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7 Seiten

Der König und die kleine Sklavin. ( antike Sage )

Fantastisches · Kurzgeschichten
*

´Der König und die kleine Sklavin.


Vor langer Zeit lebte auf einer reichen Insel in der Ägäis ein König, der hieß Timon. Er war erst dreißig Jahre alt, da starb seine Gemahlin.

Nach angemessener Zeit der Trauer rieten ihm die Würdenträger des Hofes, sich wieder zu verheiraten. Die auserwählte Braut war Prinzessin Akira aus dem Nachbarland Zaab.
Bald schon traf sie mit einem großen Tross, zwanzig Gespielinnen und vielen Geschenken auf herrlich geschmücktem Schiff im Hafen der Insel ein. Ihre wunderbar eleganten Kleider, ihre außergewöhnliche Grazie machte sie sogleich zum Liebling des Volkes und der schreibkundigen Berichterstatter, die den Ruhm ihrer Schönheit auf Tontafeln für die Nachwelt festhielten.

Nun hatte aber Kalyna, Timons frühere Schwiegermutter, große Furcht, ihre Macht bei Hof zu verlieren, wenn erst die neue Auserwählte den Platz ihrer armen, toten Tochter im Palast und an der Seite des Königs einnehmen würde. So ließ sie eine Hexe rufen.

"Hilf mir, du von den Göttern geliebte Zauberin ... ich muss verhindern, dass diese Hochzeit zustande kommt. O wie ich die fremde, hochmütige Ziege hasse. Ich will sie nicht in unserem Land haben!"

"Das kostet dich deinen goldenen Brustschmuck und dein Smaragdarmband, hohe Herrin!"
"Nun gut, so sei es!"

Dafür gab die Zauberin Kalyna eine Phiole, die ein teuflisches Elixier enthielt.
"Du musst es ins Getränk des Königs schütten, es wird seinen Samen für alle Zeiten vergiften, und, ohne ihm selbst zu schaden, jedes Wesen töten, das er in Zukunft - sagen wir es einmal so - mit seiner Männlichkeit beglücken wird."

Kalyna nahm das Gift, schüttete es heimlich während des Hochzeitsfestes in den Pokal ihres Schwiegersohns und füllte süßen, roten Wein nach. Sie wusste, dass Timon das himmlische Getränk noch nie verachtet hatte und war sicher, ihr Plan würde aufgehen: schon bei der ersten Liebesumarmung würde die junge Prinzessin sterben.

Die Feierlichkeiten waren vorüber, die köstlichen Gerichte verspeist, das Volk hatte gesungen und getanzt und sich am Ende fröhlich betrunken. Auch Timon, der König, hatte den Pokal mehr als einmal geleert. Nun führte er unter Anteilnahme des gesamten Hofstaats seine Prinzessin zum blumengeschmückten Brautgemach.
Aber ein Diener hatte die Begegnung der beiden älteren Frauen am Tag zuvor belauscht. Er warf sich vor der Schwelle zu Boden und hinderte den König unter Einsatz seines ganzen Körpers und seiner nicht geringen Kräfte, mit der neuen Gemahlin auch nur einen Schritt weiter zu gehen.
"Was will der Mann? Packt ihn und sperrt ihn ins Labyrinth", schrie Timon, "er ist verrückt geworden!"

Doch stammelnd erzählte der Getreue, was er wusste.
Erst gab es ungläubiges Gelächter, danach Totenstille, am Ende Entsetzen. Die Braut fiel in Ohnmacht und wurde von dannen getragen. Man ergriff die böse Schwiegermutter. Im Gefängnis gestand Kalyna nach vier Tagen der Befragung ihre Missetat. Die giftkundige Zauberin hatte sich jedoch davon gemacht ... sie, die als einzige das Gegenmittel besaß!

Fieberhaft überlegten nun alle, was zu tun sei. Denn Timon war nicht gewillt, für alle Zeiten auf Hochzeitsfreuden zu verzichten.

Da beschloss man, den klügsten und weisesten Denker der Insel um Rat zu fragen. Flugs wurden Boten nach ihm ausgesandt. Sie fanden ihn hoch oben im Gebirge, wo eine einsame Grotte ihm Unterkunft bot. Bald gelangte der alte Mann in ihrer Mitte auf einer Eselin in die Stadt. Ganz in seinen faltenreichen Hirtenmantel gehüllt, stieg er vom Reittier und schritt, - sich ehrfurchtheischend eine Gasse durch die murmelnde Menge bahnend - zum Palast.

"Ich habe hier eine Gegenmedizin. Du musst sie aber in einem Zug hinunterschlucken", sagte er zum König, als dieser ihm stammelnd das Unglaubliche wiederholte, das ihm schon die Boten bei ihrer Ankunft in den Bergen feixend berichtet hatten.
"Nimm das Elixier und warte einige Stunden, dann könnte das Gift neutralisiert sein - doch das Mittel wurde noch nie angewandt, seine Wirkung ist eher unbekannt ..."

Brav trank der König die tönerne Amphore mit der grünen Flüssigkeit leer.
Ernst, sogar ein wenig genierlich, befahl der weise Mann ihm daraufhin, an einem Versuchstier auszuprobieren, ob das verabreichte Mittel überhaupt in der Lage sei, den Schaden zu beheben.

Man brachte also eine hübsche, jungfräuliche Ziege herbei, mit der sich der Herrscher verlegen in die erstbeste Besenkammer zurückzog. Bald darauf kam er heraus, bebend und mit vor Schreck geweiteten Augen. Die Ziege war auf der Stelle tot umgefallen.
Ein armes Schaf musste ebenfalls sein Leben lassen. Aber das zweite überstand die Prozedur und machte sich, etwas taumelnd zwar und erstaunt blökend, aus dem Staub. Auch das nächste Tier, eine weiße Gans diesmal ... kam leicht lädiert mit dem Schrecken davon.

Timon war so erschöpft und ratlos, dass er sich ohne Worte in seine Privatgemächer zurückzog. Vierundzwanzig Stunden lang wurde er nicht mehr gesehen.

Inzwischen lagerte eine riesige Menschenmenge mit Kind und Kegel vor dem Palast. Alle harrten neugierig der Dinge, die da kommen sollten. Auch von den Nachbarinseln ruderte man bereits heran. Die wundersame Kunde hatte sich im ganzen Reich verbreitet. Der König sei am Ende seiner Kräfte und die neue Gattin im Fieberwahn zurück in ihre Heimat geflüchtet, wurde gemunkelt.

"Wenn man die Auswirkungen bei den Tieren bedenkt, o Herr", sagte der Weise vom Berge, so hat die Normalisierung deines Samens schon große Fortschritte gemacht. Aber noch gibt es keine Sicherheit. Wir brauchen jetzt eine menschliche Person. Mit anderen Worten: eine Frau muss her!"

Doch obwohl Timon nicht nur der erste, sondern auch der schönste und stattlichste Mann im Land war, der Traum vieler unschuldiger Mädchen, ebenso wie die geheime Leidenschaft unzähliger reifer Matronen und auch sonst sehr beliebt, wollte sich niemand bereit erklären, bei ihm Versuchskaninchen zu spielen.

Die vornehmen Damen - ihm sonst treu ergeben - wurden nur noch auf dem Weg zu ihren entfernt gelegenen Landgütern gesichtet. Die stets willigen Lustknaben ... sie hatte anscheinend plötzlich der Erdboden verschluckt. Selbst niedrigste Schmutzmägde und zahnlose alte Vetteln machten sich dünn und zogen die Köpfe ein.

So trat er vor seinen Palast, Timon, der Herrscher, in seiner ganzen Pracht, mit von Trauer gezeichneten Zügen inmitten seines beklommen schweigenden Hofstaats. Zu seinen Füßen auf der Agora wartete neugierig raunend das Volk.

Da löste sich aus der Masse des weit hinten stehenden Sklavenheeres ein junges, weibliches Geschöpf, schritt bescheiden durch die sich öffnende Menschenmauer und warf sich dem Herrscher zu Füßen.

"Wenn niemand den Mut hat, so nehmt mich, mein König", rief sie.
"Wie heißt du, Kleine?"
"Daphne"
"Mein Kind, du bist viel zu schön, um geopfert zu werden", sagte Timon, aufs Höchste verwirrt, "nein Mädchen, ich kann das Geschenk deines jungen Lebens nicht annehmen!"

"Bei den Göttern, tut, was Not tut", befahl der weise Mann weise und führte das neue Paar zum nicht mehr ganz so blumenfrischen Brautgemach, das aber noch immer nach kostbaren Wohlgerüchen duftete.
Draußen hielt die Menge den Atem an.

"Ich habe Euch schon geliebt, als ich noch ein Kind war. Und ich habe geschworen, niemals einem anderen Mann anzugehören. Für Euch bin ich keusch geblieben, mein König. Für Euch bin ich bereit, zu leben und zu sterben, o Gebieter." Tränen rollten über ihr liebliches Gesicht bis auf den zarten Busen hinunter.

"Und nun wird dein Wunsch vielleicht auf ungewöhnliche Weise in Erfüllung gehen", sagte Timon ernst, aber seine Augen hatten schon wieder zu funkeln begonnen.

Da trug sie der König auf das Prunkbett, küsste sie, entblößte sie von ihrem groben Sklavinnenkleid und es kam ein so wunderbarer, brauner Mädchenkörper zum Vorschein, dass es ihm eine Verschwendung dünkte, das Leben dieses schönen Geschöpfes aufs Spiel zu setzen. Er zögerte das Unheil dann auch immer und immer wieder hinaus, indem er nichts tat, was ihr hätte schaden können, sondern er herzte und küsste sie und streichelte jeden Zentimeter ihres bebenden Körpers. Und Daphne, in ihrer kindlichen Unschuld, tat das gleiche an ihm.

Aber nach langem, lustvollem Spiel kam dennoch die Minute, wo er, von ihrer Süße überwältigt, nicht mehr an sich halten konnte. - Auch hatte er den Befehl des weisen Mannes nicht ganz vergessen! –
"Versprecht mir, Herr, bei mir zu bleiben ... Ich kann mir keinen schöneren Tod vorstellen als in eurer Umarmung zu sterben und ich fürchte mich nicht. Aber haltet mich bitte ganz fest ...", sagte das Mädchen.

Nie hatte Timon die Liebe mit solcher Wonne vollzogen!
Vielleicht war es die Nachwirkung des fremden Elixiers in seinem Körper – man weiß ja, Gift in einer gewissen Dosierung und in Verbindung mit körpereigenen Stoffen kann gelegentlich euphorische Wirkungen hervorrufen - vielleicht war der Grund seiner Gefühle aber einfach nur Daphnes Duft und ihre unsagbare Süße! Tatsache war, der König vermochte sich nicht zu erinnern, jemals so viel Lust und Begierde und gleichzeitig solch große Zärtlichkeit für eine Frau gespürt zu haben.

Immer wieder nahm er sie in seine Arme und beide konnten von der Liebe nicht genug bekommen. Es war ihm, als sei er noch nie zuvor in seinem Leben so glücklich gewesen. Sie klammerte sich, Halt suchend, an ihn. Erst kamen verwunderte kleine Seufzer aus ihrer Kehle, dann Rufe der Lust und die Blicke ihrer brennenden, schwarzen Augen drangen tief in sein Herz.

Auf einmal bäumte sich ihr Leib wie in Krämpfen, sie stieß noch ein paar schrille, schmerzliche Laute hervor, denen ein langer, markerschütternder Schrei folgte, dann wurde sie plötzlich starr, leblos, ihre Arme glitten von Timons Nacken ab.

"Ach, sie ist tot", rief der König in höchster Not, "wie konntet ihr das zulassen, ihr grausamen Götter! Ihr habt mich gezwungen, sie umzubringen, die Zarteste, die Kostbarste von allen!"
Sein Schluchzen und Stöhnen drang aus dem offenen Gemach bis hinunter zum Meer. Auf und ab wogte die Menge ... schaudernd.

Timon aber löste sich nicht von dem erschlafften Körper, hielt das Köpfchen der Kleinen zwischen seinen Händen, küsste ihre geschlossenen Augen immer und immer wieder.
"Du bist von mir gegangen. Deine Liebe zu mir hat dich getötet", flüsterte er. Seine Tränen flossen reichlich auf ihr ebenmäßiges Gesicht und sein Klagen nahm kein Ende.
"Meine Einzige, meine Wunderbare", rief er, "nie werde ich von dir lassen."

Endlich drangen die Höflinge und der weise Mann zum Gemach vor. Sie fanden den König versteinert. Seine ganze Gestalt war über den lieblichen Leichnam gebreitet und selbst Worte der Vernunft vermochten ihn nicht dazu zu bringen, sich von der toten, kleinen Sklavin zu lösen.
"Unser armer Herr hat den Verstand verloren", flüsterten sie.

"Um mich zu retten, ist sie gestorben", rief er, "hat je ein Weib mehr für einen Mann getan? Ich Elender bin ihrer nicht würdig!
In meinem Herzen aber wird sie ewig leben. Ich werde sie immer lieben. Einen prunkvollen Schrein werde ich ihr erstellen lassen, aus purem Gold ... ach was ... meine Baumeister werden ihr einen Totenpalast bauen, größer und herrlicher als die Pyramide des Cheops ... mehr noch ... ich schwöre bei Apollo: zur GÖTTIN werde ich sie erheben, anbeten sollen sie alle zukünftigen Geschlechter!"

Unter diesen königlichen Beteuerungen schlug das Mädchen die nachtdunklen Augen auf. Nachdem der weise Mann festgestellt hatte, dass es nur eine simple Ohnmacht gewesen und die Kleine wieder wohlauf war, scheuchte Timon alle mit einer herrischen Handbewegung davon.

Er behielt die junge Sklavin von da an Tag und Nacht bei sich, denn nicht nur gefiel sie ihm über die Maßen und er fühlte sich auf dem Zenith seines Liebesglückes ... man musste ja auch sicher herausfinden, ob alles Gift, selbst der winzigste Rest, endgültig seinen königlichen Körper verlassen hatte.

So gingen die Monate, so ging ein Jahr ins Land und ein zweites. Daphnes Schönheit und Anmut nahm ständig zu, je mehr sie sich ihrem siebzehnten Geburtstag näherte. Jedoch fing Timon an, sich etwas zu langweilen. Er suchte sein Heil in Gedanken manchmal schon in fremden Gefilden, wurde ein wenig unaufmerksam, spürte, wie Gewohnheit, Sättigung, ja eine gewisse Gleichgültigkeit schleichend von ihm Besitz ergriffen und die heiße Glut in ihm löschten.
"Seltsam", dachte er: "nur eine tote Geliebte kann für immer eine vollkommene Geliebte sein. Nur eine tote Geliebte vermag in einem Männerherzen unsterblich zu bleiben!" Daphne aber war alles andere als tot. Sie blühte wie das Leben selbst. Doch er spürte erstaunt: "Kein Glück dieser Erde ist von Dauer."

Auch hatten die Ratgeber seines Reiches nicht aufgehört, ihm Tag und Nacht ins Gewissen zu reden. Das Nachbarland wartete noch immer auf den Vollzug der Ehe mit Akira. Nicht nur war sie Timons rechtmäßig Angetraute, nicht nur war sie erhaben anzusehen und von angenehmen Sitten, die zukünftige Verbrüderung der beiden Staaten würde auch von allergrößter Bedeutung für ihre Völker sein.

"Jassu, meine kleine Perle", sagte also der König eines Morgens, als er wieder einmal erfrischt Daphnes Gemach verließ - "Jassu" - das heißt: Lebe wohl und Adieu. Und er konnte nicht verhindern, dass sich ihm eine Träne aus den Augen stahl.

Er befahl seinen Dienern, kostbare Kleider und Geschmeide für Daphne zu bringen, noch wertvollere, als all jene, die er ihr schon geschenkt hatte. Er ließ seine Schreiberlinge kommen, damit sie die junge Sklavin zur freien Bürgerin des Landes erklärten und er schenkte ihr ein Haus am Meer, sowie eine jährliche Zuwendung von 200 Silberdrachäen auf Lebenszeit. All das ließ er schriftlich festlegen.

Um seinem Wohlwollen und der hohen Meinung, die er von ihrer Person hatte, die Krone aufzusetzen, verheiratete er sie bald darauf mit einem bekannten Helden und altgedienten Würdenträger seines Reiches, der zwar kein Adonis und keine Leuchte des Geistes, dafür aber sein treuester Feldherr und Haudegen war, dem er mehr als einen Sieg über feindliche Aggressoren verdankte.

Dann wurde die Hochzeit des Königs und der schönen Prinzessin Akira mit noch größerer Pracht gefeiert, als beim ersten Mal. Das Volk speiste und trank, sang und tanzte acht Tage und acht Nächte lang.

Danach lebten alle glücklich bis an ihr seliges Ende und sollten sie gestorben sein, so wird diese kleine Geschichte an sie erinnern.













Copyright Irmgard Schöndorf Welch, Dezember 2002
bearbeitet am 17.04.2005
 
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Kommentare  

Ein wunderschönes Märchen für Erwachsene, um den griesegrauen Sonntag ein wenig zu erhellen. Herrlich sinnlich!

doska (01.02.2009)

Eine versteckte Abrechnung mit den Männern, liebe Irmgard... ich würde diese Geschichte meinen Kindern mit Sicherheit nicht vorlesen. Dennoch auch hier nicht schlecht.

Angemerkt sei mir hier lediglich, dass es immer sehr interessant ist, in den Geschichten etwas über die Autoren zu erfahren.....

Grüße vom Grafen (****)


Graf Zahl (05.06.2003)

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