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14 Seiten

Standardsituationen

Romane/Serien · Aktuelles und Alltägliches · Experimentelles
© thomas
Da Schau Her


"Da schau her!" ruft die Wirtin & stellt mir ein weiteres Bier hin.
Die Kneipe ist so voll, daß alle schreien müssen, damit ihre Gegenüber & Nebenans auch verstehen was, beziehungsweise, daß ihnen überhaupt etwas mitgeteilt werden soll. Manche versuchen ihrer Stimme mehr Druck zu geben indem sie ihrer Begleitung gleich ins Gesicht brüllen. Die Musik ist laut & zeitgemäß. Trendy, angesagt oder einfach nur 'geil'. Zuweilen auch 'krass!'.
"Die Musik ist scheisse!", schreit mein Kumpel oder 'drinking-assistant', wie er's selber formulieren würde.
"Manchmal gefällt's mir.", schrei' ich.
"WAS?"
Ich muß das Bier & das Zeug davor nicht sofort bezahlen. Das ist so eingerichtet für Leute, deren Anwesenheit der Wirtin auffällt oder angenehm ist oder was weiß ich. Wenn man mit dem Abend fertig ist gibt man ihr einen Schein & bekommt irgendwas zurück. Das ist ein wenig wie: man bezahlt, was die Wirtin meint, was einem die Sache wert war. Ich trinke das Bier in wenigen großen Schlucken aus, statt nochmal mitzuteilen, daß ich die Musik mag; ab & zu wenigstens.
Ich zeige ihr das leere Glas. Sie steht ohnehin schon wieder am Zapfhahn, grinst kurz & reicht mir sofort ein volles, das jemand anderer bestellt hatte. Üblicherweise stellt man sich hier an. Ordentlich & hinten & wartet.
Wirkt deplaziert so eine Disziplin hier. Meine Umwelt in meinem Kopf beginnt schon sich angenehm zu drehen. Seitdem ich über dreißig bin passiert das nicht mehr allzu oft, ohne daß mir ein bißchen übel wird dabei & Müdigkeit sich einstellt oder Unlust.
"Prima!", schrei' ich; & "PROSIT!".
"Hurra!", antwortet mein Kumpel.
"Zwei Fernet!".
Wie von Sinnen. Ich fühle mich prächtig. Der Platz an der Theke ist gut gewählt. Das unangenehme Gedränge bleibt weg. Ich erkenne ein paar Gesichter.
Für einen kurzen Moment ist mir nach Tom Waits. Aber mir ist eigentlich täglich für einen Augenblick nach Tom Waits.
looking for the heart of saturday night
Ich ignoriere es.
"Ficken!"
"WAS?"
"FICKEN!"
"Brööööh!" macht mein Kumpel & eine Bewegung, als würde er jemanden in den Magen schlagen, oder den Unterarm in einen Baum stecken, oder in einen Pudding.
"fick'n!"
Ich bestelle ein Bier. Die Wirtin grinst immer noch. Ich glaube nicht, daß sie's gehört hat.
Die Musik wird immer lauter & Die Musik wird immer leiser. Jetzt nehme ich die Bedienung wahr. Ihr Name ist Inge. Vor ein paar Jahren hab' ich mal versucht bei ihr zu landen. Das hat aber nicht besonders geklappt. Um ehrlich zu sein: Es hat nicht mal zu einer Bruchlandung gereicht; also, wo ihr Flugplatz war wusste ich schon, aber da war nix zu wollen. Sowas wie ein Funkspruch zum Tower, ja ja, bloß zurückgekommen ist da garnichts. Von soweit oben war nicht eine Einflugschneise auszumachen. Vielleicht war der Flughafen ja auch gesperrt, wegen Überlastung, oder irgendeiner Flugzeugkatastrophe, was weiß ich. Zur falschen Zeit am richtigen Ort, wer weiß. Das kann ganz schön ins Auge gehen. 'runter kommen sie immer.'
Spätestens wenn der Sprit ausgeht.
Manchmal haste Glück & landest wenigstens irgendwo. Das ist ja auch ein Ort.& wenn das stimmt, daß ohnehin überall dasselbe passiert, mit wechselnder Besetzung, was soll's? Auf 'ner Notlandebahn in der Superpampa, na ja & sie lassen dich schnell tanken & so. Das ist schon 'ne schwierige Sache mit der Fliegerei; da braucht's 'ne ganze Menge Flugstunden, bis man alles drauf hat. Manche kriegen's ja nie hin & wenn sie das festgestellt haben sagen sie, sie wollen ja garnicht fliegen lernen & warum soll ein Huhn wissen, wie ein Omelett schmeckt & so Zeug.
Die Wirtin steht gerade einigermaßen untätig an der Theke & nimmt einen Schluck. Ich frage sie: "Weißt du nicht jemand für mich?"
"-----"
"Hast du nicht 'n Tip für mich?", will ich wissen, als das Glas kommt.
"Paul, wie lange kenne ich dich?"
"----"
"Immer wenn ihr nichts zum Vögeln habt kommt ihr zu mir, und wollt Tips; oder wenn's aus ist mit der Liebe."
"Jaja." mache ich.
"Nimm' doch die Inge, die streitet eh nur noch mit ihrem Freund."
Die Inge.
Ich fange also an zu beobachten, wie sie geschäftig herumscharwenzelt hinterm Tresen. Klein & schlank & immer Schwierigkeiten mit der Frisur. Mir fällt der Anflugversuch auf sie wieder ein & all die komischen Flugschaukunststück-Kapriolen, die ich da schon mal abgezogen habe. Scheiss drauf, denke ich & fange an in ihre Richtung zu grinsen. Irgendwann zwischen den Gläsern kriegt sie's mit & lacht zurück. Da schau her.
So besoffen kann ich noch gar nicht sein & der Anfang scheint gemacht & Tom Waits & Rypdal & alles. Die nächsten Getränke krieg' ich von ihr undsoweiter.
"Willst nich' allein nach haus'?", werde ich gefragt. Er lacht. Ich auch.
"Nö!" mache ich & denke, daß er bald genug haben wird.
"Wer denn?"
Ich nicke in ihre Richtung.
"Prost!", kräht er zustimmend.
Wir stoßen an. Er sitzt schon recht schief auf seinem Barhocker & ich versuche nicht daran zu denken, daß er manchmal sehr von sich wegrücken kann, wenn er trinkt. Er wird nicht einfach nur eklig, der ist fähig zu einem richtigen Arschloch zu werden. Manchmal jedenfalls.
"Prima Abend!", schrei ich ihn an.
"Lauter Aeschlöcher!", schreit er.
Na also. Das ging ja schnell diesmal. Manchmal erwischt er den richtigen Zeitpunkt, um zu verschwinden:
"fickEN!" & "viel eRfolg dANN!" & schwankt heim.
"arschlöcher." schimpft er wohl noch, aber ich höre es nicht mehr so genau.
Tom Waits ist wieder da. Ich spür's deutlich. Mir wird warm & das Bier schmeckt & jeder einzelne Muskel scheint sich zu entspannen. Hier sind gar keine Arschlöcher, denke ich. Wenigstens nicht heute. Ich weiß nicht, ob ich betrunken sein will, oder nicht
Wahrscheinlich, weil ich nicht weiß, daß ich betrunken bin.
"INGE!" -- Sie kommt fröhlich auf mich zu & grinst dieses Grinsen, das sie aus irgendeiner Ecke in ihren Augen zu holen scheint. Keine Ahnung wie sie das macht, aber es haut einen jedesmal um. Ehrlich -
"Kann ich mal zahlen & dich anrufen wenn ich wieder nüchtern bin?" höre ich mich fragen. Sie lacht, kassiert & schreibt tatsächlich etwas auf einen Zettel:
Inge
8922o6
Nicht zu fassen, denke ich & mache mich bald aus dem Staub. Ich rutsche vom Barhocker, stecke den Zettel ein & gehe, bevor ich diesen Erfolg noch kaputtquatsche. trying to wipe out ev'ry trace of all the other days in the week
you know that this'll be the saturday you're reaching your peek
Ich bin völlig nüchtern. Denke ich.
Das war sicher kein schlechter Einfall den Laden frühzeitig zu verlassen. Wahrscheinlich die letzte halbwegs nüchterne Entscheidung für diese Nacht. Alcohol. What Do You Want From Life?
----
wäre ich jetzt besoffen, ich würde dich
anrufen, aber ich bin nicht
besoffen.
Na sowas?!
Mir geht jede Menge alter Kram durch den Kopf:
daß Alkohol Droge oder Medizin sein kann, je nachdem. & Guillaume Appollinaire & warum ich immer noch nicht dieses Buch habe, das er über den Schnaps geschrieben hat. (kann man auch 'gemacht hat' sagen?);
& daß es mir gut geht nur weil ich diesen Zettel in der Hosentasche mit mir rumtrage.
jetzt kommst du mir tatsächlich wie ein schuljunge vor. & wo ist eigentlich mein alter Freund Simon alias Anders Fremd alias Lucidor Ikumin abgeblieben? Der Hornochse.
Längst abgesoffen & verschütt gegangen. Das zieht mich sofort wieder runter. Wie immer, wenn er in mir rumspukt. Keine Ahnung. Zu lange her. Vergangenheit. Er hat mir 'ne ganze Menge mitgegeben. Schallplatten & Bücher.
Die haben mal für ein paar Jahre dein ganzes kleines Universum ausgemacht, würde er jetzt vielleicht sagen; obwohl ausgemacht in diesem Zusammenhang natürlich eine sehr doppeldeutige Formulierung ist, ha ha.
Hust, pust, AUS. & der Spuk hat sein Ende.
Na ja, du siehst, Entschuldigungen sind nicht gerade mein Metier. Beurteilungen über meine Unzulänglichkeiten überlasse ich getrost den anderen. Sollen die doch an meiner 'chronique scandaleuse' herumpsychologisieren.
Einmal habe ich ihn in einer Kneipe einundvierzig Biere trinken sehen. Da hab' ich allerdings noch nichts geahnt.
ABHÄNGIG, du alter Wixer. Natürlich bin ich abhängig! Was willste denn sonst machen? Man muss solange ertrinken, bis man irgendwo an Land kommt.

Ach Pauli, ich bin mal auf'n Friedhof zum meditieren gegangen, weil ich 'nen Grabstein entdeckt hab'. Rat mal das Epitaph:
" & segelte ich mein schiff auch in den grund,
so war es doch selig
zu fahren." ---- Stark, oder?! Daß sowas gibt. Leck' mich doch am Arsch!
Noch ein Pils bitte & für meinen Adjutanten hier auch noch eins. Schaus dir an die Weiber. DIE FRAUEN!! Ich brauchs nicht die Fotzen.
Diese Fleischfresser!...
undsoweiter.
Diese Erinnerungen kommen so unvermittelt wie Zahnschmerzen
Wie Geheimnisse, die man mal hatte. Lang vergessen & hinter die man dann wieder kommt. Ich führe sie nicht bewußt herbei. Die tauchen einfach mir nichts dir nichts auf aus dem prosaischen Alltagsnebeleinerlei & wollen, daß man sich um sie kümmert.
"Rasselbandeschlangenbrut." murmele ich, während ich die paar Schritte zu meinem Notbett schlurfe. Ins Zimmer einer Freundin, die über die Wochenenden fast nie da ist & mir immer die Schlüssel überläßt, wenn ich sie danach frage.& da wohnt auch Oskar. Oskar kam vor einigen Jahren in die Stadt & war vorher nicht mehr als ein guter Bekannter. Ein sehr guter Bekannter zwar, aber eben nur ein Bekannter.
Meine Wohnung damals war klein, aber ich wollte, daß er zu mir kommt. Ich mochte ihn, außerdem hatten wir beide denselben leidenschaftlichen Hang zu Musik & das ist schon mal was, wenn man sich über Musik einig ist. Der ganze andere Quatsch ist dann erstmal nicht so wichtig. Wir haben uns gegenseitig immer Tips gegeben:
"Hördirdasan, o mei, die Gitarren, die GITARREN!"
Darüberhinaus war er immer sehr interessiert an meinen Frauengeschichten. Die waren zwar nicht so zahlreich, aber wenn ich hier & da ein paar Sachen ausbaute & ein wenig übertrieb, wurden ein paar schöne Geschichten draus;
& ich war froh, daß sich jemand dafür interessierte. Er ist mir bis heute ein prima Ratgeber geblieben & je älter ich werde, desto mehr wird mir klar, wie wichtig es ist zu wissen wer Freund ist & wer nicht. Leider muß er heute eine Nachtschicht machen in dem Krankenhaus, in dem seine Ausbildung stattfindet. Das war eine große Kopf-& Gewissensarbeit für ihn, das Theologiestudium auf halber Strecke sein zu lassen.
"Das ist ein zu großer Konflikt für mich. Verstehste, ich kann mir einfach auch nicht vorstellen mein Leben lang Pfarrer zu sein & dann all die Frauen, Paul, DIE FRAUEN!!"
Wir sind oft losgezogen, nachts, um ein paar Gläser zu trinken. Ich hätte damals nicht gedacht, daß er da so ohne weiteres mitmacht, weil er auf mich immer einen behüteten, ruhigen, fast andächtigen Eindruck gemacht hat. Aber er war trotzdem fast immer dabei. Der Oskar.

Ich wische die Gedanken an die beiden beiseite, öffne die Haustür, klettere hoch in den zweiten Stock, lege mich hin & schlafe sofort ein.

my heart is in my pockets... Jaja.


KaffEE

Der Morgen fängt diesmal vor zwölf Uhr an. Die Stadt vor dem Fenster ist auf den Sonntagsbeinen & macht Radau. Warum will mir keiner glauben, daß das einem den letzten Nerv rauben kann?
Ne ne, mache ich, das war schon in Ordnung in eine ruhigere Gegend zu ziehen. Obwohl ich natürlich an Abenden wie dem letzten angewiesen bin auf Freunde wie hier.
Guten Morgen, ach so...
Wo ist denn hier das Aspirin immer? Brauch ja garkeins. Na sowas. Macht nix. Steh' ich eben so auf. Gar keiner da.
Gähnend & gleichgültig öffne ich die Zimmertür von Oskar, um in die Küche zu kommen.
Oh, hallo. Schon vorbei dieNachtschicht, was? t'schuldigung.
Ich geh ins Bad & stelle fest, daß mir noch Schlaf fehlt. Das muß jetzt langsam das Alter sein. Ich drehe das Kalte auf &halte den Kopf drunter. Mir fällt Paul Newman ein, als Robert Redford ihn zum erstenmal aufsucht. Newman ist verkatert & mürrisch & steckt seinen Kopf ins Waschbecken, das voller Eiswürfel ist.
"aaaaah."
Gut. Menschenskind. Kaffee & Zigarretten. Mineralwasser. Apfelsaft mit Mineralwasser & nochmal ins Bad. Nochmal kaltes Wasser. Zurück in die Küche. Wie klein die ist. Suche Kaffee, finde ihn nicht. Noch Milch da hoffentlich. Vergesse die Kaffeemaschine einzuschalten. Stecke die erste Zigarrette an. Sie schmeckt nicht. Ich rauche sie trotzdem. Kaffee ist noch nicht fertig . Ich sehe aus dem Fenster.. Ganz schön lange & denke an
nichts.
An garnichts.
Na doch, irgendwas bewegt sich da schon. Ich krieg' aber nichts mit davon. Später vielleicht
Mal sehen. Also sitze ich vorm Fenster & betrachte den blöden Hinterhof. Da ist jetzt wieder ein Wirtshaus. Ein recht feines. Der Service deckt schon für's Mittagessen ein. Auf Stoff tischdecken. Große weiße Tischdecken, frisch gestärkt. Brettsteif wahrscheinlich, denke ich.
NA. Der erste selbständige Gedanke heut'.
So sitze ich vor dem Fenster & schiele, weil die Augen noch nicht wach sind. Ich habe ohnehin schlechte Augen; das heißt eins ist besser als das andere. haha.
Also das linke ist noch schlechter
als das rechte.
Jetzt werd' ich gleich vom Stuhl rutschen & merke es garnicht. Mir tut der Hals weh vom vielen Rauchen. Worauf warte ich eigentlich? Ich zünde mir noch eine an & grinse zweimeterbreit. Innendrin
Zufrieden stecke ich eine Hand in die linke Tasche meiner Jeans & knödel ein wenig auf Inges Telephonnummer herum. Für Oskar muß es aussehen als würde ich mich kratzen.
"Guten Morgen, geh halt duschen."
Vor Schreck falle ich wirklich fast vom Stuhl & huste erstmal kräftig.
"Du rauchst zuviel."
"Guten Morgen Oskardurauchstzuviel. Magst 'n Kaffee?"
Die Kanne ist kalt & Oskar fragt "Soll ich einen machen?"
Ich drücke für ihn auf den blöden Knopf. Oskar grinst & fragt ob auch Filterpapier drin sei, weil nach der Sauerei beim letzten mal...
"Mensch, jetzt sei nicht so ne Jungfrau Oskar, mit deinen doofen Unterhosen. Mach du mir halt 'n Kaffee. Ich war gestern unterwegs & jetzt muß ich aufs Klo geh weg." & muß sofort lachen. Oskar lacht auch, aber nur bis er merkt, daß ich wirklich das scheiss Filterpapier vergessen habe. "omeiomeiomei...", macht er
"Du hast wirklich das Filterpapier vergessen!", ruft er mir aufs Klo nach.
Ich tu so, als hätte ich's nicht gehört.
Als ich zurückkomme putzt er gerade seine Kaffeemaschine.
"Scheissfilterpapier.", sage ich. "Krieg' ich jetzt endlich mein' Kaffee?"
Oskar schaut kurz auf & grinst "Omeiomei."
"Ich benutze solche Dinger schon lang nicht mehr. Daheim mach' ich mir immer Espresso, Mann." versuche ich ihm zu erklären "Außerdem hab' ich gestern 'ne Telephonnummer gekriegt!" "Ach, wie das geht haste nicht vergessen? Von wem?"
"Von der Inge. Das hab' ich selber nicht kapiert, wie das gegangen ist. Ich wollte bloß wissen, ob ich sie mal anrufen darf."
"Ja?! Und?"
"Ja und. In dem Zustand kann ich sie doch nicht anrufen. Außerdem hab' ich gesagt ich ruf' sie an, wenn ich wieder nüchtern bin."
".. wenn ich wieder nüchtern bin.. Das ist gut.", fast scheint er ein bißchen stolz zu sein.
"& hast nichts mit ihr geredet?"
"Nö, Mensch, viel zu blau. Es hat gradenoch für den einen Spruch gereicht."
"Aber du mußt doch irgendwas mit ihr geredet haben?"
"Ehrlich nicht Oskar. Wir haben kein Wort gewechselt.", sage ich salbungsvoll
"Sie hat mir nur ihre Nummer gegeben, als ich sie drum gebeten habe."
Jetzt ist endlich der Kaffee soweit. KaffEE, sagt Oskar.
Er betont immer die zweite Silbe von 'Kaffee'.
"da. Jetzt krieg'st deinen KaffEE.", sagt er freundlich. & "Wer isn das eigentlich, die Inge?"
"Du Oskar?"
"Ja?"
"Deine Unterhosen sind wirklich scheisse."
"Wieso?" Dann erkläre ich's ihm. Wer die Inge ist, nicht die Sache mit seinen Unterhosen.
"Ja und wann rufst du an?"
"Na wenn ich wieder nüchtern bin."
"Also du wirst doch mittlerweile nüchtern sein. Magst noch ein' KaffEE?"
"Nö, ich fahr jetzt mal heim. Ich muß von zuhaus aus anrufen; da hab' ich Ruh'."
"Jasuper. Viel Glück, Alter."
"Danke. Mal sehen. Ich werd' dann berichten. Servus."
"Okay. Servus."
Draußen auf der Gasse ist noch immer Sonntag. Ich mag Sonntage nicht. Die Menschen sind da ganz anders. Plötzlich scheinen sie alle Zeit zu haben. Sonst immer gehetzt & sonntags fahren sie dann strichfünfzig in der Stadt. Ich bin jetzt schon müde von dem bißchen Heimfahrt.
Heute ist es aber nicht so wie sonst. Heute habe ich mal meinen Spaß. Spaß ist übertrieben. Sie tun mir halt nichts heute mit ihrem dämlichen schaufensterguckenschlendernschaumaldeinetantehatdochdasgleicheeßserviceoderschatzmagstnocheinenkappotschino?
Eine gute Cassette finde ich immer & Zigaretten hab ich auch noch, also Fenster runter & weg. Sollen sie doch fahren & schlendern wie sie wollen. 'nBierchen zischen daheim & Musik hören & abwarten was da so passiert wenn ich die Inge anrufe das kann ja ganz schön spannend werden noch heute oder erst morgen oder nächste Woche mensch hab ich Lust auf sowas also gib dir ein bißchen Mühe diesmal. Na ja wie sonst halt, oder?
Stopp! Keine Selbstgespräche jetzt. Ich neige dazu mich mit mir selbst zu unterhalten & das färbt mir die die Realität oft so ein, daß ich in eine andere Dimension wegzurutschen drohe, manchmal. Ich drehe die Musik lauter & fahre sehr entspannt heim.
Jack steht in der Küche & kocht Ich erkenne es am Geruch: Chinese.
"HiJack!", & lache dazu.
Jack schmunzelt freundlich von halblinks über der größten Pfanne, die wir haben. Sie ist randvoll, was mir ein gutes Gefühl für die nächsten fünfundvierzig Minuten gibt, weil er mir bestimmt etwas anbietet.
"OH no, Paul. Here comes that sucker again. Come on taste that chinese. It's great. I putted some of that strange stuff in I got from this chinese- paradise store downtown.", & hält mir einen großen, dampfenden Löffel vors Gesicht.
"Holy...." sage ich mit vollem Mund "When do we eat?"
"Rice will be ready in a few minutes."
"So, I'm invited. Again?"
"Sure. You'll eat 'til you look like Roseanne. A HaHahhaa."
Mit den beiden habe ich wieder mal Glück gehabt. Sie haben eine entzückende Tochter, die ab & zu, wenn ich sie beaufsichtige, Memory spielt mit meinen Cds. Eine herrliche Unordnung jedesmal. Auch nicht anders als es aussieht wenn ich Musik höre.
"Where is Micky?" frage ich ihn im raufgehen.
"She's upstairs changing the dipers of Marlenas'."
Ich finde sie im Bad & grüße gutgelaunt.
"Hi Micky."
"Hi Paul. Na? Alles ok.?"
"Klar is' alles okay. Hallo Marlena...", aber der neue Mensch kiekst nur. Na bestens denke ich. "Und du? Warst fort?"
"Ja ja. War geil."
Mit irgendwas muß ich mich verraten haben, weil Micky sofort nachsetzt & schmunzelnd sagt: "Paaul, du warst doch mit irgendwem im Bett, oder?"
"Neien. Aber wie macht ihr das? Wie kommt ihr nur immer dadrauf? Hat man ja bald garkeine Geheimnisse mehr. Ich hatte tatsächlich gestern Abend so ein kleines Glücksgefühl."
"Komm', ich kenn dich doch. So wie du grinst; oder bist' noch besoffen?" & lacht ihr Sonnenblumenlachen.
"Also. Raus mit der Sprache. Wer war's?"
"Die Inge. Die jobbt immer samstags."
"Kenn' ich die?"
"Weiß ich garnicht. Du bist da ja nicht so oft. Aber die ist echt prima. So 'ne unkomplizierte ähm, natürliche, ungesteltzte. Äh, weiß ich doch nicht. Ich kenn' sie ja selber nicht."
"Ja, und? War was?"
"JA! ----- Nein. - Anrufen kann ich sie mal. Immerhin."
"Na das ist ja ein toller Erfolg. & bist' verliebt?"
"Nee, sagmal, wie kommst du da drauf? Ist doch viel zu früh."
"Bei dir weiß man ja nie. Bringst'sie halt mal mit."
"Micky, zu früüh." flöte ich.
Sie hebt ihre Tochter hoch, gibt ihr einen Kuß & sagt zu ihr, der Paul hätte eine neue Freundin, aber das müsse sie nicht so ernst nehmen & sie kennt ihn schließlich, den Paul... Wir gehen zusammen runter, nachdem ich mir schnell ein sauberes T-Shirt angezogen habe. Jack hat längst den Tisch gedeckt & ich kriege raus, daß er Mangochutney in dem Gemüse verkocht hat, was sehr gut schmeckt. Ich bin's also recht zufrieden & mache mir gleich Sorgen, ob ich in sonem faulen Zustand so einen kolossal wichtigen Anruf machen kann. Knistert schon ein wenig in meinem Schädel, die Inge.
"Anybody icecream with cream and strawberrys, a hahhaa?!"
"Yes, you of course.", antwortet Micky. "and me."
Was für ein Wochenende. Marlena ist quietschvergnügt & patscht neugierig in Jack's Nachtisch herum, als er mal nicht bei der Sache ist.
"Oh no Marlena don't. Come here."
Er will ihr etwas von seinem Eis abgeben & hält ihr einen Löffel voll vor den Mund, den sie gierig aufmacht & die Augen gleich mit.
Ich frage mich, ob Essen ein Kinderlustgefühl ist, wie ich es offensichtlich heute noch habe.Wahrscheinlich. Ich bekomme unverzüglich Lust wieder betrunken zu sein. Aus dem Knistern ist ein beachtliches Prasseln geworden. Wenn ich da jetzt anrufe wird's noch schlimmer. Langsam, langsam, versuche ich mich zu bremsen. Au weia. Schon wieder. Hurra ich ruf' sie besser garnicht an. Da legt dann nur einer Holz nach & dies & das & dann verbrennt alles fummp! & ein staunendes Aaah ooh & wer, bitte bleibt vor der stinkenden Asche sitzen & friert & alle anderen sind weg? Ich
stehe auf & gehe hoch zu meinem Telephon.
Auf dem Hörer steht ein Kartenhaus. Ich nehme ihn ab, als würde ich ein besonders verzwicktes Mikadostäbchen von der Tischplatte zieseln.
"uaah." mache ich & um Zeit zu gewinnen hole ich den Zettel aus der Hosentasche & tippe die Nummer von ihm runter, obwohl ich sie schon auswendig kann. Schon aufregend immer sowas, trotz der vielen amourösen Mißerfolge, die sich mittlerweile in meiner Erinnerung stapeln. Wenn's daneben geht leg' ich's einfach zu den anderen.
Hallo. Hier ist der Anschluß 8922o6 von Inge Zeller und Steffi Helbig. Wir sind nicht da, ...etc. ---puup---

"Ja. Hi hier ist Paul, äh. Hallo Inge, ich bin wieder nüchtern, aber so toll ist das gar nicht, vielleicht sollte ich gleich wieder, nein also ich rufe dich an. Weil vielleicht machen wir ja mal was. Oder nicht. Jetzt bist du nicht da..... ruf' du halt an, äh, oder wie. Tschüüß."

Ach du lieber Himmel das war ja klasse. Ich lege auf & zünde mir eine Zigarette an. Dann rufe ich nochmal an, um meine Telephonnummer durchzugeben. Haha wie lustig. Ein Depp. Na was soll's.
So da; jetzt ist das erledigt & wissen tu ich nichts. Ist mir auch lieber so eigentlich. Was hätte ich denn jetzt mit ihr reden sollen? Schon gut so, jetzt mache ich aber wirklich ein Bier auf, & warte ab. Unten liegt Jack auf dem Sofa, vor ihm steht seine Tochter mit irgendwas in der Hand, das sie mit größtem Interesse & offenem Mund untersucht. Micky sitzt auf dem Sofa daneben & Jack gackert, als er mich sieht
"So, what is that this new girlfriend again.What is she looking like? Did you already spent some hours at her place? a hahhaa!"
"Mickiiih!", sage ich im vorbeigehen
. Ich gehe runter in den Keller, um mir das Bier zu holen, das ich verdient habe.
Der laute englische Musiksender plappert im Fernsehen, Marlena auf dem Fußboden, Jack auf dem Sofa & das Bier schmeckt hervorragend. Wir sitzen alle vier im Wohnzimmer & reden Unsinn. Die einzige, die die Dinge ernst meint, die sie sagt, ist Marlena.
Wir, Jack & ich, schnappen sie uns abwechselnd & werfen sie bis fast unter die Zimmerdecke, was sie jedesmal mit einem lauten Keckern quittiert. Nach ein paar Minuten hat sie allerdings genug davon & will lieber Biertrinken, was wir ihr natürlich verbieten müssen & sie sauer macht & laut protestierend kräht sie jetzt um den Tisch herum. Ich lasse Jack mit dieser pädagogischen Aufgabe allein & gehe hoch in mein Zimmer, um Musik zu hören. Vorher mache ich einen Abstecher zum Telephon, um nachzusehen, ob ein Anruf auf der Maschine ist.
Nein. Endlich fällt mir die längst fällige Dusche ein. Ausgiebig & warm. Nicht kalt. Das ist was für Menschen mit Kreislaufproblemen & Alterspsychosen. Wer will den schon neunzig Jahre alt werden? Ich nicht & selbst wenn ich's würde, neunzig, dann möchte ich nicht einer von denen sein, die vorher dafür gesorgt haben, daß sie in hohem Alter noch auf den Händen laufen können oder ähnlichen Unfug.
Sollte ich neunzig Jahre alt werden, dann will ich gefälligst schrullig & kauzig mit meinem Gehstock auf der Bank sitzen & den ganzen Tag schimpfen.
Nix da mit den Jungen Basketball spielen oder was. Pfeife rauchen, Bank sitzen, schimpfen, Aus. Warmduschen ist prima, auch jetzt, obwohl Mai ist. Ich würde auch baden. Baden ist ja noch besser als duschen. Baden & rauchen & Sekt trinken & dabei noch mit der Freundin rummachen. Was spielt denn da die Jahreszeit für eine Rolle? Überhaupt keine. Na also.
Entspannt & umgezogen liege ich auf meinem Bett & höre endlich Tom Waits. Ich fühle mich wohl in meiner gewaschenen Haut & betrachte die fürchterliche Holzdecke in meinem Zimmer. Nein, natürlich denke ich nicht wirklich über die Decke nach, oder deren Skihüttenverwandtschaft. Meine Gedanken kreisen, wenn ich denn mal was mitkriege von ihnen, um die Inge & die Frauen im Allgemeinen, die ja die Inge sind, seit einer halben Stunde ; & ob ich jemals einmal nicht auf irgendeinen blöden Anruf warte so wie jetzt
Eigenlich viel zu früh für Standardsituationen, oder? Aus ungefähr zwei Kilometern Entfernung höre ich das Telephon klingeln, aber es weckt mich nicht ganz. Es ist bereits dunkel, als ich aufwache
& erst jetzt wird mir die letzte Nacht körperlich richtig bewußt.
Das Telephon fällt mir ein & die Inge, die da vorhin wohl angerufen hat & ich stehe viel zu schnell auf.
Mit wackligen Schritten schleiche ich rüber & erkenne eine Eins auf dem Display.
"Go." sage ich zur Maschine & Inge begrüßt mich gutgelaunt & offensichtlich belustigt von dem Schmarrn, den ich auf ihrem Beantworter hinterlassen habe & ich soll sie doch morgen vormittag anrufen, um dann auf einen Kaffee bei ihr vorbeizukommen.
"Mittags, oder so. Ciao."
Ausgerechnet Kaffee.
Komm' doch noch auf einen Kaffe mit hoch. Ich meine das ist zwar von der Uhrzeit abhängig, aber 'auf einen Kaffee', das ist doch fast schon ein gesellschaftlicher Code. Kaffee.
Aber gut. Ich soll ja nicht 'mit hoch', sondern vorbeikommen. Das ist was anderes. Na schau. Komm' ich eben vorbei morgen. Klar. Worauf du dich verlassen kannst.

Als ich die Zigarrette ausdrücke habe ich den Anruf ungefähr zwanzig mal angehört. Dann gehe ich ins Bad, auf's Klo & ins Bett.
Kaffee, denke ich, ich liebe Kaffee, überall Kaffee, mein ganzer matschiger Schädel riecht danach & wahrscheinlich auch meine Träume heute Nacht, aber davon weiß ich nichts genaueres.
Gegen vier oder so werde ich nochmal geweckt, weil eine meiner Katzen nun doch bei mir im Bett schlafen will. Dem Gewicht nach muß es der Kater sein; & der Sturheit nach mit der er auf der Matratze bleibt & sich seinen Schlafplatz zurechttritt, trotz meiner einigermaßen heftigen Gegenwehr.
"Trampel!" knurre ich, obwohl mich sein Auftauchen freut. Er fängt bald an zu schnurren, wechselt noch zwei- dreimal die Stellung & gibt dann Ruhe.
Als der Wecker weckt ist der Kater schon nicht mehr da. Wahrscheinlich krakehlt er schon unten in der Küche, wo längst Jack mit Marlena frühstückt & ihm bestimmt seinen Napf vollmacht, damit wenigstens von ihm kein Laut mehr kommt. Bis er gefressen hat & sofort raus will zackzack.
"I feeded the cat, Paul, but this little creep is killing me one day."
"Thank you Jack. Is he out now?"
"Yes, I got him out as he desired to, sure. Hush Marlena."
Der Espresso muß noch warten bis Marlena auch die anderen Käsehäppchen von ihrem Kinderstuhl teleportiert & innerhalb des ihr möglichen Radius auf dem Tisch verschmiert hat.
Sie ist schon recht weit mit ihrer Arbeit & es sieht wie der Entwurf eines neuen Stadtviertels aus. Mit einer prima Himbeergeleestraße & kleinen Erdaushüben aus Brotkrümeln.
Solange kann ich nicht warten. Jack hat sich angewöhnt nicht sofort mit dem Lappen zu kommen, wenn seine Tochter mal was beiseite legt, sondern erledigt das wenn die nächste Etappe im Kinderalltag anliegt &, was das Frühstück angeht, ist noch kein Ende abzusehen, so wie sich Marlena ins Zeug legt.
Jetzt kann der Espresso nicht mehr warten & ich auch nicht.
In der Unterhose stehe ich an der geöffneten Terrassentür & rauche. Ich habe mir meine Lieblingstasse geschnappt & schaue mir den Morgen an. Sonst sitze ich am Tisch, weil ich zu faul wäre um zu stehen, aber ich mag nicht rauchen, wenn Marlena im gleichen Raum ist. Abgesehen davon, habe ich keine Lust mitten in ihrer Baustelle meinen heiligen Morgenkaffee zu trinken. Viel zu unruhig.
"It's peaceful except the noise of Marlenas' delivery trucks, haJack?" sage ich in unser kleines Idyll.
" --- "
Badezimmer, Anziehen & ins Auto & zur Arbeit.
 
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Was für eine unentdeckte Perle. Bis auf die "&", die den Text ein wenig hektisch wirken lassen, außerordentlich gut geschrieben. Lakonische Dialoge, ein gutes Auge für alltägliches.
Wieso hat diese Geschichte nicht mehr Punkte bekommen?
Liebe Grüße Dubliner Tinte


Pia Dublin (16.06.2010)

Ein starkes Stück hast du da abgeliefert. Man findet kaum einen Moment zum Durchatmen, schon fährst du deine nächste Gedankenattacke. Die Story lebt, weil du in ihr lebst und denkst und präsent bist. In jeder Situation und in jedem Moment. Das iss Leben! Ich kann den Kater nachfühlen (sowohl den im Kopf, als auch den auf der Bettdecke; den hab ich gleich auch wieder).
Gruß
Andre


Andre (11.12.2001)

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