357


22 Seiten

Ouray, Colorado - Teil 7

Romane/Serien · Spannendes
© Tintentod
Dom wäre mit seinem Wagen nach Colorado gefahren, aber die meisten Pässe und Straßen waren noch immer gesperrt und ihm blieb nichts anderes übrig, als zu fliegen. Denver und Boulder standen zur Wahl, je nach dem, wie die Wetterlage aussah.
Mit dem Dodge wäre es so einfach, dachte er, ich müsste nur durch dieses Kaff fahren und Rick würde mir auf den Beifahrersitz gesprungen kommen.
Rick liebte Doms Wagen. Wenn alles, was älter als zehn Jahre ein Klassiker war, dann war der Dodge Convertible einer. New York mochte nicht gerade die ideale Stadt für ein offenes Verdeck sein, aber Dom fuhr den Wagen schon seit Jahren und würde ihn nicht hergeben; allein schon, weil er ihm die Bekanntschaft mit Rick eingebracht hatte. Manchmal erzählte er, Rick habe versucht ihn zu klauen und sei dabei von ihm erwischt worden, als er noch im Polizeidienst gewesen war, aber das war nur die Version, die verschleiern sollte, dass er versucht hatte, Rick als Spitzel anzuheuern.
Er wollte alles tun, nur nicht für einen Bullen arbeiten und seine Freunde verraten, hatte Rick gemeint, aber sein Wagen, der offene, metallicblaue Dodge, der sähe genauso aus wie der, mit dem er Indianapolis verlassen hatte, so vor ungefähr hundertdreißig Jahren, und wenn Dom ihn einmal ans Steuer ließe, könnte er sich vorstellen, dass ihm doch noch etwas zu den Typen einfiel, die in irgendeiner Lagerhalle im alten Hafen Videorecorder und Fernseher verhökerten.
Es war kein wirklicher Deal gewesen und Rick war nicht wirklich ein Spitzel, denn er gab auch Informationen an die andere Seite weiter, die Dom unvorsichtigerweise ihm gegenüber erwähnte. Rick war ein Mittelsmann auf der Straße, lebte in einem kleinen engen Freundeskreis, aber so ziemlich jeder im Bezirk kannte seinen Namen.
Dom konnte den Flug noch nicht buchen, als er gesagt bekam, dass das Wetter in Boulder gut genug war, um am Nachmittag dort landen zu können, er wusste nicht, ob Sophie ihn begleiten würde. Sein Koffer und seine Tasche waren gepackt, seine Mitarbeiter wussten, dass er wegen einer dringenden Familienangelegenheit verreisen würde, aber er hatte Sophie noch nicht gesagt, dass er wusste, wo Rick war.

Das technische Versagen seiner Kollegen und die dadurch unbrauchbaren Fingerabdrücke trieben David Dustman schier in den Wahnsinn. Er diskutierte ohne Ende mit seinem Vater darüber, dann wieder mit dem Sheriff, der ihn nicht mehr ertragen konnte und ihn an irgendeiner Straßenecke Temposünder aufschreiben ließ. Jeden, den David mit seiner Radarpistole erwischte, machte er zur Schnecke, am liebsten hätte er sie alle sofort eingesperrt.
„Wir haben ein genaues Auge auf ihn“, hatte Sheriff Overturf behauptet, „bei seiner nächsten Aktion erwischen wir ihn auf frischer Tat.“
Das Problem aber war, dass Scanlon nicht dumm war und wusste, dass man ihn beobachtete und natürlich den Ball flach hielt, wie Herb stets sagte.
Am frühen Vormittag verließ er Sammy Joes Haus, meist in ihrer Begleitung und unterwegs trafen sie ab und zu Aimee, die sich ihnen anschloss. Trennten sie sich, blieb Rick irgendwo sitzen, wo viele Leute um ihn herum waren, in Diner oder im Pinball. Er machte keinen Ärger, man sah ihm seine Wut nicht an. David kochte sein eigenes Süppchen in dieser Sache und hatte längst beschlossen, die Geschichte voranzutreiben, wenn Rick keinen Fehler machte. Dazu hatte er seine Mittel und Wege. Für seine Schwester, die stumm und nervös durch das Haus lief, hatte er keinen Blick übrig.
Er traf sich mit seinen Freunden, trank ein Bier mit ihnen und legte ihnen seinen Plan vor. Sie waren begeistert. David wartete nur darauf, dass er an der Reihe war, Scanlon zu beschatten und damit er immer wusste, wo er gerade war, bezahlte er dem alten Chuck ein Taschengeld. Der rief ihn sofort an, wenn er Scanlon irgendwo in Ouray sah.
Ich weiß, wo er steckt, ich weiß, wann ich ihn erwische. Es könnte gar nicht besser laufen.

„Ich mag es, lange zu schlafen, aber so bekomme ich nie einen Job. Morgen muss ich früher aufstehen.“
Sammy Joe wühlte die Bettdecke beiseite, drehte sich zu Rick um, der nicht reagierte.
„Hast du mir überhaupt zugehört?“
Er brummte irgendwas, drehte sich auf die andere Seite. Sammy Joe quasselte davon, am nächsten Morgen früh aufzustehen, aber für seinen Geschmack war es jetzt auch noch reichlich früh am Morgen. Glücklicherweise hatte sie ein Einsehen und nachdem sie auf der Toilette gewesen war, kroch sie wieder zurück ins Bett.
Das Haus hatte sich verändert, seit Sammy Joe sich wieder mit ihrer Tante vertragen hatte; es war sauber und aufgeräumt, einige Möbel waren umgestellt oder verschwunden und im Wohnzimmer neben dem Fernseher war ein Ahnenaltar entstanden. Dort hatte sie Fotos von ihrem Vater und von ihrer toten Mutter aufgestellt, dazu eine Karte, die sie zum sechsten Geburtstag bekommen hatte und eine Genesungskarte.
Als endlich Zeit für ein spätes Frühstück war, zog Rick sich Jeans und Sweater über und übernahm es, den Kaffee aufzusetzen, schlich durch das Haus, benutzte das Bad und blieb vor der Ahnengalerie stehen.
Dom hatte so etwas auch in seinem Haus gehabt, Bilder von Verwandten und einer Ex-Frau, von Polizeikollegen und Freunden aus Kindertagen. Alle Bilder waren in silbernen Bilderrahmen und Rick dachte daran, ob mittlerweile auch ein Foto von ihm auf Doms künstlichem Kaminsims stand.
Sammy Joes Fotos steckten in bunten Plastikrahmen, er nahm die Genesungskarte zur Hand, las die Handschrift der toten Mutter und stellte sie wieder hin.
„Eine der wenigen guten Erinnerungen an meine Mom“, sagte Sammy Joe. Sie hatte sich das Haar gewaschen, das Wasser tropfte auf ihre Schultern. „Damals hat sie mir geholfen, als ich zu niemandem gehen konnte. Sie hat mir nicht viel von sich dagelassen, an das ich mich gern erinnern möchte.“
„Nicht alle Mütter sind zur Mutter geboren. Meine war’s auch nicht. Als ich von zu Hause abgehauen bin, hat sie einen Anruf bekommen, dass man mich aufgegriffen hatte und alles, was sie dazu sagte, war ‚Behalten sie den Bastard bei sich’.“
„Wie alt warst du damals?“
„Fünfzehn oder so. Ich bin damit zurechtgekommen, dass sie mich nicht mehr haben wollten. Seitdem bin ich unterwegs, mehr oder weniger.“
Sammy Joe rückte die Genesungskarte zurecht, strich vorsichtig mit dem Zeigefinger über das kitschige Hundebaby, das herzerweichend von der Karte glotzte.
„Mir ging es damals überhaupt nicht gut. Ich war sechzehn, nicht eigentlich krank, ich hatte nur Probleme damit, vor die Tür zu gehen.“
Die Küche war tiptop, aber der Kühlschrank war mal wieder leer, deshalb tranken sie den Kaffee schwarz und süß, mit dem Zucker aus der hellgelben Porzellandose.
Sammy Joe hatte die Beine auf den Küchentisch gelegt, wackelte mit den lackierten Zehen und versuchte, die einzelnen Schneeflocken zu verfolgen, die draußen am Fenster vorbei fielen.
„Ich ging noch zur Schule. Da gab es einen Jungen, der mit mir ausgehen wollte und ich sagte ja, wir hatten einen netten Abend und dann wollte er mich nach Hause fahren. Ich dachte, er hätte sich verfahren, als wir in einer Seitenstraße anhielten.“
„Du musst mir das nicht erzählen, Sammy.“
„Es ist ein Teil meines Lebens. Unterbrich mich nicht, wenn ich davon erzähle.“
Er hörte zu und sagte nichts; ihre Zehen wackelten nicht mehr, als sie weiter sprach, denn es war nicht mehr lustig.
„Er meinte, er hätte fast zwanzig Dollar für den Abend springen lassen und jetzt wolle er etwas dafür haben. Zuerst dachte ich, er macht Spaß, weil er den ganzen Abend so dumme Sprüche losgelassen hatte und er noch immer so grinste, aber er bestand darauf. Er wollte etwas haben für seine investierten zwanzig bucks.“
Sammy Joe legte das rechte über das linke Bein, nickte verloren in dieser Erinnerung.
„Er hatte seinen Spaß, den hatte er wirklich. Es war nicht mein erstes Mal, ich wusste, was passieren würde, aber ich war nicht darauf vorbereitet, dass er nicht aufhören würde, als ich mich wehrte. Ich hab ihm das Gesicht zerkratzt und ihm in den Hals gebissen, aber das hat er überhaupt nicht gemerkt. Ich war ihm ausgeliefert und so hilflos, als wäre ich ein kleines Kind. Als er fertig war mit mir, hat er seine Hose zugemacht, sich hinter das Steuer gesetzt und hat mich nach Hause gefahren. Ich saß ohne Slip bei ihm auf dem Beifahrersitz, ich konnte nicht aufhören zu zittern und dachte nur die ganze Zeit, wie ich meiner Mutter die zerrissene Bluse erklären sollte. Es war meine Lieblingsbluse gewesen und ich überlegte, ob man sie nähen lassen konnte, aber wie sollte ich der Näherin sagen, wobei ich sie mir zerrissen hatte. Ich machte mir Gedanken darüber, dumm, nicht? Versuchte, meine Bluse zusammen zu halten und saß in einer Pfütze aus Blut und Sperma. Vor unserem Haus hat er mich aussteigen lassen, ich weiß nicht, wie ich mich überhaupt bewegen konnte. Und als er mir nachgerufen hat ‚Wir sehen uns morgen in der Schule’, hab ich mich in unseren Vorgarten übergeben.“
Die Erinnerung an die Demütigung und den Schmerz stand deutlich in ihrem Gesicht, aber Frauen konnten wohl mit diesen Erinnerungen besser umgehen. Sie brachten Kinder zur Welt, überstanden die monatlichen Krämpfe und vieles mehr; selbst, wenn es nur an den Hormonen lag, sie kamen einfach besser damit zurecht. Sie hatten die Kultur des Wehklagens entwickelt, was Männern niemals eingefallen wäre, und wenn die Trauerzeit vorbei war, kehrten sie die Trümmer zusammen und fingen von vorn an.
Rick sah Sammy Joe grübelnd an, und obwohl es ihm leid tat, was ihr passiert war, hatte er den bösen Hintergedanken, dass sie es nur erzählt hatte, um ihn festzuhalten. Um zu beweisen, dass sie sich ihm öffnen konnte, um nicht nur die guten Dinge miteinander zu teilen.
„Was soll ich darauf jetzt sagen. Es tut mir leid. Wie ist es weiter gegangen?“
„Ich brauchte meiner Mutter gar nichts zu erzählen, sie hat mich in der Tür stehen sehen und wusste sofort bescheid. Sie hat mir einen Tee gemacht, mir das Telefon vor die Nase gestellt und gefragt, ob ich ihn anzeigen wolle oder nicht. Wenn, dann müsse ich es gleich tun, wegen der Untersuchungen. Sie wusste bescheid. Erst wollte ich die Polizei anrufen, aber dann dachte ich an die Untersuchungen, an die Verhöre und daran, dass es Tage später jeder in Ouray wissen würde. Ich bin mit ihm ausgegangen, wir hatten was getrunken, ich bin in seinen Wagen gestiegen. Also kannst du dir ausmalen, was passiert ist. Ich habe ihn nicht angezeigt. Es wurde zu einem Geheimnis zwischen meiner Mutter, mir und diesem Jungen. Ich konnte wochenlang nicht aus dem Haus gehen, ohne dass ich mich übergeben musste, aber irgendwann ließ das nach. Ich sah ihn in der Schule, ging ihm aus dem Weg und war sehr erleichtert, als er mit seiner Familie die Stadt verließ. Es war, als hätte man mich befreit. Ich konnte Tante Ruth erst sehr viel später davon erzählen und da fühlte es sich an, als wäre es die Geschichte einer anderen.“
„Hast du überlegt ihn umzubringen?“
„Für diesen Hund wäre ich doch nicht in den Knast gegangen.“
Sie bewegte ihre Zehen wieder, schlug die Beine über und kratzte an ihrem Knie herum, ärgerte sich über die Schramme, die sie sich irgendwo geholt hatte.
Rick zog sich die Lederjacke über und machte sich bereit zu einem kleinen Zug durch die Gemeinde. Sammy Joe legte den Kopf in den Nacken, sah ihn an, ohne sich zu ihm herumzudrehen.
„Kann ich mitkommen?“
„Wir treffen uns im Diner, in einer Stunde, Okay?“
„Okay.“
Es wurde Zeit, dass er etwas unternahm, ohne dass er Sammy Joe im Schlepptau hatte.

Herbert dachte, es wäre ein Kinderspiel, ein Auge auf Scanlon zu haben, blieb ihm zwanzig Minuten auf den Fersen, nachdem Rick das Haus verlassen hatte, dann war er plötzlich verschwunden. Es schien, als habe er geblinzelt und die Welt hätte sich ein Stück weitergedreht, so weit, dass Scanlon vom Erdboden verschwinden konnte. Herbert wagte es nicht, die Zentrale anzurufen und zu melden, dass er an der Nase herumgeführt worden war, er fuhr einfach weiter durch die Straßen und sah sich um.
Dieser Schnitzer bleibt unter uns, Scanlon, dachte er, aber der kommt mit auf die Rechnung.

„Ich bin in Boulder. Morgen steige ich in einen Mietwagen und fahre nach Montrose und dann bin ich praktisch vor ihrer Haustür.“
„Wie wollen sie nach Ouray reinkommen?“ Sheriff Overturf war knurrig, man konnte ihn sich sehr gut als Dobermann mit gefletschten Zähnen vorstellen, und er war wütend, weil er Scanlon noch nicht los war und weil es ihm nicht passte, dass Dominique in seine Stadt kam und seine Pläne zunichte machte.
„Es gibt eine Charterfluggesellschaft in Montrose, die fliegen auch die paar Meilen bis nach Ouray.“
„Kommen sie mir nicht ins Gehege, Dominique.“
Dom legte ohne eine Erwiderung auf und Sophie sagte: „Was hat er gesagt?“
„Ich soll ihm nicht ins Gehege kommen.“
Sie wandte sich ab, legte die Arme um ihre Körpermitte, als habe sie Bauchschmerzen und Dom musste annehmen, dass es wahrscheinlich auch so war. Rick hatte zuweilen diesen Effekt auf die Menschen seiner näheren Umgebung.
„Alles in Ordnung mit dir?“
„Ich reiß mich zusammen, aber ich glaube, wenn ich ihn sehe, werde ich vor Wut losheulen.“
Sie wandte sich wieder Dom zu, lächelte trotzig, aber die ganze Sache ging ihr mehr an die Nieren, als zu der Zeit, als Rick einfach verschwunden war. Sie hatte sich noch nicht entschieden, ob sie mit nach Ouray kommen wollte.
„Du kannst hier in Boulder warten“, hatte Dom gesagt, „und ich bringe ihn dir, in Handschellen, wenn du willst.“
Sophie kannte Rick lange genug, länger als Dom, sie hatte seine Eskapaden ertragen, seine Aus- und Einfälle, war nur bei ihm geblieben, weil Rick etwas an sich hatte, was kein anderer besaß. Jeder Tag mit ihm war eine Herausforderung, etwas total Neues, auf das man sich nicht vorbereiten konnte.
Er hatte Sophie die Werbeschilder aus der Subway mitgebracht, sie rätselte noch heute, wie er sie abbekommen hatte, und das nur, weil sie sich an ein Gesicht von einem dieser Plakate erinnerte und dieses Gesicht für ein Fotoshooting haben wollte. Er war auf einem Kinderfahrrad mit Plastikhupe durch die Flure des Bürogebäudes gefahren, in dem sie arbeitete. Sie waren zum Essen verabredet und er kam drei Tage zu spät, aber dann pünktlich auf die Minute.
Als Sophie eines Abends die Handtasche geklaut wurde, als sie auf dem Weg nach Hause gewesen war, erzählte sie ihm davon und zwei Stunden später hatte sie ihre Tasche zurück. Bis auf das Bargeld fehlte nichts.
Sie wusste von der Wut in ihm, die immer wieder ausbrach und sie fürchtete sich davor, dieser Wut zu begegnen, seit Mascot nicht mehr da war.
„Mir ist kalt“, sagte sie, „ich werde unter die Dusche gehen.“
Sie verschwand in ihr eigenes Zimmer und Dom fand endlich Gelegenheit, ein intimes Verhältnis mit der Zimmerbar einzugehen.

Das Deli hatte keinen Zimtapfelkuchen im Angebot, aber dafür etwas anderes; Julia saß dort den ganzen Mittag, trank Cappuccino und las die Tageszeitung. Es war ihre Art, den Tag zu beginnen und auf Elliott zu warten, der in seiner Skihütte zu tun hatte. Um das flaue Geschäft anzukurbeln hatte er den wenigen Skigästen, die noch bei ihm wohnten, Gratiskurse angeboten und die hielten ihn auf Trab.
Rick hatte bereits in der Ecke bei einem Kaffee gesessen, als sie hereingekommen war, wartete nur darauf, dass sie ihn entdeckte, dass sie endlich auf ihn aufmerksam wurde.
Julia blätterte die Zeitung weiter, ihr Blick hob sich von der Seite und ob es Zufall war oder nicht, sie sah direkt in die Ecke, in der Rick an dem kleinen Tisch Platz genommen hatte, breitbeinig mit den Füßen im Gang hing, anstatt sie unter dem Tisch zu lassen.
Sie zuckte deutlich zusammen, legte ihre Zeitung weg und wandte ihm den Rücken zu, gab vor, ihn nicht gesehen zu haben. Sie hatte sich das Haar so straff zu einem Zopf zusammengebunden, dass sie kaum noch die Augenbrauen bewegen konnte und ihre Kleidung war eine Spur unscheinbarer und grauer als sonst. Elliott hatte scherzhaft gemeint, sie versuche sich wohl zu verstecken und Julia hatte sich ein Lachen herauszwingen müssen.
Ich habe ihn nicht gesehen, dachte sie, ich trinke meinen Cappuccino und dann verschwinde ich. Ich muss nicht mal an ihm vorbei. Da ist die Tür.
Aber als sie sich auf ihren fluchtartigen Abgang schon vorbereitet hatte, macht sie auf halbem Wege kehrt und ihre Füße trugen sie an Ricks Tisch, obwohl ihr Kopf noch immer zur Tür hinaus wollte.
„Hi“, sagte sie, „darf ich mich setzen?“
„Hab nix dagegen.“
„Ich wusste nicht, dass du wieder draußen bist.“
Das war glatt gelogen. David tönte es im ganzen Haus herum, wenn er von der Arbeit kam. Der alte Dustman sagte dazu nur, dass in wenigen Tagen die Straße frei sei und man dann endlich Abschied von ihm nehmen könne. Er würde Scanlon höchstpersönlich einen Tritt in den Arsch geben und ihm einen guten Flug wünschen.
„Wir haben uns doch noch nie zuvor gesehen, oder?“ Julia stellte diese Frage, als zweifle sie an ihrer geistigen Gesundheit, als bräuchte sie jemanden, der ihr sagte, dass alles in Ordnung sei.
„Wovon redest du?“
„Ich kann das nicht erklären, ich habe Angst, dass ich mich lächerlich mache. Sag mir einfach, dass wir uns hier in Ouray das allererste Mal begegnet sind. Du bist nie in Harvard gewesen.“
„Wenn’s dich beruhigt.“
„Du sollst mir die Wahrheit sagen.“
„Scheißharte Sache, das Ding mit der Wahrheit.“
Rick ließ sie zappeln, er lächelte nicht, um es ihr einfacher zu machen, er tat so, als müsse er ganz angestrengt nachdenken, schob den Unterkiefer vor und sah zur Decke.
„Okay, ich denke, ich hab dich hier das allererste Mal gesehen, wohl auch das letzte Mal, weil ich Ouray meiden werde bei meinen Ausflügen. Erzählst du mir, was los ist?“
„Sagen wir einfach, eine deiner Bemerkungen hat mich nervös gemacht.“
„Ich will’s auch gar nicht wissen.“
Sein Kaffee war längst kalt, er trank ihn trotzdem, war teuer genug gewesen.
„Wohnst du wieder bei Sammy Joe?“
„Wo sonst.“
Julia war erleichtert. Rick sah hinter ihren blauen Augen etwas was er in dem Ballroom auch schon gesehen hatte. Eine Ahnung, die in ein Bild gefasst war.
„Was hat jemand wie du in Harvard angestellt? Soll ich raten?“
Er sagte es ganz freundlich, beugte sich ihr entgegen und war zufrieden, dass sie vor ihm davonlief. Wie von Geistern gejagt rannte sie aus dem Deli. Der Chef hinter der Bar sah ihr verdutzt nach und Rick erklärte: „Sie will den Bus noch kriegen.“

Seinen Plan konnte eigentlich nichts durchkreuzen, solange er darauf achtete, dass er sich nicht selbst die Finger an Scanlon schmutzig machte. David übernahm von Herbert die Schicht, der in die Station kam und zunächst keine Zeit für ihn hatte, sich taub stellte und nur widerwillig erklärte, dass Scanlon auf dem Weg ins Diner gewesen sei.
„Die ganze Überwachung ist vollkommen sinnlos“, behauptete er, sah sich aber trotzdem vorsichtig um, ob der Sheriff nicht in der Nähe war, „er wird hier nichts mehr anstellen. Aus Montrose kommen die großen Räumungsbagger, spätestens übermorgen ist er aus der Stadt verschwunden, noch bevor Norman ihn sich schnappen kann.“
„Bis dahin haben wir ihn im Blick.“
Dich wird er genauso verarschen, dachte Herbert. Ich warte nur darauf, dass du durchgeben musst, dass du ihn verloren hast.
David fuhr los und observierte. Er mochte den Klang dieses Wortes. Es war, als würde man das Leben eines anderen mit dem Skalpell auseinander nehmen.
Er beobachtete Rick und Sammy Joe im Diner, sie aßen und unterhielten sich, aber die meiste Zeit redete Sammy Joe und Rick sah an ihr vorbei, als interessierte ihn das alles nicht.
Ich werde dich allein erwischen, dachte David, die kleine Schlampe kann nicht ewig bei dir herumhängen.
Seine Hoffnung erfüllte sich, als Rick aufstand und allein das Diner verließ, die Hände in die Taschen der Lederjacke steckte und das Kinn auf die Brust drückte. Er trabte über die Hauptstraße, bog dort in eine Seitenstraße ab und fast hätte David seine Freunde auf ihn angesetzt, als er kurz zögerte. Der Wagen des Sheriffs folgte Rick im Schritttempo.
David zog die Luft durch die Schneidezähne ein, ließ seinen Wagen stehen und mischte sich unter die Passanten. Von der Ecke aus verfolgte er, wie Overturf Rick anhupte, dieser sich umdrehte und wartete, bis der Sheriff neben ihm den Wagen anhielt. Er hob die Schultern und stieg ein. David wartete.

„Ich habe noch Grüße auszurichten“, sagte der Sheriff und Rick erwiderte nicht gerade freundlich: „Danke.“
„Jemand aus New York lässt dir ausrichten, dass dort alles in Ordnung sei – wie immer man das auch verstehen soll.“
„Hmh“, machte Rick nur.
„Was hat das mit Quintero zu tun?“
Beim Klang dieses Namens, von Sheriff Overturf nasal in die Länge gezogen und falsch betont, hatte Rick eine seiner seltenen heftigen Panikattacken, die ihn blass und hilflos werden ließ und er mühsam um Fassung rang. Es hatte die Ausmaße eines Flashbacks, der ebenso wenig unter Kontrolle zu bekommen war, er hörte seine eigene Stimme hohl und fremd.
„Man sollte nicht alles glauben, was erzählt wird.“
„Ich kenne den Bericht der DEA.“
„Die wollten mir an den Kragen, weil sie glaubten, ich hätte was mit ihm zu tun. Muss ein Computerfehler gewesen sein, weil mit Drogen hatte ich noch nie was zu tun.“
Der Motor des Wagens lief noch, während sie sich unterhielten, Overturf hatte die Hände am Steuer und machte ein Gesicht, als hätte er sie lieber an Ricks Hals gehabt.
„Wie lernt man einen Drogenboss kennen? Arbeitest du für ihn?“
Streite es ab und er wird sich bestätigt fühlen.
Alles in ihm suchte nach Argumente, dass es keine Verbindung zu Quintero gab, die Panik verflog langsam, als er begriff, dass Overturf nur seine Akte gelesen hatte und gar nichts wusste.
„Glauben sie, was sie wollen, Sheriff. Ich habe mit diesem Typen nichts zu tun und wenn sie sich sonst noch über irgendetwas mit mir unterhalten wollen, sollten wir uns auf einen Kaffee treffen. Hier ist es mir zu ungemütlich.“
Er sah dem Sheriff direkt ins Gesicht, mit zusammengepressten Lippen und ruhigem Blick, verschleierte es perfekt, dass seine Nerven blank lagen. Sophie war die einzige, die seine Fassade durchschauen konnte, sie hatte das von Anfang an beherrscht und ihn damit schier verrückt gemacht.
Aber Sophie war nicht da und der Sheriff würde diesen ruhigen offenen Blick als Ehrlichkeit auslegen.
„Okay“, erwiderte Norman Overturf, „raus mit dir.“
Rick musste einige Male tief durchatmen, versuchte, sein pochendes Herz zu beruhigen und setzte dann seinen Marsch weiter fort. Overturfs Wagen war an ihm vorbei aus der Straße herausgefahren und verschwunden.
Es war gar nicht gut, ständig über José ausgefragt zu werden, das ging ihm jedes Mal an die Nerven.
Er suchte nach einer Zigarette, war sich fast sicher, noch irgendwo eine zerdrückte Packung zu haben, murmelte dabei vor sich hin.
„Lässt mir ausrichten, dass alles in Ordnung ist, drauf geschissen. Hat mit Dom telefoniert, der ist der einzige, der auf so eine beschissene Idee kommen kann. Es wäre in Ordnung, wenn Laurenson vom Truck überfahren worden wäre, das wäre in Ordnung, aber alles andere ist gequirlte Kacke. Fehlt bloß noch, dass Dom hier auftaucht und den wilden Mann markiert.“

Sophie telefonierte lange mit ihrem Boss, der kein Verständnis dafür zeigte, dass sie einfach nach Colorado geflogen war, wo er sie doch im Büro erwartet hatte.
„Es bleibt nichts liegen“, sagte sie, wanderte in dem Zimmer umher, das Telefon unter den Arm geklemmt, „ich habe alles weitergegeben und bin hier erreichbar, wenn etwas sein sollte. Montag bin ich zurück.“
Sie machte eine Pause und Dom konnte das aufgebrachte Quaken ihres Bosses hören.
„Greg“, sagte sie vorsichtig, „es reicht doch wohl, wenn ich sage, dass es hier um Leben und Tod geht. Ich würde das nicht tun, wenn es nicht nötig wäre, oder? Seit ich bei dir arbeite, haben wir noch keinen Termin platzen lassen.“
Sie lauschte und nickte stumm, jaja, ich weiß, dass du ein Arschloch bist, Greg, und sagte dann nur noch, dass sie sich später noch mal melden würde und legte auf.
„Er wird dich doch nicht rausschmeißen, Sophie?“
„Eher kündige ich und dann darf Rick das ausbaden.“
Sie band sich das gelockte Haar im Nacken zusammen, zog ihren Mantel über und fragte: „Wie lange brauchen wir zum Flughafen?“
Nachdem Dom etwa eine halbe Stunde auf sie gewartet hatte, hatte sie es jetzt eilig. Gepäck hatten sie nicht viel, selbst Sophie hatte nur eine Reisetasche gepackt, in der nur das allernötigste steckte.
„Was braucht eine Frau unterwegs?“ hatte sie gesagt, „im Notfall nur Lippenstift, Wimperntusche und Tampons für alle Fälle. Mehr nicht. Alles andere ist Luxus.“
Sie trug Jeans und ein wattiertes Hemd, was ihr eine Nummer zu groß war und man erst merkte, wie schlank sie war, wenn sie es ausgezogen hatte.
Dom hatte sich schon mehr als einmal die Frage gestellt, wie sie mit ihren fünfzig Kilo Lebendgewicht die Energie aufbrachte, mit Rick zusammenzuleben; mit jemandem, der eine wandelnde Katastrophe war.
Sie nahmen ein Taxi zum Flughafen, der so klein war, dass sie ihn beinahe übersehen hätten. Hier in den Rockys hatten Hubschrauber Konjunktur, als sie ankamen, landete gerade einer auf dem asphaltierten Vorfeld und Skiurlauber stiegen aus. Dom bezahlte das Taxi, Sophie suchte nach so etwas wie einen Check-in, aber von außen sah das Gebäude, vor dem sie standen, nur wie eine Wartehalle aus, in der Größe eines Zahnarztpraxiswartezimmers. Zwei Männer saßen dort und spielten Schach, sahen auf, als Sophie hereinkam.
„Ich suche Mr. Hayden, er soll uns nach Ouray fliegen.“
„Der ist draußen.“
Sie warf einen Blick auf das Schachbrett, lächelte den Oldtimern zu und ging wieder nach draußen, die Luft und die Aussicht waren dort einfach besser.
Wenn sie unter anderen Umständen in dieser Gegend gewesen wäre, hätte sie den herrlichen Blick und den Schnee genossen, sie hätte Fotos gemacht und sich auf Ski gestellt, aber sie war nicht zum Vergnügen in Colorado und das konnte sie auch nicht vergessen. Rick hatte ihr mit seinem Verschwinden einen harten Schlag versetzt, nicht nur, weil sie dachte, er könnte längst tot sein. Er hatte sich ihr nicht anvertraut, war einfach davongelaufen, als wäre das die Lösung.
Ich hatte solche Sehnsucht nach ihm, dachte sie, und die Angst, die ich ausgestanden habe... Wie will er das wieder gutmachen.
Sie seufzte über dieses Szenario, in dem sie stand, vermisste den Smog und Lärm von New York überhaupt nicht. Ohne Berge hätte sie sich wie zu Hause gefühlt, zu Hause in Maine.
Dom fand endlich ihren Hubschrauberpiloten Hayden, ein solider wetterfester Kerl, der schon bei der Begrüßung von sich behauptete, er könne sie besoffen und auf beiden Augen blind überall hinfliegen, und Sophie antwortete: „Prima, aber wir wollen nur bis nach Ouray.“

Dash hatte die letzten Tage damit verbracht, Sammy Joe bei der Jobsuche zu unterstützen, was seiner Meinung nach eine sehr deprimierende Aufgabe war, denn ihre Chancen, etwas passendes zu finden, waren nicht die besten.
Sie hätte gerne einen Bürojob angenommen, irgendetwas einfaches, was gut bezahlt wurde, aber es scheiterte schon daran, dass sie nicht Schreibmaschine schreiben konnte und von einem Computer nicht mehr wusste, als dass man Spiele darauf spielen konnte. Die besseren Restaurants wollten sie als Bedienung nicht haben und in die Schnellrestaurants wollte sie nicht. Selbst ihr alter Busenfreund in dem Diner hatte ihr einen Korb gegeben.
„Ich hör mich weiter um“, hatte Dash sie getröstet, „irgendwann wird’s schon klappen.“
„So, wie bei dir?“
Aus seinem letzten Job bei der Müllabfuhr war er rausgeflogen, weil er ständig zu spät gekommen war. Sie hatten es ganze drei Tage mit ihm ausgehalten.
Da er bei Manda immer etwas zu essen bekam und ein Bett bei ihr hatte, wenn ihm alles zu bunt wurde, hatte er den Sinn und Zweck einer geregelten Arbeit noch nicht ganz eingesehen.
Gibt genug, die auch so zurechtkommen, dachte er, wenn ich mir Rick ansehe, der noch keinen Tag in seinem Leben gearbeitet hat, glaube ich, dass ich das auch schaffen kann. Er fährt hierhin, er fährt dorthin, nimmt sich, was er kriegen kann und niemand verlangt von ihm, dass er pünktlich aufsteht oder sich das Hemd bügelt.
Dash saß vor einem Andenkenladen auf einer Holzbank, baumelte mit den Beinen und nahm sich vor, sich nichts vorzunehmen an diesem Tag; nicht einmal, als es darum ging, noch ein paar Touristen auf die Schippe zu nehmen.
Auf der anderen Straßenseite sah er Rick, wollte schon pfeifen und rufen und war schon halb aufgestanden, als er wenige Meter sich einen der Typen entdeckte, denen er in Ouray am liebsten aus dem Weg ging, einer von David Dustman’s Kumpeln. Die Art von Freunden, von denen Daddy besser nichts wusste. Keiner von ihnen machte einen schlechten äußerlichen Eindruck, ganz im Gegenteil, aber die teuren Klamotten und das gut geschnittene Haar konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine Bande von Schlägern waren. Sie hatten gute Jobs und David war nur mit ihnen befreundet, weil es ihm als Deputy möglich war, bei Geschwindigkeitsübertretungen ein Auge zuzudrücken oder bei tätlichen Angriffen in die andere Richtung zu sehen. Als Gegenleistung taten sie kleine Gefälligkeiten für ihn, er musste nur anrufen und schon standen die drei bei ihm auf der Matte.
Dash hatte von ihnen schon öfters eins auf die Nase bekommen, natürlich nur, weil er seine Klappe nicht halten konnte und selbst jetzt, als er den Typen dort herumlungern sah, konnte er kaum an sich halten, ihm nicht irgendwas zuzurufen. Seine Freunde riefen ihn Vico und Dash hatte einen reichlich dummen Spruch auf Lager, den er aber nicht los wurde.
Vico war auf dem Sprung. Seine buddys mussten irgendwo in der Nähe sein, die Art, wie er sich immer wieder prüfend umsah, hin und her schlenderte und auf die Uhr sah, dann wieder zu der Straßenecke stierte, hinter der Rick verschwunden war, das alles ließ an nichts Gutes denken.
Dash steckte sich einen Kaugummi in den Mund, zog die kalte Luft ein und genoss das vereisende Gefühl im Rachen.
Wenn sie’s auf dich abgesehen haben, Killer, ist es keine Frage, wer dahinter steckt. Nur David kann sich so was einfallen lassen.
Er fuhr sich mit der flachen Hand über das kurze Haar, zuckte heftig zurück, als Vico plötzlich losrannte, über die Straße auf die andere Seite, vorbei an hupenden Autos.
Wie jagende Wölfe traf er mit seinen beiden buddys zusammen, bevor sie in die Gasse stürmten.
Wird er versuchen abzuhauen? Stellt er sich dem Kampf? Ich würde es zu gern sehen...
Dash erhob sich, wartete, bis ein Autofahrer anhielt und ihn die Straße wechseln ließ, schlenderte dann wie ganz zufällig weiter.
Er sah David, der sich die gleichen Fragen zu stellen schien – ob Rick Scanlon kämpfen würde. David hatte ihn noch nicht entdeckt, ging einige Schritte vor ihm und Dash wich in einen der kleinen Läden aus, marschierte durch bis zu den Räumen der Angestellten und durch das Lager, nahm die Hintertür und stand wieder auf der Straße. Die Rückseite der Gasse lag direkt neben ihm. Er sah sich nach einer Waffe um oder nach etwas, was man als Waffe benutzen konnte.
Hoffentlich komm ich nicht auf den Gedanken, mich da einmischen zu wollen, dachte er.

Rick sah den geballten Ärger auf sich zukommen. Er wehrte sich verbissen, schlug und trat um sich, egal, ob er eines der Arschlöcher traf oder nicht. Er ging nicht wehrlos unter. Mit einem Tritt, den er mit der Fußspitze in den Eiern eines der Typen landete, reduziere er die Kampfkraft auf zwei; der Typ japste nach Luft, wurde grün im Gesicht und brauchte ein paar Minuten Erholung. In dieser Zeit hielt Rick einer fest, der andere prügelte auf ihn ein, bis er zusammenbrach und den Kopf unter den Arm vergrub. Er hörte die ächzenden Männer um sich herum, die einfach nicht aufhörten ihn zu schlagen, ganz so, als würden sie versuchen, ihn umzubringen. Rick konnte sein Gesicht schützen und seinen Unterleib, indem er die Knie anzog, aber die Tritte und Schläge hagelten auf seinen Rücken, auf seine Arme und Beine nieder, jeder Hieb war schlimmer als der vorangegangene.
Der Typ mit den eingetretenen Kronjuwelen trat besonders hart zu, versuchte, Ricks Gesicht zu treffen, aber er erwischte den Unterarm, brach den Knochen, trat noch einmal zu.
„Scheißkerl“, zischte er bei jedem Tritt, „verdammter Scheißkerl.“
Sie hörten erst auf und ließen von ihm ab, als David zu ihnen kam, sagte, dass es genug sei und sie sich verziehen sollten.
„Wenn er sich nicht gewehrt hätte, hätten wir ihn nicht so rangenommen.“
„Ich will keine Entschuldigung hören von euch.“
David sah auf Rick herab, ob er sich noch bewegte, ob er noch bei Bewusstsein war, dann steckte er die Hände in die Hosentaschen, drehte auf dem Absatz und schlenderte davon. Er ging zu seinem Wagen, dabei grinste er breit und konnte damit nicht mehr aufhören.
Dash stand zappelnd am Eingang der Gasse, wollte weder bleiben noch weglaufen, sah immer wieder um die Ecke.
Sie nahmen ihn ganz schön auseinander, aber Dash wagte es einfach nicht, sich zwischen sie zu stürzen und so etwas dummes zu rufen wie ‚Hey, was macht ihr da’ oder ‚drei gegen einen ist feige’, also wartete er, bis sich die Schläger verzogen hatten. Einen kurzen schrecklichen Moment war er sich sicher, dass David ihn gesehen hatte, als er um die Ecke schielte, presste den Rücken gegen die Wand und wartete darauf, dass David seine Schläger auch auf ihn hetzen würde, aber dann passierte nichts. Er sah wieder um die Ecke und da war Rick allein; das, was von ihm übrig war, war allein und Dash wagte sich näher heran, beschimpfte sich selbst, dass er nicht eingegriffen hatte – kniete neben Rick und überlegte, was er als erstes tun sollte, Rick helfen oder loslaufen, um Hilfe zu holen.
„Hey“, flüsterte er, zog an Ricks Jacke, hätte nicht erwartet, dass er so schnell wieder auf die Beine kam. Rick rollte sich herum, zog die Beine unter den Körper und stemmte sich hoch. Er sah zum fürchten aus, eine Augenbraue war aufgeplatzt und blutete noch immer, sein ganzes Gesicht war angeschwollen, unter seinem Haar lief Blut hervor, tropfte von der Stirn seiner Nase herab.
„Oh Mann“, sagte Dash, „das sieht überhaupt nicht gut aus.“
Was Rick antwortete, konnte er nicht verstehen, es war spanisch. Er hielt den linken Arm an den Körper gepresst, konnte die Finger nicht richtig bewegen und versuchte es nicht weiter; er hatte das Knacken gehört und wusste, dass der Arm gebrochen war. In das eine Auge lief Blut, was er nicht weggeblinzelt bekam, das andere schwoll langsam zu und er konnte kaum noch etwas sehen. Immerhin war er wieder auf die Beine gekommen, Mascot hatte immer gesagt, erst, wenn das kranke Pferd nicht mehr aufstehen will, solltest du dir Gedanken darüber machen, es zu erschießen.
Mit der Zunge fuhr er sich die Zahnreihen ab, erst oben, dann unten, fand keine Splitter oder scharfe Kanten, öffnete mühsam das dicke Auge und murmelte Dash zu: „Einem hab ich die Eier zu Brei getreten.“
Dash wollte ihn aus der Gasse heraushaben, aber er bewegte sich nicht von der Stelle, spuckte auf die Straße und wehrte Dashs Hand ab.
„Willst du hier auf sie warten, damit sie dir die Lichter ausblasen? Ich bring dich in die Unfallklinik. Mann, die werden froh sein, mal was anderes zu sehen als Sportverletzungen.“
Er führte Rick auf die Straße zurück und sagte, dass er warten solle, er würde den Wagen holen. Rick wartete ergeben, Schmerzen überall, nicht nur in den Nieren, blind für seine Umwelt und in Gedanken schon wieder ganz woanders. Er hatte Davids Stimme gehört und er hatte David gesehen, das bedeutete, dass er sich etwas für ihn einfallen lassen musste. Das hielt ihn aufrecht, ließ ihn die Schmerzen und das Reiben der gebrochenen Knochen ertragen. Er hörte den Motor des Jeeps neben sich, Dash half ihm beim einsteigen und machte nur ein abfälliges Geräusch, als Dash ihn fragte, ob einer der Passanten ihn angesprochen und Hilfe angeboten habe. Das Blut von seinem Gesicht und von der Kopfwunde irgendwo war in den Schnee getropft, aber niemand war stehengeblieben. Vielleicht dachten sie, es wäre ein übler Scherz, er hätte sich mit Ketchup beschmiert und irgendwo lauerte die versteckte Kamera auf der anderen Straßenseite. Es mochte viele Gründe geben, weshalb man an einem blutenden Mann vorbeiging, aber keinen, für den Dash Verständnis gehabt hätte.
Er fuhr zur Unfallklinik, unterwegs wurde es Rick schlecht und sie mussten kurz anhalten. Er hängte sich aus dem Wagen, würgte, aber er konnte nicht kotzen, hangelte sich auf den Sitz zurück und stöhnte dumpf.
„Hältst du durch?“
„Ich geb mir Mühe“, antwortete er.
Er biss sich auf die Zunge, um nicht doch noch zu kotzen, die Übelkeit rutschte etwas in den Hals zurück, aber sie verschwand nicht und so schaffte er es doch noch bis vor die Tür der Klinik.
„Auf geht’s“, sagte Dash, riss die Tür auf und half ihm auf die Füße, sie mühten sich durch die Schwingtür und Rick wäre am liebsten wieder umgedreht. Der Geruch schlug ihm auf den Magen, die Mischung aus Desinfektionsmittel, Fußbodenreiniger und Krankheit, immer undefinierbar und in allen Krankenhäusern zu Hause.
In dem Flur zum Warteraum stand ein Mädchen, den Rücken an die Wand gelehnt, sie hatte sich den Ohrring aus dem Ohrläppchen gerissen, der Kragen ihrer rosa Bluse war mit Blut betropft. Sie sah ihnen mit gelangweilter Neugierde nach, verdrehte den Kopf, als sie langsam in dem Warteraum verschwanden.
Der Raum war leer, hinter dem Glasfenster der Anmeldung saß eine schwer beschäftigte Schwester, die nicht einmal aufsah, als Dash sagte: „Hallo? Wir brauchen einen Arzt.“
Hinter der Glasscheibe machte sie ein Kreuzworträtsel, brummte über etwas, was sie noch nicht gelöst hatte, riss sich endlich los und schob Dash ein Formular über den Tresen hinweg.
„Füllen sie das bitte aus.“
„Okay.“ Dash nahm das Blatt entgegen, wartete und beugte sich zu dem Schlitz in dem Fenster herunter und sagte etwas lauter: „Holen sie den Arzt?“
Sie sah endlich auf, sah von Dash zu Rick und wieder zurück zu Dash, ihre Miene veränderte sich etwas, aber es war nicht nur Schuldbewusstsein, wahrscheinlich hatte sie nur Angst um ihren Job, wenn Dash so energisch blieb und sich über sie beschwerte. Sie telefonierte und sagte, dass sie sich setzen sollten, Dr. Patel würde gleich kommen.
„Was wollen die in dem Formular wissen?“ fragte Rick.
Das sitzen ließ die Übelkeit abklingen, aber sein Rücken stach höllisch, dass er sich nicht mehr zu rühren wagte. Sein gebrochener Arm pocherte ruhelos vor sich hin.
„Das übliche“, erwiderte Dash, „Name, Anschrift, Beruf, Versicherungsnummer. Ich füll’s für dich aus.“
„Schreib irgendwas rein. Bei diesen Dingern hab ich noch nie die Wahrheit gesagt.“
Das Mädchen mit dem zerfledderten Ohr setzte sich zu ihnen.
„Habt ihr ’ne Zigarette für mich?“
„Schwirr ab“, sagte Rick.
Er sagte es genauso unfreundlich, wie er es meinte, erntete einen schrägen Blick von Dash.
„Was ist dir denn passiert?“
„Ich hab dumme Fragen gestellt. Jetzt lass uns in Ruhe.“
Sie war nicht alt genug zum trinken, würde ihren Daddy erst in ein oder zwei Jahren um Fahrstunden bitten, um den begehrten Führerschein auf Probe zu erhalten. Rick konnte diese altklugen frühreifen Weiber nicht ausstehen und ihm war nicht danach, noch freundlich und rücksichtsvoll zu sein. Selbst mit dem gebrochenem Arm und dem Rücken, der ihn peinigte, würde er sich diese kleine Hexe schnappen und sie nach draußen befördern. Das schien sie zu ahnen und verschwand wieder nach draußen auf den Flur, von wo aus sie nur ab und zu einen Blick auf Rick und Dash warf.
„Wenn Blicke töten könnten“, flüsterte Dash und schrieb irgendetwas unsinniges in das Formblatt.
Als endlich der Arzt kam und Rick zur Untersuchung abholte, konnte er sich kaum noch von dem Plastikstuhl erheben, hielt die Luft an, hievte sich hoch und atmete keuchend wieder aus.
„Schmerzen?“
„Ich warte nur darauf, dass ich Blut spucke.“
Dr. Patel erwiderte sehr trocken: „Wer noch Witze macht, liegt zumindest noch nicht im Sterben. Kommen sie mit.“
Er nahm Dash das Formblatt aus der Hand und ging voraus. Das Untersuchungszimmer ließ gerade Platz für eine Liege und einen Hocker und es war von Vorteil, dass Dr. Patel ein schmaler kleiner Mann war, von indischer Herkunft, dass Rick, wenn er bei besserer Laune gewesen wäre, nach seinem Patentschein gefragt hätte – oder was Ärzte auch immer machen mussten, um Patienten behandeln zu dürfen.
Das grelle weiße Licht tat in seinen Augen weh, nur in dem einen, was er noch aufbekam und er blinzelte ununterbrochen.
„Schlägerei gehabt?“
„Ja“, sagte Rick.
Er ließ sich die Wunden im Gesicht säubern, sich in die Augen leuchten und die Lunge abhören. Dr. Patel tastete seine Rippen ab, kam dann zum linken Arm und sagte: „Hoppla, was haben wir denn hier?“
Er schickte ihn in den Röntgenraum, einmal das ganze Programm, bitte, während er den Arm schiente und die Gipsverbände anlegte, besah er sich die Röntgenbilder und zeigte Interesse an Ricks Tätowierungen.
„Die Rippen sind geprellt, keine Brüche. Der Kopf ist auch Okay, die Augenbraue und das Stück Skalp nähen wir gleich noch. Irgendwelche Allergien auf Medikamente?“
„Nee“, sagte Rick.
„Erbrechen, Schwindelgefühle?“
„Ein wenig.“
„Drei Tage Bettruhe, wenn sie das mit ihrem Lebensstil vereinbaren können.“ Patel war ein echter Komiker.
„Was bedeutet dieser Drache, der sich selbst frisst?“
„Der ist auf der Rückseite einer irischen Münze und es ist ’n Vogel.“
„Scanlon, ein schöner irischer Name. Es ist schon traurig, dass die Iren erst zu einem Nationalbewusstsein kommen, wenn sie ihr Land verlassen haben. In Indien können wir auch unser Lied von den Briten singen. Wo lässt man sich solche Bilder tätowieren? Das hier sieht sehr indianisch aus. Ich hatte mal eine Patientin, als ich noch in San Fransisco gearbeitet habe, die hatte sich zwei riesige Engelsflügel auf den Rücken machen lassen. Ich hab sie mit Mullbinden ans Bett gefesselt, damit sie mir nicht davonflog. Sie war auf Angeldust.“
Die acht Stiche für die Augenbraue spürte er kaum, aber die Wundränder waren angeschwollen und spannten und das Schwindelgefühl, wenn er den Kopf bewegte, ließ auch nicht nach. Das Nähen der Kopfwunde ging so schnell, dass er es überhaupt nicht mitbekam.
„Müssen sie das eigentlich melden?“
Dr. Patel legte die Instrumente beiseite und sah Rick abschätzend an, schaltete einen Moment den Plauderton ab.
„Dieses Anmeldeformular ist ein Witz, Scanlon. Ich weiß, dass die Kosten für diese Behandlung niemand übernehmen wird, aber was soll’s, wir bekommen genug gebrochene Skifahrerbeine eingeliefert, bei denen wir etwas mehr abkassieren können. Ich bin ein Bewunderer von Mutter Teresa und am liebsten würde ich jeden umsonst behandeln, der hier hereinkommt und es sich nicht leisten kann. Das Mädchen, was sich da draußen vor der Tür herumdrückt, bringt sich selbst Wunden bei, um beachtet zu werden, dann kommt sie zu uns und ich höre ihr eine Weile zu. Was soll ich ihr sagen? Geh nach Hause? Warum sollte ich dem Sheriff sagen, dass ich jemanden behandelt habe, der offensichtlich zusammengetreten worden ist, vermutlich von mehr als einem, weil sie festgehalten worden sind. Ihre Hände sähen anders aus, wenn es ein fairer Kampf gewesen wäre. Ich werde mich auf die ärztliche Schweigepflicht berufen. Sehen sie zu, dass sie sich ausruhen, ich gebe ihnen ein Rezept für Schmerztabletten mit. Und Finger weg vom Alkohol. Wenn sich der Kopf in drei Tagen nicht besser anfühlt oder sich etwas entzündet, kommen sie wieder.“
Dieser kleine schmächtige Kerl in dem zu großen Kittel hatte mit seiner ruhigen Sing-Sang-Stimme in Rick eine wohltuende Müdigkeit ausgelöst, die ihn besänftigte und in sich hineingrinsen ließ, dass er sich wie ein Idiot vorkam.
„Danke“, sagte er, überlegte, ob er noch irgendwas erklären sollte und dann fiel ihm nur ein: „Einem der Blödmänner hab ich die Eier zurück in die Nieren getreten. Möglich, dass der auch hier auftaucht.“
„Nun, mit eingetretenen Eiern wird er vermutlich keine Witze machen.“

Um die Schmerzmittel zu besorgen, fuhren Rick und Dash zur nächsten Apotheke, besorgten sich dabei nebenan auch noch zwei six-packs und steuerten dann Sammys Joes Haus an. Sie war nicht zu Hause, Dash kletterte durch das offene Badezimmerfenster und öffnete die Tür von innen.
Sie wurden von David Dustman dabei beobachtet, der sie verfolgte, seit sie die Klinik verlassen hatten und der sich ganz heimlich – ganz in seinem innern – darüber schwarz ärgerte, dass Rick noch aufrecht gehen konnte. Der eine Arm war in Gips, Okay, und wie das blühende Leben sah er auch nicht aus, aber wieso lief er noch herum, als wenn nichts geschehen wäre und trug mit Dash Dosenbier ins Haus, als hätten sie etwas zu feiern? Der Teufel raste in Davids Hirn hin und her.

Hayden flog den Hubschrauber über die letzten Reste der Lawine hinweg, sie erreichten bald darauf die ersten Häuser von Ouray und Sophie konnte etwas entspannen, löste ihre verkrampften Hände von dem Sitz, in dem sie angeschnallt war. Sie hasste Helikopterflüge. Selbst, wenn sie die Möglichkeit hatte, innerhalb von zwanzig Minuten von JFK nach Manhattan zu kommen, indem sie den Heli nahm, bevorzugte sie ein Taxi – war länger unterwegs und musste mehr dafür bezahlen, aber ihre Nerven sagten „Danke schön“.
Dom neben ihr sah sie immer wieder von der Seite an, grinste verstohlen in sich hinein, wurde aber sofort ernst, wenn sie aufsah.
„Es ist der einzige Weg nach Ouray und der einzige Weg zu Rick. Ein Vorteil hat das ganze – er kann uns nicht davonlaufen.“
Dom brummte zustimmend, in Gedanken ganz woanders. Er spielte die Möglichkeiten durch, was alles passieren konnte, wenn der Sheriff sie nicht haben wollte in seiner Stadt; wenn er glaubte, sie würden Rick als Handgepäck aufgeben und davonfliegen, ohne dass er seine Chance einer Verurteilung bekam. Er konnte Rick eingebuchtet haben und ihnen den Besuch verweigern. Jeder hatte seine Erfahrungen mit Kleinstädten und deren willkürlich ausgelegten Gesetze.
Sophie wurde grün im Gesicht, sie schloss die Augen und reckte das Kinn hoch, blieb so sitzen, bis der Hubschrauber sicher auf einem schneebedeckten Feld gelandet war. Die Blätter des Rotors schwirrten noch über ihren Köpfen, aber der Lärm wurde weniger, sie schnallten sich los und stiegen aus.
Hayden sah sich um, prüfte den Boden mit der Schuhspitze und nahm dann grinsend das Geld entgegen. Sophie behielt ihre Reisetasche in der Hand, weil sie das teure Lederding, die sie sich mal geleistet hatte, nicht in den Schnee stellen wollte. Die Tasche war klein und teuer gewesen und Rick hatte seine Witze darüber gemacht.
„Wozu brauchst du die?“
„Wenn ich mal geschäftlich unterwegs bin.“
„Da passen gerade drei Unterhosen rein.“
„Ich hab doch ausprobiert, was alles reingeht.“
„Elefantenvorhautleder.“
„Was?“
„Wenn du sie streichelst, wird sie größer.“
Damals hatte er noch diese Art von Humor besessen; blitzschnelle Bemerkungen und Antworten, Einwürfe und Fragen, noch während man darüber lachte oder sich empörte, war er schon wieder ganz woanders, ruhelos wie ein Tiger im Käfig. Sie hatte gehofft, dass diese Zeiten wiederkommen würden, dass die Wunden endlich heilten, aber statt dessen hatte er sich aus dem Staub gemacht.
„Du bist wütend auf ihn“, bemerkte Dom plötzlich.
Sie warteten auf ein Taxi, auf irgendetwas fahrbares, was sie zur Autovermietung bringen sollte, die sich geweigert hatten, den Leihwagen irgendwo in Ouray abzustellen, statt dessen einen Wagen schicken würden, aber noch ließ sich niemand blicken und hinter ihnen startete der Helikopter zum Heimflug. Die Rotoren pfiffen und wehten sie mit Schnee zu.
„Du etwa nicht?“
„Wenn ich wegen jeder seiner Aktionen wütend werden müsste...“
„Du hättest allen Grund dazu“, sagte Sophie trocken, „er ist mit deinem Geld verschwunden.“
Nicht gerade mit seiner letzten Reserve oder seinem Sparstrumpf, aber auch nicht eben wenig, was er Rick anvertraut hatte.
„Ich hab das längst als ungewöhnliche Belastung verbucht. Was ich mich allerdings frage, ist, wie lange er damit ausgekommen ist.“ Dom machte ein abschätzendes Gesicht und Sophie schnaubte nur.
Gerade, als sie sich nach einer Telefonzelle umsehen wollten, kam ein Taxi die Straße herunter, hielt neben ihnen und ein junger Mann sprang heraus, um das Gepäck einzuladen.
„Hi“, rief er, „verflucht glatt heute, ich musste Ketten aufziehen und deshalb konnte ich nicht schneller fahren. Guten Flug gehabt? Wo ist das restliche Gepäck?“
„Das ist alles“, sagte Dom.
„Oh. Okay. Ich setz sie dann jetzt bei Avis ab. Auf geht’s.“
Wir sind keine Skitouristen, dachte Dom, und jetzt überlegt er, was wir sonst hier in der Stadt wollen.
Er ließ Sophie zuerst einsteigen, blieb bei der geöffneten Tür stehen und sah sich kurz um. Die Berge und die Wälder, die Ouray umgaben, waren schneebedeckt, der Himmel ließ das strahlende Blau vermissen und es zogen neue Schneewolken heran. Anscheinend waren sie noch rechtzeitig hergeflogen, ein paar Stunden später hätte der Helikopter wegen geringer Sicht nicht starten können.
Die Wohnhäuser, die diese Straße säumten, sahen gepflegt und gediegen aus, Okay für Bewohner und Besucher, aber nicht für Rick Scanlon. Ihn würden nur die Autos in den offenen Garagen interessieren und der Rest war vorprogrammiert. In solchen Städten hatte er keine Chance irgendwo unterzutauchen, er fiel überall als Fremder auf und das drängte ihn in seine Rolle zurück, selbst, wenn er es nicht wollte.
Dom wusste von einigen Städten, in denen Rick gar nicht auf die Idee gekommen war, irgendetwas anzustellen. Es waren kleine Gemeinden gewesen, die langsam ausstarben, weil die Jungen fortzogen und nicht wiederkamen, Straßen mit sterbenden Geschäften und Läden, windschiefe Häuser und Kinder, die nur durch die Armenspeisung satt wurden. Rick hatte freimütig davon erzählt, als er wieder nach Hause gekommen war.
In diesen dead dog towns, wie er sie nannte, konnte er in jedem einzelnen Gesicht sehen, was aus ihm geworden wäre, hätte er damals Mascot nicht getroffen und hätte er ihn nicht mitgenommen. Er konnte diesen Leuten nichts wegnehmen, die sich nicht mal die Versicherungen leisten konnten. Also hatte er sich so durchgeschlagen, Autos repariert und andere Kleinigkeiten gegen Naturalien erledigt. Aber er war nie lange geblieben; alles, was ihn an Mt. Vernon in Indiana erinnerte, konnte er nicht lange aushalten.
Das Avis Büro war ein echter Witz. Den Laden musste sich die Autovermietung mit einer chemischen Reinigung teilen, links Leihwagen, rechts Wäsche, es roch durchdringend nach Chemikalien und der Manager, der ihnen den Autoschlüssel überreichte, hatte rot entzündete Augen und blinzelte ständig.
„Der Buick steht auf der anderen Straßenseite“, sagte er, „schräg gegenüber. Er ist aufgetankt und hat Schneeketten drauf. Unser bestes Stück, sie haben Glück, ihn zu bekommen.“
„Die Geschäfte laufen wohl nicht besonders.“
„Es wird wieder besser werden, wenn der Skyrocket Creek frei ist.“ Er blinzelte und grinste. „Ich wäre ein reicher Mann, wenn ich Schneemobile verleihen könnte.“
Ein reicher Mann mit einer Allergie, dachte Sophie humorlos.
Der Buick war gut gepflegt und lief wie ein Bienchen. Dom setzte sich hinter das Steuer, weil Sophie auf der dicken Schneedecke nicht fahren wollte, sie nahm sich die Zeit, die mitgegebenen Karten und Broschüren über Ouray durchzublättern. Sie fand eine Liste mit empfohlenen Restaurants und sagte: „Sag bescheid, wenn du Hunger hast.“
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Ja man hängt an der Geschichte voller Neugier dran und denkt, jetzt alles zu erfahren, aber wieder nichts. Na ja dann haben wir zum Glück noch länger was davon. Man wartet immer auf die Auflösung, aber dann gibt es gerade von dir noch mal eine Steigerung von der bisherigen Spannung. Du machst das möglich und vor allem noch sehr gut. Jetzt möchte ich aber auch gerne wissen, wie die zwei Neuankömmlinge das kleine Dörfchen auch noch aufmischen und was noch so alles passiert. Kanns auch kaum erwarten.

Fan-Tasia (03.06.2009)

David ist ein echter Fiesling. Na, der wird schon noch sein Fett dafür bekommen. Dash kann Rick helfen ins Krankenhaus zu kommen. Sehr spannend wie Dom und Sophie plötzlich auftauchen. Denke mal, da wird sich noch so Einiges klären. Ganz toll geschrieben. Ich warte auf das nächste Kapitel.

Jochen (03.06.2009)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
On a Rainy Day - Inhaltsangabe  
Give Blood - Inhaltsangabe  
Open All Nite - Inhaltsangabe  
Ouray, Colorado - Inhaltsangabe  
Broken Fingers - Inhaltsangabe  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De