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23 Seiten

Ouray, Colorado - Teil 5

Romane/Serien · Spannendes
© Tintentod
Er macht mich rasend, dachte David, und so, wie er dasteht, weiß er es ganz genau.
Julia hakte sich bei ihm ein, fragte, was er hier tat und musste dazu laut in sein Ohr brüllen. Er machte eine fast entschuldigende Geste anstatt etwas zu sagen.
Elliott verschwand, um etwas zu trinken zu holen, ihr kam allerdings der Verdacht, dass er sich auch verdrückt haben könnte, um ihrem Bruder aus dem Weg zu gehen.
„Du stehst doch sonst nicht auf den Ballroom. Spionierst du mir schon wieder hinterher?“
Sie lachte, als sie das sagte, warf ihr Haar zurück und wartete darauf, dass David etwas erwiderte, aber er war abgelenkt. Ständig sah er an ihr vorbei in den hinteren Raum des Ballrooms, nicht sehr auffällig, er bewegte kaum den Kopf zur Seite, aber sein Blick wich ihr ständig aus, er hatte wieder diesen misstrauischen lauernden Ausdruck.
„Was ist?“
„Dash hat wieder einen seiner Sprüche losgelassen.“
Es war nicht ganz die Wahrheit, aber es war auch keine Lüge und Julia fiel darauf herein.
„Du kennst ihn doch, er ist ein bisschen irre. Weißt du noch, wie er in der Schule die Stufen der Haupttreppe mit Schmierseife eingeschmiert hat?“
„Wundert mich noch heute, dass er dafür nicht geflogen ist.“
Es wundert mich, dachte David, dass er hier ist. Wenn er schlau wäre, würde er sich irgendwo verkriechen und erst rauskommen, wenn die Straße frei ist und er verschwinden kann.

Rick seinerseits dachte über die befremdete Tatsache nach, dass dieser Furz dort Julias Bruder war und es bestätigte ihm, dass es keine Ordnung im Universum gab oder einer der beiden adoptiert war.
Während sie mit David sprach, hatte sie ihm den Rücken zugedreht, aber als ihr Verehrer mit den Getränken zurückkam, drehte sie sich einmal kurz in die Richtung, in die ihr Bruder ständig gestiert hatte. Sie erkannte Rick, aber sie vergaß ihn auch sofort wieder und er kam erst wieder zu seinem Recht, als Aimee sie im Laufe des Abends beiseite zog.
„Willst du wieder tanzen?“
„Später vielleicht.“
Auf einer einfachen niedrigen Holzbank ergatterten sie freie Plätze, Sammy Joe entlastete ihre Füße, indem sie sie weit von sich streckte, dass jeder darüber fallen würde. Das schwarze glitzernde Oberteil, das sie trug, war eng genug, um aufreizend auszusehen, das wirbelnde Licht des Ballrooms fing sich darin, aber es war auch so dünn, dass Sammy Joe zu frieren begann, nachdem sie abgekühlt war. Allein wollte sie nicht wieder tanzen gehen und Aimee war irgendwohin verschwunden.
„Vielleicht ist sie auf Toilette“, sagte sie.
Das konnte länger dauern, denn es gab nur eine Damen- und eine Herrentoilette und davor waren immer lange Schlangen von herumzappelnden Wartenden. Wenn Aimee schneller wiederkam, hieß das, dass sie in die Büsche verschwunden war, um den Blasendruck loszuwerden.
Rick wurde müde, aber er wollte nicht gehen; mit Sammy Joe inmitten der lauten Musik und abseits des Getümmels zu sitzen, war ein gutes Gefühl; er hatte ihr einen Arm von hinten um die Hüfte gelegt und hielt sie fest. Ab und zu konnte er spüren, wie sie zusammenfuhr und zitterte, ihr war kalt, aber auch sie wollte nicht gehen.
„Mein Thermostat schaltet gerade runter“, erklärte sie, „das hört gleich wieder auf.“
Sie brachte ihren Mund nahe an seinen Hals, flüsterte, dass sie sich warme Gedanken machen würde und ihr Atem an seiner Haut zauberte auch ihm eine Gänsehaut auf Arme und Rücken. Er hätte ihr verraten, was sie gerade mit seinem Thermostat anstellte. David Dustman kam zu ihnen herüber, als wolle er kurz hallo sagen und ein Schwätzchen halten, Rick blinzelte zu ihm nach oben und wartete. Neben ihm wollte Sammy Joe aufstehen, aber er hielt sie an der Hüfte fest und verhinderte, dass sie sich erhob. Mit den Fingern drückte er kurz an ihren Hüftknochen, ließ dann seine Hand dort locker liegen und sah David entgegen.
„Ich mache keinen Ärger, ich will nur klarstellen, dass es hier ruhig bleibt.“
„Yeh?“ machte Rick desinteressiert.
„Halt die Füße still, solange du in Ouray bist.“
„Wer ist gestorben, dass man dich zum Boss gemacht hat?“ Who died and made you boss?
David zuckte innerlich zusammen, dass jemand, der fremd in Ouray war, seine Absicht, irgendwann einmal den Chefposten der Polizei zu übernehmen, laut ausgesprochen hatte. Aber Scanlon reagierte sicher nur darauf, dass er glaubte, er würde sich um Dinge kümmern, die Overturf vorbehalten waren. So war es wohl.
„Ich mache meinen Job, Scanlon. Also halt dich an die Regeln.“
Er machte eine drohende Handbewegung, drehte sich um und verschwand.
„Arschloch“, kommentierte Rick.
Sammy Joe mochte es, wie er sie locker und zugleich fest an ihrer Seite hielt, hatte den Wunsch, jetzt sofort mit ihm zu tanzen; sie wollte es so dringend, dass sie Rick von der Bank zog, seine Hände nahm und sie hinter ihrem Rücken zusammenführte. Rick konnte nicht anders, als sich ihren langsamen wiegenden Tanzschritten anzupassen. Sie tanzten umschlungen, Sammy Joes Hände lagen in seinem Nacken und sie waren für einen langen Augenblick in einer eigenen Welt gefangen, hörten ein eigenes Lied und tanzten dazu. In der restlichen Welt des Ballrooms hämmerte der Beat und Ouray unter fünfundzwanzig tanzte sich die Seele aus dem Leib, wirbelte herum und nur wenigen fiel es auf, dass Rick und Sammy Joe sich gegen den Rhythmus bewegten. Aimee grinste darüber und spürte trotzdem einen leichten Stich der Eifersucht. Vielleicht plauderte sie deshalb.
Sie tanzte mit ein paar Jungs, darunter auch Dash, der ihr Dinge ins Ohr flüsterte, über die sie schallend lachen musste, dann traf sie bei einer Coke mit Julia zusammen.
„Hast du Sammy Joe gesehen?“ rief Julia und Aimee ahmte langsame Tanzschritte nach und nickte.
„Es hat sie wohl erwischt, was?“
„Sieht so aus, aber sie sollte sich vorsehen.“
„Ja?“ fragte Julia, nicht einmal sonderlich interessiert.
„Wenn du es niemandem weitererzählst, verrate ich dir etwas über ihn.“
„Was denn? Ist er jemand berühmtes, der bei uns untergetaucht ist?“
Julia dachte eine Sekunde daran, dass sie gerne jemand berühmtes kennen lernen würde, vielleicht einen Rockstar, selbst wenn er alt und ausgelaugt war und schon seit Jahren keinen Hit mehr gehabt hatte.
Nur zum plaudern, dachte sie, und zum herzeigen, natürlich.
In der Uni hatte sie eine Vorlesung von John Updike besucht und später noch ein paar Worte mit ihm wechseln können, mit diesem seltsamen Mann mit dem Rabbitgesicht, aber das war nicht das Gleiche. Julia war das Kleinstadtleben nicht mehr gewöhnt, ab und zu brauchte sie etwas Aufregendes.
„Nichts berühmtes“, sagte Aimee mit Verschwörerstimme, „aber ich sag’s dir wirklich nur, wenn du mir versprichst, den Mund zu halten.“
Aimee genoss es, Julias ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben, endlich der Ballkönigin der Stadt etwas den Rang abgelaufen zu haben und nur ganz kurz kam ihr in den Sinn, dass Julia vielleicht doch den Mund nicht hielt und sich das Schneeballsystem einschaltete und es innerhalb von Stunden durch die ganze Stadt ging.
Dann, ging es ihr durch den Kopf, hätte Rick wirklich einen Grund, mich umzubringen.
Julia wollte noch mehr davon hören und darüber hinaus vergaß Aimee ihre Bedenken sofort wieder. Das Gefühl, bei Julia Dustman hoch im Kurs zu stehen, war zu überwältigend.
Als sie am frühen Morgen auf dem Weg nach Hause waren, bot Sammy Joe ihr an, wieder bei ihr zu übernachten, aber Aimee lehnte ab.
„Ich will euch doch nicht stören“, sagte sie.
Neben ihnen an der Straße hielt ein Jeep, jemand rief, ob sie ein Taxi bräuchten und als Aimee in den Wagen hineinsah, erkannte sie Dash.
„Ich fahr mit dir“, sagte sie, drehte sich um und meinte: „Wir sehen uns zum Frühstück.“
„Was ist mit euch?“ rief Dash aus dem Wagen heraus.
„Das Stück gehen wir zu Fuß.“
Sammy Joe winkte mit der linken Hand und kicherte, als Dash den Jeep nach hinten schießen ließ, bevor er davonbrauste. Sie konnten Aimee auf dem Beifahrersitz quieken hören.
„Er ist total geschädigt“, erklärte Sammy Joe, „das war gar nicht seine Jacke, die er anhatte. Ich wette, er hat sich wieder irgendeine geschnappt, die ihm gefallen hat. Das macht er jedes Mal. Dann kann man ihm wochenlang hinterherlaufen, um seine Sachen wiederzubekommen.“
„Ich wär jetzt gern zu Hause.“
„Von welchem zu Hause sprichst du?“
„Wo’s warm und dunkel und still ist“, sagte Rick.

Natürlich konnte Julia den Mund nicht halten. Sie versuchte es, aber schon beim gemeinsamen Mittagessen im Haus ihrer Eltern erzählte sie es. Neuigkeiten brannten ihr immer unter den Nägeln, außer, wenn es schlechte Neuigkeiten waren und sie persönlich betrafen, dann behielt sie alles gern für sich. David schien nicht überrascht über diese Information, ihr Vater reagierte erbost, dass so jemand frei in seiner Stadt herumlief und Julia fand es komisch, dass er immer von ‚seiner Stadt’ sprach.
„Ich habe ihn gestern im Ballroom gesehen“, sagte David, „wenn ich das frühe gewusst hätte, hätte ich ihn sofort festgenommen. Möglicherweise hat er sogar seine Kaution verfallen lassen und ist auf der Flucht vor Kopfgeldjägern. Ich werde das an Overturf weitergeben.“
„Aber sag ihm nicht, dass du es von mir hast“, bat Julia, „ich sollte es niemandem sagen.“
„Ich reiß dich doch nicht rein, Schwester“, erwiderte David so gönnerhaft, dass Julia sich fast darüber ärgerte.
„Ich rede mit dem Sheriff“, sagte David an seinen Vater gewandt.
„Nein“, widersprach Dustman, „das übernehme ich.“
Julia ging in ihr Zimmer, um ein paar Bücher zu wälzen, aber in Wirklichkeit dachte sie nur daran, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
Warum hatte sie ihren Mund nicht halten können? Auf der anderen Seite – Aimee hatte es garantiert auch noch anderen erzählt und die würden es auch weitergeben, also brauchte sie sich keine Gedanken zu machen, dass es herausgekommen war, dass der Sheriff es praktisch von ihr persönlich erfahren hatte.
David würde den Mund halten und sie könnte alles abstreiten. Alles abstreiten und die Unschuldige zu spielen kam ihr sehr bekannt vor und auch das Gefühl, sich im Inneren dafür zu schämen, so sehr zu schämen, dass man am liebsten im Erdboden versunken wäre, und sie versuchte nicht mehr daran zu denken.
Das ist Schnee von gestern, dachte sie, das ist vorbei und überstanden.

Rick ging ins Diner. Es war ein wundervoller früher Vormittag mit strahlend blauem Himmel und eisiger Luft, ein idealer Tag, um irgendetwas zu unternehmen. Eine Gruppe Touristen am Nebentisch unterhielten sich darüber, ob sie in die Berge wollten, um ihre Skier an einsamen Hängen auszuprobieren. Vermutlich würden sie noch eine Lawine auslösen und alle darin umkommen, diese albernen Pistenclowns.
Rick hatte sich noch immer nicht rasiert und sein verfärbtes Haar unter einer Baseballkappe versteckt. Er konnte die Bedienung kaum verstehen, als er seine Bestellung aufgab, weil seine Ohren von der lauten Musik letzte Nacht noch immer pfiffen.
er dachte an einen Song, den Sophie immer beim Aufräumen und Putzen gesungen hatte.
„...I wish I was in New Orleans, I can see it in my dreams, arm in arm down Burgundy, a bottle and my friends and me…”
Abgefuckter Typ, aber nicht schlecht.
Als er in dem Moment an sie dachte, hätte er seine Seele dafür verkauft, jetzt wieder in New York und bei ihr sein zu können; aber dieses Gefühl hielt nicht lange an – etwa genau so lange wie der Wunsch, sie anzurufen und eine Nachricht für sie zu hinterlassen.
Das Essen war gut, er trank viel Kaffee, um seinen Motor in Gang zu bekommen und hörte, wie am Nebentisch jemand sagte: „Hey, Leute, was ist der Unterschied zwischen einem Skilehrer und einem Skischüler?“
Rick drehte sich um, sah in die Gesichter der Skigruppe und wartete auf die Lösung der Preisfrage. Der Typ, der sich mit beiden Händen auf den Tisch zwischen ihnen abgestützt hatte und fröhlich in die Runde sah, kam Rick bekannt vor, aber er konnte ihn nicht sofort einordnen. Er sah irgendwie britisch aus; wie ein Schauspieler von der Affeninsel, der den Sprung nach Hollywood geschafft hatte, ein schmaler Typ, dem kurzes Haar immer am besten stand, mit großer Nase (was die Mädchen wohl Zinken nennen würden) und der verrückt genug aussah, dass man ihn im Ernstfall in Ruhe ließ, anstatt sich ihn zur Brust zu nehmen.
Er sah aufmerksam in die kleine Runde und sagte dann mit einer Stimme, als würde er den Sinn des Lebens verraten: „Drei Tage.“
Die Skifahrer lachten nicht, sie verzogen nur die Gesichter zu einem müden Lächeln. Dash stolzierte wie ein Pfau von dem Tisch weg, breit grinsend und sagte, als er an Ricks Tisch vorbeikam: „Hi, Killer.“
Rick hielt das für einen Scherz, aber auch er lachte nicht darüber.
Es ist kein Scherz, Ricky. Er meint es so, wie er es gesagt hat.
„Sprichst du mit mir?“ erwiderte Rick, legte die Gabel beiseite, obwohl er gerade bei dem Spiegelei angelangt war, seinem Favoriten, und sich dabei nur ungern unterbrechen ließ. Dash machte eine Halbdrehung mit ausgebreiteten Armen (der ist stoned, dachte Rick), kam zurück und setzte sich zu ihm.
„Woran erkennt man einen...“, begann er und Rick unterbrach ihn sofort.
„Seh ich aus wie’n Idiot?“
„Oh – jemand aus der Fraktion der humorlosen Zeitgenossen.“
„Ich will nur nicht von dir verarscht werden, Dash.“
Dash grinste noch immer, aber schon längst nicht mehr so infernalisch.
„Okay“, sagte er, „was dagegen, wenn ich hier bei dir meinen Kaffee trinke? Bei Kaffee geht’s mir wie mit Bier. Ich trinke beides nicht gern allein.“
„Kein Problem.“
Beim näheren Hinsehen war Dash nicht stoned oder blau, es war seine Art, den Alltag in Angriff zu nehmen. Er trank den Kaffee schwarz, hielt die Tasse in der rechten und reichte die linke Hand über den Tisch.
„Meine Eltern haben mich sofort nach meiner Geburt für alle nachkommenden Katastrophen bestraft. Sie haben mich Dashiell genannt, nach irgendeinem Krimischreiber, den heute keiner mehr kennt. Nenn mich Dash und bleib dabei.“
Rick schüttelte die ihm hingereichte Hand.
„Rick Scanlon“, sagte er.
„Ich weiß. Ich hab dich mit Sammy Joe gesehen.“
Rick konnte sein Frühstück beenden und bekam einen Vorgeschmack auf Dash’s seltsame Art; er quatschte ununterbrochen, kam von einem Thema zum nächsten, wusste nicht mehr, wo er angefangen hatte und stieg auf etwas ganz anderes um. Er behauptete, als Kind den Mund nicht aufgekriegt zu haben und müsse jetzt alles nachholen. Erträglich war er nur, weil er nicht erwartete, dass ihm jemand zuhörte oder Kommentare gab, er dudelte vor sich hin wie ein vergessenes Radio.
„Ich hasse es, mit nassen Haaren ins Bett zu gehen. Man legt sich hin und hat die kalten nassen Fransen im Nacken und das Kopfkissen wird klamm und irgendwann fängt es an zu stinken und am Morgen sehen die Haare aus wie die von Tom Waits.“
„Was?“ machte Rick.
„Was was? Haare oder Tom Waits?“
„Ouah, Waits. Ich kenne jemanden, der auf ihn steht.“
„Waits Songs sind ein Gottesgeschenk“, sagte Dash sehr ernst, „er mag es vielleicht selbst nicht glauben, aber es ist so. Die Engel bürsten sich im Himmel ihre Flügelchen und singen shiver me timbers. Das hab ich gesehen, als ich mit zehn die Finger in einer Steckdose hatte und in die nächste Ecke geflogen bin.“
Er machte das Zeichen vor seiner Brust, dass er tot umfallen möge, solle er nicht die Wahrheit gesprochen haben.
„Ich hab ihn mal vor Jahren in einem Irish Pub getroffen“, erwiderte Rick belanglos. Dash verlor etwas die Farbe im Gesicht und seine Stimme wurde weinerlich.
„Erzähl mir keinen Scheiß.“
„Er saß neben mir an der Theke und machte irgendeinen Blödsinn mit den Bierdeckeln, kritzelte die ganze Zeit auf den Dingern herum, dass man sie ihm am liebsten aus der Hand gerissen hätte. In dem Pub bekam man das beste Guinness in der Gegend. Er sah etwas seltsam aus, soff sich langsam zu und quatschte mit den Leuten. Er fragte mich, was ich mache und ich sagte: ‚Wenn du raus kommst und dein Wagen ist weg, dann weißt du’s.’ Schräge Lache – ehö-ehö-ehö. Und dann hab ich zum Barkeeper gesagt, er soll ihm kein Kleeblatt ins nächste Guinness zapfen sondern ein ‚beiß mich’.“
„Wie hat er reagiert?“ Dash vergaß für einen Moment seinen Hyperantrieb.
„Wer? Waits oder der Barkeeper? Schon gut... Waits hat nur gegrinst und mir das nächste stout spendiert. Dann ist er aufgestanden, hat seine Bierdeckel genommen und ist verschwunden. Das muss so um die Zeit gewesen sein, als er wirklich noch gesoffen hat.“
Dash kaufte ihm diese Geschichte ab, weil sie nicht übertrieben klang und es wirklich passiert sein konnte – in New York City war alles möglich, Tom Waits hatte dort gelebt und war dort sicher auch durch die Bars gezogen; Dash konnte es förmlich vor sich sehen und seufzte darüber.
„Ich wünschte, er würde mal hier auftauchen, um einen Winterurlaub zu verbringen.“
Rick beendete sein Essen mit einer Zigarette.
„Musst du irgendwohin? Ich hab meinen Jeep draußen, ich kann dich mitnehmen.“
„Motorisierter Irrer, was?“
„Verklag mich“, schlug Dash grinsend vor.
„Ich muss nirgends hin, frei wie ein Vogel, wenn man von der gesperrten Straße absieht.“
„Schon in den Bergen gewesen?“
Rick warf einen mitleidigen Blick zu der Skigruppe hinüber und Dash sagte: „Nicht so. Ich meine richtig. Mein Bruder hat eine Hütte dort oben, es führt nur ein schmaler Weg dort hin durch den Wald, den Dustman am liebsten abholzen würde, um dort einen Skilift zu bauen, aber zum Glück kann er das nicht, weil das Gelände nicht ihm gehört, jedenfalls hat mein Bruder eine Hütte und von dort hat man den heißesten Blick auf Ouray und die Berge. Sie hat sich den Arm gebrochen und ich helf ihr bei ein paar Dingen.“
Rick runzelte die Stirn. „Sie hat sich den Arm gebrochen?“
„Ist vom Pferd gefallen. War’n Scherz. Sie ist auf dem Eis ausgerutscht.“
„Sie, dein Bruder?“
„Die Frau von meinem Bruder. Der Scheißkerl hat sich aus dem Staub gemacht und sie lebt allein dort oben. Hast du Lust mitzukommen?“
Um ihm zu folgen, muss ich meinen Verstand schneller werden lassen, sonst steh ich wieder auf dem Schlauch, wenn er Geschichten nur halb erzählt.
Der Jeep stand in der Seitenstraße des Diners, ein rostiges altes Ding, das nicht so aussah, als würde noch alles funktionieren und Rick hatte Recht mit dieser Vermutung. Die Heizung war kalt wie eine katholische Nonne.
Dash musste schreien, um das Motorengeräusch zu übertönen.
„Die Heizung springt erst nach einer Weile an, aber du kannst einen drauf lassen, dass uns dann warm wird.“
Sie nahmen den Angel Creek in die Berge, durchquerten die Nadelwälder, bahnten sich einen Weg durch Gestrüpp und Büsche im Winterschlaf, die kaum genug Platz für den Wagen ließen. Rick sah einige aufgescheuchte Rehe davonspringen, hielt sich im Inneren des Jeeps fest wo er nur konnte, weil Dash wie ein Berserker den Trampelpfad hochraste.
„Du wirst sie mögen, sie ist ein wenig schüchtern, aber sehr nett. Ich verstehe meinen Bruder bis heute nicht, dass er sie sitzengelassen hat. Er hat sich nach Montana abgesetzt, als wenn es dort besser wäre als hier bei uns.“
Die Hütte stand auf einer kleinen Lichtung, wie hingezaubert und vergessen, auf dem Dach lag eine dicke Schneedecke, die bei Tauwetter mit einem einzigen Getöse herunterrutschen würde. Das Blockhaus hatte nur eine Etage, kleine viergeteilte Fenster und direkt nebenan lag eine eingezäunte Fläche, die wohl außerhalb der Schneesaison der Garten war. Der Ausblick auf den Hang hinunter und auf Ouray war so, wie Dash es versprochen hatte. Rick pfiff durch die Zähne. Dash betätigte gleichzeitig Hupe und Bremse und sofort antwortete eine tiefe energische Hundestimme. Rick dachte an die Köter in der Bar und wäre am liebsten im Wagen sitzen geblieben.
„Sie heißt Mildred, aber nenn sie um Himmels willen nicht so. Wir sagen alle Manda zu ihr. Und pass auf, dass Lobo dich nicht anspringt.“
Sich von einem Hund, der ‚Wolf’ genannt wurde, nicht anspringen zu lassen, machte Rick noch misstrauischer, als er eh schon war, aber Dash stieg einfach aus dem Wagen, knallte die Tür zu und wartete darauf, dass er nachkam.
Sei kein Hasenherz. Dash wird schon dazwischen gehen, wenn er versucht dich aufzufressen.
Das warnende Blaffen und Bellen hatte die ganze Zeit nicht aufgehört, es kam näher, als wäre der Hund irgendwo hinter dem Haus und käme jetzt nachsehen, welche Gäste er begrüßen dürfe. Rick war kaum ausgestiegen, hatte sich nach allen Seiten umgedreht, als ein langhaariges Geschoss um die Hütte herum direkt auf ihn zugerannt kam.
Lobo, dachte Rick.
Genauso sah der Hund aus, wie ein Wolf mit langem schwarzen Fell, einem Wolfsgesicht und hellen Huskyaugen, die wie runde Scheinwerfer aus seiner dunklen Maske leuchteten. Die Ohren hatte er wie Fledermausflügel seitlich an seinem Kopf stehen, was ihn absurd aussehen ließ, aber seine Absicht, dem Fremden an den Hals zu springen, wurde davon nicht gemindert.
„Lobo!“ rief Dash und lenkte den Hund von Rick ab, der blinzelnd dastand und nicht zu atmen wagte. Lobo blaffte noch einmal, um den Punkt zu setzen, trabte dann zu Dash hinüber, der in die Hocke ging und ihm den Rücken klopfte.
„Guter Hund, guter Lobo“, flüsterte er, „sieh mal, wer ist denn da? Geh mal Hallo sagen.“
Kann verzichten, wollte Rick antworten, als Lobo sich seiner erinnerte, auf ihn zugaloppiert kam und ihm mit einem Satz die Vorderpfoten in den Unterleib stemmte, bevor er es verhindern konnte. Rick packte den Hundekopf mit beiden Händen, hielt ihn fest und dankte Gott, dass er nicht größer als eins achtzig war – dann hätte Lobo ihm genau in die Eier getreten. Er machte ein gequältes freundliches Gesicht, hielt den Hund fest und versuchte, ihn von sich wegzubekommen, aber das war gar nicht so einfach.
Er bekam nur im Augenwinkel mit, dass die Tür der Hütte aufging und jemand aus dem Türrahmen heraus rief: „Wieso kommst du nicht rein, Dash? Wartest du auf ’ne schriftliche Einladung?“
Manda war eine große kräftige Frau, entweder stand Dash’s Bruder auf ältere Frauen oder Dash war der weitaus jüngere der beiden; sie mochte älter als Rick sein, aber das war etwas, was Rick ihr nicht sagen würde, natürlich nicht. Sie trug ein dunkelblaues Sweatshirt mit weißer Aufschrift ‚The Only Substitute For Good Manners Is Fast Reflexes’, ihr rechter Arm war in Gips und hing in einer Schlinge, ihr Haar war zu einem losen Knoten im Nacken zusammengebunden. Mit einem kurzen Pfiff orderte sie Lobo zu sich, der an ihr vorbei im Haus verschwand.
„Der alte Stinker hat einen Faible fürs Eierkicken“, sagte sie munter an Rick gewandt.
Kein Zweifel, die Frau war schüchtern.
„Gibt schlimmeres. Ich bin Chucks Hunden begegnet“, erklärte er, „ich bin Rick, Dash hat mich eingeladen.“
„Er spekuliert darauf, dass er die Arbeit dann nicht allein machen muss“, sagte Manda grinsend und Dash protestierte sofort.
„Kommt erstmal rein.“
Hexenbude war das erste, was Rick einfiel. Überall stand Nippes und esoterischer Kram herum, kleine bunte Kerzen, Duftlampen und Öle, Windspiele und Dreamcatcher hingen von der Decke, die Deckenlichter verbreiteten gerade so viel Helligkeit, dass man nicht auf den Hund trat, der sich mitten auf den bunten Teppich gelegt hatte.
„Trinken wir einen Tee“, sagte Manda, rief dann aus der Küche, „Was hat dich nach Ouray verschlagen, Rick? Snowboarding?“
Rick wechselte einen vielsagenden Blick zu Dash hinüber und grinste. Sie nahmen auf dem Sofa Platz, mussten dazu eine ganze Ladung Kissen und Decken beiseite schieben.
„Nee“, sagte Rick, „ich bin hier nur einfach hängengeblieben.“
„Genauso ging’s mir auch. Wo kommst du her?“
Wenn ich ein Geheimnis daraus mache, wird jeder neugierig und dann wird’s erst interessant, wo ich herkomme.
„New York.“
Manda brachte ein Tablett mit drei Tassen und einer bauchigen Teekanne aus weißem Porzellan herein.
„New York City oder State?“ wollte sie wissen.
“Ich bin viel rumgekommen, New York, New Jersey… für mich spielt es schon keine Rolle mehr, wo ich genau zu welcher Zeit war.”
„Ich bin ursprünglich aus Baltimore. Das letzte Mal war ich dort, als ich meinen Vater beerdigt habe. Zucker?“
Dash hatte sich bereits zwei Stück in die kleine Tasse getan, ungeniert die Finger benutzt und rührte klimpernd in dem Tee herum, als wolle er das Porzellan von innen abschlagen. Der Tee roch sehr herb, deshalb nahm Rick auch zwei Stück Zucker. Nach dem ersten Schluck begann seine Nase zu laufen, nach dem zweiten ließ der bittere Nachgeschmack auf der Zunge nach und danach wurde es besser.
„Tee wird noch immer unterschätzt“, erklärte Manda.
„Du kriegst noch ’ne zweite Tasse, wenn du mir nachher draußen hilfst“, sagte Dash.
Es konnte nicht schlimmer werden als alles andere, was ihm bisher in Ouray passiert war.
Manda und Dash plauderten munter, wie sich nur Menschen unterhalten konnten, die sich bereits lange kannten; Rick schwieg und nahm sich eine Auszeit.
Lobo legte sich an Mandas Füße, wo er wieder einschlief und sie es nicht übers Herz brachte, ihn wegzuscheuchen – er roch furchtbar nach nassem Hund.
„Die Hütte hier ist sehr alt, aber ich bin froh, dass ich hier bleiben kann. Sie gehört noch immer Dash’s Familie und sie waren sehr freundlich, dass sie mich hier wohnen lassen. Ich muss nicht mal was dafür bezahlen. Mit dem ganzen Viehzeug wäre ich nie zurück nach Baltimore gekommen.“
Dash fragte, wann der Gips runterkäme und sie klopfte mit den Knöcheln der anderen Hand darauf.
„Zwei Wochen, dann hast du wieder Ruhe vor mir.“
Rick vermutete, dass es der Tee war, der ihm den Schweiß aus den Poren trieb, er zog sich die Jacke aus und krempelte sich die Ärmel des Hemdes hoch, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Manda sagte, sie wolle ihnen etwas zu essen machen, aber vorher müssten die Jungs sich das Essen verdienen und Dash erhob sich seufzend.
„Arbeit, die getan werden muss“, sagte er.
Durch die schmale Hintertür, die aus der Küche herausführte und bei der Rick den Kopf einziehen musste, gelangten sie hinter die Hütte und es war erstaunlich, was dort alles auftauchte. Direkt an die Rückwand der Hütte war eine Art Windschutz gebaut, zu drei Seiten und nach oben dicht verschlossen, an der Frontseite nur durch Pfähle gehalten. Dort standen zwei Ponys, kleine kräftige Tiere, kaum größer als nichtsnutzige Rasenmäher, einer braun, der andere rot, beide trugen graue schmutzige Decken mit Gurten unter den Bäuchen. Sie hoben die Köpfe und sahen Dash und Rick neugierig entgegen, der Unterstand schützte sie vor Schnee, Wind und Regen, aber die Spuren auf ihrem Paddock bezeugten, dass sie sich auch viel im Freien aufhielten. Weiter hinten, wo die Bäume begannen und das Gelände weiter anstieg, waren Strohballen gelagert, die blauer Plastikplane zugehängt.
„Dreimal darfst du raten, was wir jetzt vorhaben“, sagte Dash.
„Pferdescheiße“, erwiderte Rick trocken.
„Bingo.“
Sie bewaffneten sich mit Mistgabeln und Schaufeln, Dash holte eine rostige Schubkarre und als er sie in dem Unterstand abstellte, kam der Braune herangeschlendert und steckte die Nase hinein.
„Das sind Yankee und Zulu. Die sind freundlich, steck nur nicht die Hände in die Taschen, dann denken sie, sie bekommen was zu fressen und dann wirst du sie nicht mehr los.“
In dem Unterstand lag einen halben Meter hoch das alte Stroh und der Pferdemist, war teilweise angefroren und musste mit Gewalt vom Boden gelöst werden.
Sie wollten die Pferde nach draußen auf das Paddock scheuchen, aber die beiden sahen sie nur schräg an, als sie mit den Armen wedelten und ‚hey hey’ riefen. Dash hob den Zeigefinger und meinte: „Pass auf, was jetzt kommt.“
Er verschwand um die Ecke. Rick behielt die Ponys im Auge und als er Dash hinter sich zurückkommen hörte, legten Yankee und Zulu die Ohren in die Nacken und trabten bis in den hintersten Winkel des Paddocks. Im knietiefen Schnee hinterließen sie eine einzelne schmale Furche. Zulu war seinem Kollegen einfach Nase an Schweif hinterher gerannt.
Rick drehte sich um, Dash hielt einen Sattel in die Seite gestützt, der zu schwer war, um ihn einfach mit den Händen zu halten.
„Vor dem Sattel türmen sie jedes Mal“, sagte er zufrieden.
Als sie den Unterstand sauber hatten, luden sie frisches Stroh auf die Karre, trieben die Ponys vor sich her zum Haus zurück und verteilten das Stroh, dass es überall gleichmäßig auslag. Ricks Rücken protestierte und knackte, wenn er sich bückte und seine Klamotten waren mit feinem Staub aus dem Stroh überzogen, gesprenkelt mit Flecken aus Pferdescheiße.
„Müssen wir sonst noch was erledigen?“
„Reicht dir das noch nicht? Hey, wie hat sich das eigentlich abgespielt in New York?“
„Wovon redest du?“ Rick stemmte die Hände in die Seiten und versuchte, einen geraden Rücken zu machen, aber das tat auch schon weh. An seinen Handflächen hatte er dicke Blasen, die sich mit Wasser gefüllt hatten.
„Komm schon. Ich werd's keinem verraten. Ich bin nur noch nie jemandem begegnet, der so was getan hat.“
„Was hab ich getan?“
„Du bist doch aus New York weg, weil du dort jemanden gekillt hast, oder?“
Hi Killer.
Für einen kurzen Augenblick verschwand alles vor seinen Augen, sein Kopf drohte zu platzen und er war so wütend, dass er seine Beine nicht mehr fühlte. Der Zorn schlug über seinem Kopf zusammen, aber nach außen hin war es nicht zu erkennen.
„Wer hat behauptet, ich hätte jemanden umgebracht?“
„Ooch, niemand. Ich hab es von niemandem direkt gehört, es geht nur das Gerücht um, dass da irgendetwas passiert wäre, aber klar, dass keiner was genaues weiß oder von wem er es hat...“ Dash versuchte seine Haut zu retten, aber Rick wusste längst, wie es gelaufen war.
Sammy, dachte er.
Er hielt noch immer die Mistgabel in der Hand und ein Bild schoss durch seinen Kopf, wie er Dash mit diesen drei Stahlforken an die Bretterwand der Hütte nagelte. Dash glotzte ihn hilflos an, starrte auf die Forke, die in seiner Brust steckte, das Blut tropfte sein Hemd herunter, lief ihm aus Mund und Nase. Seine Augen traten aus den Höhlen und er japste mit geöffnetem Mund nach Luft. Rick blinzelte und die Vision verblasste, sein Blutdruck ging wieder Richtung Normal.
„Ich bin vielleicht’n Arschloch, aber ich bin kein Mörder. Glaubst du, das würde ich jemandem auf die Nase binden, wenn’s so wäre? Noch dazu in einer verdammten Kleinstadt, in der ich festsitze?“
Wie eine Ratte in der Falle.
„Ich dachte, du wolltest jemanden beeindrucken. Sammy Joe, um genau zu sein.“
Dash schien zerknirscht und gleichzeitig lächelte er vorsichtig.
„Wenn ich sie beeindrucken will, zeig ich ihr die Tatoos an den Arminnenseiten und behaupte, das Stechen hätte nicht wehgetan.“
Sie steckten sich eine Zigarette an, betrachteten die Ponys, die deutlich erfreut durch das frische Stroh wateten, einige Halme fraßen und dann dazu übergingen, sich gegenseitig die Mähnen zu kraulen.
„Ich wollte mich nicht wie ein Blödmann aufführen.“
Dash steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und rieb sich die kalten Finger.
„Aber vielleicht weißt du, wie es in kleinen Städten zugeht. Jeder stürzt sich auf das, was die Langeweile durchbricht, egal, was es ist. Ich hätte nicht fragen sollen.“
„Nein“, sagte Rick, „Sammy hätte nicht plaudern sollen, wo sie mich falsch verstanden hat. Ich weiß genau, wie sich Kleinstädte anfühlen. Man hat immer Scheiße an den Schuhsohlen kleben.“
Dash legte den Kopf schief und zog geräuschvoll die Nase hoch.
„Was hat sie falsch verstanden?“
„Nicht hier draußen bei kalten Füßen.“
Sie traten die Kippen aus, räumten das Gerät weg und gingen wieder hinein, um nachzusehen, wie weit Manda mit einem Arm mit dem Essen war. Sie hatte Salat und Steaks gemacht, sie setzten sich an den Tisch in der Küche, unter einem überdimensionalen Portrait von Charles Bukowski, wie er in Unterhosen an einem Computer saß und an einer neuen schmutzigen Geschichte arbeitete. Obwohl sein Blick auf den Bildschirm gerichtet war, hatte Rick das Gefühl, als würde er sie alle beobachten.
Vielleicht schreibt er da über uns, dachte er.
Manda erzählte von den Ponys da draußen, sie hörten ihr aufmerksam zu, aber Rick spürte, dass Dash nur auf eine Pause lauerte, um seine Frage zu stellen.
Die Steaks waren ausgezeichnet, besser als alles, was Rick in den letzten Monaten zu sich genommen hatte und es gefiel ihm, was er über die Ponys hörte.
„Als John noch hier war, sind wir oft durch die Gegend gefahren, um alten Plunder zu kaufen, nicht hier in Colorado, wir sind dazu bis nach New Mexico gefahren. Wir sind viel unterwegs gewesen, bevor alles in die Brüche gegangen ist. Irgendwo in Montana sind wir bei einer Auktion hängen geblieben und da stand eine kleine Herde Ponys, die so heruntergekommen waren, dass sich nur die Einkäufer von den Schlachtereien für sie interessierten. Es brach mir das Herz, diese abgemagerten und traurigen Tiere zu sehen und ich habe nachgesehen, wie viel Geld ich dabei hatte. Diesen Händlern kann man nur mit Bares kommen, da zählen keine Schecks und Kreditkarten. Ich redete mit dem Händler und er sagte, ich könne mir zwei Ponys aussuchen. Das waren nicht exakt seine Worte. Er spuckte auf den Boden und sagte: ‚Lady, nimm dir zwei von diesen mottenzerfressenen halbtoten Viechern. Für zwei reicht dein Geld’. Ich bin in der Herde herumgelaufen und habe versucht, eine Entscheidung zu treffen.“
Manda machte eine komische hilflose Geste bei dieser Erinnerung.
„Ich wusste nicht, welche zwei ich nehmen sollte, sie sahen alle gleich furchtbar aus. Einige hatten eitrige Wunden am Körper, einige hinkten auf drei Beinen. John wollte mir die Entscheidung nicht abnehmen, er meinte, es sei mein Geld, also müsste ich auch meine Ponys aussuchen, wenn es sein musste. Er sagte nur etwas, was mich zu einer Entscheidung kommen ließ. Er sagte: ‚Such dir zwei aus, die du nicht nächste Woche vom Tierarzt einschläfern lassen musst’ und damit hatte er natürlich recht. Ich konnte sehen, dass die meisten Ponys einfach am Ende waren, chronisch lahm und nicht zu retten, zu alt, um ihnen noch helfen zu können. Also hab ich die zwei genommen, die jünger waren und keine sichtbaren Verletzungen an den Beinen hatten. Der Braune hatte ein Hautekzem, dadurch hatte er sich Mähne und Schweif abgeschubbert und sein Rücken war eine einzige wunde Stelle. Der Rote war noch ein halbes Fohlen und so klapperdürr, dass ich annahm, dass er voller Würmer war. Ich nahm die Beiden. Ich legte ihnen Halfter an und holte sie aus der Herde, sie folgten mir wie zwei Hündchen, John sagte, es seien die allerletzten und deshalb habe ich sie Yankee und Zulu genannt. Da stand ich dann mit zwei Ponys und hatte nicht den leisesten Schimmer, wie ich sie nach Hause bringen sollte.“
Sie räumte die Teller ab und fragte, ob jemand einen Kaffee wollte. Sie wollten. Dash sah seine Chance, endlich seine Frage loszuwerden.

Sheriff Norman Overturf hatte seinen Schreibtisch mit Akten und Büchern überladen, dazwischen standen Kaffeetassen und die Reste seines Lunches, den er sich aus dem Diner hatte kommen lassen. Wenn er geahnt hätte, dass Dustman auftauchen würde, hätte er ein wenig Ordnung gemacht, aber dazu war es zu spät. Der alte Dustman kam mit Neuigkeiten.
„Nein, wir haben ihn nicht überprüft“, sagte Overturf ungehalten, „es war nicht abzusehen, dass er in Ouray bleiben würde und außerdem – wissen sie, was es uns kosten würde, wenn wir bei dem Verdacht die Akten anfordern? Nur, weil ein schwarzes Schaf darunter sein könnte?“
„Sheriff, sie nehmen das doch nicht etwa auf die leichte Schulter? In unserer Stadt läuft ein Mörder frei herum, von dem sie nicht wissen, wo er ist und was er gerade macht.“
„Ich nehme gar nichts auf die leichte Schulter.“
Sheriff Overturf hatte Dustman den Stuhl vor seinem Schreibtisch angeboten, um sich mit ihm zu unterhalten, aber mittlerweile wünschte er, er hätte ihn irgendwo draußen stehengelassen.
„Und nur, weil irgendjemand dieses Gerücht in die Welt gesetzt hat...“
„Was werden sie unternehmen?“
„Muss ich das mit ihnen absprechen, Sir?“ fragte der Sheriff so freundlich wie er nur konnte, lehnte sich seitlich in seinen Schreibtischstuhl und tat so, als würde er etwas an seinen Schuhen kontrollieren. Niemand konnte ihm nachsagen, dass er unfreundlich gewesen wäre – es war nur eine höfliche Frage, die er gestellt hatte. Dustman kam fast der Qualm aus den Ohren, er rauschte einmal durch das Büro, bevor er sich Overturf zuwandte, warnend auf ihn deutete und ohne ein Wort verschwand.
Das ging mir fast zu glatt, dachte Overturf, betrachtete seine Schuhe mit müßiger Ruhe, er hätte mich normalerweise auseinander genommen.
Herbert war in Ouray unterwegs, er funkte ihn an und sagte: „Sieh zu, dass du Scanlon findest und sofort herbringst. Die Betonung liegt auf sofort, Herb.“
„Was ist passiert?“ quäkte Herberts Stimme aus dem Lautsprecher.
„Das hörst du, wenn ihr hier seid.“
Herbert wartete, bis Overturf das Funkgerät ausgeschaltet hatte und äffte seinen Boss nach, deutete dabei mit einer winkenden Hand aus dem Wagenfenster und grüßte einen der Oldtimer, der sich vorbeiquälte und bei jedem Schritt Angst hatte zu stürzen.
„Herb, du bist nur ein dummer Deputy, du musst das nicht wissen. Niemand bezahlt dich dafür, das du Kopfarbeit leistest. Schnapp dir Scanlon und bring ihn heim. Danke, Sheriff. Irgendwann werde ich von so einem Penner umgebracht und dann heißt es: Herb hätte wissen müssen, wie gefährlich der Kerl war, ich hab’s ihm doch so oft gesagt.“
Der Oldtimer, der noch die gute alte Zeit der Erzförderung und Holzwirtschaft erlebt hatte, wunderte sich darüber, dass Deputy Herbert ausschweifende Selbstgespräche führte, schüttelte den Kopf und mühte sich weiter nach Hause.
Herbert hatte Scanlon schon vor Stunden aus den Augen verloren, als er seinen Posten verlassen hatte, um sich ein Sandwich zu holen. Das war zu dem Zeitpunkt nicht tragisch gewesen, denn Scanlon hatte nichts ausgefressen und so überwachte er ihn nicht vierundzwanzig Stunden; es waren eher fünf Stunden am Tag, an denen er wusste, wo er war.
Wo soll ich anfangen? dachte Herbert, er war bei dem Mädchen, aber die hab ich vorhin beim Shopping gesehen. Also, wo steckt er?
Herbert dachte an die eingeworfene Schaufensterscheibe, aber das konnte jeder gewesen sein. Wo sich die Jugendlichen in Scharen herumtrieben, ging immer irgendetwas zu Bruch. In seinem Dienstwagen fuhr Herbert durch Ouray, hielt die Augen offen und hoffte, Rick würde ihm einfach über den Weg laufen – dazu war die Stadt klein genug.
Prinzip Zufall, dachte er, entweder es klappt oder es klappt nicht. Wenn nicht, lass ich mir was anderes einfallen.
Er schob eine seiner Musikcassetten ein und sang halblaut zu der Musik aus den Sechzigern, das war noch richtige Musik, das war’s, was er mochte und hören wollte. Alles andere war in seinen Ohren nur gut bezahlter Krach.
Er kurvte durch die ruhigen verschneiten Wohnstraßen, hielt auf einen kurzen Plausch, hörte sich Beschwerden über Nachbarn und unflätige Touristen an, sagte jedes Mal, dass er sich um die Sache kümmern würde. Er wurde bei einigen Gelegenheiten zu einem Kaffee hereingebeten, aber er musste absagen und meinte, er habe etwas Dringendes zu erledigen, wofür er jedes Mal schallendes Gelächter erntete.
In einer Querstraße sah er einen roten und einen schwarzen Schopf, nickte sich selbst zu und fuhr an den Straßenrand, wo er den Wagen abstellte und den Mädchen hinterher trabte.
Wenn Scanlon auch nicht bei ihnen war, wussten sie vielleicht, wo er steckte.

„Was ist wirklich passiert?“
Als diese Frage an ihn gestellt wurde, war ihm die Unruhe anzusehen, selbst noch, als er behauptete, es sei nichts weltbewegendes gewesen und er könne sich kaum noch daran erinnern, so lange sei das schon her. Aber es war offensichtlich, dass er log. Manda blieb stumm, legte nur den Kopf schief und schloss für einen Moment die Augen, als wolle sie etwas in ihrem Inneren erkunden. Rick wäre stumm geblieben nach diesen Ausflüchten, hätte Dash nicht gesagt: „Es ist dein gutes Recht, es für dich zu behalten.“
„Ich kann nur nicht jedem davon erzählen, Okay? Ich bin nicht auf der Flucht oder so was, und ich hab nicht mehr ausgefressen als alle anderen auch. Ich war Zeuge bei etwas, an das ich nicht gerne denke. Es macht mir Kopfschmerzen. Sammy Joe hat mich falsch verstanden, weil ich mich nicht klar ausdrücken konnte, dass ich nur dabei gewesen bin, aber ich habe niemanden umgebracht.“
Ich hab euch nicht angelogen, ich kann euch nur nicht die ganze Wahrheit erzählen. Ihr hättet Verständnis dafür.
„Das war hart, was?“ Dash musste irgendetwas sagen, ganz egal was, um sein Unbehagen loszuwerden, denn er konnte sich eine Menge hässliche und schlimme Dinge vorstellen, bei denen man unfreiwillig Zeuge werden konnte. Er hatte Bilder vor Augen, wie eine ganze Familie von maskierten Terroristen abgeschlachtet wurde und nur einer durch Zufall überlebte und nichts ausrichten konnte. Oder es war ein Autounfall gewesen, bei dem das Fahrzeug Feuer gefangen hatte und jemand, den Rick gut kannte, war darin festgeklemmt und verbrannt. Das war sicher schrecklich genug, um nicht darüber sprechen zu wollen.
Draußen polterte etwas heftig gegen die Wand, Rick zuckte zusammen und sah sich um.
„Es ist halb sechs“, sagte Manda, „die Ponys haben Hunger.“
Sie blieb eine viertel Stunde draußen bei ihren Tieren.
„Wenn sie ihr Futter nicht pünktlich bekommen, machen sie auch schon mal die Tür auf und kommen in die Küche“, sagte Dash.
Rick hatte das Gefühl, die gute Stimmung verdorben zu haben und fand es an der Zeit zu verschwinden. Er wollte wieder etwas um die Häuser ziehen, in Bob’s Bar hereinsehen, was trinken und in Ruhe gelassen werden; besonders, seit er wusste, dass Sammy Joe geplappert hatte. Hier bei Manda wurde es ihm zu eng, zu freundschaftlich; es konnte gefährlich für ihn werden, wenn er sich zu heimisch fühlte, dann glaubte er manchmal, die Welt wäre in Ordnung so, wie sie war und es gäbe nur nette und freundliche Menschen überall.
„Dash“, sagte er.
Als Dash ihn fragend ansah, deutete er mit dem Kinn zur Tür.
„Ich will langsam zurück.“
„Okay.“
Er legte sich seine Jacke über den Arm, tastete nach seinen Zigaretten und ging hinüber in die Küche, wo gerade Manda vom Füttern zurückkam. An der kalten Luft hatte sie eine rosige Gesichtsfarbe bekommen.
„Ihr wollt schon los?“
Rick nickte ihr durch den Raum zu, ja, er müsse los.
„Danke noch mal, dass ihr mir geholfen habt. Dash, fahr nicht wieder wie ein Irrer, denk an die glatten Straßen. War nett, dich kennen gelernt zu haben, Rick.“
„Danke für’s Essen.“
Lobo lag schnarchend vor Mandas Sessel und bekam nicht mit, dass sie die Hütte verließen.
Mit dem Einbruch der Dunkelheit war das Thermometer wieder gefallen, der Schnee war zu einer glatten Oberfläche gefroren und es war ein Wunder, dass sie mit dem Jeep überhaupt den Weg sicher zur Straße zurückkamen. Rick blieb stumm während der gesamten Fahrt, hielt den Blick aus dem Fenster gerichtet, um zu sehen, ob Mascot dort draußen war.
Wenn Dash sich hätte unterhalten wollen, wäre er nicht in der Lage gewesen zu antworten, aber Dash hatte genug mit lenken und bremsen zu tun um nicht von dem Weg abzukommen.
Als sie auf der befestigten Straße waren, fiel es Dash erst auf, dass sie kein Wort miteinander gewechselt hatten. Er räusperte sich.
„Wo soll ich dich absetzen?“
Rick reagierte nicht, weil er nur verzögert die Frage wahrnahm und dann wirklich darüber nachdenken musste, wo er hin wollte. Er wusste, wo er hinwollte, aber das war unmöglich, nicht nur, weil er aus Ouray nicht raus kam. Der Weg zurück war ihm versperrt.
„Ich hab keinen blassen Schimmer“, murmelte er, kratzte sich die Bartstoppeln und versuchte, die bleierne Müdigkeit in seinem Kopf loszuwerden.
„Ich brauch irgendetwas zu trinken. Lass mich an der nächsten Ecke raus.“
„Oh-hey“, machte Dash. Er hielt den Jeep mitten auf der Fahrspur, hinter ihm stieg jemand auf die Bremse und fuhr dann laut hupend an ihnen vorbei. Dash sah im Augenwinkel, wie die Fahrerin die Faust nach ihm ballte.
„Ich will mich nicht einmischen, Rick, was immer du auch vorhast, aber pass auf dich auf, Okay? Colorado ist ein trockener Staat und wenn wir die paar Touristen nicht hätten, die auf unsere Berge und unseren Schnee abfahren, gäbe es hier wohl nicht mal Telefon. Wir sehen die Touristen in ihren ultraschicken Klamotten und wie sie hier mit ihrem Geld rumschmeißen und wir bekommen von all dem nichts ab.“
„Was hat das verdammt noch mal mit mir zu tun?“
„Besoffen herumzulaufen kann dich in Schwierigkeiten bringen.“
„Ich wäre froh, wenn’s nur das wäre.“ Rick lachte humorlos, riss die Tür auf und schwang sich nach draußen. Der eisige Wind tat in seinen Ohren weh, Dash fuhr hupend an ihm vorbei und war weg.
Rick wollte Sammy Joe nicht sehen, nicht an diesem Abend, an dem er sich nicht im Gleichgewicht fühlte und er an das dachte, was Mascot zugestoßen war.
Auf dem Weg in Richtung Leuchtreklame hörte er hinter sich seinen Namen, drehte sich um und sah Sammy Joe auf sich zukommen. Sie hob die Hand und winkte, packte den Griff ihrer Tasche fester und lief ihm entgegen, als müsse sie ihm dringend etwas wichtiges erzählen.
Ricks Wut begann im Bauch, in seinen brennenden und flatternden Magenwänden, wanderte hinauf zu seinem Herz, das so zu hämmern begann, dass er es in seinen Schläfen spüren konnte. Die Straße war gut beleuchtet, der Schnee beiseite geschoben, es waren noch einige Passanten unterwegs, die Zeugen der Auseinandersetzung wurden. Einige von ihnen blieben in sicherem Abstand stehen, aber die meisten gingen weiter, weil es sie nichts anging. Sammy Joe lächelte nervös und versuchte es gleichzeitig zu überspielen, ganz wie es ein Kind tun würde, das etwas ausgefressen hatte und es auch genau wusste.
„Ich such dich schon die ganze...“, begann sie, war nicht auf seine wütende Attacke vorbereitet und fühlte sich mit einem Schlag in die Zeit zurückversetzt, als sie noch die unmotivierte Prügel ihrer Mutter hatte über sich ergehen lassen. Rick packte sie am Arm, eine handbreit über dem Ellebogen, riss sie an sich heran und ließ sie nicht zu Wort kommen, als sie zu protestieren versuchte.
„Hast du’s der ganzen verfickten Stadt erzählt? Konntest du dein dummes Maul nicht halten?“ Er schrie nicht, seine Stimme war unterdrückt beherrscht und wütend und diese Wut war noch furcht einflößender, weil er sie unter Kontrolle hatte. Obwohl er fragte, wollte er keine Antwort hören, er tat ihr weh mit seinem harten Griff und scherte sich einen Dreck um die Leute um sich herum.
„Du hättest mich einfacher loswerden können, dazu hättest du nicht jedem erzählen müssen, ich hätte jemanden umgebracht.“
„Rick...“
Er schlug mit der flachen Hand nach ihrem Gesicht, sie riss den freien Arm hoch und duckte sich, dabei verlor sie ihre Tasche, die bis auf die Fahrbahn flog. Rick traf ihre Stirn und ihren Nasenrücken, ihre Schläfe und seitlich ihr Auge, was sofort zu tränen begann. Sie schwankte zurück, den Kopf gesenkt und ohne Orientierung, gleichzeitig stieß er sie von sich weg und ließ ihren Arm los. Fast hätte sie sich auf den Hintern gesetzt, fing sich wieder und stand wie betäubt da.
„Ich habe nur Aimee davon erzählt, weil ich mir Sorgen gemacht habe.“
Das tränende Auge ließ ihre Wimperntusche und Kajal verlaufen. Rick tanzte vor ihr auf und ab, bewegte die Arme, als würde er wieder zuschlagen wollen, hatte den Kopf schief gelegt und erwiderte: „Du hättest mich nur vor die Tür setzen brauchen, verdammt.“
„Aber das wollte ich nicht.“
„Weißt du überhaupt, was du willst?“
„Rick, komm schon.“
„Verschwinde“. Er zeigte auf sie und machte eine wegwerfende Bewegung.
„Lass uns...“
„Verpiss dich endlich.“
Sammy Joe konnte sich nicht bewegen, sie stand nur da, sah ihn an und glaubte, noch nie jemanden so verzweifelt wütend gesehen zu haben. Als sie sich nicht rührte, drehte er sich um und ging einfach davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Es war nicht seine Art, sich für seine Ausbrüche zu entschuldigen, erst recht nicht, wenn die Wut noch in seinen Adern kribbelte. Vielleicht tat er es Tage später, wenn er sie vergessen hatte und einsah, dass es nicht hätte so weit kommen müssen. Dann konnte er darüber reden, aber er würde niemals zu Kreuze kriechen. Sammy Joe bückte sich nach ihrer Tasche, dabei tropfte Blut in den Schnee und sie zog die Nase hoch, hatte sofort den blutigen Geschmack im Hals. Sie sah sich hilfesuchend um, mit blutenden Nasenlöchern, zerlaufenem Make-up und wirrem Haar, aber niemand blieb stehen, um ihr zu helfen.
Ich wollte dir doch nur sagen, dass der Deputy dich sucht, ich wollte dich warnen. Wenn du ihm jetzt in die Arme läufst, ist das wahrscheinlich auch noch meine Schuld.
Sie wollte nicht weinen, aber es passierte trotzdem. Endlich erbarmte sich ihrer jemand, eine Frau blieb stehen, nahm sie am Arm beiseite und fragte, ob sie überfallen worden wäre.
„Ich hatte nur einen Streit.“
„Leg den Kopf in den Nacken, dann hört es schon auf zu bluten. Soll ich dich nach Hause bringen?“ Sie sah Sammy Joe forschend an. „Willst du überhaupt nach Hause?“
Vermutlich glaubte sie, der Mann, der ihr die Nase blutig geschlagen hatte, könnte ihr Mann oder ihr Vater sein und zu Hause bereits auf sie warten.
„Ich will nach Hause. Ich rufe eine Freundin an, dass sie zu mir kommt.“
„Mein Wagen steht auf dem Supermarktparkplatz.“
Sammy Joe war dankbar, dass sich jemand um sie kümmerte, selbst, wenn es eine völlig Fremde war.
Ich habe ihn verraten, ich hätte nicht plaudern dürfen, nur um eine Entscheidung treffen zu können, das hätte ich allein mit mir ausmachen müssen.
Sie fühlte sich krank und schwach, es wurde auch nicht besser, als sie allein zu Hause war.
Zu allem Überfluss konnte sie auch Aimee nicht erreichen, hockte im dunklen Wohnzimmer vor dem Telefon, die Arme um die Knie geschlungen, den Kopf in den Nacken gelegt. Immer wieder tauchte die Frage auf, ob Rick nach Hause kommen würde nach allem, was passiert war.
Sehe ich ihn wieder?
Erst, als das Blut in ihrem Gesicht zu einer Kruste getrocknet war und es ihr auf die Hose blätterte, erhob sie sich aus der Starre und duschte heiß und ausgiebig. Unter der Dusche dachte sie an das Geräusch, was sie mit Deputy Herbert geführt hatte, ein beunruhigendes Gespräch, das sich ausschließlich um Rick gedreht hatte.

„Hey, ihr beiden.“
Aimee und Sammy Joe drehten sich gleichzeitig um, als sie die Stimme hinter sich hörten.
„Ihr habt doch bestimmt einen Moment Zeit für mich.“
Obwohl er sie beide ansprach, fixierte er nur Sammy Joe, blieb dabei so freundlich, dass es schon fast verdächtig war.
„Haben wir was ausgefressen?“ Aimee nutzte den direkten Weg und darüber ärgerte Sammy Joe sich jedes Mal.
„Ich stelle euch nur ein paar Fragen.“
„Okay“, erwiderte Sammy Joe.
Er sieht, dass er mich nervös macht. Ich weiß nicht, wo er steckt, aber er wird mir das nicht glauben, er denkt, ich stecke mit Rick unter einer Decke.
„Kennt ihr Rick Scanlon?“
„Klar kenn ich ihn.“
Gottlob hielt Aimee ihren Mund.
„Es ist mir ganz gleich, was da zwischen euch läuft und das ist auch nicht wichtig. In Ouray sind Gerüchte im Umlauf und ich würde Scanlon gerne fragen, was er uns dazu zu erzählen hat. Nur leider ist er wie vom Erdboden verschluckt. Habt ihr eine Idee, wo ich ihn finden kann?“
„An diesen Gerüchten ist überhaupt nichts dran, glauben sie mir. Das ganze war nur ein großes Missverständnis.“
„Und es war mein Fehler“, setzte Aimee bekräftigend hinzu, aber Deputy Herbert beeindruckte das nicht.
„Tatsache bleibt, dass ich ihn sprechen muss und wenn ihr wisst, wo er sich aufhält, ist das jetzt die passende Gelegenheit, es loszuwerden.“
„Ich weiß es nicht.“
„Ich auch nicht.“
„Er wird irgendwo was trinken.“
Er wird sich nach allen Regeln der Kunst vollaufen lassen.
Wie konnte Sammy Joe nur an so einen Typen geraten, der sie in Schwierigkeiten brachte. Nicht genug, dass ihre cholerische Mutter sie immer geprügelt hat.
Herbert seufzte. Sein alter Herr hatte ihn als Kind auch oft genug windelweich geprügelt und seine Mutter war nichts Besseres dazu eingefallen, als zu sagen: ‚Du bist es auch selber Schuld, wenn du deinen Vater bis aufs Blut reizt’. Manchmal hatte er nichts weiter getan als sein Rad auf der falschen Seite in die Garage zu stellen und schon hatte er sich eine Tracht Prügel eingefangen. Das ganze hörte erst auf, als sein Dad schwer krank wurde und für die Schläge nicht mehr die Kraft aufbringen konnte. Herbert hatte sich lange um ihn gekümmert, ihn versorgt und spazieren gefahren, ihm ins Bett und auf die Toilette geholfen. Ab und zu versuchte der alte Mann noch ihn zu schlagen, wenn etwas nicht so lief wie er es wollte, aber er war schon so schwach, dass Herbert ihm mühelos ausweichen konnte und ihn einfach ignorierte. Als sein Vater starb, war Herbert nur froh, dass er es hinter sich hatte, für Trauer war kein Platz mehr.
„Wenn er sich bei mir meldet, sag ihm, dass ich ihn sprechen will und wenn ich ihm nachlaufen muss, hat er schlechte Karten.“
 
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Sammy Joe muss für Aimees Geschwätzigkeit büßen, dabei liebt sie Rick sehr. Rick kann ihr nicht verzeihen. Herbert ist hinter ihm her. Er soll Rick wegen Mordverdacht verhaften.
Wie immer sehr flüssig und humorvoll geschrieben. Klasse Schreibstil.


Jochen (03.06.2009)

Oh je wenn das nicht noch genug Ärger für Rick gibt, dass Aimee das auch noch ausgerechnet der Julia erzählt hat und die arme Sammy Joe wird auch noch beschuldigt.
Diese Julia kann man bis jetzt auch noch nicht so richtig einschätzen, da Du uns noch so viel von ihr verschweigst und sie noch sehr rätselhaft auftreten lässt, aber sie hütet ja scheinbar selbst noch ein Geheimnis, was die Sache in allem auch wieder soooo spannend macht.


Fan-Tasia (30.05.2009)

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