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5 Seiten

Traum von Freiheit

Romane/Serien · Trauriges
Das Mädchen Yara

Es war ein sonniger Augusttag und die 12-Jährige Yara ist gerade auf den Heimweg von der Gesamtschule, welche nur 3 Blocks von ihrem Zuhause weg ist. Ihr Ziel ist ein grauer Plattenbau, bei welchem die Farbe der Fassade an vielen Stellen bereits abbröckelte. auf den betonierten Vorplatz spielen einige kleinen Kinder mit gebrauchtem Spielzeug.

Yara spaziert an den Kindern vorbei und steuert auf die Frau, die gerade frisch gewaschene Wäsche an einer Schnur aufhängt, welche zwischen ohne viel Spannkraft zwischen zwei Metallstangen befestigt ist. Trotz des Sommerwetter trägt die Frau Kopftuch und lange Kleidung. Als Yara nur noch wenige Meter entfernt ist, sieht die Frau auf und begrüßt ihre Tochter auf Arabisch.

Küsschen auf die Wange, dann fragte sie: "Hast du Hunger?" "Ein bisschen, ja," erwiderte Yara und stellt ihren Rucksack ab, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. "Soll ich dir helfen beim Aufhängen?" "Nein nein, iss du nur erst mal etwas", entgegnete ihre Mutter. Yara nahm den alten Rucksack wieder an sich und wandte sich dem Haupteingang des Plattenbaus zu, um zur Wohnung hoch zu gehen. "Aber sei leise, Junis schläft noch", rief ihre Mutter ihr noch hinter her.

Dass ihr 4 Jahre ältere Bruder zur Mittagszeit noch schlief, war für Yara nichts ungewöhnliches. Yunis hatte des öfteren keine Lust auf die Schule; er zog lieber mit seinen Freunden um her und kam nicht selten erst spät in der Nacht heim, um dann bis zum Mittag zu schlafen - wie heute. Ihr Vater schrieb ihm dann immer eine Entschuldigung für die Schule und ließ ihm im Grunde alles durch gehen. Yara dagegen musste immer wieder (selbst bei Kleinigkeiten) bei ihm um Erlaubnis fragen und bekam nicht immer ein Ja als Antwort.

Die 12-Jährige wusste zwar, dass es in ihrer Kultur so war, dass Jungs/Männer viel mehr Freiheiten hatten und auch über Mädchen/Frauen bestimmen durfte. Schließlich wurde ihr das solange sie überhaupt denken konnte, von ihrem strengen Vater immer wieder gelehrt. Und dennoch empfand Yara es manchmal als unfair, dass ihr Bruder Junis soviel tun und lassen durfte, was er wollte und sie dagegen sich immer fügen musste und so wie nichts durfte.

Sie würde z.B. auch gerne mal nicht zur Schule gehen müssen; dort war es eh doof. Der Unterricht war sehr schwer und Yara verstand sehr oft gar nichts, vor allem das Lernen der deutschen Sprache fiel ihr schwer. Auch weil sie niemanden hatte, der ihr zu Hause bei den Hausaufgaben für das Fach "Deutsch" helfen konnte. Ihr Mutter konnte nur ein ein paar Brocken deutsch und ihr Vater war entweder nicht da oder zu beschäftigt, um ihr zu helfen (sagte er zumindest immer wieder). Einmal hatte sie auf dem Heimweg eine Modezeitschrift aufgehoben und darin sehr viele hübsche Frauen gesehen.

Heimlich hatte Yara diese Zeitschrift in ihr Zimmer geschmuggelt, um immer wieder mal darin geblättert und sich vorgestellt, irgendwann auch mal so hübsch zu sein. Dummerweise hatte es dann eines Tages ihre Mutter beim Saubermachen in ihrem Zimmer gefunden und leider war ihr Vater auch gleich dazu gekommen. Eine Stunde lang hatte er der damals noch 11-jährigen Yara eine Strafpredigt gehalten und ihr strikt verboten, jemals wieder Fotos von westlichen Frauen anzusehen sowie auch in irgendeiner Art und Weise Kontakt zu der westlichen Kultur zu halten.

"Ich hasse es, ein Mädchen zu sein," sagte Yara leise, als sie die Wohnung betrat und ihre Schuhe auszog. "Ich hasse diese Wohnung, die arabische Kultur!" Am liebsten hätte sie jetzt mal laus geschrieen, so frustriert fühlte sie sich gerade. Doch dann würde Junis wach werden und am ende würde sie dann deswegen wegen ihr eine Strafpredigt von ihrem Vater hören.

In der Küche fand die 12-Jährige das Essen, dass ihre Mutter ihr aufgehoben hatte. Während sie aß, versuchte sie ihren Frust beiseite zu schieben und ihr Leben zu hassen - sie konnte ja ohnehin nichts ändern. Nach dem Essen ging sie in ihr Zimmer, warf den Rucksack in eine Ecke und legte sich rücklings aufs Bett.

Eine Weile versuchte sie sich zu entspannen, was aber nicht wirklich gelang. "Jungs haben es einfach besser," sagte sie und drehte sich auf die Seite. "Was hast du gerade gesagt?" Die Stimme ihres Vaters ließ Yara zusammen zucken. "Oh Hallo, Vater," sagte sie und stand vom Bett auf, "ach ich hab nur laut überlegt was ich alles an Hausaufgaben machen muss." Ihr Vater sah sie einige Minuten lang schweigend an, scheinbar überlegend, ob er ihr diese Erklärung glauben sollte. Dann sagte er : "Die kannst du heute Abend auch noch machen, jetzt geh und hilf deiner Mutter!"

Für einige wenige Sekunden wollte die 11-Jährige widersprechen; sie wollte sich weigern und ihrem Vater sagen, dass ihre Mutter sicher auch alleine zurecht käme und sie lieber jetzt an die Hausaufgaben machen möchte statt erst später und dann wieder bis in die Nacht hinein. Aber sie wusste, dass sie dann wieder eine Strafpredigt, vllt sogar auch die ein oder andere Ohrfeige für ihr Ungehorsam, kriegen würde und daher tat sie dann doch, was ihr Vater verlangte.

Dies hatte dann natürlich auch zur Folge, dass Yara erst am späten Abend dazu kam, in ihrem Zimmer die Hausaufgaben zu machen. Insbesondere die Aufgaben für den Deutschunterricht fielen ihr schwer, eben weil sie nicht wirklich verstand was sie überhaupt tun sollte. Bis kurz vor Mitternacht grübelte und verzweifelte sie über diesen Aufgaben und versuchte sie irgendwie so gut wie möglich fertig zu kriegen. Trotzdem hatte die 11-Jährige ein sehr mulmiges Gefühl, als sie dann schließlich aufgab und zu Bett ging.

Am nächsten Tag in der Schule wurde der Grund für das mulmige Gefühl mehr oder weniger bestätigt; denn auch wenn Yara nicht alles verstand, was Fr. Schneider - die Lehrerin des Deutschkurses für Migrantenkinder - sagte, so verstand sie zumindest, dass sie die Aufgaben wohl nicht richtig gemacht hatte (auch weil ihr das Gesagte teilweise von einem türkischen Jungen übersetzt wurde). Daher war die 11-Jährige natürlich alles andere als glücklich, als endlich Schulschluss war und sie wieder nach Hause gehen durfte. Aber es sollte für sie noch schlimmer werden an diesem Tag.

Denn auf dem Weg nach Hause begegnete sie einer Gruppe von Jungs - dem optischen Anschein allesamt deutscher Herkunft. Sie versperrten Yara den Weg und kreisten sie nach und nach ein, bis sie nicht mehr weglaufen konnte.

"Ey, Schlampe," rief der Größte von ihnen, "verstehst du Deutsch?" Sie starrte ihn, blieb jedoch stumm. "Lol, die kann nicht mal Deutsch," höhnte der Jung und seine Freunde lachten; einer rief: "Scheiß Schmarotzergesindel!" Yara spürte, wie sie wütend wurde; denn auch wenn sie kaum Deutsch sprach, so hörte sie dennoch, dass sie gerade massiv beleidigt wurde. "Dein Vater macht's doch bestimmt mit Zicken, weil deine Mutter so hässlich ist, oder?" höhnte der Größte weiter; bei diesen Worten hatte sie das plötzliche Gefühl das ihr Gesicht brannte - aber nicht vor Scham sondern vor eiskalter Wut. "Sie wird rot," rief einer der Jungs, "also stimmt es!"

Alle lachten und Yara bebte innerlich vor Wut; plötzlich merkte sie, dass rechte Faust geballt und wie zum Schlagen leicht ausgestreckt. Was auch den Jungs nicht entging, der Junge links von ihr rief und dem lachen seiner Freunde:"Oha! Achtung Leute! Die Schlampe wird uns jetzt alle ordentlich verhauen!" Vielleicht hätte die 11-Jährige wirklich zu geschlagen; doch sie kam gar nicht dazu, der Größte boxte ihr so schnell und mit solcher Wucht in den Magen, dass Yara für einige Sekunden die Luft wegblieb.

Sie hob Hände und Arme reflexartig, um ihr Gesicht zu schützen, und spürte sie wie die Jungs sie jetzt hin und her schubsten. Weitere Schläge folgten, in den Magen, auf den Kopf, in die Hüfte; irgendwann spürte sie, wie sie auf den Boden aufschlug. Noch immer hatte sie Hände und Arme oben, um zumindest ihr Gesicht vor den weiteren Schlägen zu schützen. Doch sie blieben plötzlich aus; der Größte rief:" Kommt lasst uns abhauen!"

Yara hörte schnelle Schritte, es schien als würden die Jungs wegrennen - doch sie traute sich nicht, die Hände vom Gesicht zu nehmen. Dann ertönte eine Stimme, nicht aggressiv sondern freundlich klingend, und plötzlich spürte die 11-Jährige, wie ihr von zwei kräftigen Händen auf die Beine geholfen wurde. Als sie aufblickte, sah sie einen großen Erwachsenen vor sich stehen, dessen Haut beinahe schwarz war.

"Alles ok"? fragte er und blickte besorgt drein, als das Mädchen nicht antwortete. "Du sein ok?" fragte er erneut und jetzt nickte Yara, wenn auch kaum merklich. "Danke," murmelte sie, ergriff ihren Rucksack und rannte davon. Und noch beim Rennen spürte sie schon wie die Tränen ihre Wangen runter flossen.

Sie wollte einfach nur weg, weg , weg! Ihre Rippen schmerzten und auch das Knie tat weh, dennoch rannte sie weiter die Straße entlang, bis sie nicht mehr konnte. Ihre Wut war nun doch der Scham gewichen und Yara hatte Angst nach Hause zu gehen. Zwar konnte sie weder eine kaputte Stelle an ihrer Kleidung noch sichtbare Verletzungen erkennen, aber ihre Augen war vom vielen Weinen bereits gerötet. Sie beschloss, sich noch ein wenig in den Straßen rum zu treiben und sich möglichst zu beruhigen, bevor sie heim ging.

Als sie dann etwa zwei Stunden später heim kam, war ihre Mutter natürlich besorgt, dass ihre Tochter erst so spät heim kam. Yara zog sich eine Ausrede aus den Fingern und verschwand dann in ihrem Zimmer. Später half sie wie immer ihrer Mutter noch beim Haushalt und zog sich dann wieder ins Zimmer zurück. Hausaufgaben versuchte sie war, hatte aber schon nach kurzer Zeit keine Lust mehr und legte sich auf Bett und starrte an die Zimmerdecke.

In dieser Nacht schlief sie sehr schlecht; nachdem sie lange Zeit in ihr Kissen geweint hatte (wenn auch leise, damit niemand sie hörte), schlief sie zwar ein, aber wachte immer wieder kurz auf. Noch immer schämte sie sich sehr dafür, was ihr auf dem Heimweg von der Schule widerfahren war; fast wollte sie Allah bitten, sie sterben zu lassen. Denn sie wusste, dass diese bösen Jungs sie nun jeden Tag wieder irgendwo auflauern und beleidigen und schlagen konnte, und davor hatte sie Angst. Und dass sie nicht wusste, was sie dagegen tun konnte, machte die Sache noch schlimmer.
 
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