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18 Seiten

Ouray, Colorado - Teil 9

Romane/Serien · Spannendes
© Tintentod
„Nein, wir haben noch keine Spur von ihm. Er könnte die Stadt verlassen haben, das weiß ich, Sir, aber das glaube ich nicht.“
Sheriff Overturf hielt mit einer Hand die Muschel des Telefons zu, senkte den Kopf, als wolle er ihn Stirn voran durch die Wand stoßen.
„Mr. Dustman, wir haben drei Verletzte, die aussagen, dass sie von jemandem überfallen worden sind, den sie nicht kannten. Dass es Scanlon gewesen sein könnte, ist überhaupt nicht bewiesen.“
Herbert stand in der Tür, machte ein skeptisches Gesicht und hielt David zurück, der gerade an ihm vorbei aus dem Revier verschwinden wollte.
„Einen Moment“, flüsterte er.
„Ja“, sagte Overturf zu seinem Gesprächspartner, „ja, darum kümmere ich mich.“
Endlich fand er die Gelegenheit aufzulegen, warf den Hörer auf die Station und deutete David mit lockendem Finger, dass er wieder reinkommen solle. David trug die Uniform, war zur Streife eingeteilt und murrte halblaut, dass der Kollege ihm einen Anpfiff erteilen würde, wenn er ihn zu spät ablöste.
„Du hast deine Schießbudenfiguren auf Scanlon gehetzt.“
„Nein, Sir“, sagte David empört, „ich weiß gar nicht...“
„Die drei sind in der Unfallklinik. Sehen nicht schön aus. Sie behaupten, sie wären von einem Unbekannten überfallen worden und waren nicht in der Lage, eine Täterbeschreibung zu liefern. Für mich sieht das ganz danach aus, als wollten sie verhindern, dass ihre Aktion ans Tageslicht kommt.“
„Wir haben ihn noch nicht aufgespürt“, flüsterte Herbert David von hinten ins Ohr, „aber ich schätze, dass er dich auch noch bei den Eiern kriegt.“
„Ich habe damit überhaupt nichts zu tun. Ich bin Polizist.“
Sheriff Norman Overturf lächelte humorlos, machte eine Bewegung zum Telefon.
„Ich hatte deinen Vater an der Strippe, bin gespannt, wie du ihm diese Sache erklären willst. Wir finden Scanlon und dann wird er uns allen erzählen, was los gewesen ist.“

Die Warterei war nach fast vier Stunden nicht mehr komisch. Julia hatte die Hütte aufgeräumt, um einen guten Eindruck zu machen, hatte sich mit einem Buch in den Sessel gesetzt und sogar eine halbe Stunde geschlafen. Jetzt konnte sie nicht mehr, war stinkewütend und enttäuscht, gab Rick noch zehn Minuten, bevor sie verschwinden und den Rest des Tages mit Elliott verbringen würde. Fünf Minuten, bevor das Ultimatum ablief, klingelte ihr Handy.
„Bist du noch in der Hütte?“
„Ich wollte gerade nach Hause fahren“. Irgendwie schaffte sie es nicht, wütend zu klingen, ihre Stimme bettelte förmlich nach einer Erklärung, warum er noch nicht aufgetaucht war.
„Ich bin in etwa einer Stunde bei dir“, sagte Rick, „ich hatte ein paar Probleme. Mir geht’s nicht gut und ich musste Sammy Joe irgendwas erzählen, dass sie mich weg lässt. Es tut mir leid, dass du so lange warten musstest, Julia.“
„Schon in Ordnung. Hauptsache ist, dass du vorbei kommst.“
„Du wartest also?“
„Ja, versprochen.“
Er klang wirklich, als wäre er nicht in Ordnung, hatte schon aufgelegt, bevor sie fragen konnte, was ihm fehlte.
Sein gebrochener Arm wird’s wohl sein, dachte sie, nahm wieder das Buch zur Hand und versuchte, sich darauf zu konzentrieren.

Rick drückte mit dem Zeigefinger die Gabel des Telefons herunter, wählte die nächste Nummer an und sagte nur einen Satz.

„Wo ist ihre Tochter gerade?“
Dustman starrte wie versteinert auf das Telefon, hatte diesen Satz noch immer im Ohr und konnte es trotzdem nicht begreifen.
Wo war Julia?
Er rief in der Villa an und hörte, dass sie irgendwann nach dem Frühstück gegangen sei, aber ihr Wagen noch vor der Garage wäre.
Wenn sie länger wegbleibt, dachte Dustman, dann sagt sie bescheid.
Ihm brach kalter Schweiß aus bei dem Gedanken, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte. E wählte noch einmal Sheriff Overturfs Nummer, hatte aber nur den Deputy in der Leitung.
„Ich komme vorbei“, bellte er ins Telefon und verließ sein Büro. Auf dem Weg zum Revier fuhr sein Sohn in einem Streifenwagen an ihm vorbei, er bremste und hupte gleichzeitig und brachte den Verkehr zum erliegen. David tat das gleiche, auf beiden Seiten begannen die, die nicht sehen konnten, wer den Stau verursachte, heftig zu hupen.
„David? David! Wo ist deine Schwester?“
„Keine Ahnung“.
Die Wagen waren auf gleicher Höhe stehen geblieben, trotzdem mussten sie laut rufen, um etwas zu verstehen, Vater und Sohn hängten sich weit aus dem runtergekurbelten Fenstern.
„Bei mir hat jemand angerufen und gefragt, wo Julia gerade sei und wieder aufgehängt.“
„Hast du die Stimme erkannt?“
„Keiner aus der Stadt.“
„Scanlon?“
„Möglich. Was kann er von ihr wollen?“
„Dad, vielleicht hat er sie in seiner Gewalt und will uns erpressen.“
„Wenn das stimmt, David“, grollte Dustman, „dann will ich, dass du das in die Hand nimmst. Ich melde mich bei dir, wenn er wieder anruft.“
Es war keine Sache, die man mitten im Straßenverkehr von Ouray hätte besprechen sollen, aber für David war es kein Geheimnis, dass er hinter Scanlon her war und es konnte jeder in Ouray wissen, was Scanlon angezettelt hatte. Er würde jedes Schlupfloch zustopfen und dann konnte er sich ihn schnappen.
Wenn er Julia festhält, dachte er, dann hat er das allein durchgezogen, denn niemand aus Ouray hätte ihm dabei geholfen und wenn ich ihn habe, wird er sich wünschen, er hätte sie nicht angerührt.
Er hatte Angst um seine Schwester, rief bei ihrem Freund an, aber der arbeitete noch in seinem Skihotel und sagte nur, dass er sie weder gesehen noch gesprochen habe.
„David, wenn du sie siehst, sag ihr bitte, dass ich langsam das Schneemobil zurück haben muss, Okay? Die wachsen bei mir nicht auf den Bäumen.“
„Mach ich“, antwortete David.
Er stand in Ourays Einkaufsstraße, wurde von einer Bekannten seiner Mutter angesprochen, wie großartig es sei, dass die Straße wieder frei war und dass man jetzt wieder auf ein paar Touristen mehr hoffen könne. David tat freundlich und aufmerksam, aber als die Frau ihm in die Augen sah, fuhr sie innerlich zusammen und hatte es eilig, in den Supermarkt zu kommen.

Rick hebelte mit dem Messer das Kellerfenster auf, kroch hinein und wartete unter dem Fenster, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Der Raum war nicht sonderlich groß, aber aufgeräumt und sauber, gemütlich wie ein Wohnzimmer, obwohl es nur der Keller war. Rick ging den Raum ab, inspizierte die Regale und Schränke, Weinflaschen und Stapel von Altpapier, eine ausrangierte Waschmaschine, eine Werkbank, an der noch nie jemand gearbeitet hatte. Über der Werkbank hing ein Telefon, er nahm den Hörer ab und hatte das Freizeichen.
Gut, dachte er, dann muss ich nicht nach oben, um sie aus dem Haus zu bekommen.
Er ließ sich in der Ecke nieder, aus der er die Treppe nach oben ins Haus im Auge hatte, befühlte die Schnittwunden in seinem Gesicht, wischte das Blut mit dem Rand des T-Shirts ab, was er sich aus dem Hosenbund gezogen hatte. Seine Hände zitterten noch immer. Der Schnitt an der Stirn war so tief, dass er glaubte, seinen Finger bis unter den Haaransatz schieben zu können, das fühlte sich ekelig an und er beschränkte sich darauf, das Blut abzuwischen.
In der Dunkelheit kam die Erinnerung an den Unfall zurück. Er konnte nicht begreifen, dass er fast unverletzt aus dem Jeep raus gekommen war, während er Dash hatte dort lassen müssen.
Wieso konnte er Mascot sehen? dachte er, das geht mir nicht in den Kopf. Das kapier ich nicht.
Er nahm seine Tasche auf den Schoß, wühlte nach den Polaroids und zählte sie durch. Es waren einhundertundsechs Stück, genügten mit Sicherheit keinen künstlerischen Ansprüchen, aber bei Autofocus und Blitzlicht hatte er alles scharf getroffen, was er hatte treffen wollen. Die dicken Stapel Fotos stopfte er sich in die Jackentaschen, machte das ganz vorsichtig, weil seine geprellten Rippen noch immer weh taten. Er summte vor sich hin, das alte ‚eggs and sausage’.
Crazy Davey würde Augen machen und an diese Sache würde er sich noch in hundert Jahren erinnern.
Dich krieg ich und wenn es das letzte ist.
Es war nicht schwer, diese apokalyptische Stimmung beizubehalten; Rick vergaß seine Schmerzen, er vergaß Sophie und alles andere. So, wie er sich mit Leib und Seele darauf konzentrieren konnte, einen Wagen aufzubrechen, brachte er sich in Stimmung für den letzten Schritt. Das Messer und die Fotos waren alles, was er mitnahm, die Tasche mit seinen restlichen Sachen ließ er in der Ecke bei den Weinflaschen zurück. Falls man an dem Klingeln des Telefons hören konnte, ob der Anruf von drinnen oder von draußen kam, musste er sich was neues einfallen lassen. Er wählte die Nummer des Hauptanschlusses. Die Angestellte meldete sich und Rick fragte wieder, wo Julia sei, in einem Ton, als würde er es wissen und seine Späße damit machen und legte auf. In Dustmans Stadtbüro ging niemand dran. Wieder wählte er die Hauptnummer, starrte auf die Wählscheibe und verwischte mit einem Finger sehr sorgfältig die Fingerabdrücke. Sein Gesicht war ernst und in sich gekehrt, aber seine Stimme war kasperhaft fröhlich.
„Vielleicht ist sie irgendwo in der Stadt? Wer weiß?“
Er legte auf und wartete. Es vergingen keine zehn Minuten, da wurde draußen ein Wagen aus der Garage gefahren und verschwand. Niemand kam in den Keller. Er schlich sich die Treppe hoch, horchte mit geschlossenen Augen, schob langsam die Tür auf, die gottlob nicht abgeschlossen war. Obwohl er angenommen hatte, dass sie in den Flur führen würde, kam er durch die Küche ins Haus.
Auch kein Problem.
Er suchte den Fußboden ab, öffnete ein paar Schränke, in denen er die Lebensmittel vermutete. Kein Fress- und Wassernapf, kein Futtersack im Schrank. Die Dustmans hatten keinen Hund, der sich ihm in den Weg stellen und Alarm schlagen könnte.
Wenn ich so ein Haus hätte, hätte ich ein halbes Duzend Hunde.
Zwei Türen führten aus der Küche heraus, eine in den Speisesaal, eine zum Flur, der großzügig geschnitten war, mit dicken Teppichen ausgelegt und Ölbildern an den Wänden. Dieses Haus war Luxus pur und trotzdem haftete ihm noch immer das Kleinstadtflair an. In einer Ecke hatte jemand seine nassen Gummistiefel abgestellt, über dem Treppengeländer hing ein Schal und über der Eingangstür, die aus dicken geriffelten Milchglas bestand, baumelten ein paar Ketten mit Glöckchen dran. Wenn die Tür sich öffnete, bekamen sehr viele Engel im Himmel ihre Flügel.
Die Räume von David und Julia mussten oben sein, die waren immer oben in solchen Häusern. Rick brachte die Holztreppe ohne Knarren und Quietschen hinter sich, wandte sich nach rechts und begann bei der ersten Tür. Von unten hörte er eine Stimme und erstarrte – sein Herz wollte sich gar nicht mehr beruhigen, selbst, als er begriff, dass die Angestellten, die er am Telefon gehabt hatte, vor sich hinsang.
Davids Zimmer erkannte er an den gebügelten Uniformen im Schrank und an dem blöden gerahmten Foto von ihm und einer Ballkönigin, er steckte dort das erste Polaroid in den Rahmen.
Und dann machte er weiter.

Sophie lernte Sheriff Norman Overturf kennen, als sie ins Revier fuhr, um zu fragen, ob es etwas neues gab und sie konnte nicht verhindern, ihn unsympathisch zu finden. Sie ließ Dom reden, um sich nicht mit ihm unterhalten zu müssen und als sie erfuhren, dass drei junge Männer von einem Unbekannten mit einer großen Taschenlampe zusammengeschlagen worden waren, wechselten Dom und sie nur einen schrägen Blick.
Sie kamen sich vor wie in einer schlechten Komödie.
„Was soll das heißen? Haben sie erwartet, dass Scanlon so etwas macht?“
„Ich habe nichts gesagt“, verteidigte sich Dom und hob die Hände.
„Diese Blicke haben genügt. Wenn sie noch etwas wissen, spucken sie’s besser aus.“
„Was sollen wir wissen, Sheriff, wir haben ihn ja nicht einmal zu Gesicht bekommen.“
Overturf musterte Sophie so abschätzig, dass sie ihm dafür hätte an die Kehle gehen können und sie hätte eine Wette darauf abschließen können, was als nächstes aus seinem Mund kam.
„Wie kommt Scanlon an eine Frau wie sie?“
Dom hielt die Luft an und wagte Sophie nicht anzusehen.
„Er hat mich während einer Party in den Pool geworfen“, erwiderte sie zuckersüß, „können sie sich den Rest denken?“
Bevor Overturf wieder etwas härteres erwidern konnte, schob sich Herbert dazwischen, obwohl er wusste, dass man bei solchen Aktionen schnell von beiden Parteien eines auf die Glocke bekommen konnte.
„Wer möchte einen frischen Kaffee?“
„Herb, ist das hier ein Café oder was?“
„Es kann nicht schaden, die Gemüter abzukühlen. Übrigens habe ich versucht, David über Funk zu erreichen, ohne Erfolg.“
Overturf sah ihn fragend an.
„Wenn Scanlon rausbekommen hat, wer ihn verprügelt hat, wird er auch wissen, wer’s in Auftrag gegeben hat.“
„Wer ist David?“ wollte Sophie wissen.
„Einer unser Deputys.“
„Das hört sich nicht gut an.“
„Sie kennen ihn“, sagte Sheriff Overturf und fand zu seinem geschäftlichen Ton zurück, „was, glauben sie, hat er vor? Wird er David genauso vertrimmen und ihm den Arm brechen oder wird es noch schlimmer? Können sie uns das sagen?“
„Ich kann ihnen dazu nur sagen, dass er ihm mindestens einen Knochen brechen wird, aber nageln sie mich nicht darauf fest. Ich weiß nicht, was Rick sich in seiner Wut einfallen lässt. Es könnte gut sein, dass er versucht, ihn im Klo runterzuspülen.“
Gute Reise, dachte Sophie.

Rick hockte auf Davids Bett, sah sich müde um und konnte weiter nichts mehr tun, er war fertig. Er hatte Davids Zimmer erfolgreich umdekoriert, wartete jetzt nur noch darauf, den nächsten Schritt tun zu können. Er telefonierte wieder mit dem Apparat unten in der Halle, legte nach wenigen Worten auf und sah vorsichtig aus dem Fenster. Er brauchte keine Uhr, um zu wissen, dass ihm die Zeit davonrannte und endlich, nach einer halben Stunde des Wartens, kamen zwei Wagen zurück.
Ein Mann und eine Frau stiegen aus, redeten wild durcheinander und kamen ins Haus gelaufen, Rick öffnete die Zimmertür einen Spalt und horchte. Ihre Stimmen waren bis nach oben zu hören. Zeit für ein kleines Telefonat.
Das aufgeregte Geschnatter unten verstummte, als das Telefon wieder loslegte.
Rick hatte die Stimme des Alten am Ohr, der ihn vermutlich umbringen würde, sollte er ihm jemals begegnen.
„Wo ist meine Tochter?“
„Das erfahren sie noch früh genug.“
„Scanlon...“
„In dem Ton sollten sie nicht mit jemandem reden, der weiß, wo ihre Tochter steckt. Versuchen sie’s noch mal.“
Rick war neugierig darauf, ob der alte Dustman das konnte – sich freundlich anhören.
„Sagen sie, was sie wollen und lassen sie meine Tochter laufen. Und einen freundlicheren Ton werden sie von mir nicht hören.“
Im Hintergrund hörte Rick eine protestierende Stimme, allerdings nicht sehr laut. Die Kräfteverhältnisse in dieser Familie waren klar.
„Okay“, sagte Rick, wollte schon auflegen, aber dann hätte er noch ein weiteres Mal anrufen müssen und das hatte er nicht vor.
„Ihrer Tochter geht’s gut, aber um sie geht’s nicht. Es geht um David.“
Das Geraune im Hintergrund wurde lauter und Rick konnte Davids Stimme heraushören, der abstritt, irgendetwas getan zu haben. Er klang seinem Vater gegenüber relativ überzeugend, aber seine Stimmlage änderte sich, als er verlangte, den Hörer zu bekommen und sein Vater es ihm verweigerte. Rick schloss die Augen und konnte diese nette kleine Familie dort unten förmlich beisammen stehen sehen.
„Dustman, ihr Sohn weiß, was er getan hat, vielleicht will er sich bei mir entschuldigen. Geben sie ihn mir.“
David brauchte nichts zu sagen, Rick spürte, dass er in der Leitung war und bevor er sich eine weitere Drohung anhören musste, sagte er flüsternd: „David, du wirst nie wieder Deputy spielen, nie wieder. Deine Karriere ist heute beendet.“
Als seine Hand mit dem Telefonhörer auf dem Weg zum Apparat war, schlug in Davids Zimmer eine seiner Uhren an, dingdongte ein paar Mal und verstummte wieder.

Der Apparat, um den sie sich versammelt hatten, war auf Lautsprecher gestellt und sie alle hörten das kurze Dingdong der Uhr, bevor die Verbindung abbrach. Davids Hand war erstarrt, er musste sich zwingen, den Hörer aufzulegen und dann sagte er tonlos: „Er ist hier im Haus. Er ist in meinem Zimmer.“

Die Meldung, dass Rick Scanlon in der Dustman-Villa sei, kam über die Zentrale und versetzte alle in hektische Betriebsamkeit. Dom zog Sophie nach draußen zum Wagen.
„Bevor uns der Sheriff verbieten kann, zu diesem Haus zu fahren, sollten wir einfach schon mal losfahren.“
„Weißt du, wo die Villa ist?“
„Ich glaube, wir sind drüber hinweg geflogen.“
Sophie biss die Zähne zusammen, betete irgendetwas unsinniges und schnallte sich an, als Dom losbrauste. Sie war ungern der Beifahrer, hatte das aber noch nie zugegeben, weil sie die Männer am Steuer nicht beleidigen wollte.
„Er ist in diesem Haus?“ rief sie, ohne den Blick von der Straße vor sich zu nehmen. Hinter ihnen jaulten die Polizeisirenen an den Fahrzeugen auf, die ihnen folgten.
„Das hast du doch gehört.“
„Und David ist auch da.“
„Hoffen wir, dass keiner von ihnen bewaffnet ist.“

So ein Hurensohn, dachte David. Das war alles, wozu in seinem Kopf noch Platz war. So ein Hurensohn.
Er stand in seinem Zimmer, sah sich ungläubig um und konnte es nicht fassen. Diese vier Wände waren sein Reich gewesen, sein Heiligtum, seine Zuflucht. Hier hatte er bei lauter Musik auf seinem Bett gelegen und über seine Zukunft nachgedacht, hier hatte er den Plan gefasst, der Chef der Polizei zu werden. Hier hatte er sehr still und heimlich sein erstes Mädchen rumbekommen und war dabei fast von seiner Mutter erwischt worden. Hier hatte er sich ausgesponnen, was er als Sheriff in Ouray alles anders machen würde und warum der Stadtrat ihn lieben würde.
Das alles hatte Scanlon schon allein dadurch beschmutzt, dass er nur in diesem Zimmer gewesen war, dass er es gewagt hatte.
Sein Vater sah sich um und meinte leichthin: „Ich frage mich, was diese Dekoration soll. Sind das diese drei Typen, die er verprügelt hat?“
Das waren sie wirklich, seine drei Komparsen in dieser Komödie. Die Polaroids, die überall steckten, zeigte sie sehr deutlich. Sie waren abgebildet, wo sie zu Boden gegangen waren, immer wieder blutige Gesichter und aufgerissene Augen, vom Blitzlicht rote Pupillen. Auf einem Foto konnte man einen herausgebrochenen Schneidezahn erkennen.
Die Fotos klebten in einer sauberen Linie einmal komplett die Wand entlang, nur von Türen und Fenster unterbrochen. Davids Schreibtisch war gepflastert mit ihnen, sie klebten sogar unter der Decke und an den Fußleisten. Eines zeigte Vico, wie er davonzukriechen versuchte, die Nase am Boden, den Hintern in die Höhe gestreckt. Ein anderes dokumentierte zwei gebrochene Finger, deren Glieder in die falsche Richtung abknickten.
David wollte die Polaroids herunterreißen, aber sein Vater fiel ihm in den Arm.
„Die Spurensicherung muss sich das ansehen. Du rührst nichts an.“
„Wo ist er hin?“
Sie waren zu zweit nach oben gestürmt, hatte Gracey und die Hausangestellte unten in der Küche gelassen. Die Treppe war der einzige Zugang zu der oberen Etage, Scanlon musste noch oben sein.
„Wir finden ihn“, flüsterte Dustman, „und dann wird er es sehr eilig haben, uns zu sagen, wo Julia ist.“
Sie schlichen sich von Zimmer zu Zimmer, David hatte seinen Revolver im Anschlag und schwor seinem Vater, nur in Notwehr zu schießen. Sie waren leise und vorsichtig, durchsuchten jeden Winkel der Etage, aber sie konnten Rick nicht finden.
„Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben“, murmelte David und sein Vater murrte: „Sei still.“
Sie blieben im Flur bei der Treppe stehen und horchten, zuckten beide bis ins Mark zusammen, als unten im Haus die Glöckchen fast heruntergerissen wurden, die Haustür zuschlug und eine Stimme herzzerreißend „Mom“? rief.
Sie jagten nach unten, blieben am Treppenabsatz stehen und ließen Gracey den Vortritt, die aus der Küche kam und einen Schrei der Erleichterung ausstieß.
Julia war in einem desolaten Zustand, sie weinte und fiel ihrer Mutter um den Hals. Sie wollte erzählen, was geschehen war, kam aber nicht zu Wort, weil sich ihre Familie auf sie stürzte und mit Fragen bombardierte. Sie verstand überhaupt nichts.
Von wo sie sich befreit hätte? Wer hätte sie festhalten sollen? Gekidnappt?
„Was?“ stammelte sie, „wovon redet ihr überhaupt?“
Sie machte sich von ihrer Mutter los, sah ihren Vater und David mit großen Augen an und beantwortete die Frage, wo sie gewesen sei: „Ich habe Elliott das Schneemobil zurückgebracht. Habt ihr nichts von dem Unfall gehört? Dash ist auf der Straße zum Skyrocket Creek verunglückt. Sein Wagen liegt kopfüber im Graben.“
„Ihr verschwindet wieder in die Küche“, sagte Dustman, „bis wir Scanlon gefunden haben.“
„Rick ist hier?“ erwiderte Julia äußerst irritiert, sah sich um und wischte sich nebenbei die schwarzen Kajalränder unter ihren Augen weg.
„Er ist hier eingebrochen und hat sich in einem der oberen Zimmer versteckt und er hat behauptet, er hätte dich in seiner Gewalt.“
„Wie kommt er denn auf so was?“
Ich weiß, wie er darauf kommt, dachte sie gallig, lockt mich in die Hütte, wo ich stundenlang auf ihn warte, ohne mich zu rühren und behauptet den anderen gegenüber, er hätte mich in seiner Gewalt. Dieser verdammte Mistkerl. Er hat das alles von Anfang an geplant.
„Kennst du ihn näher?“
„Ich habe ihn nur ein paar Mal mit Sammy Joe zusammen gesehen. Das kann man nicht als näher kennen bezeichnen.“
Ihre Mutter Gracey machte ein skeptisches Gesicht, aber so ein Gesicht machte sie häufig, weil man ihr in keiner Lebenslage etwas recht machen konnte, sie reichte Julia ein Küchentuch, damit sie sich das Gesicht abwischte.
„Die beiden werden ihn schon finden und dann können wir endlich aufatmen. Hast du eine Vorstellung davon, welche Angst wir ausstehen mussten?“
„Hat Scanlon irgendetwas über mich gesagt?“ fragte Julia vorsichtig und ihre Mutter sagte nur: „Was hätte er denn sagen sollen?“
Dass er hinter mein Geheimnis gekommen ist und es auch erzählen will, das hätte ich ihm zugetraut. Ich könnte ihn dafür umbringen.
„Ich dachte nur daran, ob er einen Beweis dafür gebracht hat, dass ich in seinen Händen bin.“
„Dazu haben wir keine Zeit gehabt.“
„Er muss sehr überzeugend geklungen haben.“ Der Sarkasmus in ihrer Stimme war deutlich zu hören und endlich konnte sie auch wieder an etwas anderes denken – an den Unfall zum Beispiel. Sie musste mit jemandem darüber reden, aber ihre Mutter würde ihr nicht zuhören.
Die beiden Männer suchten noch immer die oberen Etage ab, waren noch nicht zurück und kein Laut kam von oben.
Wenn er noch dort oben ist, dachte Julia, dann kriegen sie ihn hoffentlich.
Sie fühlte sich verraten, als wäre sie von Rick in der Hochzeitsnacht betrogen worden.

Rick hörte, dass David und der Alte nach ihm suchten, hörte sie, obwohl sie so leise wie nur möglich waren. In seiner Situation konnte er sich nur an der Wand festhalten, den Blick nach oben halten und zusehen, dass er nicht von der schmalen Kante abrutschte, auf der gerade seine Fußballen Halt fanden. Er war aus dem Fenster geklettert und hatte sich als Fassadenkünstler betätigt, dort wurde es ihm langsam so kalt, dass er den Halt zu verlieren drohte. Seine Wadenmuskeln verkrampften immer mehr.
David kam erneut in sein Zimmer, blieb vor dem halb offenen Fenster stehen und meinte: „Verdammt, Dad, er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben, er ist nicht Houdini. Er hat einen gebrochenen Arm, wird kaum den Kamin hochgeklettert sein.“
Er sah aus dem Fenster, bewegte die Gardine mit einer Hand und dachte einen Moment an den schmalen Vorsprung, der um das Haus lief, aber der war viel zu schmal, als dass sich dort jemand halten könnte.
Die Polaroids zerrten an seinen Nerven, er hätte sie am liebsten alle heruntergerissen, aber wenn auf jedem einzelnen Scanlons Fingerabdrücke waren, sollten sie bis zum jüngsten Gericht dort hängen.
„Lass uns nach unten gehen“, meinte er, „er wird schon rauskommen.“
Sie hörten die Polizeisirenen, die sich dem Haus näherten, liefen die Treppe nach unten.
Rick schob sich langsam wieder zum Fenster zurück, Schritt für Schritt auf dem Vorsprung, verschnaufte einen Moment auf dem Sims, den Rücken gegen das Fenster gelehnt. Der Weg nach unten in den Garten schien ihn am sichersten.
Durch das Haus geh ich nicht, dachte er, dann lauf ich den Typen doch noch in die Arme.
Er ging in die Knie, bis er auf seinem Hintern saß und mit den Absätzen gegen die Hausfassade trommeln konnte.
Komm schon, Ricky, diesen Sprung machst du mit links. Du hast schon ganz andere Sachen überlebt.
Je länger er hinunterstarrte, desto tiefer erschien es ihm, außerdem konnte er nicht abschätzen, was unter der Schneedecke verborgen lag.
Ich will mich nicht an irgendwas aufspießen wie eine verdammte Voodoopuppe.
Die Polizeisirenen waren verstummt, die aufgeregten Gespräche allerdings nicht und irgendwie glaubte er, dass Sophie in der Nähe war. Er wollte nicht, dass sie ihn auf dem Fenstersims hockend entdeckte, gefangen wie eine Katze, die sich in einem Baum verstiegen hatte und so fasste er den Entschluss, bei drei zu springen. Nicht mit Anlauf; er rutschte über die Kante, hielt sich mit der gesunden rechten Hand fest, den gebrochenen Arm fest an den Körper gedrückt, um nicht irgendwo gegenzuschlagen. Er ließ sich langsam herunter, bis er mit dem ganzen Gewicht an seinen vier Fingern hing, dann schielte er nach unten und begann zu zählen.

Dom wollte in die Villa stürmen, aber Sophie hielt ihn zurück, weil sie der Kasten stark beeindruckte und ihr etwas den Schneid abkaufte.
„Warte einen Moment“, sagte sie, hielt seinen Arm, „lass den Sheriff als erstes reingehen, der kennt sich aus. Außerdem ist es seine Sache.“
Dom konnte dem nichts entgegensetzen, wo der Wagen des Sheriffs direkt hinter ihnen war, sie warteten auf der protzigen Hollywoodtreppe, beobachteten, wie auf der einen Seite die Haustür aufgerissen wurde und die Polizeiwagen auf der anderen Seite in der Einfahrt zum stehen kamen.
Sheriff Overturf stieg aus, deutete mit einem Finger zu Dom hinüber, als wolle er ihm deuten, sich aus dieser Sache herauszuhalten.
„Sheriff“, rief Dustman schon von der Tür aus, „Scanlon ist im Haus, aber wir können ihn nicht finden. Wollen sie das übernehmen?“
Overturf zog an seinem Gürtel, an dem Taschenlampe, Handschellen und Dienstwaffe befestigt waren, machte eine freundliche Kopfbewegung.
„Ist David bei ihnen? Geht’s ihm gut?“
Statt einer Antwort erschien David in der Tür, gefolgt von Julia, die sehr aufgelöst aussah.
„Wir scheinen rechtzeitig gekommen zu sein“, sagte Overturf und Herbert erwiderte: „Oder er hat sich einfach nur was anderes einfallen lassen.“
„Psychischen Terror versteht Deputy David doch sowieso nicht.“
Herbert prustete unterdrückt, wandte sich um, dass die Dustmans es nicht sehen konnten.
Sie trafen sich alle vor der Haustür, diskutierten und debattierten und Dustman wollte wissen, wer die beiden Fremden seien, die langsam die Stufen nach oben kamen.
„Freunde von Scanlon“, erklärte Overturf, „Julia – alles in Ordnung?“
„Ich muss die ganze Zeit an Dash denken.“
„Ja“, sagte Overturf unbehaglich, „schlimme Sache.“
„Wie, glauben sie, ist Scanlon unbemerkt ins Haus gekommen? Vielleicht nimmer er den gleichen Weg hinaus.“
David sagte: „Wir haben keine Ahnung, wie er reingekommen ist. Durch ein Fenster?“
Der Sheriff deutete Herbert, dass er ihm folgen solle und trabte die Treppe hinunter, um das Haus zu umrunden.
„Wir kommen mit.“
Herbert wandte sich an Dom und erwiderte: „Okay, aber halten sie sich im Hintergrund.“
Auch David und sein Vater folgten ihnen, Sophie sah zu Julia hinüber, hätte sie in ihrem jämmerlichen Zustand fast getröstet, aber dann folgte sie den Männern. Julia war wieder allein mit sich und ihrem Kummer und beschloss, eine doppelte Ration Schlaftabletten zu nehmen und dann schlafen zu gehen. Möglicherweise wachte sie auf und es war alles wieder in Ordnung.

Rick war bei der zwei angelangt, bei der zwei-einhalb, bei der fast-drei-aber-doch-noch-nicht-ganz-drei, hielt die Luft an, um bei drei endgültig loszulassen, hätte es fast getan, wäre da nicht der scharfe Ruf ‚Halt!’ von irgendwo von fünf Uhr gewesen, in seinem Rücken, wo er sich verdammt noch mal an einer Hand hangelnd nicht umdrehen konnte.
Schluss mit dem Countdown.
Er hörte seinen Nachnamen, wandte den Kopf, so weit es ging, schielte an seiner Schulter vorbei und erahnte Overturf mehr als er ihn sehen konnte.
Halt? dachte er und ein blödes Kichern drohte aus ihm herauszuplatzen, halt was? Soll ich mich weiter festhalten oder loslassen? Soll ich den anderen Arm auch noch heben?
Overturf und sein Gefolge kamen in sein Blickfeld und als er David sah, wusste er, dass der Spaß ein Ende hatte.
David löste sich aus der Gruppe, ging steifbeinig wie ein wütender Hund näher an das Haus heran. Er murmelte vor sich hin, unhörbar für alle anderen, aber irgendein besonderer Wind trug seine Worte zu Rick herauf.
Er bringt mich um, dachte Rick, und ich halte mich hier nicht mehr lange.
Seine Finger protestierten gewaltig, ihm rutschte das Hemd aus der Hose.
Sophie stand dort unten, eine Hand auf den Mund gelegt, dass man nicht sehen konnte, ob sie lachte oder weinte, Dom stand direkt neben ihr, hatte den Kopf schief gelegt. Rick wollte die beiden nicht da haben, wo sie im Moment waren, wollte etwas zu ihnen herüberrufen, aber Overturf stemmte die Hände in die Seiten und blaffte: „Hörst du den Trommelwirbel, Scanlon? Spring endlich, oder sollen wir dir eine Leiter holen?“
Scheiß auf die Leiter, dachte David, zog seine Dienstwaffe, entsicherte sie und legte auf Rick an, erst auf die Beine, dann auf den Körper und dann auf den Kopf.
Er hatte gelernt, dass man nie auf den proportional kleinsten Teil des menschlichen Körpers schießen sollte, um jemanden zu töten, aber Scanlon hing hilflos wie ein Fisch an der Angel dort oben an seinem Fenster und er brauchte nur noch abzudrücken. Herbert und Overturf schrieen gleichzeitig auf, stürmten vor, aber da hatte David schon durchgezogen. Rick ließ das Fensterbrett los und fiel; wo eben noch sein Kopf gewesen war, schlug die Kugel in die Wand ein, Putz und Backstein spritzte weg.
„Ist er getroffen?“ schrie Sophie, riss sich von Dom los, der sie vergeblich zurückzuhalten versuchte, „hat er ihn getroffen?“
Sie rannte durch den knöcheltiefen Schnee zu der Stelle, wo Rick reglos zwischen den kahlen Büschen lag. Overturf hatte David mit einem Bodycheck zu Boden gebracht, die Waffe aus der Hand geschlagen und nagelte ihn am Boden fest, obwohl David sich nicht wehrte und nur in den Himmel starrte.
„David“, sagte Overturf so ruhig und gefasst, dass schlimmeres zu erahnen war, „welcher Teufel hat dich geritten? Ich müsste dich festnehmen, das weißt du, aber ich vertraue darauf, dass du in der Aufsicht deines Vaters nichts anstellst. Du verlässt das Haus nicht. Ich sage es dir direkt. Du hast deine Karriere bei der Polizei heute beendet, David. Mit einer einzigen Kugel.“
Er sah zu Rick hinüber.
„Selbst, wenn du ihn nicht getroffen hast.“
Sophie kniete neben Rick im Schnee, tastete an ihm herum, sprach atemlos auf ihn ein, bis er endlich den Kopf hob, stöhnend den Gipsarm hob.
„Bin ich tot?“ murmelte er und Sophie sagte: „Im Himmel bist du jedenfalls nicht.“
Seine Nase blutete, er meinte, dass alle Knochen gebrochen sein müssten und er konnte sich noch immer nicht bewegen. Es tat gut, Sophie zu sehen, er versuchte ein Grinsen.
„Hab ich albern ausgesehen, als ich da oben gehangen hab?“
„Wie Harold Lloyd an der Uhr, nur ohne Hut und Brille.“ Sie fuhr ihm über den Kopf. „Was hast du mit deinem Haar angestellt?“
Herbert ging neben den beiden in die Hocke.
„Wie sieht’s aus? Wieder was gebrochen? Kannst du aufstehen?“
„Ich versuch’s.“
Er schaffte es nicht allein, Herbert musste ihm helfen, nahm dabei keine Rücksicht, dass Rick aufstöhnte.
„Sheriff, ich bring ihn ins Krankenhaus, damit die seinen idiotischen Schädel durchleuchten und den Rest noch dazu.“
„Okay“, rief Overturf. Er hockte wie ein Catcher auf Davids Brustkorb, die Hände in die Seiten gestemmt und erhob sich erst, als der alte Dustman ihn anherrschte und dann zu seinem Sohn sagte: „Diese Aktion wird deine Karriere den Bach runtergehen lassen.“
„Das hat Scanlon mir auch gesagt.“
„Aber er hat dich nicht gezwungen, auf ihn zu schießen.“
Overturf meinte: „Er hat uns alle ausgetrickst.“
Dom flüsterte auf Rick ein, als der wieder auf den Füßen stand, stupste ihn warnend an und ging zum Sheriff hinüber.
„Zufrieden, Sheriff?“
„Ich bin erst zufrieden, wenn ihr Freund die Stadt verlassen hat. Er hat uns genug an der Nase herumgeführt.“
Dom konnte sich einen weiteren Kommentar nicht verkneifen.
„Rick ist irgendwann mal von einem Psychologen durchleuchtet worden und der hat ihm die Menschenkenntnis eines Serienkillers attestiert.“
„Was soll das heißen?“
„Rick ist kein Killer, aber er hat Instinkt. Er spürt, irgendwie, wer ihm eine Zigarette geben wird, wenn er ihn anpumpt oder wem er die Brieftasche klauen kann. Er nistet sich bei ihnen ein und lässt sie in dem Glauben, dass es ihre Idee gewesen war. Er mag es nicht geplant haben, dass ihr Deputy auf ihn schießt, aber er hat ihn dazu getrieben, dass er die Beherrschung verliert.“
Rick konnte vor Rückenschmerzen kaum laufen, stützte sich schwer auf Herbert und Sophie, zog immer wieder die tropfende Nase hoch.
„Rick“, sagte Herbert plötzlich, „Dash ist unten an der Straße mit seinem Wagen tödlich verunglückt. Hattest du was damit zu tun?“
„Ich hab mit im Wagen gesessen. Aber ich weiß nicht, weshalb Dash plötzlich die Kontrolle verloren hat. Wir haben uns überschlagen und ich wollte ihn rausziehen, aber da war er schon tot. Ich mochte ihn wirklich, ich hätte keinen Grund gehabt, ihm was zu tun. Er hat mich nach der Prügelei ins Krankenhaus gefahren.“
„Darüber müssen wir noch sprechen.“
„Hat das nicht Zeit?“
Sophie beugte sich ein Stück zu Herbert hinüber.
„Sehen sie nicht, dass er vor Schmerzen kaum gehen kann?“
„David ist ein Verlierer“, sagte Rick, zog wieder die Nase hoch, „wenn er auf meinen Rücken gezielt hätte, wäre ich ihm in den Schuss reingefallen, aber er musste auf meinen Kopf schießen, so ein culo.“
„Willst du ihm das etwa zum Vorwurf machen?“
„Hat nur bestätigt, was ich von ihm gehalten hab.“
In der Notaufnahme hob Rick den Gipsarm und sagte: „Hi, Dr. Patel. Ihr Gips hat gehalten.“

David Dustman war von den Dienstplänen gestrichen, sein Vater besorgte ihm einen Anwalt, Dr. Patel bescheinigte Rick eine akute Nierenbeckenentzündung, Prellungen und Quetschungen und zwei gebrochene Rippen und meinte, dass er erst zum Ende der Woche transportfähig sei. Rick saß in der Zelle, die extra für ihn gut geheizt wurde, schluckte alle sechs Stunden eine Monsterkapsel Antibiotika und war dankbar für jede Abwechslung.
Der Papierkram für seine Überstellung nach Montrose war erledigt. Sammy Joe kam ein einziges Mal vorbei, um mit ihm über Dashs Unfall zu reden, verschwand dann ohne ein weiteres Wort. Dom ging in seiner Zelle praktisch ein und aus. Er hatte Ricks Tasche aus dem Keller der Villa geholt, bewunderte die Beweisfotos von Ricks Polaroidinstallation in Davids Zimmer.
„Warum kommt Sophie nicht her?“ fragte Rick.
„Ich weiß es nicht. Ich frage sie, ob sie mit will, aber sie sagt nein. Sie begründet es nicht, Rick, sie will einfach nicht.“
Aus dem Zellenvorraum mischte Overturf sich ein und sagte: „Scanlon, du bist der Experte hier, sag du uns, weshalb deine Lady dich nicht sehen will.“
Rick wünschte ihm die Pest an den Hals.
Dann endlich besuchte sie ihn doch; sie kam allein, bat um Zutritt in die Zelle und Herbert schloss für sie auf.
„Fasst euch kurz“, mahnte er, obwohl er wusste, dass das unmöglich war.
Sie umarmten sich und hielten sich lange fest, Sophie drückte ihr Kinn gegen seine Schulter, wollte ihn nie wieder loslassen.
„Ich fliege zurück“, sagte sie, „mein Boss wird ungeduldig und wenn du zur Untersuchung nach Montrose verlegt wirst, kann ich dich nicht mehr besuchen. Dom sagte, dass er dir einen Anwalt besorgen wird, den besten, den er kriegen kann. Du brauchst dir also gar keine Sorgen zu machen.“
„Mach ich nicht. Ich bin nur so froh, dass du bei mir bist.“
„Du hättest es einfacher haben können.“
„Du weißt ja, wenn ich einmal unterwegs bin, bin ich unterwegs.“
„Ich habe ganz vergessen, wütend auf dich zu sein, du Herumtreiber.“
„Wann geht deine Maschine?“
„Morgen früh. Wir werden alle nötige in die Wege leiten, um dich so schnell wie möglich auf Kaution rauszubekommen und dann holen wir dich nach Hause.“
„Ist Dom noch wütend auf mich?“
„Wir sind nicht wütend.“
„Sag ihm, dass er das Geld zurück bekommt.“
„Du wirst ihn doch noch sehen, ich reise allein ab.“
„Sag’s ihm trotzdem.“
Herbert musste Sophie zum Verlassen der Zelle zwingen, Rick setzte sich zurück auf die Pritsche und kratzte an seiner genähten Augenbraue herum.
Sophie verließ die Stadt. Dom ließ sich nicht blicken, weil er viel erledigen musste und Depupty Herbert war der einzige, der etwas Kontakt zu Rick hielt.
Seit dem Autounfall war Mascots Stimme verschwunden und Rick wusste nicht, ob er darüber lachen oder weinen sollte.
Herbert brachte ihm einen Becher Wasser für die Medikamente und fragte, ob Rick nicht etwas von seinem Kumpel Mascot erzählen wolle. Und es war seltsam, wie gut es tat, über ihn zu sprechen. Das Gitter war zwischen Rick und dem Polizisten, aber das störte sie beide nicht.
Er erzählte, wie Mascot ihn aufgegabelt hatte, als er zu Fuß von Mt. Vernon zurück zur Ranch seiner Eltern wollte. Mascot hatte auf einem hustenden und spuckenden Motorrad gesessen, ihn angegrinst und auf Spanisch gefragt, ob er ihn mitnehmen solle. Sie waren über die trockene Landstraße geheizt, hatten sich laut brüllend unterhalten und zu Hause angekommen, hatte Rick einige neue spanische Worte gelernt. Wie jeden Tag gab es wieder Krach bei den Scanlons, das war nichts Neues und Rick dachte nur noch daran, was Mascot gesagt hatte.
Wenn du willst, nehm ich dich mit. Ich fahr zur Ostküste, aber allein macht das nur halb so viel Spaß.
Er entsprach ganz und gar nicht dem Bild eines stoischen Indianers, er grinste viel, trug Turnschuhe und eine Lederjacke und nannte sich selbst Mascot. Es war nicht das erste Mal, dass Rick davonlief, aber diesmal brachte ihn die Polizei nicht zurück. Mascot wartete auf ihn, an der Straßenecke, wo die Linienbusse hielten.
„Hast du’s dir gut überlegt?“ fragte er und Rick sagte: „Meine Mutter hasst mich, schon seit ich auf der Welt bin, meinem Vater bin ich vollkommen egal, seit er weiß, dass ich ihm die blöden Lügengeschichten nicht mehr abkaufe. Soll doch mein Bruder die beschissene Farm allein erben und glücklich werden. Wir fahren nach Osten.“
In Indianapolis wurden sie aufgegriffen und in ein Heim gesteckt. Dort schnitten sie Mascot das lange Haar ab, steckten sie beide in gelbe Uniformen und versuchten sie dort umzuerziehen, aber nach drei Wochen nutzten sie eine Lücke und setzten sich ab, weiter auf dem Weg nach Osten. Sie kamen dabei ständig vom Kurs ab, landeten in Texas, in Missouri, und in New Mexico, Rick perfektionierte sein Spanisch und die Kunst des Autoklaus. Nach Jahren kamen sie wieder nach Indiana, erinnerten sich daran, wie sie nachts mit dem Motorrad durch die Gegend gefahren waren und wiederholten es.
Rick fuhr, Mascot hinter sich auf der Maschine, und ohne es zu wollen, fuhr er zurück zu seinem Elternhaus. Es war Nacht, sie waren aufgeputscht und angetrunken und obwohl sie nicht wussten, was sie eigentlich vorhatten, lief es letztendlich darauf hinaus, dass sie die beiden Gebäude – Haus und die alte Scheune – in Brand setzten. Dieses Feuer war meilenweit zu sehen. Es war ein reines Freudenfeuer, nachdem Rick entdeckt hatte, dass die Farm nicht mehr bewirtschaftet und das Haus nicht mehr bewohnt war, seine Eltern und sein Bruder mochten sonst wo sein, aber nicht mehr auf ihrem Grund und Boden. Mascot vermutete, dass sie pleite gegangen und weggezogen waren und dass damit die Verbindung endgültig abgerissen war.
So hatten sie dagestanden und sich lange das brennende Inferno angesehen, dann waren sie wieder auf die Maschine gestiegen und in die entgegengesetzte Richtung davongefahren. Niemand kam, um zu löschen.
Bis zu jener Nacht, in der Rick und Mascot vor Laurenson davonliefen, waren sie unzertrennlich gewesen. Laurenson schoss ihnen hinterher, traf Mascot in den Rücken und Rick wollte bei ihm hocken bleiben, aber Mascot sagte, er solle verschwinden. Die Kugel war durch seinen Körper geschlagen, hatte ein großes hässliches Loch hinterlassen.
Rick jagte davon, blieb an einer geschützten Ecke stehen und drehte sich um, wurde Zeuge, wie Laurenson neben Mascot stand, der auf dem Boden kniete und sich die Hände auf den Bauch presste. Laurenson zielte auf Mascots Kopf und drückte ab.
Rick konnte diesen Verlust nicht überwinden und obwohl er Freunde in New York verließ und ihnen gewaltig vor die Köpfe stieß, konnte er nicht anders als zu verschwinden.
Herbert konnte dazu nichts sagen, er brachte Rick einen Kaffee und hörte weiter zu, bis der Sheriff ihn rief.
„Bist du in Ordnung, Scanlon?“
„Klar“, erwiderte Rick leichthin, „alles in bester Ordnung.“
„Morgen bringt der Sheriff dich nach Montrose“. Herbert verdrehte die Augen, als der Sheriff wieder nach ihm rief.
 
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Kommentare  

Das war ja eine abenteuerliche Jagd und wie Rick sie alle an der Nase rum führt. Hat mir wieder sehr gut gefallen und wir sind wieder, wenn auch nur ein Stückchen, der Wahrheit näher gekommen, obwohl ich immer noch nicht so ganz glauben kann, dass Mascot tot ist, nein nicht in Deinen Geschichten :-)))

Fan-Tasia (06.06.2009)

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