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Die Stille - Einsamkeit

Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester · Erinnerungen
© Belou
Stille Nacht- heilige Nacht

Ein heftiger Windstoß ließ den alten morschen Fensterladen mehrfach gegen die Hauswand schlagen. Das laute, klappernde Geräusch der Fensterläden übertönte das grässliche Pfeifen des Windes. Schnee wirbelte durch die Luft und die klirrende Kälte der letzten Nacht ließ einen selbst im warmen Inneren des kleinen Häuschens frösteln. Der Winter fraß sich durch das Kaminholz, das täglich immer weniger wurde. Da die Kälte des Winters schon so lange andauerte.
Die Fensterscheiben waren milchigweiß. Man erkannte erst auf den zweiten Blick, dass es der Schnee war, der sich draußen an die warme Hüttenwand lehnte.
Nur noch das letzte viertel der Glasscheibe war durchsichtig.
Umspielt von Millionen wirbelnd tanzenden Schneeflocken, die wie Kristalle in der Mittagsonne glitzernd funkelten, konnte man nur noch vage ein Stückchen vom Himmel erkennen.
X
Ein seltsames Röcheln und Seufzen war aus dem Innern der kleinen Hütte, bis nach außen, zu vernehmen.
Das Geräusch erfüllte den kargen Raum. Es war als ob ein Atemzug unter größter Anstrengung die Lunge verlassen würde, ein leises Aufstöhnen folgte dem lauten Röcheln im Wechsel.
Das plötzliche Rascheln einer dicken Bettdecke folgte dem seltsamen Röcheln des Atems.
Husten und Schniefen, folgte nun dem röchelnden Geräusch, dann war eine unheimliche Stille.
Zwei faltige alte welke Hände verkrampften sich, bei jedem beängstigenden, immer leiser werdenden röchelndem Geräusch.
Einen festen Halt suchend, tasteten sie sich in die alte schwere Daunendecke, sie umschlossen diese immer fester und streichte dann die Bettdecke andächtig glatt.
In diesem Moment sprang aus dem alten verschlissenen Ohrensessel, an dem sich schon die blumige Stoffbespannung gelöst hatte, eine kleines weißes Kätzchen, mit einem sternenartigen schwarzen Fleck auf der Stirn - mit einem Satz aufs Bett.
Sie sah die Bewegungen auf der Bettdecke, wie es schien, als Einladung und Aufforderung zum Spielen an. Mit einem Satz drückte sie ihre Hinterbeine vom Nachtschränkchen, das direkt neben dem Bett stand, ab und flog mit einem weiten Sprung fast fliegend aufs Bett.
Die welken Hände tasteten, sie griffen nun zittrig in die Richtung, aus dem das schnurrende Mauzen zu vernehmen war.
Leise flüsterte die schwache gebrechliche Stimme der Alten dem kleinen Kätzchen liebevolle Worte zu.
Die Hände strichen zärtlich über das warme, weiche kuschelige Fell.
„Na, Schneeweißchen - das ist dieses Jahr für uns beide ein besonders harter, kalter, wohl- endlos langer Winter! Wir wollen hoffen, dass wir ihn einigermaßen heil überstehen, Schneeweißchen.
Was meinst du, kleines Weißchen, sollen wir uns noch einen Topf Rahm, vor der Nachruhe, erwärmen und gönnen? Das würde uns bestimmt gut tun und unsere Seelen laben."
Das kleine Kätzchen folgte der Stimme und den Bewegungen, die aus Richtung Bett zu vernehmen waren, mit großen freudigen Augen. Es war als ob es verstanden hätte, was die Alte sagte.
Mit schräg gehaltenem Köpfchen beobachtete es nun die alte weißhaarige Frau, die sich nur mühsam aus der Bettdecke heraus schälte.
Sie folgte ihr, um die Beine streichend, auf dem Fuße.
Schrumpelige Haut war zu erkennen und fahrigen Bewegungen kamen von den welken Händen, doch die Zartheit die von ihnen ausgingen war wundersam.
Die Bewegungen der Hände, die in der Bettdecke zuvor noch unruhig hin und her streiften, ließen das Kätzchen auf die Alte wieder aufmerksam werden.


So schrumpelig wie die Hände der Alten waren, genauso war auch das Gesicht der alten Frau. Es wirkten die fahle Blässe und die pergamentartige Haut schon sehr kränklich.
Ihre fast lederne Haut, vom Sommer, wurde mit jedem kalten Wintertag immer durchsichtiger.
Kleine graue Äuglein blinzelten aus faltigen Augenlidern, das kleine Kätzchen an.
Ihre zittrigen Hände streichelten voller Hingabe langsam ganz zärtlich über das flauschige Fell, fortwährend über den Rücken der kleinen Katze.
Schnurrend dankte ihr das Kätzchen die liebevolle, zärtliche Geste.
Langsam erhob sich die Alte und schaute sich suchend um.
Mit schlurfenden Schritten bewegte sich die Alte nun nur noch Zeitlupenartig immer langsamer werdend, über die kalten Eichendielen, zum Fenster hin. Sie hauchte das Fensterglas an und ihr schwacher Atem malte sogleich herrliche - bizzare Eisblumen auf die Fensterscheiben.
"Winterblumen", flüsterte sie,"Eisblumen zu meinem Geburtstag, wie in jedem Jahr."
Die Holzfenstersprossen, die über all die Jahre allen Witterungen ausgesetzt waren und daher schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden, ließen die kalte Luft durch die undichten Fugen ins Innere der kleinen Hütte schleichen.
Es schien fast als ob kein Fensterkitt mehr vorhanden sei, und nichts mehr die Scheiben zu halten schien. Sie waren reglerecht festgefroren in den Holzsprossen. Das Eis war ihr einziger Zusammenhalt.
Die Alte Frau konnte sich nur schwer auf den Beinen halten und jedem Schritt folgte unwillkürlich ein leises Seufzen und schmerzliches Stöhnen.

Der kalte Wind zog durch jede auch noch so kleine undichte Ritze der alten Hütte, selbst die dicken Tücher, auf der Fensterbank konnten nicht verhindern, dass die Stube immer weiter auskühlte, dass sich die eisige Kälte ihren Weg stetig ins Innere der bescheidenen Behausung bahnte und weiter ausbreitete. Die Schneeverwehungen hatten die Fensterscheiben schon halbhoch bedeckt, sodass nur noch ein winziges Eckchen zur Durchsicht frei war.

„Schneeweißchen, Schneeweißchen - das ist wirklich ein besonders schlimmer Winter, hoffentlich schaffen wir, hier draußen im Wald, den harten Frost zu überstehen.
Diese nicht enden wollende frostige Winterzeit, macht mir doch arg zu schaffen- was meinst du, packen wir das, Schneeweißchen?“
So sprach die Alte zum Kätzchen, dann zu sich selbst, leise mit dem Kopf schüttelnd, in die eisig kalte Stube blickend, sich Mut zu. Man konnte ihren Atem sehen, der sich als dünner Dunstnebel vor ihrem Mund kräuselte, nach jedem gesprochen Wort sah man diese Erscheinung in der kalten Stube.
Beschwerlich machte sie sich auf den Weg zur Vorratskammer und griff zum Rahmtopf. Mit einem erstaunten Blick ins Innere des Steinguttopfes, seufzte sie wiederholt leise auf und sprach zum Kätzchen: „Schneeweißchen das wird knapp, wenn nicht bald jemand den Weg zu uns hier, heraus in den Wald findet, werden wir bald hungern müssen, oder gar des Hungers sterben!“
Das kleine Kätzchen, schaute die Alte an - nicht wissend was diese Aussage der Alten auch für es selbst, eventuell tragische Folgen haben könnte. Das Kätzchen schnurrte die Alte weiter unwissend an und streifte der Alten um die eiskalten blau verfärbten Beine.
Wohlwollend registrierte die Alte das wärmende Gefühl des kleinen Kätzchens, sie beugte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Kätzchen hinunter.
Mit den Worten: „Wir werden es ganz bestimmt schaffen, du wirst sehen, man hat uns nicht vergessen im Dorf, sie werden uns frei schaufeln und noch rechtzeitig versorgen und uns Nahrungsmittel vorbei bringen, wir müssen nur darauf hoffen, Schneeweißchen!
Wir wollen hoffen und beten."
X
Die Wirklichkeit, sah jedoch anders aus, das wusste die Alte. Seit Tagen schneite es unaufhörlich. Sie waren schon seit Tagen meterhoch eingeschneit, es würde beschwerlich werden, wollte man sie erreichen und versorgen wollen.
Die klirrende Kälte würde nicht nur sie beherrschen, sondern auch die Menschen am anderen Ende des Waldes, im Dorf, unten im Tal.
X
Gerade als die Alte einen Holzscheit im Ofen nachlegen wollte, um den restlichen Rahm, für sich und das Kätzchen zu erwärmen, griff sie ins Leere.
Kein Holzscheit war mehr zu finden. Alle waren aufgebraucht worden.
"Das war’s dann wohl Schneeweißchen, wir haben alles Holz verheizt. Jetzt hilft nur noch ein Gebet, dass der Herr Gott mit uns Erbarmen hat und uns beiden armen Seelen hilft und beisteht."
Sie öffnete den Gußofen und blickte hinein, nur noch ein wenig rote Glut war zu sehen.
Die Alte blickte sich suchend in ihrem bescheidenen Heim um und ihr Blick blieb an einem breiten massiven Holzrahmen hängen.
Sie entschied sich, dann den Holzrahmen, vom Bild ihrer Mutter, zum weiteren Heizen für sich und Schneeweißchen opfern.
"Das muss jetzt sein, wenn wir den morgigen Tag erleben wollen", sprach sie entschuldigend zum Kätzchen.
Sie entnahm das gemalte Bild dem Rahmen, lächelte das Gemälde ihrer Mutter liebevoll an, fuhr liebkosend über das gemalte Antlitz ihrer Mutter und sagte leise: "Es tut mir in der Seele weh aber es muss sein."
Sie zerstückelte mit zittrigen Händen und der kleinen Axt, die neben dem Ofen lag, den Bilderahmen in gleichgroße ofengerechte Teile.
"Für den morgigen Tag und die kommende Nacht wird es wohl noch reichen, für uns beide, was meinst du Weißchen? Das Opfer musste ich bringen, sonst erfrieren wir!"
Zu dem heraus gelösten Leinenbild ihrer Mutter blickend, dann mit den Achseln zuckend, legte sie leise, mit einer entschuldigenden Geste, den Rahmen in den gefräßigen Ofen hinein.
Sie schürte die Glut auf, sodass die Funken als neu wiederbelebte Flammen im Ofen hoch züngelten.
Sie legte den in Stücke berochenen Bilderrahmen weiter, Stück für Stück, mit leidvoller Miene, in die restliche Glut, die jetzt erneut weiter aufflammte und den Holzrahmen schier ungezüngelt zu verschlingen drohte.
Sofort, wie zu erwarten, fing der Bilderrahmen Feuer und erhellte im Schein des Feuers die armselige Hütte.
Schnell stellte die Alte den Topf mit dem restlichen Rahm auf die Herdplatte und wärmte sich gleichzeitig an dem heißen Topf die Hände. "Das gilt es auszunutzen, Schneeweißchen, da müssen wir jetzt noch ordentlich Wärme tanken, um zu überwintern!" lächelte sie verheißungsvoll.
"Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich morgen am Heiligabend Geburtstag habe?
Nein, noch nicht – na dann weißt du es jetzt, Schneeweißchen!
Du hast im November Geburtstag, denke ich zumindest, du bist im November nur wenige Tage alt vor meiner Tür gelegen.
Es war schon recht viel Arbeit dich aufzupäppeln, doch es hat sich gelohnt, du hast mir seit dem Tage viel Freude bereitet. Und sie band Schneeweißchen ein kleines goldenes Glöckchen um den Hals.
Weißt du eigentlich, mein kleines Weißchen, dass man mich im Dorf die Katzenmutter
nennt …?"
Das Kätzchen streifte wieder um die Beine der Alten und wollte sich, wie es schien, auf diese Art für die- durch die Alte erfahrene Hilfe, bedanken.
Das Schneetreiben wütete noch immer draußen und die Alte zog ihr altes löchriges Schultertuch noch enger um ihren ausgemergelten vorn übergebeugten - fast schon brüchig wirkenden Körper.
Mit schlurfenden Schritten wackelte sie, fast schon watschelnd wie eine Ente, an den schweren massiven Eichentisch. Die unzähligen Einkerbungen und Schnitte anblickend, überlegte sie, rückblickend in die Vergangenheit. Sie lächelte versonnen den Tisch an,
"Ach- was könntest du alles erzählen, wenn du nur sprechen könntest?"
Der Tisch könnte seine ganz eigene Geschichte erzählen, dachte die Alte verträumt.
Glückliche Geburten, die im Haus stattfanden, waren ebenso über die Jahrzehnte normal gewesen, wie auch die Tatsache, dass die Sterbenden auf dem Tisch aufgebahrt wurden.
Der Tisch ist mir heilig, den kann ich nicht für uns opfern, Schneeweißchen, das verstehst du doch, das geht wirklich nicht, auch ich möchte auf diesem Tisch, wie meine Familie zuvor schon, meinen letzten Weg antreten dürfen.
Sie wühlte weiter in ihrer Vergangenheit, alle Erinnerungen die den Tisch anbetrafen hervor, zum Vorschein kamen - alle über die Jahre verschüttet geglaubten Gefühle und Empfindungen, die ihr ganzes Leben ausmachten." Ich habe ein wirklich schönes Leben gelebt, Schneeweißchen.
Wenn es denn sein muss, wird mein Geburtstag auch mein Todestag werden. Sie wusste um die Schwäche, die sich in ihrem Körper ausbreitete, und sie wusste, dass ihre Herztinktur nur noch für einen weiteren Tag ausreichend sein würde, wenn überhaupt. "Eines Tages werde ich das Haus auch verlassen müssen, so Gott will und mich zu sich ruft. Dann werde ich seinem Ruf gehorsam folgen.
Meine einzige Sorge wärest dann, nur noch, du? Was wird dann aus dir werden, Schneeweißchen, wo du doch so klein, noch bist? Kleines Herbstkätzchen, ich hoffe du bist stark genug und überstehst auch ohne mich diese, eisige kalte Winterzeit.
Ich kränkle schon seit des Sommers und hoffte, dass dies nicht der letzte Winter für mich ist, doch wie mir scheint ist meine Lebensuhr bald abgelaufen."
X
Und sie erzählte, mit viel Liebe in der Stimme, Schneeweißchen ihre ganze Lebensgeschichte.
Schneeweißchen, schmiegte ihren Kopf zart an die Alte, das Kätzchen schloss zum Lauschen der Worte neben der Alten, kurzerhand einschlafend, die Augen und schnurrte leise.
Vom Kinderlachen das früher in allen Räumen der Hütte war, erzählte sie mit einem innigen Lächeln im Gesicht.
Gemeinsames Musizieren und Liedersingen zu den Festtagen, ließ bei ihr ein strahlendes Augenleuchten erkennen.
Klage- und Trauerlieder zu Todes- und Trauertagen, auch das war im Hause vorgekommen.
"Das ganz normale Leben eben – weißt du was ich meine, Schneeweißchen?
Wie oft stand ich an dem Tisch, um für die Feste Speisen zuzubereiten, oder zum
Kräutertinkturen zusammen zu stellen, Teesorten zu mischen und so vieles mehr, was ich so für den Eigenbedarf herzustellen vermochte, im Wechsel der Jahreszeiten, über das ganze Jahr- und dies Jahr um Jahr."
Ich könnte unglaubliche Geschichten erzählen, dachte die Alte für sich, mit einem scheuen Blick auf die grobe, über Jahre geschundene kerbenreiche, Tischplatte starrend.
Ein schlürfendes Geräusch kam vom Tisch, die Alte hatte den erhitzten Rahm geräuschvoll genüsslich aus einer Schale gesogen und unter der Tischplatte am Tischbein, saß zittrig Schneeweißchen und schleckte aus ihrem Milchschälchen den warmen Rahm.
Beide genossen den heißen Rahm und blickten zufrieden in ihre Milchschalen.
Ein fast leeres Honiggefäß stand neben dem Rahmtopf und die Alte leckte mit dem Finger, den Honig schmatzend abstreifend, der noch am Gefäß klebte, ab.
"Das ist unsere letzte Mahlzeit, Schneeweißchen.
Wir müssen davon zehren bis man uns wieder freischaufelt, vielleicht kommt morgen jemand zu uns? Es wäre an der Zeit, sonst schaffen wir es wirklich nicht. Der Frost meint es nicht gut mit uns beiden wie mir scheint."
Die Flamme im Ofen züngelte noch vor sich hin und die Alte kroch zurück in ihr, nasskalt wirkendes, Bett. Die Feuchtigkeit hatte sich schon im Bett breit gemacht und die Kälte umschloss sie nun. Es bedurfte einiger Minuten bis sie sich wieder daran gewöhnt hatte und es endlich ein bisschen wohliger unter ihrer Bettdecke zu werden schien.
In der kurzen Zeit war ihr Bett all zu schnell wieder ausgekühlt.
X
Um Mitternacht brach durch die Fensterscheiben ein ungewöhnliches helles Licht hindurch, es erhellte den kleinen Raum und spendete eine noch nie da gewesene unwirkliche Wärme.
Das Licht gesellte sich zum Kätzchen und der Alten und wachte seelenruhig über beide.
X
Die Alte sprach leise, sich im unruhigen Schlaf hin und her wälzend, zärtlich flüsternd, Namen vor sich hin. Sie rief, mit schwacher Stimme, Evchen und Lieschen ihre Kinder.
Sie träumte den Traum ihres Lebens. Alle Ereignisse, alle Geschehnisse, die sie in ihrem Leben erfahren hatte, sah sie nun vor sich, in ihrem wundersamen Traum.
Ihre wunderschönen Kindertage mit der Mutter, die sie im Wald beim Kräutersuchen begleiten durfte.
Den kleinen Hund, der ums Haus strolchte, den sie tagelang unterm Bett verstecke, sah sie vor sich, kläffend und mit dem Schwanz wedelnd. Jetzt wieder da sitzend. Was eigentlich nicht möglich war, da er schon, etliche Jahre zuvor, verstorben war.
Ihre Großeltern, die sie sanft in den Armen wiegten und herzten.
Kinder mit denen sie scherzte, lachte und spielte.
Nachbarn die sie gerne verwöhnten.
Freundinnen mit denen sie herumalberte und zum Maifeuer tanzte.
Kraftvolle Männerarme, die sie begehrenswert umfassten, mit einem Blick der voller zärtlicher Liebe war. Sie bewegte im Traum ihre Lippen zum Kuss, bei dieser liebenvollen Erinnerung.
Kinderärmchen, die sich ihr, mal schreiend oder mal lächelnd, entgegenstreckten.
Fiebernächte in denen sie bei ihren lieben Kleinen wachte.
Kinderlieder erklangen in ihren Gedanken wieder.
Glockengeläut zum Wiegenfest mit herrlichen Kirchenliedern.
Waldduft, Wiesenduft, Heuduft, Kräuterduft und Pilzduft, die ganzen Düfte der Natur, mit ihren eigenartigen Gerüchen, nahm sie jetzt wahr, sie durchwanderte in Gedanken alle Jahreszeiten und blieb im Winter, am heiligen Fest, mit ihren Erinnerungen letztendlich hängen.
An ihrem achtzigsten Geburtstag sollte es wohl nicht anders sein – sie war allein. Ach nein, Schneeweißchen ist hier bei mir, erinnerte sie sich sofort an das kleine Findelkätzchen vom November.
Ihr Geburtstag, gleichsam zu Christi Geburt am 24. Dezember, war ihr eine doppelte Freude, doch schon lange gab es kein herzliches Lachen mehr in dem kleinen Häuschen. Alle hatten sie verlassen.
Mutters - und Vater sorgenvoller ängstlicher Blick vor ihrem Tode, sah sie vor sich und sie erinnerte sich an diese schwere Stunde des Abschieds.
Der einsame Weg nach dem Verlassen des Mannes und der Kinder.
Das „Alleinsein“ war allgegenwärtig in den letzten Jahren und auch in dieser hoch heiligen Nacht war sie wieder alleine wie schon all die Jahre zuvor.
Und es kamen sanfte Katzenpfötchen auf die Bettdecke geschlichen und legten sich zu der Alten nieder.
Die Kinder fanden keine Zeit sie zu besuchen, vergeblich hatte sie die letzten Jahre auf sie gewartet.
Und in diesem Jahr gab sie sich erst gar nicht der Illusion, dass da eventuell Besuch zu erwarten wäre, hin.
X
Das eigenartige Licht war noch immer im Raum und schien auf das faltige ausgemergelte Gesicht der schrumpligen Alten. Die Augenlider zuckten im Traum, ab und zu huschte ein Lächeln, über die sonst so angespannten, ernsten Gesichtszüge.
Die bläulichen dünnen Lippen waren übersät von tausenden kleinen Lippenfältchen. Ihre Lachfalten um den Mund und die Nasenflügeln bebten jetzt geradezu, als ein seltsam stöhnendes Geräusch aus dem Munde, zu vernehmen war und sich im kalten Raum der Hütte langsam verhallend, verlor.
Gerade als ihr im Traum die Frage gestellt wurde, ob sie denn zufrieden wäre mit ihrem Leben, durchfuhr sie ein Frösteln und sie zog bibbernd vor Kälte die Decke immer höher.
Unter der dicken Daunendecke, versuchte sie ein wenig die Wärme zu halten.
Und sie sah in ihrem Traum ihr Leben, lächelte und war zufrieden mit sich und dem Erlebten das sie in all den vielen Lebensjahren erfahren durfte, ihre Antwort auf die Frage, war ein Ja – Ja, sie war zufrieden mit ihrem bisherigen Leben.
Und plötzlich griff ihre welke Hand an ihre Brust in Richtung Herz, das Randvoll mit Erinnerungen gefüllt war und überzuschwappen drohte, von dem Glück der ganzen Jahre. Schmerzverzehrt, verschoben sich jetzt ihre Gesichtszüge und es verkrampfte sich ihr ganzer Körper, ein Aufbäumen, vor was auch immer, folgte sogleich.
Unwillkürlich faltete sie instinktiv ihre Hände zum Gebet. Die schrumpeligen Finger der Alten hatten Mühe ineinander zu finden. Doch nach mehreren Versuchen gelang es ihr.
Geschwächt durch die letzten Tagen, in denen sie den wenigen Rahm den sie noch hatte, mit Schneeweißchen teilte, zeigte Folgen. Sollte dies jetzt ihr Schaden sein - ihre Gutmütigkeit, ihr selbst jetzt schaden?
Sie war so schwach, dass sie nicht mehr an ihr kleines Fläschchen mit ihren Herztropfen, das auf dem Nachtisch immer griffbereit stand, kam.
Sie fuchtelte mit ihren Händen erregt in der Luft herum und versuchte das Fläschchen zu ergreifen.
So unbeholfen und zittrig wie sie gerade war, bekam sie das Fläschchen nicht in ihre Hände. Sie schloss erneut ihre Augen und faltete ihre Hände wieder zum Gebet, in der Hoffnung auf Gehör.
Es dauerte nur wenige Minuten und die letzte Kraft wich aus ihrem Körper. Schneeweißchen sprang ängstlich blickend von der Bettdecke und betrachtete argwöhnisch das eigenartige seltsame- so ganz andere Verhalten, der Alten.
Starr blicke die Alte das Kätzchen an und seufzend sprach sie zu ihr:“ Jetzt wirst du auf dich alleine gestellt sein, Weißchen. Ich kann dir nicht mehr helfen, denn ich kann mir selbst nicht mehr helfen! Ich hoffe du verstehst, dass wenn ich dich jetzt verlassen muss, du dir andere Hilfe suchen musst."
Noch immer schaute das Kätzchen auf die Alte, lauschte ihren Worten und gesellte sich erneut zu ihr auf die Bettdecke.
Das leise Röcheln der Alten erfüllte den Raum, das eigenartige Licht wurde bei jedem Atemzug heller und heller bis es die ganze Stube leuchtend erhellt hatte.
Wundersame Klänge trafen auf das Licht und das Kätzchen erschrak sogleich.
Blitzschnell sprang es von der Bettdecke, das Glöckchen an ihrem Hals, läutete auf eine seltsame Art und Weise, die Alte öffnete den Mund und ein letzter Atemzug verkündete das Ende ihres bescheidenen Lebens. Still war es geworden. Eigenartig still.
Eine unwirkliche Stimmung war in der kleinen Stube am Heiligenabend, dem achtzigsten Geburtstag und wie es schien dem ersten Todestag der Alten.
Ihr weißes Haar umspielte die gelösten jetzt weichen Gesichtszüge der Alten, der Körper entspannte sich und lag immer weicher werdend, im erkalteten Bettlager.
Nur wenige Minuten vergingen und Schneeweißchen sprang aufgeregt zwischen Bett und Nachtschrank hin und her. Es wusste nicht was geschehen war, das Kätzchen miaute zum Gotterbarmen laut drauf los.
Der Wind pfiff wieder mit seinem kalten Atem um die Hausecke der Alten, die morschen Fensterläden klopften wieder an die Hauswand, sodass Schneeweißchen sich dermaßen erschrocken hatte, dass es ängstlich über den Nachtschrank sprang.
Das kleine zierliche Fläschchen wackelte und fiel um, der Korken löste sich und die Flüssigkeit lief aus. Auf dem Nachtschrank entstand sogleich ein hässlicher Fleck durch die auslaufende Flüssigkeit.
Der Inhalt des Fläschchens bahnte sich seinen Weg weiter und tropfte am Nachtschrank herunter direkt in den offen stehenden Mund der Alten.
Ein eigenartiger, eher würgender, Schluckreflex beförderte die tropfende Flüssigkeit direkt in den Mund der Alten, die zuckenden Muskeln beförderten die Tropfen weiter. Sie rannen den Hals hinunter- die Alte würgte kurz, mit starrem Blick schaute sie weiter an die Balkendecke und es schien als würde sie Schneeweißchen anlächeln.
Leise hörte man eine Stimme sagen: “Halt es ist genug, 30 Tropfen reichen für sie aus!“
Eine melodische engelsgleiche Stimme erklang verzaubert in die unwirkliche Stille.
Plötzlich war lautes Gepolter zu hören, die Holztür wurde aufgestemmt und zwei Frauen eilten in die kalte Stube." Gott sei Dank – wir sind noch rechtzeitig angekommen!
Mutter wie geht es dir, was ist mit dir?"
Die Alte hob nur langsam ihren Kopf und blickte in die besorgten Augen ihrer beiden Töchter, noch immer im Traum gefangen, fand sie nicht sogleich in die Realität zurück.
"Mutter so rede doch, wie geht es dir?"
Die Alte blickte sich suchend in ihrer Stube um und versuchte Schneeweißchen zu finden.
Und endlich erspähte sie das kleine Kätzchen, doch es sah so ganz anders aus als zuvor.
Der schwarze sternartige Fleck auf der Stirn von Schneeweißchen wurde in diesem Moment golden und erstrahlte in einem eigenartigen wundersamen Glanz zum Läuten des kleinen goldenen Glöckchen am Hals.
Das Kätzchen drehte sich um und verließ schnurrend das Häuschen, da verstand die Alte
was geschehen war …
Helfe deinem NÄCHSTEN und so wird auch dir geholfen. War es nur geträumt?
War es Schicksal?
War es Nächstenliebe?
War es gelebte Wirklichkeit?
Evchen und Lieschen blieben über die Festtage und feierten den ungewöhnlichen achtzigsten Geburtstag ihrer Mutter.
Oder träumte sie nur in einer anderen Welt in der „Stillen heiligen Nacht“.
Vor der Hüttentür sah man noch Tage später ganz kleine Abdrücke von Katzenpfötchen im tiefen Schnee.
UND DES NACHTS WAR ES IHR, ALS HÖRTE SIE EIN LEISES WOHLIGES SCHNURREN, gefolgt von einem Glöckchenbimmeln dann wieder diese ungewöhnliche ... Stille!
 
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Kommentare  

Lieber holdriander, wie ich sehe hast Du die Geschichte über die Einsamkeit der Menschen, an Festagen
(wie Weihnachten und Geburtstag), gern gelesen. Über Deinen Kommentar habe ich mich gefreut , ich wünsche Dir schöne Festtage im Kreise Deiner Lieben
Dies wünscht Belou


Belou (24.12.2010)

Beinahe zum Heulen schön.
Gern gelesen.
lg


holdriander (19.12.2010)

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