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3 Seiten

Gestern vs. Heute

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
„Unser Unglück erreicht erst dann seinen Tiefpunkt, wenn die in greifbare Nähe gerückte, praktische Möglichkeit des Glücks erblickt worden ist.“ ~ Michel Houellebecq

Gestern hab ich mich verdammt schrecklich gefühlt. Ein Blick auf meinen Hightech Digitalwecker – Sonntag, 14. April 15:32 Uhr – hat mir verraten, dass der gestrige Abend wohl doch noch länger gedauert hat als geplant. Nach ein paar Minuten der geistigen Anstrengung, in denen ich mich vergebens bemühte die Ereignisse des gestrigen abends wiederherzustellen, fand ich mich damit ab, mein in Mitleidenschaft gezogenes Gedächtnis einfach hinzunehmen, auszuschalten, nicht weiter zu strapazieren. Also machte ich bei Stufe zwei der gewohnten Sonntagmorgen Prozedur weiter und konzentrierte mich darauf, meinen Körper auf mögliche Schäden zu kontrollieren. Langsam, ganz langsam bereitete ich mich darauf vor die Augen zu öffnen und an das unangenehm grelle Licht (eigenartig, denn es regnete draußen) das durch das offene Fenster drang zu gewöhnen. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf nach oben, musste ihn dabei aber mit der rechten Hand stützen, da ansonsten das durch die Anstrengung in meinem Hirn pochende Blut zu viel Schmerz für diese Uhrzeit verursacht hätte. Ich atmete ein paar mal tief durch, bevor ich es wagte, mich auf den Geschmack in meinem Mund zu konzentrieren. Wie um alles in der Welt kann Alkohol, von dem ich gerade mal ein paar Stunden zuvor einfach nicht genug kriegen konnte, plötzlich für einen so schrecklichen Geschmack, ja noch schlimmer, ein so schreckliches Gefühl in meinem Mund- und Rachenraum verantwortlich sein? Als ich mir mit meiner ausgetrockneten Zunge über meine Lippen leckte, die sich mittlerweile wie ein Reibeisen anfühlten, konnte ich sie plötzlich wieder schmecken. Claudia. Und auf einmal liefen die Bilder wie Blitze vor meinem inneren Auge ab.

Ich kenne Claudia seit ungefähr 2 Jahren. Obwohl kennen das falsche Wort ist. Ich weiß so gut wie nichts über sie und das soll auch so bleiben. Ich lernte sie damals in irgendeiner Kneipe kennen die voll war mit Möchtegern-Machos und Verlierern. Kein wirklich interessantes Individuum in Sicht, leichtes Spiel. Damals ging alles recht schnell und einfach, und ich kurz darauf mit ihr ins Bett. Ich war besoffen, gelangweilt, irgendwie melancholisch und hatte nichts zu verlieren. Ich spielte den Überlegenen. Den der weiß wie das Spiel läuft und der sich schon zuvor sicher war wo der Abend enden würde. Und ich wusste es.

Doch gestern war es anders. Ich war zwar wieder betrunken, gelangweilt und melancholisch, doch diesmal hab ich sie nicht mit nach Hause genommen. Obwohl sie mir in den wenigen Augenblicken in denen unserer Lippen nicht aneinander hingen mehr als eindeutige Angebote gemacht hat, was sie in meinen Bett mit mir anstellen wollte. Plötzlich überkam mich zu meinem durch Alkohol geräderten Körper auch noch ein seelischer Schmerz, denn mir fiel auch wieder ein warum ich Claudia nicht mit nach Hause nehmen wollte, ja einfach nicht konnte.

Ich bin verliebt. Unsterblich. Und das in ein Mädchen das ich nicht haben kann. Die Gedanken an meine Exfreundin machten mir weit mehr zu schaffen als meine Kopfschmerzen, und das will was heißen. Es sind auch die Gedanken an meine Exfreundin die mich immer wieder raus treiben und mich sinnlos zu betäuben. Nicht um sie zu vergessen. Einfach um die Zeit totzuschlagen in der sie nicht da ist. Doch es gibt keinen Zeitpunkt an dem sie zurückkommen wird, kein Ziel das ich anvisieren kann. Sie ist weg. Sogar weit, und daran wird sich nichts ändern. Sie kommt aus Kanada und fängt dort bald an zu studieren. Fast das gleiche wie ich hier studieren will. Nur eben in Englisch. Great. Ich habe versucht ihr klarzumachen dass ich das Risiko eingehen würde, alle Skrupel, Gedanken oder was mich sonst an dieser Reise hindern könnte, über Bord zu werfen, und mir ein one-way-ticket – Flughafen München / Toronto international airport - kaufen würde. Doch das wollte sie nicht. Obwohl sie mich angeblich auch liebte. Nicht vernünftig genug und so weiter. Bla bla bla.

Also gebe ich mein Geld lieber für Alkohol, Zigaretten und Marihuana aus und bilde mir ein sie dadurch weniger zu vermissen. Doch es hilft nie wirklich, denn egal ob ich gerade bei einem Weezer Konzert den Refrain von „Say it ain´t so“ mitsinge, mit meinem besten Freund Will einen draufmache und eine vermeintlich schöne Zeit erlebe oder mit einem wunderschönen Mädchen, welches ich zu einem gemeinsamen Kinobesuch überreden konnte, gemeinsam Popcorn nasche: Diane taucht immer wieder, und leider zumeist völlig unerwartet, in meinen Gedanken auf. Und alles was meinem Sein dann einen Sinn gibt, ist der Tag an dem ich sie wiedersehen werde. Doch dieser Tag wird nie kommen. Zumindest wird es kein Wiedersehen in der selben Form unserer Verabschiedung geben. Ich kann mich noch genau erinnern, wie sie mir am 14.2. am Flughafen (auf Deutsch mit kanadisch englischem Akzent) ihre Liebe gestand und mir einen Kuss, gefolgt vom Laufpass, gab. Und dann stand ich da, zwischen Hunderten von Reisewütigen. Trotzdem ganz alleine und komplett neben mir.

Und jetzt liege ich hier in meinem Bett wie auch Charles Bukowski des öfteren aufgewacht sein muss und vermisse sie. Manchmal bin ich verliebt in den Gedanken sie ganz einfach zu hassen. Wie sie mich behandelt hat und was zwischen uns vorgefallen ist könnte mir Grund dazu geben. Tut es aber nicht. Auch die Tatsache dass sie mich gestern weinend angerufen hat um mir von ihren Problemen zu erzählen hilft mir nicht weiter. Ich bin nur noch Zweiter - ganz einfach zu ihrem Freund abgestiegen. Ihrem FREUND, ihrem bester sogar. Prima. Doch es bin nicht ich an den sie denkt wenn sie sich einsam fühlt, es bin nicht ich an den sie denkt wenn sie sich nach Leidenschaft sehnt. Es bin auch nicht ich an den sie denkt wenn sie geil ist - dafür sind jetzt andere da.

Doch heute fühle ich mich gut. Denn heute weiß ich dass es auch ohne sie weitergehen kann. Heute weiß ich dass ich mich nur zu jung und unglücklich verliebt habe und die Zeit diese Wunde heilen wird. Heute weiß ich, dass nur Hormone für meine Stimmung verantwortlich sind, der Schmerz sozusagen gar nicht real ist. Liebe ist nur eine ‚giftige’ Substanz in meinem Kreislauf. Heute weiß ich dass es den Tag geben wird, an dem ich an sie ohne jegliche Wehmut zurückdenken kann. Heute bin ich glücklich. Ich beschließe meine Freunde anzurufen und mit ihnen einen draufzumachen, nehme den Hörer ab und wünsche mir ich wäre bei ihr.
 
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Kommentare  

schön geschrieben... sehr gefühlsvoll! :)
hoffentlich folgt noch mehr von dir hier bei ws...


*Becci* (12.07.2003)

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