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Bananenrepublik Altenheim

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Bananenrepublik Altenheim

Hierarchie-Leitfaden für Außenstehende




Der Heimleiter

Sieht alles, weiß alles...vergißt alles - besonders wenn es um Zusagen gegenüber Mitarbeitern geht. Umgibt sich gern mit der Aura des Allwissenden (daher auch die Bezeichnung „lieber Gott des Altenheimes“ ), obwohl er als Kaufmann (oder Sozialfutzi oder „christliche Persönlichkeit“) überhaupt keine Ahnung von Pflege hat. Vielleicht auch gerade deswegen....



Die Pflegedienstleitung

Sieht alles, weiß alles... vergißt nie etwas, besonders wenn Untergebene Widerworte gegeben haben. Hauptaufgabe: Krisenmanagement. Standard-Grußformel: „Wer war das?“ Oberste Fachkraft, meistens kompetent, was aber niemandem auffällt, da sie es sich nicht leisten kann, schlauer zu sein als der Heimleiter.



Der Vorstandsvorsitzende des Trägers

Sieht nichts, weiß nichts... merkt sich aber alles; weil er auf Gerüchte und Verräter angewiesen ist. Kommt nur ins Heim, wenn Feiern anstehen (Alkohol!), hält dann unvermeidlicherweise eine Rede, in der er so tut, als hätte er den ganzen Etat des Hauses mit seinen eigenen Händen durch Kohlen-Schleppen bestritten. Setzt sich anschließend in seinen Dienstwagen (8 Zylinder, 230 PS) und fährt zu seiner Geliebten, um sich die Belohnung abzuholen.



Die Stationsleitung

Undankbarster Job in einem Altenheim, für alles verantwortlich und von keiner Seite Hilfe. Wird beim kleinsten Fehler von der Heimleitung zur Schnecke gemacht; hat was geklappt, war es das Verdienst des/der Allmächtigen (siehe Heimleitung). Sieht es gar nicht ein, für 4000 Mark den Helden zu spielen, und gibt folgerichtig den Druck nach unten weiter.



Die stellvertretende Stationsleitung

Wie die Enkel von Willi Brandt: warten ewig auf ihre Chance, und wenn sie da ist vermurksen sie es. Meistens eine Altenpflegerin, die ab und zu wichtig tun darf und dafür von
ihren Kollegen geschnitten wird.


Examinierte Alktenpfleger (sogenannte „Fachkräfte“)

Sehen, was zu tun ist, wissen, was getan werden könnte, entscheiden, was getan werden soll, verantworten, was tatsächlich getan wird. Prototyp des „Front-Schweins“. Tragen die Hauptlast der Stationsarbeit, weil sie neben ihrer eigenen Arbeit auch noch hinter allem, was unausgebildet arbeitet, her sein müssen und von diesen immer alles zugeschoben bekommen.
Haben alle Hände voll zu tun, sich gegen Leute zu wehren, die alles besser wissen.
Irgendwann kommen sie auf die bescheuerte Idee, sich für einen Job zu bewerben, der für eine Lohnstufe mehr noch viel schlimmer ist... Stationsleitung.



Hilfskräfte

Befinden sich ständig im Konflikt zwischen „Geht mich nichts an“ und „Ich bin der Stations-Profi.“ Haben die Indianapolis-Position (wenn`s eng wird, bin ich als erster weg). Zeigen ihre Inkompetenz dadurch, dass sie sich einbilden, mit Kompetenz glücklicher zu sein. Ansonsten unverzichtbar als unterste Stufe der Pflegehierarchie. Die Betroffenen trösten sich mit Intrigen gegen Examinierte.



Zivildienstleistende

Die Stars der Station, da a: männlich (Jung, schön und stark. Zumindest jung.)
und b: ober-cool, weil sie keinen Vorgesetzten zu fürchten haben. Machen deswegen, was sie wollen, und das immer zum Nutzen der BewohnerInnen.



Praktikanten von Altenpflege-Schulen


Geliebt, weil Überstunden abgebaut werden, wenn sie kommen, gefürchtet, weil sie alles besser wissen, sie auch noch meistens recht haben und so echten Stress verbreiten. Niemand will schließlich hören, dass er seit zehn Jahren die Spritzen falsch setzt, hat sich ja auch noch keiner beklagt, oder? Spielen sich oft als Robin Hood der Bewohner auf, und die Bewohner finden das auch noch gut.



Raumpflegerinnen


Geliebt, weil sie einem so hässliche Arbeiten abnehmen, gefürchtet, weil fast alle eine Verwandte unter den BewohnerInnen haben, und wenn nicht, dann wenigstens eine Vertraute, und so jeden Fehler des Pflegepersonals als erste entdecken und einem natürlich gleich aufs Brot schmieren. Alles in allem Grund genug, sie an der kurzen Leine zu halten.



Der Betreuungsdienst

Sehen alles, verstehen nichts und erzählen es dann weiter. Alles Doppelagenten, weil sie der Station erzählen, der Träger wäre Alkoholiker und würde seine Frau schlagen, und dem Träger erzählen, die Bewohner würden schlecht versorgt.



Beschäftigungstherapeuten

Der natürliche Feind des Altenpflegers. Nicht nur, dass diese Burschen etwas tun, wozu man selbst auch qualifiziert ist, sie machen auch noch so tolle Sachen wie Strick - Papageien oder Reißwolle - Mobiles, die dann überall hängen und die Bewunderung von Heimleiter und PDL finden. Examinierte fühlen sich zum Windelwechsel-Dienst degradiert. Wenn die BT´s dann
anfangen an der Pflege rumzunörgeln (Oma Krauses Windel war wieder naß, stellen sie das ab), weicht die kooperative, ganzheitliche Turbopflege einem alles verschlingendem Blutrausch.



Sozialarbeiter

Völlig überflüssiger Traumtänzer, der als einziger noch glaubt, es ginge im Heim sozial zu.



Supervision

Andere Bezeichnung für bezahlte Langeweile, weil keiner weiß, was Supervision auf deutsch heißt und niemand so dämlich ist, seine Kritik am Boß vor allen Leuten rauszulassen und sich so an´s Messer zu liefern. Wird von Psychologen abgehalten, die sich dabei selbst blöd vorkommen.



Der Arzt

Kleinkarierte Type, unfreundlich und in Eile, will grundsätzlich nichts rezeptieren. Redet selbstgefällig in übertriebener Fachsprache, um zu zeigen, dass die Schwester für ihn
nur der geduldete Blödi ist. Aber wenn er ledig wäre und sich anbaggern ließe...



Bewohner

In der komplizierten Welt des Personals absolut störend. Alles würde wunderbar funktionieren, wenn nicht dauern die Bewohner irgendein Problem hätten, und Probleme gibt es auch ohne Bewohner schon genug. Meist hilft nur noch die Flucht ins Stationszimmer.



Verwandte/Angehörige

D i e P e s t !

Wissen absolut alles besser, weil sie a: ihre Oma so gut kennen, (darum hassen sie sich auch) und b: im „Geschwollenen Blatt“ oder „Frau im Supermarkt“ ein Bericht stand. Meistens geht es in Wirklichkeit nur darum, alte Rechnungen zu begleichen oder irgendwie an die Erbschaft zu kommen.

Stationszimmer

Trutzburg des Pflegepersonals. Wird mit zwei magischen Sprüchen kraftvoll verteidigt.
1. Ich bin beschäftigt!
2. Wir haben jetzt Übergabe!
Optional kann bei beiden Sprüchen der Halbsatz: „ Pinkeln sie in ihre Windel, dafür ist sie ja da" beigefügt werden. Ansonsten beherbergt das Stationszimmer die Dokumentation, die Rapport- Kladde, das Nachtwachen-Buch, das Heft für Besonderheiten, das Spezial- Buch für persönliche Botschaften zwischen den Schichten und jede Menge Merkzettel.



Die Pflege

Tätigkeit zwischen zwei Intrigen.



Die Kaffee-Kasse

Gibt es gar nicht, und wenn es sie gäbe, wär`s bestimmt nicht für Kaffee.


Dienstzeit

Die Zeit, in der man das beschauliche und ruhige Zuhause verlässt, um mit ein paar Hexen
unter Aufsicht eines unfähigen Ekels Bestien zu hüten. Man hätte weiß Gott Besseres zu tun,
aber wir sind ja sooo sozial und hilfsbereit.



Altenheim

Getreues Abbild eines mittelamerikanischen Kleinstaates mit Elementen einer
deutschen Endlos- Serie aus dem Fernsehen, nur dichter, rasanter und
gefährlicher, eben

Realität !
 
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Kommentare  

Echt lustig, dieser trockene humor gefällt mir. Gruß Holger

Homo Faber (24.04.2007)

Ich habe mich auch amüsiert! Habe selbst schon in solchen Bereichen gearbeitet... LG Sabine

Sabine Müller (24.04.2007)

Da kann sich auch ein Außenstehender den "Spaß" in Altenheimen richtig lebhaft vorstellen. Amüsant geschrieben!
Ich glaub auch, daß der Autor "Examierter Alktenpfleger" ist (Anspielung auf Feuchtfröhliches oder doch eher Flüchtigkeitsfehler? *grins*).

5 Punkte


FrozenYak (02.02.2003)

Das nenn ich echtes Insiderwissen.
Astrein beschrieben.
Da sieht man mal wieder, dass nichts so bitter- komisch ist wie das echte Leben.


Drachenlord (14.11.2002)

FANTASTISCH!!! Oh was hab ich gelacht! Leider auch traurige Wahrheit.
Brillante Beschreibung.
Welchen "Titel" führt der Autor? Ich tippe auf "examinierte Fachkraft". Wenn ich falsch liege, machts auch nix. Es war so oder so heftigst amüsant.
Fünf Punkte und eine SPITZE von mir dazu!


Stefan Steinmetz (10.09.2002)

Fast wie im richtigen Leben!Super treffend!

biggi (15.02.2002)

Das ist Autobiograhie, das ist das wahre Leben!!

Nur lass' das bloß keinen Lesen.
Vor allem nicht den Heimleiter, oder schlimmer noch:
seine Frau!


christine (11.08.2001)

So isses!

Jeden Tag. das ist keine Satire, das ist die Wahrheit. Glaubt nur keiner.


Uwe (09.03.2001)

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