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Die beliebteste Stres(S)-Bahn der Welt

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Wer kennt sie nicht, die alte gute Berliner S-Bahn.
Einst pünktlich und zuverlässig - das war einmal!

Als diese in der Zeit nach dem Mauerbau überwiegend muffigen Gestank statt Fahrgäste - Willy Brandts Boykottaufruf sei dank - durch den Westteil der Stadt transportierte, hatte die im freien Teil der Stadt nicht so beliebte marode Reichsbahn sogar das Kunststück fertig gebracht, den Wagenpark regelmäßig zu warten.
Dann fiel völlig überraschend dieses monströse Bauwerk. Hunderttausende Ost- Berliner hatten den freien Teil der Stadt gestürmt, da die schrille Konsumwelt mit glitzernden Fassaden lockte.
BVG und BVG hatten blitzschnell reagiert und sogar noch Entlastungszüge eingesetzt, was nicht mal schlecht geklappt hatte.
Dieses gehört aber längst der Vergangenheit an.
Schade, dass in jener unvergesslichen Zeit der spätere Bahnchef Hartmut Mehdorn - ein hochtalentierter Spitzenmanager, der den Umgang mit dem beliebten Rotstift so perfekt beherrschte wie kein anderer - was letztendlich der Grund war, dass er das Herz vieler Reisender und und all seiner Mitarbeiter innerhalb kürzester Zeit im Sturm erobern konnte - noch nicht auf dem Thron sitzen wollte.
Ich wäre mir sicher, die Berliner - berüchtigt durch ihr Herz und ihre Schnauze - hätten damals schon ihre helle Freude gehabt. Temperamentsausbrüche in Form von nicht enden wollenden Jubelorgien, wären dann sicher nicht zu vermeiden gewesen.
Die aufregende Zeit der Wende ist aber mittlerweile Nostalgie von gestern.

Die Legende auf Berlins Gleisen sorgt indes weiter für Schlagzeilen, diesmal allerdings für solche, die es sich zu lesen lohnt.
Ein Wahnsinnsglück für die gierigen Sensationshascher mit den spitzen Bleistiften, die nicht lange auf prickelnde Themen warten müssen, die es möglich machen, endlich mal neue Leser gewinnen zu können - mitunter auch diejenigen, die von langweiligen Glossen die Nase gestrichen voll haben.

Freud und Leid liegen - wie so oft im Leben - dicht beieinander.
Hierfür ein Beispiel:

An einem eisigen Januarmorgen wartet der siebzehnjährige Ronny auf dem Bahnhof Alexanderplatz auf die S- Bahn, um in die City-West, zu seinem Ausbildungsplatz, zu fahren. Die Bahnsteige sind schwarz vor Menschen. Aber daran haben sich die Hauptstädter längst gewöhnt.
Endlich - nach einer Zeit endlosen Wartens - fährt wieder ein Zug ein. Die sprichwörtliche „Freude” zahlloser Reisender scheint keine Grenzen mehr zu kennen, bietet sich doch wieder die reizvolle Möglichkeit, das wichtigste Werkzeug eines jeden Reisenden, den Ellenbogen - auf dessen Einsatz in der Sozialen Marktwirtschaft ohnehin niemand mehr verzichten kann - mit voller Kraft einzusetzen
Ronny hat diesen lebensnotwendigen Power und macht davon rege Gebrauch. So quetscht er sich in den überfüllten Waggon. Für einen Stehplatz reicht es noch - fast schon wie ein Sechser im Lotto!
Im Abteil angekommen trifft die harte Nuss dieses gut aussehenden jungen Mannes - natürlich versehentlich - den weichen Kopf eines zierlichen Mädchens, welcher gleich Mal ein Beulchen abbekommt.
Die junge vollbusige Schönheit dankt ihm mit einem schallenden Lachen, welches nach seinem geglückten Volltreffer spontan aus ihrem frechen Mund ausgebrochen ist. Nun haben die Lachmuskeln dieses todschicken Jungen wenigstens auch etwas zu tun.
Nach dem Ende dieses lustig anzuschauenden Lachanfalls outet sich der entzückte Glückspilz, indem er zu ihr sagt:
„Ich bin Ronny - steige am Bahnhof Zoo aus.”
„Ich Ines - fahre auch bis Bahnhof Zoo”, sprudelt es aus der Frohnatur mit den schwärmerischen Augen heraus, die dem Jungen ein verlegenes Lächeln schenkt.
Am Bahnhof Zoo steigen beide aus.
Ronny und Ines werden ein Paar. Das Beispiel von Ines und Ronny belegt - so leicht lässt sich ein toller Fisch an Land ziehen und das ausgerechnet in einer Bahn, die gerade erst von den Berlinern mit den Kosenamen Stress- und Chaosbahn, gehuldigt worden ist.

Momentan ist sie das beliebteste Verkehrsmittel der Stadt und zudem auch noch der geilste Ort unseres Landes, wo die Chancen, den Partner für's Leben finden zu können, zurzeit am allergrößten sein dürften.
Die Frage, warum das so ist, lässt sich federleicht beantworten.
Weil es so schön kuschelig eng ist. In keinem anderen Verkehrsmittel der Bundesrepublik lassen sich Frustrationstoleranz und Stressanfälligkeit eines Menschen so gut feststellen, wie in der Berliner S-Bahn.
Wer einen derben Schlag in die Rippen, einen Tritt auf- gegen die Füße oder vielleicht sogar in den Allerwertesten bekommt und darüber sogar noch herzhaft lachen kann, der muss doch der passende Typ sein, mit dem es sich lohnt durch Dick und Dünn zu gehen..
Oder etwa nicht?
An alle einsamen Herzen ergeht daher der eindringliche Appell:
Fahrt mal wieder S-Bahn!
Der Ort in Berlin, wo die Menschen gegenwärtig am engsten zusammengerückt sind, wo „menschliche Wärme” kein Fremdwort mehr ist. Je mehr gestoßen, gedrängelt und gewettert wird, desto „freundlicher” reagieren die Menschen. Ist das etwa nicht eine alte Binsenweisheit?
Ines und Ronny haben doch den eindeutigen Beweis erbracht!

Was aber wäre gewesen, wenn Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn nicht unter diesen unsäglichen Sparzwängen gelitten hätte, die den „kundenfreundlichsten Dienstleistungsbetrieb unseres Landes” innerhalb kürzester Zeit auf das Börsenparkett lenken sollte?
Die Züge wären pünktlich und regelmäßig über die Gleise gerollt, was freilich bewirkt hätte, dass etwas schmälere Gewinne in die Kasse des „ Unternehmens Zukunft” geflossen wären, die den Börsengang enorm erschwert hätten
Wagen warten - muss doch nicht immer sein!, sagte sich der smarte Herr im feinen Zwirn. Wahrlich eine geniale, eine „bahnbrechende Idee”, die es möglich machte, stetig neue Mitstreiter auf seine Seite zu ziehen.
Die Radsätze werden das schon irgendwie packen. Was er von seinen Mitarbeitern verlangt, kann er schließlich auch von den Radsätzen der S-Bahn-Wagen verlangen - nämlich durchhalten bis zur totalen Erschöpfung.
Doch diese wollten - manche durften auch nicht mehr - Mehdorns Befehlen folgen, so wie es seine Untergebenen täglich treu und brav taten, die jedes Mal „hocherfreut” waren, wenn der noble Herr neue Überraschungen im Petto hatte.
Die nicht gewarteten Waggons dankten dem superschlauen Manager und seinen treudoofen Kunden. Einer nach dem anderen verabschiedete sich von den Gleisen. Auch S-Bahn-Wagen müssen mal ein Päuschen einlegen - Mehdorn wahrscheinlich nie. Sein Kopf konnte glühen und glühen, nicht selten sogar vierundzwanzig Stunden am Tag, ohne sich auch nur eine haarkleine Denkpause gönnen zu müssen. Neue Sparpläne mussten her - die Voraussetzung, um sowohl die unverbesserlich-optimistische Stammkundschaft, aber auch um die wenigen noch verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mal so richtig verwöhnen zu können.

Ein herzliches Dankeschön an Hartmut Mehdorn zu richten - dieses würde allen Pendlern gut zu Gesicht stehen, die mit Engelsgeduld das Stehen, eingepfercht in dicken Menschentrauben, mit Hochgenuss erleben durften, denen es vergönnt war, in dieser wohlbekömmlichen Enge auch noch ihr neues Glück zu finden.
Was müsste geschehen, wenn als Folge dessen später noch die Hochzeitsglocken läuten solten?
Wäre da nicht ein kleines Geschenk an diesen - wenn auch nicht ganz freiwilligen - Eheanbahner in Form einer kleinen Spende fällig?

Dieses Trostpflaster hätte er wahrlich verdient, muss er doch nach seinem Rücktritt jeden Euro nicht nur einmal umdrehen.
Ehre wem Ehre gebührt!

Übrigens: Ein Ende dieses Beförderungswunders ist noch nicht abzusehen
Gott sei dank!
Endlich hat Berlin mit der S-Bahn wieder ein touristisches Highlight zu bieten!
Wie lange mussten die Berliner darauf warten!
Den einstige Touristenmagneten - die olle, wenn auch farbenfroh schillernde Mauer - konnten nun mal nicht alle leiden. Deshalb hatten abrisswütige Mauerspechte in kürzester Zeit ganze Arbeit geleistet und so viele Neugierige von der Stadt ferngehalten, die extra gekommen wären, um den schaurigen Anblick dieses steinernen Zeugnisses echter deutscher Wertarbeit genießen zu können.
Doch endlich leuchtet ein Silberstreif am Horizont auf. Wurde auch höchste Zeit!
Die beliebteste Stres(S)-Bahn der Welt wird als neueste Attraktion Geld in Wowereits klamme Kassen spülen.
Diese werden testen können, wie viele Menschen ein S-Bahn-Zug tatsächlich verschlucken kann, ohne gleich wie ein Kartenhaus auseinander zu brechen.
Ob die Berliner dann endlich auf die Euphoriebremse treten werden?
Wohl kaum!
Der abenteuerlustige Berliner braucht nun mal seinen Adrenelinkick wie die Luft zum Atmen.
So wird es auch immer bleiben.

Jetzt braucht die S-Bahn nur noch ein neues Logo, da das alte - weißes S auf grünem Grund - nicht mehr zeitgemäß ist.
Dieses zu kreieren ist doch kinderleicht!
Einfach das alte S seitlich verdrehen, um es zu einem Fragezeichen zu winden - schon wäre das neue Logo fertig!
So weiß wenigstens jeder Fahrgast, dass er jedes Mal vor die gleiche Frage gestellt wird:
Kommt sie, oder kommt sie doch nicht?
 
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Kommentare  

Ein schöner trockener Humor!

Evi Apfel (06.02.2010)

Ach, ja die liebe S-Bahn! Ich bewundere immer wieder deinen Humor. Wie du auf Dinge achtest, die unser Leben "würzen". War richtig erheiternd, diese kleine Geschichte zu lesen.

doska (31.01.2010)

Habe mich köstlich amüsiert. Du treibst alles immer so herrlich auf die Spitze. Besonders der letzte Satz hat mich laut auflachen lassen.

Jochen (28.01.2010)

upps, ich meine natürlich michael. sorry.
gruß von


rosmarin (27.01.2010)

hallo, jochen, so hat halt jeder taler seine zwei seiten. und man kann sich immer? die für einen bessere aussuchen. ehrlich gesagt, liebe ich auch rammelvolle bahnen. du hast es wirklich gut beschrieben und auch den besonderen humor der berliner nicht außer acht gelassen.
gruß von


rosmarin (27.01.2010)

Herrlich witzig. Ist dir gelungen!:)

Petra (27.01.2010)

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