist, darüber nachzudenken, wie es auf anderen Planeten aussieht und ob dort auch alles schief läuft.
Rick erwischt Mascot in der Seite, lässt ihm die Luft raus und bevor er sich über den Treffer freuen kann, bekommt er die Quittung auf seine gerade verheilte Schläfe und verliert für den Bruchteil einer Sekunde das Bewusstsein. Er wundert sich, wieso er plötzlich auf seinem Hintern sitzt und ihm irgendwas den Hals runterläuft, er ist außer Atem und seine innere Stimme sagt ihm, dass er sich anzählen lassen soll. Sie sind beide nicht richtig wütend, aber ab und zu springt der Funke über und dann brennt die Steppe.
- Oh Mann Scheiße Rick.
- Du hast nur Glück gehabt. In einer Minute bin ich wieder auf den Beinen und dann kannst du drauf wetten, dass ich dir in den Hintern trete, bis du danke sagst.
- Beim nächsten Mal.
Mascot zieht ihn auf die Füße und erst unter der nächsten Laterne merkt Rick, dass er blutet, als habe er sich eine Vene geöffnet. Er verzieht das Gesicht, wischt mit dem Handrücken über die Schläfe und zuckt zusammen. Das Brennen in der aufgeplatzten Wunde ist nicht schlimm, aber die Vorstellung, wie die Wunde aussieht, lässt seine Knie weich werden. Er versucht hilflos zu lachen.
- Und was machen wir jetzt?
- Ich bring dich irgendwohin, wo man sich darum kümmern kann.
- Wenn du’s wagst, mich in ein Krankenhaus zu schleppen, dreh ich dir den Hals um.
- Ich schwöre, dass ich dich nicht in ein Krankenhaus bringen werde.
Der eckige Turm der Kirche hebt sich schwarz gegen den Himmel ab und Mascot denkt bei dem Wort ‚Glockenturm’ immer an Fledermäuse, fliegende Ratten mit hässlichen Gesichtern, aber diesmal denkt er nur an das viele Blut, was aus der Kopfwunde seines Kumpels läuft und er hält sein gegebenes Versprechen.
Rick ist grau im Gesicht, nicht mehr sicher auf den Beinen, nachdem er merkt, wie heftig er blutet und er lässt sich von Mascot unterhaken und durch die Straßen schleppen. Mit dem Pick-up wäre es schneller gegangen, aber der steht am anderen Ende der Stadt. Eine kleine Treppe führt zum Portal hinauf, Rick linst nach oben und schnaubt verächtlich, aber er muss zugeben, dass Mascot sein Wort gehalten hat, es ist kein Krankenhaus, aber er zweifelt daran, dass ein Ave Maria und eine Hostie die Blutung stoppen wird.
Die Kirche ist offen, man lässt sie herein, was Rick in Erstaunen versetzt, denn nachts um diese Uhrzeit kommt niemand zum beten; es sei denn, man ist verzweifelt genug, aber dann ist man vielleicht auch schon übers beten oder beichten hinaus und trifft Vorkehrungen, um seinen Abgang zu organisieren. Es ist nur eine kleine, aber sehr schöne Kirche, rechts und links des Mittelgangs stehen alte Chorstühle, über dem erhöhten Altar brennt ein schwaches Licht, das Kruzifix hängt freischwebend von der hohen Decke. Hier gibt es keine Kunstschätze zu stehlen, wohl aber könnten Obdachlose auf die Idee kommen, zwischen den Chorstühlen zu schlafen, schon deshalb hat Rick erwartet, dass das Portal abgeschlossen sein würde.
Ihm wird schlecht und er muss sich setzen, macht sich Sorgen darüber, dass er auf den Fußboden geblutet haben könnte. Mascot spielt den wilden Heiden, der keinen Respekt vor einem Gotteshaus hat und ruft durch das ganze Kirchenschiff.
- Hallo? Hey, ist jemand hier? Wir brauchen Hilfe!
Seine Stimme klingt, als wolle er Gott aufwecken.
- Versuch’s da hinten an der Tür, murmelt Rick, kann sein, dass da jemand ist.
In seinem Hals steckt ein Würgen, was er nur schwer unter Kontrolle halten kann und gleichzeitig wird er hundemüde, er muss an den dummen kleinen Jake denken, den sie bei den Batemans kennengelernt haben, der immer so bemüht gewesen war, aus Indianapolis rauszukommen und zu ihnen zu gehören – zu Rick, Hollis und Mascot.
Während sie ständig die Polizei und die Behörden im Nacken sitzen haben, ist Jake, der nervöse Whippet, nur hinderlich, hinderlich und gleichzeitig rührend, dass sie ihn nie davongejagt hätten. Jake hat die Angewohnheit, sich schon blaue Flecken zu holen, wenn er nur über die Straße geht und letztendlich hat er es nicht geschafft. Seine Familie waren fromme Leute, die mit seinem Freiheitsdrang nicht klar kamen und Jake hat sich in dope und Alkohol geflüchtet, als sie ihn zu den Batemans abschoben. Er ist dreizehn, stolpert nachts über die Gleise des Güterbahnhofs und hatte wohl ein paar Wagons nicht bemerkt, die auf ihn zugerollt kamen. Rick hat das erst später erfahren, als sie mal wieder aufgegriffen wurden und bei den Batemans landeten, und es war das erste Mal gewesen, dass er jemand richtig vermisste. Zu weinen wagte er nicht, nicht einmal heimlich, weil in einem Heim jede Heimlichkeit herauskommt, aber der Verlust nagt wochenlang an ihm.
„Dieser verrückte kleine Hosenscheißer“, sagt Hollis in die gedrückte Stimmung hinein, „wisst ihr noch, wie er vor die Parkuhr gelaufen ist und sich entschuldigt hat?“
Irgendwo klappt laut eine Tür, Mascots Stimme hallt wieder laut durch die Kirche, reißt Rick aus den Erinnerungen; er greift sich an den pochenden Schädel und erinnert sich an die Wunde. Er hat einen Fluch auf den Lippen, ungeachtet dessen, wo er ist. Mascot kommt in Begleitung eines Mannes zurück, der ein besorgtes Gesicht macht, nur halb angezogen ist und karierte Pyjamahosen trägt. Bevor Rick irgendetwas erklären kann, hockt der Mann, den er nur undeutlich erkennen kann, neben ihm, lässt ihn den Kopf drehen und sagt die ganze Zeit kein Wort.
Ricks Blick sucht Mascot, der ist ein paar Schritte in den Mittelgang zurückgewichen, tritt dort unruhig von einem Fuß auf den anderen. Rick will von ihm nur hören, dass alles nicht so schlimm ist, weil, meine Güte, sie haben doch bloß herumgealbert und es war doch nicht richtig ernst gemeint, nie im Leben.
„Okay“, murmelt McGuire endlich, „du bleibst hier sitzen, bis ich zurückkomme. Steh nicht auf. Deiner Gesichtsfarbe nach zu urteilen, ist dein Blutdruck auf Jahrestiefstand. Und du“, er wendet sich an Mascot, „du kommst mit und hilfst mir.“
Es ist sein erster Schultag. Das erste Mal läuft er mit seinem Bruder Curtis den langen Weg zur Haltestelle, wo der Bus sie abholen wird. Der Sommer ist vorbei, Rick denkt an Curtis’ Erzählungen, aus denen er weiß, was ihn in der Schule erwarten wird, aber er weiß nicht, ob er Angst haben oder sich freuen soll. An diesem Tag regnet es. Seine Schuhe und Hosenbeine sind schlammüberzogen, weil er keine – nicht so wie Curtis – Gummistiefel hat. Obwohl ihm Dreck nichts ausmacht, weiß er, dass es in der Schule deswegen Ärger geben wird, nicht mit den Lehrern, aber wohl mit den anderen Kindern, die auf dem ersten Blick sehen würden, dass seine Familie kein Geld hat. Curtis hat ihm erzählt, wie es zuging mit Gleichaltrigen, den Spaß, den man haben konnte und die gemeinen Dinge, die einem passieren konnten. Curtis hat ihm das alles erzählt, um seinen kleinen Bruder nicht wie einen Trottel dastehen zu lassen.
Sheila Scanlon hat ihren Sohn nur missmutig gehen lassen, mit einem Murmeln hat sie behauptet, der Dummkopf würde die Schule sowieso nicht schaffen und seine Arbeit auf der Farm würde liegen bleiben. Die Schule sei für Curtis Okay, denn Curtis würde Karriere machen und irgendwann viel Geld verdienen, da gäbe es zu investieren.
Das alles entlädt sich am ersten oder zweiten Schultag, so genau weiß Rick das nicht mehr, aber das Chaos, das er veranstaltet hat, reichte für das ganze restliche Schuljahr. Er hat Prügel ausgeteilt und Prügel bezogen, weil er einige Bemerkungen nicht auf sich hatte sitzen lassen wollen; blöde Sprüche wegen seiner lehmverkrusteten Hosen, die im Laufe des Schultages trocknen und steif werden, wegen seiner schmutzigen abgebissenen Fingernägel und seinen Haaren, die nur alle paar Monate sehr radikal und unprofessionell mit einer Haushaltsschere geschnitten werden. Das war sein denkbar schlechter Einstieg in das Schulleben und obwohl er schnell lesen, schreiben und rechnen lernt, fährt er noch immer viel lieber allein mit dem Traktor über die Felder. Auf Maschinen kann man sich einfach verlassen.
Rick will sich nicht untersuchen lassen, denkt, dass es irgendwann von allein aufhören wird, aber Mascot hebelt ihn hoch und zieht ihn mit sich, hinaus aus der Kirche, durch eine Tür in einen angrenzenden Raum, durch einen Flur und hinein in eine Drei-Zimmer-Wohnung, die so karg eingerichtet ist, dass Rick zu überlegen wagt, warum der Papst nicht auch so wohnt; versorgt mit dem nötigsten.
Der Priester hat sich schnell angezogen, um einen besseren Eindruck zu machen, er hat einen Verbandskasten hervorgezaubert und macht sich an die Arbeit, während Mascot dafür sorgt, dass Rick still hält. Er hält die Augen geschlossen während der Prozedur, zuckt erst zusammen, als eine Hand auf seine Schulter klopft.
„Fertig?“ fragt er, bereit, sofort wieder zu verschwinden und in der nächsten Bar zu landen.
„Zumindest blutet es nicht mehr, aber schön sieht es wirklich nicht aus. Warum soll sich das kein Arzt ansehen? Habt ihr beiden was ausgefressen?“
„Gibt es irgendjemanden, der nichts ausgefressen hat?“
Father McGuire antwortet auf diese Gegenfrage nicht, er setzt sich in einen der Sessel, schlägt die Beine über und sieht von einem zum anderen. Mascot macht sein Indianergesicht, was er wirklich sehr gut beherrscht, Rick sitzt müde da, blinzelt und sehnt sich nach draußen. Das alles behagt ihm nicht.
„Können wir verschwinden?“
„Habt ihr ein Zimmer in der Stadt? Wenn nicht, könnt ihr hier bleiben, ich hab Platz. Es kommt mir seltsam vor, dass ihr beiden schräge Vögel hier in Carrizozo herumhängt als wäre es New Orleans. Was ist los mit euch? Was hab ihr vor?“
„Wir haben nur gehört, dass die Luft hier gut sein soll.“
Er zieht seufzend den Atem ein. „Wir haben ‘nen Wagen und ’n Zimmer. Okay? Außerdem sind wir nur auf Durchreise.“
- Weshalb klingst du so sauer? Hat der Padre dir ein schmutziges Angebot gemacht? fragt Mascot, hat dummerweise vergessen, dass der Padre jedes Wort versteht. Er grinst, als Father McGuire ihn ansieht und es ihm wieder einfällt.
- Vergiss nicht, weshalb wir unterwegs sind, buddy. Wenn wir so etwas wie einen Zeitplan haben, sollten wir ihn auch einhalten.
„Ich wünschte, mein spanisch wäre so akzentfrei. Bei der Arbeit mit den mexikanischen Familien wäre das eine große Hilfe, aber ich habe Verständnis dafür, wenn ihr weiter müsst.“
Was soll die Ansprache? denkt Rick, er kann doch nicht glauben, dass ich irgendwas für seine Gemeinde tue, nur weil er mir den Schädel verpflastert hat.
„Ich lass was für die Kollekte da“, sagt er, „und tun sie um ihres Gottes Willen nicht so, als würden sie unsere Seelen retten wollen. Wir sind zwei Heilige auf dem Weg durch das gelobte Land.“
- Er hat dich doch anständig versorgt, sagt Mascot, als sie wieder auf der Straße sind, weshalb hast du ihm wieder ans Bein gepinkelt?
Und ihr Streit geht von vorn los.

Die ganze Nacht und fast den ganzen Morgen liegen sie auf der Ladefläche des Pick-ups, lüften ihre Füße aus und rauchen einen heimlichen Joint. Ricks verklebter Kopf sieht aus wie der ausrangierte Teil einer Filmmumie und Mascot mit bekifftem Schädel tut so, als erschrecke er sich jedes Mal, wenn er Rick ansieht, dann lacht er sich scheckig und er treibt es so weit, dass Rick sich den Verband runterreißt und auf die Straße wirft. Die aufgeplatzte Wunde hat sich halbwegs geschlossen und blutet nicht, sieht aber noch immer frisch wund aus, dass einen das Grausen packen kann.
- Bist du sauer?
- Nein, du Arschloch.
Das Mädchen, das den Ärger bringt, kommt von der gegenüberliegenden Straßenseite angerannt, eine neongelbe Handtasche hängt über ihre dürren Schultern und schlägt hektisch gegen ihre Hüfte. Ihre klappernden Schritte lassen Rick aufsehen und sie beobachten, nur mäßig interessiert und noch halb im Rausch. Sie rennt, als sei der Leibhaftige persönlich hinter ihr her, kommt genau auf den Pick-up zu, ihr gehetztes Gesicht wird in Ricks Blick größer und ein wenig interessanter, denn sie mag angezogen sein wie eine Straßenhure, aber ihr Gesicht ist klassisch schön, ohne Make-up. Es zieht ihn magisch an, er hebelt sich hoch und will ihr etwas zurufen, etwas witziges, was sie zum stehen bleiben veranlassen wird, aber in dem Moment fällt ihm natürlich nichts ein. Sie läuft unter seinen Blicken um den Pick-up, taucht dahinter unter und ist verschwunden, als sei sie in die Kanalisation abgestiegen. Mascot schnarcht mit offenen Augen, während Rick seine Beine zur Seite schiebt und über ihn drüberklettert, um auf der anderen Seite nach dem Mädchen zu suchen. Als er den Kopf nach unten hängt, pocht die Wunde an seiner Schläfe und ihm wird schwindelig, er kommt wieder hoch und macht ‚Huh’.
Dieses Mädchen mit den schlanken Beinen, die aus dem kurzen Batikwickelrock herausschauten, ein gehetztes makelloses Gesicht, das hätte ihn für Wochen in seinen Träumen besucht, vielleicht sogar für Monate, und danach wäre sie blasser geworden und langsam verschwunden. Ein anderes Mädchen hätte ihren Platz eingenommen. Rick ist ganz froh, dass sie verschwunden ist, denn eine Abfuhr von ihr hätte er nur schlecht weggesteckt. Er will es sich wieder gemütlich machen. Aus der Richtung, aus der sie gekommen war, tauchen zwei Männer auf, die in ihren dunklen Anzügen wie alberne Außerirdische wirken. Rick kämpft noch immer mit dem Schwindel zwischen seinen Ohren und der Frage, wohin sie verschwunden sein könnte, hockt sich neben Mascots lang ausgestreckte Beine und überlegt, ob er sie sich nur eingebildet haben könnte. Drogenbedingt.
Die beiden Anzugstypen traben daher, wirbeln den Staub der Straße auf und scheinen trotz der Hitze des Tages nicht zu schwitzen. Ihre Haare liegen wie angeklebt an ihren Köpfen, großgewachsene Latinos. Sie sprechen Rick im gebrochenen Englisch an, nachdem sie stehengeblieben sind und einen Blick auf das Nummernschild geworfen haben. Rick ist bemüht sich zu konzentrieren, aber sein Blick schweift ebenso ab wie seine Gedanken.
„Ein Mädchen?“ wiederholt er. Sein Verstand sagt ihm, er soll sich nicht noch Ärger einfangen und diesen beiden Typen verraten, dass die chicka unter den Pick-up gekrabbelt ist und dort wartet, bis sie glaubt in Sicherheit zu sein, aber seine Stimme gehorcht nicht.
„Die, die hier eben vorbeigerannt ist?“
„In welche Richtung?“
Die Seitenstraße lässt nur eine Richtung zu, es sei denn, er behauptet, sie hätte den Weg in eines der Häuser gewählt, aber Rick deutet mit dem Daumen die Straße hinunter und zuckt mit den Schultern. Die Männer nicken sich zu und ihre teuren Lederschuhe treten wieder Staub und Straße. Oben, wo die breite Zufahrtsstraße zu sehen ist, bleiben sie als dunkle Schatten stehen, wenden sich nach rechts, zurück in den Stadtkern und verschwinden. Rick stößt Mascot mit dem Ellebogen an, muss sanfte Gewalt anwenden, um ihn wach zu bekommen und flüstert ihm zu, dass er bitte einen Blick unter den Pick-up werfen solle.
- Warum?
- Wenn da etwas ist, sag mir, was. Wenn da nichts ist, Okay.
- Wird das ’ne neue Wette?
Mascot lässt sich Zeit mit dem Abstieg, geht neben dem Wagen auf Knie und Hände und legt den Kopf schief. So haben seine Vorfahren das Ohr auf den Prärieboden gelegt und konnten sagen, ob Büffel in der Nähe waren, aber Mascots Vater konnte nicht einmal mehr eine Stunde auf einem Pferd sitzen, ohne sich den Hintern wund zu scheuern. Er hatte Pferdeverstand, aber als Transportmittel bevorzugte er schon das Auto.
- Hola! macht Mascot und Rick überlegt fieberhaft, wie er der chicka gegenüber auftreten soll; er hasst es, bei solchen Begegnungen nervös zu werden, weiß aber nicht, was er dagegen tun soll. Er ist nicht in Übung, wenn es darum geht, einem Mädchen so gegenüberzutreten, dass sie ihn hoffentlich nett finden wird, nett genug für ein weiteres Treffen. Lieber würde er tot umfallen, als dieses Defizit zuzugeben und nach Rat zu fragen, aber Mascot gegenüber braucht er nichts zu erklären. Sie kennen sich, sind mehr als Freunde und Weggefährten, sie sind sich gegenseitig der einzige Halt, den sie haben.
Das Mädchen klettert auf die Ladefläche, bewegt sich dabei rührend ungeschickt, weil ihr kurzer Rock und ihre komischen Schuhe hinderlich sind. Sie behält einen misstrauischen Blick auf Mascot, lächelt aber Rick entgegen, als habe sie ihn als ihren Helden auserkoren.
„Hey, ihr beiden“, sagt sie munter, „seid ihr schon lange hier?“
„Wir sind nur auf der Durchreise. Eigentlich wollten wir schon gar nicht mehr hier sein.“
„Was ein Glück für mich, dass ihr es euch anders überlegt habt.“
Sie lächelt und Rick denkt, dass er sich in dieser Sekunde in sie verknallt hat.
Sie sagt, ihr Name sei Jacqueline, aber Rick findet diesen Namen zu abgehoben und nennt sie in Gedanken Jackie, bis er ohne es zu bemerken, dazu übergeht, sie auch so anzureden.
„Wer war denn da hinter dir her?“
Mascot bindet sich sein Haar neu zusammen, setzt seinen Cowboyhut auf und klettert in das Führerhaus, wirft den Motor an und schaltet das Radio ein, so laut, dass Rick beim Krachen der Lautsprecher zusammenzuckt.
„Falls jemand hinter mir her war, ist er es nicht mehr, oder? Siehst du hier jemanden?“
Sie lächelt ein makelloses Lächeln, was Rick sofort vergessen lässt, was für einen Blödsinn sie gerade von sich gegeben hat und er will nur noch wissen, wo sie herkommt, was sie in Carrizozo treibt und ob sie noch ein paar Tage gemeinsam verbringen können.
Sie haben noch immer das Motelzimmer, aber als Rick Mascot deswegen anspricht, die Möglichkeit erwähnt, Jackie Unterschlupf zu gewähren, wird Mascot sehr direkt. Er tippt Rick in die mageren Rippen und fragt ihn, ob er sich erinnere, weshalb sie unterwegs sind und ob er nur wegen einer blonden chicka das Ziel aus den Augen verloren habe.
- Lass uns doch einfach einen kleinen Umweg machen.
- Sie ist mehr als das, sie wird versuchen, uns auseinander zu bringen.
- Das schafft sie nicht, sagt Rick.
- Erzähl mir von dem Traum.
- Mascot, was soll das? Hab ich irgendwas gesagt, als du dich mit der chicka amüsiert hast?
- Der Traum.
Mascot fordert ihn ein, er will es aus Ricks Mund hören, was sie hergebracht hat, um ihn wieder selbst daran zu erinnern; obwohl es eigentlich zwei Träume gewesen waren, zwei Orte, zwei Zeiten und die Träume zweier Freunde.

Vier Monate im Knast, weil der Pflichtverteidiger nicht einmal Zeit und Muße hat, sich den Namen Scanlon zu merken und irgendwann etwas sehr abfälliges über das irische Einwandererpack und deren Nachkommen äußert, sechzehn Wochen, weil Rick so dumm gewesen war, allein loszuziehen, anstatt auf Hollis oder Mascot zu warten. Der Richter hat ihn schnell und schmerzlos abgeurteilt und dann vergessen; eine kleine Nummer zwischen den etwas größeren Fischen in seinem schmutzigen Teich.
Die Viererzelle ist mit sieben Mann belegt. Einer von ihnen hat die Angewohnheit, nachts sein Bett kalt werden zu lassen und einen der Zellengenossen zu besuchen, einige lassen es geschehen, andere wehren sich und als Rick merkt, dass er an der Reihe ist, lässt er den Mann, der sein Vater sein könnte, nahe herankommen, dann stopft er ihm eine seiner Socken in den Mund, so tief, dass sie vollständig verschwindet und wickelt den abgerissenen Streifen seiner Decke um den Kopf des alten dreckigen Mannes. Der wäre an der Baumwolle erstickt, wenn die Zellengenossen nicht Krach geschlagen und die Wärter alarmiert hätten. Fünf Tage hat Rick seine Ruhe, dann wechseln zwei Packungen Zigaretten den Besitzer. Ruhe hat er danach nicht mehr.
Er träumt in dieser Zeit kaum, aber zwei Tage vor seiner Entlassung hat er einen wundervollen und grandiosen Traum, der ihm so real vorkommt, dass er befürchtet, anstatt aufgewacht eingeschlafen zu sein und sein Aufenthalt auf Staatskosten sei ein böser Alptraum. Mascot holt ihn mit einem geklauten Wagen ab, bestätigt ihm, dass er wirklich Scheiße aussähe und sie entdecken, dass sich ihre Träume, die sie sich schildern, fast übereinstimmen.
Sie sind auf dem Weg nach New Mexico, um in dem Mescalero Reservat bei Ruidoso nach Mascots Verwandten zu forschen. Er muss wissen, wo sie hingegangen sind, er muss ihre Spuren ausfindig machen. Diese Reise müssen sie zu zweit antreten, damit stets einer auf der Hut sein kann, damit einer auf den anderen acht gibt.

Rick geht mit Jackie, äußert dazu nur, dass er ein paar nette Stunden mit ihr verbringen will und nutzt dazu das Motelzimmer, ob es Mascot passt oder nicht. Mascot sieht nur auf die makellose Hülle und entdeckt das hässliche darunter, überlässt ihnen das Zimmer und schläft im Pick-up.
- Rick, sagt er, wenn du mit ihr spazieren gehst, halt Abstand. Wenn ich die Gelegenheit bekomme, sie auf offener Straße zu überfahren, werd ich sie nutzen.
„Was ist los mit deinem Freund?“ fragt Jackie, sie sitzt wippend auf dem Bett, hält die Beine übereinandergeschlagen, reibt mit der befeuchteten Ziegefingerkuppe an ihrem Knie herum. Die Straße unter dem Pick-up war nicht sauber.
„Nichts“, sagt Rick, „wir machen das immer so.“
„Willst du zuerst duschen?“
Es ist halb elf und es läuft kein heißes Wasser mehr, Rick macht sich den Kopf nass und versucht, sein Haar hinzubekommen, das Shampoo brennt in seiner Schläfe und er spült sich blitzschnell wieder ab. Der Schnapper an der Badezimmertür ist defekt, Jackie kann die Tür öffnen und hereinkommen, obwohl Rick den Riegel vorgeschoben hatte.
„Oh“, macht sie, stellt den rechten Fuß auf die Zehenspitzen und dreht ihn hin und her, „ich dachte, du hättest gerufen, dass du fertig bist.“
Sie muss bei der Tür Gewalt angewendet haben, denn die Bluse, die sie trägt, ist ihr die Schulter heruntergerutscht und entblößt einen hellen Bikinistreifen auf ihrer Haut.
„Ich bin so gut wie fertig“, sagt Rick. Fast hätte er sich schamhaft mit den Händen bedeckt. Er wünscht, er könnte sich wieder stark und unbesiegbar fühlen, aber davon ist er im Moment weit entfernt. Ihm ist kalt und er weiß, dass man jede Rippe an ihm zählen kann, obwohl er muskulöse Arme und Beine hat. Die Tätowierungen sind Ausdruck seiner Herkunft und die Zeugen der Bruderschaft mit Mascot, der ihn gottlob davor bewahrt hat, sich mit Nähnadel und royalblauer Tinte eigenhändig zu verschandeln. Die professionellen Bilder hatten weh getan, aber sie waren etwas, wofür man sich nicht schämen musste.
Jackie fährt mit ihrer Zungenspitze über das kleine keltische Ornament an Ricks Brust, sie liegen auf dem aufgeschlagenem Bett und der Fernseher läuft, weil Jackie meint, dass es ein ungeschriebenes Gesetz sei, dass in Motelzimmern immer der Fernseher zu laufen habe. Sie liegt auf ihm, nicht länger bekleidet und Rück wühlt in ihrem langem blonden Haar. Sie fragt, was das für ein Symbol sei unter ihrer Zunge und bemerkt dann heiser lachend, dass die Wirkung des kalten Wassers offensichtlich nachgelassen habe. Sie richtet sich auf, setzt sich auf ihn und lenkt ihn in sich hinein, kühl lächelnd, als bereite sie ein Experiment vor. Wenn sie schon viele Männer auf diese Art und Weise flachgelegt hatte, so erklärte das die Routine und auch ihr Erstaunen, dass Rick unter ihr nicht zu einem hilflos schwitzenden Rest von einem Mann wird. Er war scharf auf sie, aber er schien wütend; er greift mit beiden Händen in ihr langes Haar und zieht sie zu sich herunter, dass sie in der Hüftbewegung innehält; bleibt in ihr, wälzt sie auf den Rücken und presst sie in die Kissen. Eine Hand hält ihr Haar in dicken Strähnen gepackt, eine Drehung des Handgelenks und er kann ihr weh tun, die andere greift ihren linken Schenkel und zieht ihn hoch, verändert den Winkel. Wenn sie fragt, was los ist, wird sie keine Antwort bekommen, deshalb fragt sie erst gar nicht. Rick ist hart und schnell am Schuss, triumphiert ohne Worte über sie. Mit dem Laken wischt er sich ab, steht auf und dreht einen Joint, den sie sich teilen.
„Ich mag’s, wie du mich Jackie nennst“, sagt sie und dann wiederholen sie das Ganze.
„Ich bin seit fast vier Monaten draußen“, sagt Rick, „und seit wir unterwegs sind, weiß ich erst, was ich da vermisst habe. Und ich rede nicht vom Sex, den gab’s da, ohne dass man danach fragen musste, ich mein Freiheit. Ich kann gehen, wohin ich will, ich kann einfach losfahren und bis Kalifornien nicht anhalten, wenn ich will.“
„Und was machst du dann hier?“ Jackie zieht an dem Rest des Joints, drückt mit zwei Fingern an der Glut herum, nimmt einen weiteren Zug, sieht Rick fragend an.
„Kalifornien steht nicht zur Debatte.“
Er zieht sich an, kann seine Schuhe nicht finden und fragt sich, wo er sie gelassen haben könnte. Draußen rollt ein Wagen auf den Parkplatz, die Scheinwerfer streifen das Fenster, erhellen das Zimmer und lassen es ins Halbdunkel zurückfallen. Nur der Fernseher flimmert vor sich hin, strahlt blaues Licht aus seiner Ecke heraus. Schließlich findet er seine Schuhe unter dem Bett, bei einem Haufen Dreck, Pappschachteln, Zigarettenstummel und einiger benutzter Kondome.
„Wir könnten deinen Wagen nehmen.“
„Was?“
„Ich hab noch Geld von meinem Vater, du hast den Wagen, also worauf warten wir?“
Sie hat ihr Haar wieder in Ordnung gebracht, es zusammengedreht und klopft den Rest der Asche über den Rand des Bettes ab.
„Das kann ich nicht allein entscheiden.“
Er muss sie immer wieder ansehen, muss sich vergewissern, dass sie wirklich da ist. Die beiden Latinos scheinen sie direkt in seine Arme getrieben zu haben und er kann sein Glück noch immer nicht fassen.
„Ich weiß nicht, was es da zu entscheiden gibt.“
Er hat Hunger, ihm ist nach etwas mexikanischem und nach einem Kaffee, damit er den Rest der Nacht auch nicht mehr schlafen kann, aber Jackie will nicht mitkommen.
„Der Pick-up gehört mir nicht allein, also kann ich ihn mir nicht einfach nehmen und mit einem hübschen blonden Mädchen davonfahren, egal, wo es hingehen soll und egal, wie hübsch das Mädchen ist. Willst du wirklich nichts essen?“
„Nein. Du bist also jemand, auf den man sich verlassen kann.“
„Seh ich so aus? Ich war eingelocht, also wirst du dich nicht auf mich verlassen können. Aber ich bescheiße meine Freunde nicht.“
„Weswegen warst du im Knast?“
„Ich hab keine Ahnung.“
Irgendwo in Carrizozo findet er einen Imbiss, der noch geöffnet hat, obwohl es dazu keinen Grund gibt, denn bis auf Rick ist niemand da, der etwas essen will. Die Burritos sind trocken und gleichzeitig fetttriefend, die Füllung ist ekelerregend, Rick isst zwei Stück davon und der Mexikaner hinter der Theke weigert sich, ihm einen dritten zu geben. Rick trinkt seinen Kaffee auf dem Weg zurück zum Motel, schleicht durch die schwarze Nacht. Mehr denn je ist er davon überzeugt, sich in Jackie verliebt zu haben. Es ist nicht nur die Tatsache, dass sie hübsch ist und ständig lächelt, als würde sie ihn mögen; es scheint eine Stimmung in seinem Bauch zu sein.
Sollte man das für möglich halten? Ein Gefühl aus dem Bauch, was keine Angst ist.
Er mag sie wegen der Aufmerksamkeit, die sie ihm schenkt und das gute Gefühl, was er dadurch hat. Seine Stärke kommt zurück, wenn sie in der Nähe ist, das fühlt er.
Im Schritt-Tempo fährt der Pick-up an ihm vorbei, rollt weiter, ohne anzuhalten. Rick wartet darauf, dass die Bremslichter aufleuchten, aber Mascot fährt einfach weiter, bis er an der nächsten Kreuzung rechts einbiegt und weg ist.
Jackie ist angezogen, trägt Lippenstift und sitzt au dem Boden vor dem Fernseher. Sie sieht aus wie eine sitzengelassene Bankräuberbraut.
„Was war das schlimmste, was du als Kind angestellt hast?“
Sie stellt diese Frage ohne ihn anzusehen, drückt fast die Nase an die Mattscheibe und Rick antwortet nur nicht, weil er sich nicht erinnern will.
„Meine Eltern meinen, dass ich sehr böse war, als ich unsere Pferde durch das Paddock gejagt habe. Ich war sechs oder sieben und hatte einen roten Sonnenschirm mit weißen Punkten drauf und hab ihn aufgespannt und hin und her gewedelt. Die Pferde rannten wie panisch und ich fand das lustig, deshalb hab ich immer weiter gemacht, bis einer der Cowboys angerannt kam und mir den Schirm weggenommen hat. Sie haben mir erklärt, warum ich das nicht tun soll und ich hab so getan, als täte es mir leid, aber ich hab’s immer wieder getan. Ich hab Steine nach ihnen geworfen. Die Gäule hatten einen wahren Horror vor mir. Aber was sie nie erfahren haben, hätte sie wirklich bis ans Ende ihrer Tage schockiert. Ein paar blöde Pferde zu erschrecken war gar nichts dagegen.“
Es interessiert ihn nicht, was immer sie getan haben mochte, sein Kopf ist voller anderer Gedanken, die er nicht unter Kontrolle hat. Er mag es nicht, sich so zerrissen zu fühlen, denn das erinnert ihn zu sehr an alte Dinge, die er getan hat und die ihm angetan worden waren. Jackie schafft es, dass er sich gut fühlt, sogar über den Sex hinaus, aber er hat noch immer im Hinterkopf, weshalb sie sich auf ihn eingelassen hat. Unter dem Fenster liegt seine Jacke, in der er noch eine Packung Zigaretten vermutet, durchwühlt die Taschen und zündet sich eine Luckies an.
„Gibt’s du mir auch eine?“
„War die letzte.“
Trotz des Kaffees kommt die Bettschwere wie eine dunkle Wolke über ihn und er nimmt die Seite des Bettes am Fenster in Beschlag. Ab und zu wird er die fremden Lichter der ankommenden Autos sehen und vielleicht kommt der Pick-up auf den Parkplatz gerollt, er hofft es zumindest. Mascot wird das Herumfahren satt sein. Rick macht sich keine Sorgen, dass sie getrennt werden könnten, selbst Jackie würde das nicht schaffen. Er ist bereits eingeschlafen, ein Arm hängt aus dem Bett und er schnarcht leise, als Jackie endlich zu ihm unter die Decke kriecht. Sie lässt den Fernseher laufen, obwohl dort nur noch das Schneetreiben zu sehen ist, wenn sie morgens aufwacht, will sie die Nachrichten sehen.
 
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In diesem Kapitel erfahren wir, weshalb Rick ins Gefängnis gekommen ist und auch Einiges darüber, weswegen die Freunde nicht mehr richtig mit dem Leben klar kommen. Trotz ihrer derben Art, sind die beiden noch nicht völlig abstumpft. Sie zeigen noch ein bisschen Lebensfreude. Sehr schön beschrieben die zarte Liebe zwischen Jackie und Rick.

Jochen (18.04.2009)

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