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5 Seiten

Kristallregen

Trauriges · Kurzgeschichten
Ich habe oft diesen Traum. Er schreckt mich in der Mitte der Nacht auf, und raubt mir die Ruhe. Ich will davon erzählen...

Ein Land aus grauem Stein, ohne jegliche Vegetation lag vor mir. Die Ebene erstreckte sich bis zum Horizont. Nichts als Trostlosigkeit und Stille. Selbst im dunkel Blau des Himmels schienen sich graue Schleier festgesetzt zu haben. Der Himmel hing tief über dem Grund, und machte mir auf irgendeine Weise Angst.
Obgleich ich nicht wusste wo ich mich befand, begann ich langsam die Umgebung zu erkunden und machte mich auf den Weg, ungewiss wo hin mich meine Füße tragen würden. Ich wollte nur weg von diesem Ort der Einsamkeit. Wie eine kalte Hand umklammerte mich die Stille. Ich begann auf der Stelle, da mir dieser Umstand bewusst wurde, und die Kälte mir immer tiefer unter die Haut kroch, zu zittern. Meine Augen suchten Stück für Stück das Gelände ab. Es musste etwas geben woran ich mich orientieren konnte. Irgendetwas um Schutz zu finden, wo mich der Wind und die mit fliegende Kälte nicht erreichen konnten.
Ich schlang meine Arme um mich selbst und versuchte die Wärme am Körper zu halten. Der schwarze, enge Pullover den ich trug, war in dieser Angelegenheit sehr unvorteilhaft, wie ich feststellen musste.
Umso weiter ich ging, umso mehr bemerke ich kleine Veränderungen. Vor einiger Zeit hatte der Wind leise angefangen zu flüstern. Es war ein warmes Wispern, das eine seltsame Vertrautheit in mir wachrief. Zu Beginn war es mir nicht aufgefallen, aber um so länger ich lauschte, um so mehr wurde mir bewusst, dass das Gewicht der Stille aus meinen Gedanken genommen wurde. Ich hatte bereits das Gefühl, dass mich das Schweigen zu erdrücken drohte. Mich gleichzeitig stumm und bewegungsunfähig machte, mich einfach im Nichts zurückzulassen schien. Der Wind umwehte mich nicht einfach nur, erzog mich mit sich. Das sanfte Lüftchen führte mich von meinem Weg ab, oder besser gesagt es zog mich von meiner geraden Laufrichtung etwas seitlich weg. Ich folgte dem leisen Wispern des Windes, und erblickte nach kurzer Zeit in der Ferne eine kleine Erhebung, einen Hügel. Genau konnte ich es aus der Entfernung nicht ausmachen, aber meine Neugierde war geweckt und ich begann schneller zu werden. Endlich ein Fluchtpunkt! Der Wind vermittelte mir mit seinen Geräuschen nicht mehr diese Art von Angst, wie zu Beginn. Aber dennoch wurde mein Zittern nicht besser. Ich war bereits völlig verspannt und meine Muskeln begannen zu schmerzen.
Ich überraschte mich dabei, wie ich zu laufen begann, senkte allerdings nicht mein Tempo. Mir war ungewiss was mich wirklich antrieb. Auf einem Hügel, mitten in der Wildnis, würde sich auch keine Wärme ansammeln. Aber dennoch, an diesem Ort wo es fast nichts gab, außer dämmerndem Licht und dunklen Felsen, musste einfach Etwas existieren. Ich wusste nicht was, aber aus irgendeinem Grund musste ich schließlich hier sein.
Und mein Begleiter, der Wind, hielt mich an, in Bewegung zu bleiben. Immer wieder fielen mir die langen Haarsträhnen ins Gesicht, und nahmen mir die Sicht. Ich begann zu keuchen, denn ich war das ausdauernde Laufen ganz und gar nicht gewöhnt. Es wurde mir immer kälter, obwohl ich mich durch die Bewegung aufheizte. Der Wind nahm erneut an Stärke zu, sein Treiben raubte mir die Kräfte, und ich stolperte nur noch mit einem Fuß vor den Anderen. Ich konnte nicht mehr, auch wenn die Luft mich gefangen hatte. Ich ließ mich auf die Knie fallen. Es schmerzte, flammte aber nur kurz auf und wich der Kälte. Der steinerne Boden war noch kühler als es den Anschein hatte. Die Luft brannte in meiner Kehle, und eine stechende Übelkeit schüttelte mich kurzzeitig.
Ich blieb für einen Moment zusammengekauert am Boden hocken. Das Ziel war schon sehr nahe gerückt. Ich biss die Zähne zusammen und rappelte mich auf. Mit einem gemäßigten Tempo setzte ich meinen Weg fort. Ich erreichte schließlich die Anhöhe und stieg noch langsamer hinauf, ganz in der Hoffnung von hier aus etwas Anderes zu sehen oder zu finden. Während ich tief durchatmete, und mir die eisige Luft, erneut fast die Kehle zerriss, drehte ich mich langsam um. Ich blickte zurück auf die riesige steinerne Wüste. Der Wind war auf einmal erstickt und diese Stille ließ erneut große Angst in mir aufkeimen. Das Geflüster der Lüfte hatte mir wenigstens als eine Art Begleiter gedient.
Neugierig auf den neuen Ausblick drehte ich mich um. Ich begann erneut den Horizont abzutasten, und stellte fest das alles hier genau dem entsprach was mir auf der anderen Seite geboten wurde. Die gleiche Schiffer artige Oberfläche, die gleiche Trostlosigkeit und die gleiche beklemmende Atmosphäre. Ich war etwas enttäuscht und ließ mich nieder auf den dunklen Stein.
Mein Blick sank langsam und verharrte schlagartig, als ich sie erblickte. Sie, ein Mensch! Ich war nicht mehr alleine, in dieser schieren Unentlosigkeit! Sie war wunderschön. Milchig blasse Haut, schulterlanges dunkles Haar und eine unglaubliche innere Ruhe schmückten sie. Sie trug nichts als ein weißes, einfaches Trägerkleid. Es betonte ihre schlanke Gestalt und fiel nach Unten weiter, so dass das Lüftchen darin spielen konnte.
Das Zittern setzte wieder ein, auch wenn mich ihr Anblick betörte. Ich strich mir abermals vereinzelte Haarsträhnen aus dem Gesicht und ließ meinen Blick für einen weiteren Moment auf dem zarten Wesen ruhen.
In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was sollte das Alles hier denn nur?! Vielleicht könnte sie mir weiterhelfen. Ich wollte nach ihr rufen, aber meine Stimme versagte kläglich. Das Laufen hatte mich doch sehr angestrengt.
Die Schönheit saß auf den dunklen Steinplatten, die Beine von sich gestreckt, und zur Seite gelegt. Sie hatte neben einer kleinen Wasseransammlung Platz genommen, und betrachtete sie aufmerksam. Wohl genauso aufmerksam wie auch ich sie im Auge behielt. Das es hier Wasser gab, wunderte mich, da ich noch nichts der gleichen in dieser Welt entdecken konnte. Auf den rechten Arm gestützt hielt sie ihr Gleichgewicht, während sie mit dem Linken im Wasser zu spielen schien. Ich strengte mich an, um her raus zu finden was sie dort so interessierte, mit größter Anstrengung konnte ich es ausmachen. Es waren Seepferdchen. Sie züchtete Seepferdchen in einer Pfütze! Diese ganze Welt erschien mir von Minute zu Minute immer sonderbarer. Meine Neugierde war stärker als alle anderen Gefühle, und ermutigte mich dazu mich ihr zur nähern. Ich erhob mich mühselig und strich ein paar mal über die verspannten, schmerzenden Muskeln. Um sie nicht aufzuschrecken verhielt ich mich ganz ruhig und schritt behutsam den Hügel her runter. Sie würde mich schon erblicken. Die ersten Augenblicke verharrte sie wie zuvor, all ihre Aufmerksamkeit nur auf das Wasser gerichtet. Ich versuchte es noch einmal etwas zu rufen, und meine Kehle gab sogar in einem überraschend klaren Ton meine Worte ?Hallo, bitte erschrick nicht, kannst du mich verstehen?!? wieder.
Plötzlich zuckte ein helles Licht durch den Raum, und begann am Himmel zu leuchten. Ich schreckte zusammen und stolperte einige Schritte zurück. Gegen einen Felsen gepresst, bemerkte ich erst das sie mich gar nicht war genommen hatte. Sie blickte nach oben, und auch ich konnte meine Blicke nicht lange von dem überraschenden Ereignis wenden. Eine kleine Kugel aus weißem Licht strahlte über unseren Köpfen. Die Schönheit erhob sich und streckte ihre Hände himmelwärts, zum Licht. Sie schien etwas zu sprechen, diese Worte verstand ich allerdings nicht. Ich weiß nicht einmal ob es auch die meinige Sprache war, aber sie hatte eine Stimme, wie ich sie mir immer bei Engeln erdacht hatte. Hell und mit einem melodischen Unterton verknüpft. Weich und sie nahm die Angst von mir. Es blitzte erneut und meine Blicke richteten sich automatisch wieder der Lichtquelle zu. Die kleine Sonne, ich sollte es besser Stern nennen, schließlich war es Nachtdunkel, schien gewachsen zu sein. Ihr Umfang nahm immer mehr zu, langsam aber stetig. Fasziniert von der Darbietung, fiel es mir fast schwer meine Blicke zu lösen. Sie hingegen schaute mich an. Ich zuckte zusammen, sie blickte mir direkt in die Augen! Wunderschöne, sanfte Augen betrachteten mich. Ich fühlte mich auf einmal so warm, entspannt und vollkommen glücklich. Da sie mich entdeckt hatte, war es ja jetzt kein Problem mehr, dass ich mich ihr nähere. So dachte ich zumindest, allerdings musste ich feststellen, dass ich mich nicht bewegen konnte. Mein Körper war wie zu Eis erstarrt.
Es knallte, und die Lichtkugel hoch am Himmel zerbarst. Mit einem Mal wurde es wieder dämmerig, Kälte und Hilflosigkeit erfüllten mich, und eine ungeheure dunkle Angst stieg in mir auf. Mein Engel zuckte, sie hatte sichtbar Scherzen. Ihr Kleid zerriss an einigen Stellen. Ganz langsam befleckte es sich mit Blut. Sie schien von tausenden Nadeln durchbohrt, so klein waren die Einstiche, aus denen das Blut rann. Ich blickte entsetzt um mich, und suchte die Ursache dafür. Ich schaute nach oben, wo zuvor der Stern geleuchtet hatte. Mit großer Anstrengung erkannte ich das Etwas vom Himmel rieselte.
Kleine Kristalle, so groß wie Sandkörner fielen vom Himmel. Die Schönheit begann schmerzerfüllt zu schreien. Die Überreste des Lichtes fügten ihr immer mehr Wunden zu. Sie brach nicht den Blick mit mir, und ich konnte mich immer noch nicht wieder bewegen. All das Zerren half nichts, ich war gefangen. Ich hatte große Angst, die Kälte zerriss mich fast. Ihre Schreie machten mich wahnsinnig, und jagten mir Schauer des Entsetzens über den Rücken. Zu gerne würde ich nach ihr laufen, und sie in den Schutz des Felsens bringen.
Tränen flossen über ihr Gesicht, sie lächelte. Ihr Kleid war zerrissen und mit Blut getränkt. Ich fiel aus heiterem Himmel zu Boden und betrachtete vorsichtig die Umgebung. Es hatte aufgehört. Der Grund lag voller feiner farbloser Kristalle. Stille war eingekehrt, nicht mal der Wind wagte zu atmen. Ich bemerkte jetzt, dass ich am ganzen Körper zitterte, und dass mir Tränen über das Gesicht liefen. Wie lange wohl schon? Sie war tot. Ihr lebloser Körper lag neben der kleinen Wasseransammlung, in der ebenfalls der Staub und die Seepferdchen an der Oberfläche schwammen. Ich kniete neben ihr nieder und erschrak, als ich ihre Augen erblickte. Ihr Blick war immer noch so warm, so voller Liebe ...
als hätte mein Engel das Licht beschworen...

Crimson Tear

Der ?Traum? ist meinem Engel gewidmet. Leider ging sie viel zu früh von mir, indem sie sich selbst mit der Klinge richtete... Sie riss Träume mit sich und hinterließ eine tiefe Leere...
 
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Kommentare  

wunderwunderschön geschrieben... und sehr traurig... ich wünsche dir alles liebe für die zukunft...
Lieben Gruß


*Becci* (05.10.2002)

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