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5 Seiten

Tell You My Story - 8. Kapitel

Romane/Serien · Spannendes
Auf der Treppe kam mir Ryan entgegen.
„Na, viel Spaß!“, murmelte er mir zu.
Aha. Er hatte also schon eine Begegnung mit unserer Mutter gehabt.
Mein Magen knurrte, was mir wieder bewusst machte, dass meine Mutter samt ihren Pfannenkuchen unumgänglich war.
Ich schlurfte in die Küche, nahm mir einen Teller aus dem Schrank und setzte mich zu meiner Mutter an den Tisch, die gerade mit einem historischen Roman kämpfte.
„Hey, Mum!“ Ich nahm mir einen kalten Pfannenkuchen vom Teller in der Mitte des Tisches, streute Zimt und Zucker darauf und rollte ihn zusammen.
Meine Mutter sah von ihrem Buch auf. Sie brauchte ganze zwei Sekunden, bis sie verstand, dass jemand vor ihr saß, der ihre Geschichte noch nicht kannte. Ihre Gesichtszüge änderten sich von hochkonzentriert in höchstaufgeregt.
„Mia, Du wirst nicht glauben, was mir passiert ist!“, sprudelte sie los, wie eine Sektflasche, die man vor dem Öffnen zu sehr geschüttelt hat.
Ich seufzte leicht genervt. „Na los, Mum, erzähl, bevor du platzt!“
„Oooh, Mia, dieser Abend… Weißt Du, das war so eine Blind-Date-Geschichte. Im Dunkeln. Man hat nichts gesehen, nur gehört. Ich war also wirklich blind…“ Sie kicherte über diese Erkenntnis. Ich verdrehte die Augen. „Und dieser Mann…Wir haben uns so gut unterhalten. Seiner Stimme hätte ich stundenlang lauschen können. Als würde der Wind über eine Frühlingswiese streichen, und gleichzeitig so… so männlich.
Und, Mia, er roch so gut. Du weißt, wenn Männer gut riechen, kann ich nicht mehr klar denken.“ Wieder hielt sie inne. Ihr Blick verklärte sich. „Ich hatte das Gefühl als hätten wir uns stundenlang unterhalten. Und alles schien so vertraut. Als würden wir uns ewig kennen.“ Sie seufzte. Ihr Blick schweifte ab, man konnte ihr förmlich ansehen, wo sie mit ihren Gedanken war.
Ich knabberte am Rest meines Pfannkuchens und wartete geduldig ab. Besser nicht stören, vielleicht blieb mir dann der Teil, vor dem es mir so graute – die restliche Nacht – erspart.
Mit einem abermaligen Seufzen kehrte meine Mum aus ihrer Gedankenwelt zurück. Also keine Gnade für Mia…
„Das einzige, was ich von ihm habe, ist seine Nummer.“ Sie griff in ihre Hosentasche, holte einen stark zerknitterten Zettel hervor und hielt ihn mir unter die Nase. Trotz der vielen Falten und Knicke konnte man die klare Handschrift deutlich erkennen. Diese Telefonnummer kam mir irgendwie bekannt vor…
„Hast Du ihn schon angerufen?“ In dem Moment, als ich meine Frage aussprach, hätte ich mir am liebsten die Zunge abgebissen. Details aus dem Liebesleben meiner Mutter wollte ich beim besten Willen nicht hören.
Mum sah mich verwirrt an. „Nein, selbstverständlich nicht! Ich warte natürlich bis er sich meldet!“
Ich zog die Augenbraue hoch. „Er hat also auch Deine Nummer?“
Meiner Mutter stand die Erkenntnis ins Gesicht geschrieben. „Ooh…Nein, das hab ich vergessen! So was Dummes! Jetzt werde ich mich doch bei ihm melden müssen…“
Ich musste grinsen. Das war wieder typisch. So, wie ich meine Mutter kannte, hätte sie, in dem Glauben ihre Nummer weitergegeben zu haben, eine kleine Ewigkeit auf seinen Anruf gewartet und wäre zutiefst enttäuscht gewesen, dass er sich nicht meldet.
Ich angelte mir einen weiteren Pfannkuchen vom Teller, streute wiederum Zimt und Zucker darauf und begann Stücke abzureißen und mir genüsslich in den Mund zu schieben. Dabei überlegte ich mir sorgfältig meine nächsten Worte. Ich wollte wirklich nicht allzu viel über die letzte Nach wissen. Aber wenn ich nicht auf unsere verrückte Mutter aufpasste, wer dann?
„Hmm… und wo warst Du dann bis heute Mittag? Als wir heute Morgen gingen, stand Dein Auto nicht unten…“
Mum legte ihr Buch endgültig beiseite und nahm ihre Brille ab. „Ach…“ Sie seufzte. „Ich bin dann noch in die Firma gefahren, ich war einfach zu aufgekratzt um schlafen zu können.“ Ein Grinsen huschte ihr übers Gesicht. „Und Deinem Dad ging es scheinbar genauso. Er war auch noch da. War eine recht unterhaltsame Nacht.“
„Mum!“ Meine Stimme erklomm Oktaven, von denen ich sonst nur träumte. „Behalt den Rest für Dich, ja?“
Wieder grinste sie. „Nicht, was Du jetzt wieder denkst. Wieso auch? Wir haben uns nur gut unterhalten, mehr nicht! Ich bin dann irgendwann auf der Couch in seinem Büro eingeschlafen und bin dann heute Morgen direkt dort geblieben.“
Ich atmete hörbar aus. Wie bereits erwähnt, war ich nicht sehr darauf aus, Details aus dem Liebesleben meiner Eltern zu erfahren.
Ich schluckte den letzten Bissen meines Pfannkuchens hinunter. Mir ging das zwar nicht ganz so in den Kopf, aber es war besser als jede Erklärung, die ich mir ausgemalt hatte.
Eine Weile saßen wir schweigend da und hingen unseren Gedanken nach, bis meine Mutter sich erhob und mir mitteilte, dass sie nun ihren allabendlichen Krimi schauen würde.
Ich verzog das Gesicht. Was fand sie nur immer an diesen Filmen? Mir war mein Leben im Augenblick Krimi genug.
Sie verließ die Küche und ich blieb alleine zurück. Ich ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. Was fing ich jetzt nur mit dem angebrochenen Abend an? Der geheimnisvolle Brief, der in meinem Zimmer auf mich wartete, kehrte tonnenschwer in meine Gedanken zurück. Sofort lief mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich spielte mit dem Gedanken Tanita anzurufen, verwarf ihn aber sofort wieder. Sie wollte an diesem Abend lernen.
Lernen…das müsste ich wohl auch mal in Angriff nehmen. Am nächsten Tag stand ein wichtiger Test auf dem Plan, doch die hatte ich über dem ganzen Chaos die letzten Tage völlig verdrängt. Ich seufzte und stand auf. Ich kam ja doch nicht drum herum, weder um das Lernen, noch um den geheimnisvollen – und wenn ich ehrlich war, auch beängstigenden – Brief, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging.
Völlig unmotiviert schleppte ich mich die Treppe hinauf und öffnete meine Zimmertüre, die ich vorher noch fest hinter mir ins Schloss gezogen hatte, als könnte ich damit die Gedanken an den Brief aussperren.
Auf meinem Schreibtisch lag noch unheilvoll mein aufgeschlagenes Spanisch-Buch – es verführte geradezu zum Lernen. Ich zwang mich den Brief auf meinem Bett zu ignorieren und machte mich daran spanische Vokabeln zu pauken. Was eine Weile auch ganz gut klappte, doch schon bald hatte er sich wieder so weit in meinen Kopf gedrängt, dass es beinahe unmöglich war mich weiter auf die spanische Sprache zu konzentrieren.
Frustriert darüber, dass ein lächerlicher Brief mich so weit brachte, klappte ich letztendlich mein Spanischbuch zu und schnappte mir mein Handy. Ich musste Tani einfach über den Brief informieren. Schnell tippte ich also eine SMS mit den wichtigsten Informationen und wartete ungeduldig auf Antwort. Statt einer Antwort stand Tanita ungefähr zwei Minuten später höchstpersönlich in meiner Zimmertür.
„Wie lange hast Du den Brief schon?“, fragte sie, bis aufs äußerste gespannt, ohne jede Begrüßung.
Ich zog die Stirn kraus. So viel also zum Thema Lernen…
„Öhm, so ungefähr zwei Stunden?!, antwortete ich völlig überrumpelt. Vermutlich hatte ich ihn ja schon länger. Weiß der Himmel, wann der Unbekannte sich an meiner Tasche zu schaffen gemacht hatte. Beim Gedanken daran lief mir wieder eine Gänsehaut über den Rücken.
„Und da schreibst Du mir erst jetzt?“ Tanita stemmte entrüstet die Hände in die Hüften und hätte sie ihren Mund dabei nicht zu einem Grinsen verzogen, hätte ich ihr das total abgekauft.
„Ich habe die ganze Zeit versucht ihn zu verdrängen. Ehrlich Tani, mir ist nicht ganz wohl dabei. Ich möchte ihn nicht öffnen!“ Ich ließ meinen Blick zum Bett hinüber gleiten, wo der Brief auf meiner roten Bettdecke lag. Völlig durcheinander ließ ich mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl fallen. „Weißt Du, wo ich ihn gefunden habe?“
Tani, die mittlerweile auf einem meiner Sessel Platz genommen hatte, schüttelte den Kopf.
„Er lag in meinem Collegeblock, der sich den ganzen Tag nicht aus meiner Tasche bewegt hat. Und meine Tasche hatte ich den ganzen Tag bei mir.“ Ich drehte meinen Stuhl in Tanitas Richtung. „Und das finde ich richtig gruselig!“
„Oh!“ Da war alles was sie dazu sagte. Dann sprang sie auf und streckte mir die Hand entgegen. „Komm, wir gehen ins „Big Apple“. Dann vergisst Du den Brief ganz schnell und wir haben einen schönen Abend!“
„Hmm…“ Bei Tanis Überlegungen fiel mein Blick zuerst auf meinen Schreibtisch und das Spanischbuch, das mich vorwurfsvoll anstarrte, dann schaute ich an mir herunter, die ich immer noch in Joggingklamotten hier stand. So ganz überzeugt war ich nicht. Aber Tani hatte Recht. Es würde mich ablenken. „Gib mir fünf Minuten! Ich springe schnell in die Dusche!“
Länger als fünf Minuten benötigte ich auch nicht für die Dusche. Danach schlüpfte ich schnell in meine Klamotten und trug schnell ein wenig Make-Up auf. Dummerweise fiel mir in meiner Eile die Puderdose herunter und der Puder verteilte sich gleichmäßig auf den Fliesen meines Badezimmers.
„So ein Mist!“, fluchte ich laut, sodass Tanita mich durch die offene Badezimmertüre hörte und aus meinem Zimmer herüber kam.
„Was ist los?“
„Nicht so mein Tag heute…“ Ich kniete nieder und wischte den Puder mit etwas feuchtem Toilettenpapier auf. Wenigstens glänzten meine Fliesen jetzt nicht mehr… Hinter mir hörte ich Tani kichern.
„Was ist?“
„Der arme Puder!“, seufzte sie. „Ich hoffe Du hast getrauert, als wir den Puder begraben haben!“
Mein breites Grinsen verwandelte sich schnell in ein Lachen. Jetzt hatte ich zwar kein Puder mehr, aber immerhin hatte ich wenigstens den Brief aus meinen Gedanken verdrängt, als wir uns kurz darauf auf den Weg zum „Big Apple“ machten.
 
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Kommentare  

Schade dass Mia den geheimnisvollen Brief noch nicht gelesen hat. Aber sie hat recht. Gruselig ist die ganze Angelegenheit irgendwie. War wieder ein schönes Kapitel.

Petra (23.08.2010)

Meine tiefe Trauer so der Öffentlichkeit Preis zu geben grenzt ja fast schon an Unverschämtheit :D
Ich trauere mit Mia um mein... äh ihrem Puder und freue mich auf die Fortsetzung :)


midnight (19.08.2010)

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