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4 Seiten

Die Kinder von Brühl 18/Teil 4/Hammer Zirkel Ährenkranz/ Episode 4/Der Spaziergang zum Feld und die vergessene Pfingstgeschichte

Romane/Serien · Erinnerungen
© rosmarin
Episode 4

Der Spaziergang zum Feld und die vergessene Pfingstgeschichte

„So“, sagte Else, „nachdem der letzte Ton von „Großer Gott, wir loben dich“, verklungen war, „die Bibelstunde ist vorbei. Wenn ihr wollt, können wir bei dem schönen Wetter noch einen Spaziergang machen.“
„Und wo soll es hingehen?“, fragte Rosi nicht gerade begeistert.
Bestimmt wieder zum Feld. Mit der ganzen Familie. Und Metzners. Wie immer an besonderen Feiertagen im Frühling. Also zu Ostern und Pfingsten. Rosis Begeisterung hielt sich in Grenzen. Auf dem Feld war sie lieber allein. Mit den Ziegen. Und Freia.
Else legte sorgfältig die bestickte Samtdecke über die Tasten des Harmoniums. Dann stand sie auf und klappte leise den Deckel darüber. „Na zum Feld“, erwiderte sie. „Wohin denn sonst. Die Bäume stehen jetzt in voller Blüte. Das wird ein wunderschöner Anblick sein. Was meinst du, Mariechen“; wandte sich Else an Mariechen.
Mariechen und Herr Metzner, also Onkel Emil, hatten wie jeden Sonnabend zur Bibelstunde, wieder ihre auffälligen Sonntagssachen an.
Onkel Emil steckte in seinem dunkelblauen Nadelstreifenanzug. Dazu trug er eine graue Krawatte. Und graue Halbschuhe. Allerdings hatte er diesmal
seinen noblen Gehstock vergessen.
Marie hatte sich wieder in ihr langes, graues Kleid, das mit rosa Blumen bestickt war, gehüllt. Darüber trug sie ihren dunkelblauen Samtumhang. Der mit einer großen rosa Schleife aus Seide über ihrer Brust zusammengehalten wurde. Über Mariechens grau gesprenkeltem Haarknoten thronte ihre Haube aus dunkelblauen Samt. Zu alldem trug sie wieder ihre blau gefärbten Halbschuhe.
Ein Bild wie aus einem Märchenbuch. Oder ein Bild für die Götter.
Immer, wenn Rosi zu Mariechen und Emil schaute, konnte sie ein Kichern nicht unterdrücken. Sie wusste, dass das ungehörig war und nicht gottgefällig. Aber sie konnte auch nichts gegen den Lachkitzel tun, der sie beim Anblick der Beiden jedes Mal überfiel.
Als Marie nicht sofort antwortete, fragte Else nochmal: „Also, was meinst du Mariechen?“
„Aber gern“, erwiderte Marie. Und zu Emil gewandt: „Was meinst du Emil?“
„Aber gern Mariechen“, sagte Emil. „Allerdings habe ich meinen Gehstock vergessen. Und ohne ihn kann ich nicht so weit laufen.“
„Ich hole ihn schnell“, sagte Karlchen. „Da geht es schneller. Ich brauche nur den Schlüssel fürs Haus.“
Emil gab Karlchen den Haustürschlüssel. Wie der Wind flitzte Karlchen los.
„Der Gehstock steht im Flur“, rief Emil Karlchen nach. „Gleich neben der Garderobe.“
„Also abgemacht“, sagte Else. „Und auf dem Feld, unter blühenden Bäumen, erzähle ich euch dann die Pfingstgeschichte.“
Wie langweilig. Die Kinder kannten die Geschichte ja schon. Ein Glück war nur, dass Else die Pfingstgeschichte, genau wie die Ostergeschichte, jedes Mal anders erzählte. Und die Kleinen verstanden sie ja noch nicht so recht. Oder sie vergaßen sie schnell wieder.
„Ich würde gern hier bleiben“, sagte Rosi. „Und mit den Ziegen und Freia zum Alten Teich gehen.“
„Extrawürste gibt es nicht“, war Else nicht einverstanden. „Ein Familienausflug ist ein Familienausflug“, sagte sie bestimmt. „Also lass die Flausen sausen Rosi."
Also ließ Rosi die Flausen sausen. Letztendlich war es ihr auch egal. Hauptsache, Else hatte ihre Freude an den Ausflügen. Sie waren sowieso selten genug. Denn in Brühl 18 gab es immer viel zu viel zu tun. Da blieb keine Zeit für mehr Ausflüge. Oder gar langes Erzählen. Und Else erzählte sehr gern. Diese zwei Ausflüge im Jahr waren so etwas wie Miniminiurlaube. Und Else nutzte die Gelegenheit, ihre Geschichten zu erzählen.
„Ist ja schon gut“, sagte Rosi zu Else. „Ich freue mich schon auf deine alte neue Pfingstgeschichte.“
Hauptsache, dachte Rosi, Else kommt nicht auf den Einfall zu sagen, sie solle die Geschichte erzählen.
Zuzutrauen wäre es Else schon. Sei es auch nur, um Rosi herauszufordern. Wie es schon des Öfteren war. Rosi wusste dann nicht, ob Else scherzte oder es meinte, wie sie sagte.
„Oder du erzählst diesmal die Geschichte Rosi.“, sagte da Else und setzte ihr ernstes Gesicht auf. „Wenn dir meine Fassung zu langweilig ist.“
„Nie und nimmer“, wehrte sich Rosi erschrocken. „Vielleicht will ja Jutta. Oder Heinzi.“
In diesem Moment kam Karlchen mit Emils Gehstock zurück.
„Ich will auch nicht“, sagte Karlchen. „Hier ist dein Gehstock Emil.“
Schnell reichte Karlchen Emil seinen Gehstock. „Ich habe gehört, was ihr gesagt habt“, sagte Karlchen. "Ich will die Pfingstgeschichte auch nicht erzählen. "Ich habe sie sowieso wieder vergessen."
"Und ich auch", sagte Jutta.
„Danke, Karlchen“, freute sich Emil. „Da kann es ja los gehen. "Und, wie es aussieht, erzählt uns Else wieder die Geschichte.“
*
Gesagt getan. Die kleine Gesellschaft machte sich auf zum Feld. Den Anfang machten Else und Bertraud. Sie zogen gemeinsam den Handwagen. In dem hockten Gitti und Walti und sangen übermütig: „Komm lieber Mai und maaache die Bäumee wieder grüün, und lasse an dem Baache die blauen Veilchen blüühn …“
Dahinter liefen Jutta und Karlchen mit Zippi und Zappi. Und hinter ihnen Herr Metzner und Mariechen.
Ab und zu fuchtelte Herr Metzner Emil mit seinem Gehstock in der Luft herum. Manchmal auch vor Mariechens Gesicht.
„Schön aufpassen Herr Metzner“, sagte Mariechen und lachte.
Emil setzte seinen noblen Gehstock wieder auf die Erde. „Schön aufpassen“, sagte er gut gelaunt.
Das Schlusslicht bildeten Rosi mit Schneeweißchen und Rosenrot und Freia. Rosi hatte ganz schöne Mühe, sie im Zaum zu halten. Ein Glück, dass sie für Schneeweißchen und Rosenrot die Stricke mit hatte. Denn immer wieder versuchten sie, einige Hälmchen von dem frischen Gras, das sich wie ein duftender Teppich am Ufer des Gänsebaches ausbreitete, zu erhaschen. „Määhh, mähh“, meckerten Schneeweißchen und Rosenrot. Sie hüpften unruhig hin und her und zerrten an den Stricken.
„Nichts da“, sagte Rosi. „Ihr wartet, bis wir auf dem Feld sind.“
Freia ließ sich natürlich nicht bändigen. Völlig ausgelassen, sprang sie von hinten nach vorn und von vorn nach hinten.
Kurz hinter dem Bad blieb Else stehen. „Singen wir doch alle zusammen ‚Komm lieber Mai und mache …‘“, sagte sie fröhlich. „Seht mal, wie die Wiesen und Felder im Sonnenlicht glänzen. Ist das nicht wunderbar?“
„Ja“, stimmte Emil Else zu. „So ein schöner Tag. Ein Geschenk Gottes. Was meinst du Mariechen?“
„Ja. Ein wunderschöner Tag. Emil. Ein Geschenk Gottes“, meinte Mariechen.
„Mama, fahr weiter“, sagte Gitti.
„Mama fahr weiter“, sagte Walti.
„Komm Mama, wir fahren weiter“, sagte Bertraud Johanna.
„Na gut“, sagte Else. „Aber alle schön mitsingen."
Also sangen alle „Komm lieber Mai und mache, die Bäume wieder grün“. Und zwar alle Strophen.
*
Das Feld hatte sich sehr verändert. Die vor Jahren von Richard gepflanzten Bäume waren prächtig gewachsen. Jetzt standen sie in voller Blüte. Genau wie die Bäume auf der Obststreuwiese.
Schon im April beginnt die Zeit der Obstbaumblüte. Und natürlich der Befruchtung. Zuerst blühen die Kirschbäume. Dann die Zwetschgen- und die Pflaumenbäume. Und etwas später, im Mai, blühen auch die anderen Obstbäume. Die Apfelblüte erfolgt zuletzt. Die war jetzt an der Reihe. Und sie war besonders schön. Überall war ein Summen und Brummen zu hören. Die Bienen und Hummeln schwirrten um die Bäume herum. Sie setzten sich auf die Blüten und krochen regelrecht in sie hinein. Sie mussten ja bestäubt werden. Damit dann die Früchte daraus wachsen konnten.
Alles, was nur blühen konnte, blühte jetzt auf dem Feld und auf den Wiesen. Und die Vögel brüteten in ihren Nestern auf den Bäumen schon ihre Eier aus. Im Juni würden dann die ersten Jungvögel geschlüpft sein.
*
„Ein Glück“, sagte Else, „dass wir hier so viele Vögel haben. So hat dann im Sommer nicht jeder Apfel seinen Wurm“, lachte sie.
„Und neben den Vögeln“, sagte Emil, „dienen auch Marienkäferlarven, Gallmückenlarven, Raubmilben, Florfliegen und andere Nützlinge der natürlichen Schädlingsbekämpfung.“
„Wer bestimmt eigentlich, was Schädlinge in der Natur sind. Und was nicht“, sinnierte Else. „Alles, was hier kreucht und fleucht, ist nützlich. Von Gott so bestimmt. Eins ohne das andere geht nicht. Was meinst du Mariechen?“, fragte Else Mariechen.
„Da kann ich dir nur zustimmen Else“, stimmte Mariechen Else zu. „Was meinst du Emil?“, wandte sich Mariechen an Emil.
„Das meine ich auch“, meinte Emil.
Ausgelassen tollten die Kinder mit den Ziegen und Freia um die Wette. Dabei sangen sie immer wieder: „Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün."
Obwohl der Mai ja schon längst gekommen war. Und die Wiesen und Felder und Bäume längst grün waren. Eigentlich müssten sie singen: "Der Mai ist gekommen.", dachte Rosi belustigt. Aber sei's drum. Soll der Mai doch machen. Jedenfalls machte er gute Laune. Und das war doch mal was.
Else und Metzners setzten sich auf die Bank zwischen die beiden Kirschbäumen und unterhielten sich. Nach einer Weile sagte Else: „So, heute können wir nicht so lange bleiben. Wir haben ja weder Essen noch Trinken mitgenommen.“
„Ja“, sagte Mariechen. „Weil es eine spontane Entscheidung war.“
„Und die Pfingstgeschichte?, erinnerte Rosi Else. „Die hast du wohl vergessen?“
„Die erzähle ich euch zu Hause“, sagte Else. „Oder morgen.“

***
Fortsetzung folgt
 
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