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2 Seiten

Flüchtige Erzählung

Trauriges · Kurzgeschichten
© Olaf
Edgar streckte seine alten Knochen. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte und ließ seine Flanken erbeben. Nur schwer noch konnte er die morgendliche Steifheit und Kälte abschütteln. Es kostete ihn immer mehr Willensanstrengung, um seine müden, bleiernen Läufe in Bewegung zu setzen.
Er war halt nicht mehr der Jüngste. Siebzehn Winter hatte er als Wolf schon erlebt und überlebt. Und jetzt war er dem Tode geweiht.
Lange schon hatte er keinen Jagderfolg mehr vorweisen können und so hatte man ihn einfach verstoßen.
Untragbar sei er geworden, hieß es im Rudel, und man müsse auch an die Welpen denken. Na und, wer dachte an ihn? Was war mit all den Jahren in denen er fürs Rudel gelebt und gejagt hatte? Scheinbar zählten sie nicht.
Das Hungergefühl in seinen Eingeweiden wich langsam der Wut.
Müde stapfte Edgar über den feuchten Waldboden, mit der bohrenden Gewißheit, daß er heute unbedingt Beute schlagen mußte.

Da! Ein Rascheln! Edgar fuhr herum und nahm die geduckte Haltung eines erfahrenen Jägers an. Eine seichte Briese wehte ihm die Witterung eines Rehs entgegen. Kein Zweifel, das Wild hielt direkt auf ihn zu. Ahnungslos, von irgend etwas Unbekanntem getrieben.
Edgar verharrte regungslos im Dickicht. Geifer tropfte von seinen Lefzen und die Erregung ließ seinen Körper erzittern.
Dann war es da! Mit spielerische Leichtigkeit, einem Vogel gleich, setzte es über einen Busch hinweg. In freudiger Erwartung sah er dem Wild entgegen. Jeder Zeit bereit seine Fänge in den Hals des ahnungslosen Tieres zu versenken.
Doch irgend etwas schien nicht zu stimmen. Edgar roch Angst! Nackte Panik! Dabei konnte das Reh ihn doch noch gar nicht bemerkt haben.
Noch ehe er recht nachdenken konnte, setzte das Reh mit einigen, langen Sätzen an ihm vorbei und es schien ihn, seinen größten Feind, überhaupt nicht zu beachten.
Langsam keimte in Edgar die Erkenntnis, daß jenseits der Bäume noch etwas viel Bedrohlicheres lauerte. Ein Unwohlsein breitete sich aus, von der Gewißheit genährt, daß seine Spezies zu den uneingeschränkten Herrschern des Waldes gehörten, die niemanden zu fürchten hatten. Doch für dieses Reh gab es scheinbar eine viel größere Bedrohung.
Nur einmal hatte er eine ähnliche Panik gerochen...
Ein beißender Geruch fuhr Edgar plötzlich in die Nase.
Der Wald brennt, schoß es ihm durch den Kopf, und ehe er sich versah, jagte er durch das Unterholz. Scheinbar dem Reh auf den Fersen, jedoch den tödlichsten Feind im Nacken, den man sich überhaupt vorstellen konnte.
Er rannte, so schnell ihn seine alten Beine tragen mochten. All der Schmerz, all der Hunger war mit einem Mal vergessen.
Immer näher rückte die tödliche Wand aus Hitze und Rauch. Edgar konnte sie förmlich spüren. Die Panik ließ ihn sämtliche Reserven mobilisieren, die er noch hatte.
Seine Lungen brannten inzwischen genau so heiß, wie das Feuer hinter ihm, daß sich von einem unstillbaren Hunger getrieben durch den Wald fraß.
Lange würde er nicht mehr durchhalten. Mit letzter Kraft setzte er über einen umgestürzten Baumstamm hinweg, brach durch ein Gebüsch und kam ins straucheln. Hart prallte er auf den Boden und rutschte einen sandigen Hang hinab. Einer Lawine gleich, rollte er hinab. Wild strampelnd versuchte Edgar wieder auf die Beine zu kommen. Leider wirbelten seine zittrige Pfoten nur Sand auf, fanden aber keinen Halt.
Zu allem Überfluß geriet er zwischen zwei Felsblöcke, die seine Talfahrt abrupt stoppten. Immer noch um sich tretend, versuchte Edgar von der Stelle zu kommen.
Er war eingeklemmt.
Aus! Hier würde er nicht mehr rechtzeitig herauskommen. Deutlich spürte er, wie die Hitze näher kam. Schnell, alles verzehrend, was sich ihr in den Weg stellte.
Resigniert ließ Edgar den Kopf sinken. All die Panik wich von ihm und ließ ihn fast schon gelöst dem Tod entgegensehen, während die Hitze immer heftiger an ihm zerrte.
Die Schmerzen und die Erschöpfung forderten schließlich ihren Tribut. Dankbar empfing er die namenlose Schwärze, die ihn jetzt verschlang. Nichts mehr spüren, nichts mehr sehen und vor allem nicht mehr leiden.
 
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Kommentare  

Ein Wolf namens Edgar?

susan (05.04.2004)

Taaaaaag!!!
Also, erst mal DANKE für deinen super Kommentar, den du zu meiner Geschichte abgegeben hast!!! Fand ich echt nett von dir!! (Zugegeben, es gibt sicher einiges was man an meiner Geschichte ändern kann, aber hey... hab ein Herz... es war meine ERSTE!! *gggg*) Und ich muss noch was los werden: Ich komme aus keinem Teil Deutschlands, sondern aus WIEN!!! Und hier empfindet man "in die Arbeit fahren" nicht als störend :-p *g*
So, nun zu deiner Geschichte:
Auch wenn der Schluss vielleicht keinem Schluss gleicht... Aber dazu hast du eh schon dein Statement abgegeben. Ich find die Geschichte gut! Vor allem, weil sie "nur" in einem Schreib-Workshop entstanden ist. Also ich muss sagen, dass sie dir gut gelungen ist! Liebe Grüße aus Wien (!!!) !


Stephanie (02.07.2001)

Hallo Sabine!

Ups, erwischt. Hast Recht der Schluß, wie ich ihn hier präsentiert habe, ist eigentlich gar keiner.
Diese Geschichte ist im Zuge eines Schreibworkshops entstanden und ich hatte einfach keine Zeit mehr, ein vernünftiges Ende zu schreiben.
Denn ursprünglich sollte Edgar gar nicht sterben. Auch hatte ich in der Urfassung vor, noch andere Wölfe mit einzubringen (deshalb auch die Namen).
Zu guter Letzt möchte ich noch sagen, daß ich den jetzigen Schluß gar nicht so schlecht finde. Wenn ich zu viel Tamtam (geistige Rückblende oder so)an den Schluß gehängt hätte, würde das Ganze IMHO zu theatralisch herüber kommen.

Danke für deinen Kommentar.



Olaf (26.06.2001)

Eine gute Geschichte mit prägnanten Beschreibungen, nur der Schluss kam mir etwas zu schnell, eine richtige Spannung kam nicht auf, vorallem weil ich denke, dass Edgar wahnsinnige Schmerzen haben muss, wer weiss, vielleicht zieht sein Leben vor seinen Augen vorbei, als er stirb?

SabineB (26.06.2001)

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