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5 Seiten

KIRSCHBLÜTENZEIT

Trauriges · Kurzgeschichten
Dunkelheit verschlang ihn. In seiner Hand fühlte er die Strukturform der Türklinke, die kühl in seinen Fingern lag. Welche Farbe mochte wohl das Holz der Tür haben? Er fühlte vorsichtig nach dem rauhen Verband, der seine Augen schützte. Für immer dunkel...dieser Gedanke dämpfte jedesmal sein Lebensgefühl. Nie mehr sehen zu können hatte ihm immer einen leisen Schreck über die Schultern gejagt und mitleidige Blicke gefordert. Und jetzt er? Seine Hand spannte sich um die Klinke und drückte sie runter. Ein Luftzug berührte sein Gesicht und spannte seine Wangen.
Die Hände suchten das Geländer, erfaßten es und ließen sich führen, begleiten - zwei Stufen runter. Wo waren die anderen? Alle anderen behinderten Leute. War er denn so allein? Wie hilflos er sich doch fühlte. Aber er wollte nicht auf sich aufmerksam machen, wollte es alleine schaffen. Vielleicht würde er nie wieder sehen können. Er fühlte sich wie in einem dunklen Zimmer. Immer allein mit seinen Gefühlen, immer allein in der Dunkelheit. Was waren das für Schritte? Wem gehörten sie? Weiche Schritte näherten sich ihm. Er hörte wie sie neben ihm verharrten. Unmittelbar neben ihm. Er schaute in die Richtung in der die Schritte geendet hatten. Eine weibliche Stimme folgte. "Willst du irgendwohin? Soll ich dich irgendwohin bringen?" Seine äußere Fassade veränderte sich. Wurde hart und sein Mund versteifte sich. "Nein. Ich brauche keine Hilfe! Ich bin nicht blind, ich werde wieder sehen!" Schweigen folgte. Er hatte heftiger geantwortet, als er gewollt hatte. Jetzt tat es ihm leid, daß er dieser warmen Stimme mit den weichen leisen Schritten so derbe angeschnauzt hatte. Er kam sich im nächsten Augenblick wie ein alter sturer Bock vor. Wie ein dickköpfiger Alter. "Hm,... wenn du meinst." Die Stärke die er vorgetäuscht hatte wich an Tapferkeit. Die Füße gingen zögernd weiter. "Warte!" Er hatte leise aufgeschrien,- er war hilflos, das mußte er sich endlich selber eingestehen. "Ich suche...", er stockte, wen suchte er? " Bring mich bitte irgendwohin. Ich will mich setzen. Drinnen. Bitte." Gleich darauf spürte er eine schmale Hand, die ihn sanft am Arm faßte. Sachte. Er spürte ihre Wärme dicht neben sich. Wie mochte sie wohl aussehen? Sie war kleiner als er. Nicht viel.

Um die eins siebzig. "Vorsichtig, jetzt kommen fünf Stufen. Eins, zwei, drei,... vier und fünf. Da vorne ist ein Café. Dort bringe ich dich hin." Still ließ er sich von ihr ins Café lotsen. Gleich würde er wieder allein sein. Sie brachte ihn an einen Tisch und ließ ihn sich hinsetzen. Nun stand sie wieder zögernd vor ihm. "Ich habe Zeit. Keine Termine oder so. Möchtest du das ich bei dir bleibe. Dir Gesellschaft leiste. Reden oder so?" Er spürte ihre Verlegenheit. Sie hatte schnell gesprochen. Zu schnell. Am liebsten hätte er laut ja geschrien. Aber gedämpft und diesmal freundlich antwortete er: "Bitte ja. Bleib hier. Ich brauche jemanden mit dem ich reden kann." Er hörte wie sie sich einen Stuhl heran schob und sich setzte. Es war ein eigenartiges Gefühl, in einem Café zu sitzen und nicht sehen zu können wie es aussah von innen, sich die Menschen nicht ansehen zu können und nicht einmal zu wissen wo er war. "Wie heißt Du?" fragt er sie. Lächelte sie? "Nora und du?" "Janneck." Pause. Schweigen. Was sollte er jetzt sagen? Wie gerne hätte er etwas von sich erzählt. Aber er wollte nicht aufdringlich wirken. Mitleid erregen oder so. Nein. Das war das letzte was er wollte. "Das Café heißt "Bernadett" und ist nicht gerade überfüllt. Gegenüber von uns sitzen zwei Männer. Mit Schlips und so. In der Ecke hinten links sitzt eine junge Frau. Ziemlich lange Beine, mit einem grünen Mini. Und lange blonde Haare. am Fenster sitzt eine ältere Dame, die uns beim Rein kommen angestarrt hat." Als hätte Nora seine Gedanken gelesen. "Ich wollte das wirklich wissen," murmelte er vor sich hin. Sie berührte sachte seine Hand. "Wenn ich nichts sehen könnte, würde mich das sicherlich auch interessieren, um ein innerliches Bild entstehen zu lassen." Sie machte eine Pause. Schien zu zögern. "Willst du darüber reden?" Da war die Aufforderung. Wie gerne wollte er ihr alles erzählen. Wie sehr hatte er sich danach gesehnt mit jemandem über alles zu reden. Von dem Unfall, von allem. Sollte er wirklich? Doch dann begann er zu erzählen. Dachte nach und kramte all die schrecklichen Augenblicke der letzten Tage, Wochen aus seinen Gedanken hervor. Wie war das gewesen...
Er hatte sich stark auf die Straße konzentriert. Die Scheinwerfer drangen durch die auf ihn zukommenden Nebelschwaden und die Kilometerpfeiler schnellten an ihm vorbei. Die Tachonadel zeigte Hundertsechzig und sein Gefühl für Geschwindigkeit war verschwunden. In seinem Kopf lief alles doppelt schnell ab als sonst.

Die Kurven glichen einer Achterbahn und sein starrer Blick gerade aus, konzentrierte sich auf die Straßenmarkierungen, die, je schneller er fuhr, immer mehr zu einem einzigen ununterbrochenen Strich in der Mitte der Straße wurde. Alles hatte den Anstrich von Monotonie bekommen. Er ließ sich gehen und achtete nur noch auf die Straße. Die Geschwindigkeit nahm zu oder ab und die Straßen Markierungen verloren in seinem Kopf an Wichtigkeit.
Er war von einem Geschäftsessen wieder gekommen. Je mehr er getrunken hatte, desto schlechter war es gelaufen. Der Vertrag platzte. Niemand war am Ende da gewesen und hatte ihm verboten zu fahren. Niemand hatte ihm vernünftig zugeredet ein Taxi zu nehmen.

Als er um eine Kurve bog, diese gerade noch erwischte, riß er das Lenkrad rum, um im nächsten Augenblick einem Reh auszuweichen. Ein Knall gegen seine Stoßstange verriet, daß auch das Reh nicht davon gekommen war. Viel hatte er nicht mehr mitbekommen, als das nächste Auto von vorne bei ihm rein krachte. Glas splitterte und ein tiefer, brennender Schmerz, der eigentlich schwer zu beschreiben ist, traf seine Augen. Woraufhin er das Bewußtsein verlor. Lange fühlte er nichts. Schwärze hatte ihn gänzlich verschlungen. Er fiel in ein tiefes Loch und das Gefühl für jeglichen Schmerz verschlang ihn. Nur die Empfindung immer weiter abzustürzen, war geblieben. Hätte er denken können oder hätte er gedacht zu wissen, dann hätte er geglaubt, zu wissen, daß er tot war.

Das Loch hatte kein Ende nehmen wollen, aber irgendwann hatte er einen weißen Fleck auf sich zukommen sehen. Licht!, war es ihm als durchbrechender Gedanke durch den Kopf geschossen. Aber als er seinen Körper wieder spürte und seine Finger sich wieder rührten, er die Gewißheit wahrnehmen wollte, daß noch alles an ihm dran war, -das er noch lebte. Das einzige, was ihm zu denken gegeben hatte, war der dichte Mullverband, um seine Augen und etwas kühles, feuchtes hatte er auf seinen Liedern gespürt und dann- der stechende Schmerz, den er schon einmal gespürt hatte. Der Unfall, er hatte getrunken, das Reh und das andere Auto. Langsam hatten sich die Geschehnisse wieder aneinander gereiht. Wann war der Unfall gewesen? Wie lange lag er schon hier? Nach seinem Zeitgefühl zu urteilen, war es erst gestern. In dem Augenblick hatte er gehört wie sich die öffnete und er hatte Schritte vernommen, die sich seinem Bett näherten. Dann eine Stimme. "Er ist wach." Die Neugierde war über ihn gekommen wie ein Schauer von Panik. " Warum kann ich nichts sehen? Was soll der Verband?"
Die Stimme,- offensichtlich gehörte sie einer Frau - ,begann ruhig und sachlich zu erklären. "Sie hatten einen schweren Unfall vor drei Wochen und ihr Augenlicht wurde beschädigt. Sie müssen operiert werden." In diesem Augenblick hatte sich ein riesenhafter Stein auf sein Gemüt gerollt, der all seine Gedanken zunichte machen wollte.
Die nächsten Tage verlebte er in Trance. Er war zwar bei Bewußtsein, aber lag nur da und gab kaum ein Wort von sich. Seine Mutter hatte ihn einige male besucht. Am Anfang seines Krankenhaus Aufenthaltes jeden Tag. Mit der Zeit kam sie seltener, bis sie schließlich ganz wegblieb. Niemand sagte etwas über ihr Fernbleiben, doch er fragte auch nicht. Dachte kaum an etwas anderes als, daran für immer zu erblinden. Doch niemand hatte ein endgültiges Resultat gefällt. Es waren nur Befürchtungen ausgesprochen worden, die ihn zusehends deprimierten und seinen Zustand nicht verbesserten.

An einem Freitag, Janneck hatte das Zeitgefühl verloren und schien gar nicht mehr richtig zu leben, kam der Oberarzt wie sonst alleine zur Visite. Janneck stutzt. Er fühlte sich immer so hilflos, wenn er nicht wußte wer da in sein Zimmer kam. Der Arzt war freundlich zu ihm, kam aber zügig auf den Punkt. Es ging darum, daß er am nächsten Tage operiert werden sollte. Ein Schauer war ihm über den Rücken gelaufen. Doch mittlerweile war es ihm egal geworden, wann er operiert werden sollte. Schnell vorbei sollte es sein. Sehr schnell.

"Am Morgen wurde ich mit nüchternem Magen, in einem weißen OP- Hemd in den Operationssaal gefahren. Dort wurde mir der Tropf an meinem Handrücken festgemacht und dann kam die Narkose. Man flößte sie mir über die Tropfnadel ein. Ein Stechen und Brennen jagte meinen Arm hoch. An die tägliche Schwärze hatte ich mich ja gewöhnt, doch die Schwärze, die auf mich zukam, war erdrückend und so ungewiß.

Nach Stunden bin ich dann aufgewacht und ein neuer Verband lag auf meinen Augen. Ich hatte leise geseufzt und gedacht, na ja, einen Versuch war es wert. Irgendwann war der Arzt gekommen, der mich operiert hatte. Er berichtete mir, wie erfolgreich und glatt die Operation verlaufen war. Innerlich hatte ich Purzelbäume geschlagen und mein verloren geglaubter Lebensmut, war Schlag auf Schlag wieder da." Janneck lächelte und spürte wie Nora ihn wohl in diesem Augenblick anschauen mußte. "Ich werde wieder sehen können. Bald. Sehr bald. Vielleicht auch schon morgen." sagte Janneck mit seiner tiefen und überzeugten Stimme.
 
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Kommentare  

Mir erschließt sich der tiefere Sinn der Story auch
nicht ganz. Okay, er ist vorübergehend blind. Er hat
offnebar jemanden gefunden, mit dem er sich
unterhalten kann. er wird wieder gesund. Aber
kaum etwas davon ist wirklich ausgearbeitet, man
begibt sich als Leser nicht richtig in die Handlung
hinein.

>> Die Stimme gehörte offensichtlich einer Frau <<

Offensichtlich für wen? Für den Protagonisten dürfte
vorläufig nichts mehr offensichtlich, nicht mal sichtlich
sein.

>> Hätte er denken können oder hätte er gedacht
zu wissen, dann hätte er geglaubt, zu wissen, daß
er tot war. <<
Da mußte ich mal kurzfristig aufhören zu denken.
Warum versuchst du, so furchtbar kompliziert zu
formulieren? Vielleicht solltest du die Handlung
schlüssiger rüberbringen, deutlicher sagen, was du
sagen willst, dann erübrigen sich vielleicht auch viele
mühsame Ausdrücke. Lies mal "Seelenschrammen"
von Nina Märtens, das ist sehr klar ausgedrückt und
furchtbar bewegend.


Trainspotterin (08.04.2003)

Ähm, kann sein das mein Spatzenhirn mir hier den Dienst verweigert, aber was willst du mit der Story jetzt sagen?
Wiso reagiert er so krötig wenn er eh schon wusste das seine Blindheit nur kurzzeitig ist?
Was ist das eigentlich für eine seltsame Klinik wo der Oberarzt allein zur Visite kommt (habe ich noch nie erlebt), die Türklinken Strukturform (?) haben und wo man Augenverletzungen mit rauhen Verbänden verbindet (gerade in diesen sensiblen Bereichen würde ich eher einen weichen Verband vorschlagen)?
Und was hat das alles mit Kirschblüten zu tun?
(Hat sich dein Protagonist eventuell vor seinem Unfall mit Kirschschnaps zugeschüttet oder habe ich was überlesen?)
Fragen über Fragen, die mich aber nicht wirklich zum Nachdenken anregen.
Bis sich der tiefere Sinn dieser Geschichte mir offenbart vergebe ich erstmal keine Punkte.


Drachenlord (29.01.2003)

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