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2 Seiten

Norchas Mühlenkinder (Kapitel 4)

Romane/Serien · Trauriges
Garte lief, als sie sich dem Küchenanbau näherten, ein paar Schritte voraus, die Tür weit zu öffnen. Wortlos führte Uwlad Calla an den Tisch, so dass Garte ihr einen Schemel unterschieben konnte. Er nickte seiner Liebsten zu und verließ die beiden Frauen.
Traurig schaute Garte ihm nach. Sicherlich hatte er sich das Zusammensein mit ihr anders ausgemalt. Seine Augen und seine Züge drückten deutlich die Enttäuschung aus.
Unglücklich glitt ihr Blick zur Freundin. Kümmerlich hockte sie am Tisch, die Schultern kraftlos nach vorn fallend, traurige Augen in einem starren Gesicht.
Tief atmete Garte durch, verdrängte den Schmerz, den der Anblick bescherte, wandte sich um und bereitete einen heißen Kräutersud für die Freundin. Als sie sich neben Calla setzte, deren kalten Hände um den großen Keramikbecher heißen Tees legte, hörte sie die geflüsterten Worte, die sicherlich schon seit längerer Zeit über die Lippen der anderen glitten.
„Ich habe sie gesehen, die Schwarzen. Damals.“
Den Satz kannte Garte bereits, hatte ihn an der Eiche vernommen und immer wieder auf dem Weg zurück in die Festungsanlage. Immer dieselben Worte, immer dasselbe melodielose Gemurmel.
„Harrid war da, und Mama.“
Blicklose Augen saugten sich an einem Flecken auf der Tischplatte fest.
„Mama war so still. Ich habe sie gestützt.“

Bilder flammten vor Callas innerem Auge auf wie Landschaften im nächtlichen Gewittersturm.
Der Garten hinter dem Haus, Mutters Leib schwer gegen ihren kleinen Mädchenkörper gelehnt, ein überreifer Apfel, der mit einem satten Geräusch genau vor ihren Füßen aufschlägt. Sie starrt den Apfel an, kann den Blick nicht wenden und schreit.
Schreit, schreit, schreit, immer und immer weiter.
Ihre Wange brennt, glüht sicherlich rot, dort, wo Vaters Schlag sie getroffen hat. Die Wange brennt und ihre Kehle brennt. Brennt lichterloh, schreit nach der Kühle frischen Brunnenwassers.
Sie schaut in Vaters Gesicht, wundert sich über das Glänzen auf seinen Wangen und in seinen Augen. Sonnenlicht in salzigen Bahnen, Sonnenlicht in tränennassen Augen.
Vater trägt sie in die Hütte, legt sie auf das elterliche Lager. Er legt sich zu ihr, zieht die schwere Wolldecke über sie beide. Kälte, eisiges Beben lässt ihren kleinen Körper erschauern. Die Decke spendet keine Wärme. Vaters Brust ein wenig. Seine Arme, die sie liebevoll umschließen, etwas mehr.
Sie wird eingeschlafen sein, erwacht und schaut sich suchend um. Vater hat das Lager verlassen gehabt, tritt gerade wieder heran, legt sich schweigend zu ihr unter die Decke. Sie schließt die Augen, erwartet den Schlaf, einen befreienden Traum. Flucht in eine bessere Welt.
Das schmerzvolle Muhen der Kuh im Verschlag holt sie aus einem Traum der vergessenden Schwärze. Sie hat Hunger, aber sich bewegen kann sie nicht. Lustlos, kraftlos. Will wieder schlafen, vergessen. Vater schläft neben ihr, hat seine Arme um ihren Leib geschlungen und sie fest an sich gezogen.
Es muss Nacht sein. Sie weiß, dass sie die Augen geöffnet hat, aber tiefe Schwärze umgibt sie. Kein Talglicht brennt leise vor sich her, wie sonst in jeder Nacht. Das laute Muhen der Kuh ist einem jammernden Wehklagen gewichen. Der bohrende Schmerz in ihren Eingeweiden einem dumpfen Druck. Schlafen, träumen, vergessen.
Sie erwacht, da Kälte ihren Rücken erreicht. Vater ist nicht da! Bewegung am Herdfeuer.
Er kommt ans Lager, nimmt sie auf seine Arme. Trägt sie in die Nähe des Kamins, reicht ihr einen Becher frischer, heißer Milch. Stille, sprechende Blicke, geschaute Übereinkunft.
Sie verlässt an seiner Hand die Hütte, wirft wie er einen Blick in den Garten. Aufgehäufte Erde genau in jenem Rübenbeet, das sie tags zuvor mit Mutter abernten wollte.
Fester Druck an ihrer Hand. Mut, Halt.
Vater drückt ihr ein Seil in die Hand, legt sich selber ein Joch über die Schultern, daran aufgehängt zwei leichte Käfige mit den Hühnern.
Sie ist so müde, so hungrig, so leer. Die Kuh trottet gemächlich neben ihr her, geführt ein wenig durch das bindende Seil. Vater geht neben ihr, hält ihre Hand.
Schweigen, den Blick voraus, nur nicht zurück, gen Süden, gen Kredân.
 
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Kommentare  

Das Kapitel ist zwar kurz, aber da es sehr intensiv ist, macht das in dem Fall gar nichts. Calla hetzt selbst jetzt noch durch ihre Erinnerungen und die Bilder dieser Nacht. Das Kapitel bringt diese Furcht sehr gut rüber.

Jingizu (05.06.2012)

Hallo Else, freut mich, dass dir die Geschichte gefällt. Ob es den Namen "Uwlad" gibt, kann ich dir nicht sagen. Mir stand er plötzlich vor Augen als ich ihn brauchte :) So war es, wenn ich jetzt darüber nachdenke, bei allen Namen dieser Geschichte. Ich habe mir keinen überlegt, ausgedacht, nachgeschlagen. Sie waren einfach in meinem Kopf :)

Shannon O'Hara (15.05.2012)

Das Kapitel ist leider wieder sehr kurz. Trotzdem bin ich reingekommen. Calla denkt schmerzerfüllt zurück. Was mag sie noch erlebt haben? Interessant übrigens der Name ´Uwlad`Ist der ausgedacht oder gibt`s den wirklich?

Else08 (15.05.2012)

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