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Eine dieser Nächte

Trauriges · Kurzgeschichten
Es war wieder eine dieser Nächte. Eine wie die letzten hundert. Oder tausend. Das zählen hatte er schon lange aufgegeben. Es hatte keinen Wert mehr.

Er wälzte sich wieder schlaflos in seinem Bett herum. Wenn er einschlief, wachte er kurze Zeit später schweißgebadet auf. Immer der gleiche Alptraum. Immer die gleichen Bilder.
Fast, als könnte das allnächtliche Abspulen derselben Bilder die Geschehnisse verändern, als würde er dadurch eine zweite Chance bekommen. Nacht für Nacht. Ohne jede Möglichkeit etwas zu verändern. Er war ein Zuschauer seiner eigenen Handlungen. Der Geschehnisse. Des Unfalls.

Ein Gedanke, jeden Tag: "Wieso ?" Und jede Nacht die nicht enden wollenden Alpträume. Die Ringe unter seinen Augen, wie lange gehörten sie schon zu seinem Erscheinungsbild ? Der Verlust der Arbeitsstelle, wie lange war das schon her ? Wann hatte sich der letzte vermeintliche Freund von ihm abgewendet ? Wieso schien die Zeit für ihn stillzustehen ?

Er verfiel wieder in einen unruhigen Schlaf. Wieder die Bilder. Wie er die Handgriffe, die er tausendfach in seinem Leben ausgeführt hat, wieder ausübte. Wie der Regen gegen
die Scheiben prasselte und die hellen Lichter ihn blendeten. Wie sich zwei Leute hinter ihm stritten, nur ein paar Meter entfernt. Er war müde, die Nacht vorher zu spät ins Bett gekommen. Kurz bevor seine Schicht zu Ende war. Kurz bevor ES passierte.

Er fuhr hoch. Sein Herz pochte wie wild, fast so, als wolle es ihm aus der Brust springen. Der Schweiß lief ihm über den ganzen Körper. Aus allen Poren trat die salzige Flüssigkeit aus. Er konnte diesen Alptraum nicht mehr ertragen. Er hatte versucht, diese Sache zu verdrängen. Abzuhaken. Die Psychiater hatten ihm versucht zu helfen. Sie hatten in vielen Gesprächen alle Details des Hergangs rekonstruiert und wiederbelebt. Dadurch waren seine Alpträume nur noch schlimmer geworden. Noch bunter. Noch lebendiger. Noch reicher an Details. Noch unerträglicher.

Wieder fiel er in einen unruhigen Schlaf. Der Traum lief weiter, als hätte ihn jemand für den kurzen wachen Moment angehalten. Wieder das Hupen, das er schon so oft an dieser
Stelle gehört hatte. Der Geruch von Abgasen drang ihm in die Nase, wie damals. Die Lichter der Autos, die ihm entgegenkamen, blendeten auf der regennassen Straße. Der Regen schlug heftig gegen die Frontscheibe des Linien-busses, den er steuerte. Die Scheibenwischer zogen kontinuierlich ihre Bahnen und hinterließen dicke Schleier auf der Scheibe. Er war dem Fahrplan hinterher. Kein Wunder bei dem Wetter. Sein Chef hatte ihn deshalb schon mittels Funk zur Eile getrieben. Der Streit hinter ihm wurde lauter, ein Fahrgast mischte sich in den Streit ein. Er gab noch etwas mehr Gas, als die Straße vor ihm frei wurde. Dann sah er aus den Augenwinkeln das kleine Mädchen vor sich auf der Straße. Einen Sekundenbruchteil später - zu kurz, um überhaupt zu reagieren - war der Bus bereits über
das kleine Mädchen gerollt.

Der Traum brach ab und dunkle Nacht umfing ihn wieder. Diese unbarmherzigen Nächte, die ihm keine Chance ließen, diesem Alptraum zu entfliehen. Er verließ sein Bett und ging zum Fenster. Der Blick die vielen Stockwerke hinab war imponierend, doch hatte auch dies seine Bedeutung schon lange verloren. Er öffnete das Fenster.

Nie wieder eine dieser Nächte, dachte er sich und sprang.

Nie wieder dieser Alptraum !
 
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Kommentare  

Ich sag nur eins: WOW!

Manja (30.10.2004)

Ich finde den Text toll. Wie sich das Rätsel des Alptraumes erst zum Schluss löst, ist gut gemacht, da bleibt das Interesse vorhanden.

Freiheit (20.05.2004)

Auch ich finde, dass das Ende etwas ausführlicher sein sollte und dafür der Anfang gekürzt.

Susan (25.04.2004)

Dieses schuldbelandene Gedankenrodeo kann ich gut nachempfinden. Ebenso den Sprung aus dem Fenster.
Eindringlich beschrieben ist der Weg bis zum Fenster. Der Moment der Entscheidung ist mir allerdings auch etwas zu oberflächlich. Trotzdem gut!


Angela (05.03.2003)

recht schlichter Text. Der Schluss finde ich, hätte bei dem ausführlichen Anfangen auch besser beschrieben werden sollen. z.B, wie er den Fall erlebt etc.
3Punkte


pascal (09.02.2003)

Den Weg zum Selbstmord hast du klasse beschrieben...

Maegumi (11.12.2001)

Manchmal, wenn die Hoffnung wieder am Boden ist, scheint es einfacher, den feigen Weg zu nehmen und die Geister der Nacht endlich ruhen zu lassen.

schwaen (13.03.2001)

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