47


6 Seiten

Vollmondhochzeit

Erotisches · Kurzgeschichten
„Tim“, sagte mein Sitznachbar, ich bin der Cousin der Braut.
„Sehr erfreut“, meinte ich etwas übertrieben höflich, „Ich bin Stefan, ähm, ein Bekannter des Bräutigams.“ Händeschütteln, freundliches Grinsen auf beiden Seiten. Dann begann der übliche Smalltalk.
„Bist du schwul?“
Doch nicht so üblich. Ich war geschockt. Es kam mir vor, als verginge ein ganzes Zeitalter, bis meine Stimmbänder wieder zu gebrauchen waren.
„W... Wie bitte?“ krächzte ich bennommen.
„Na, ob du schwul bist?“
Ich blickte mich erschrocken um, aber es hatte anscheinend niemand registriert. Schließlich saßen wir nahe an der Band, die grade zu spielen begonnen hatte, und die Leute mußten sich schon auf ihre eigenen Gespräche konzentrieren.
Ein schnelles „Gottseidank“ huschte mir über die Lippen. Was hatte sich dieser Kerl bloß dabei gedacht? Wollte er mich vor meiner ganzen Verwandschaft bloßstellen? Gab es vielleicht irgendwelche Todsünden, die ich noch zu büßen hatte? Mann, das hatte mir Nerven gekostet.
„Und?“
„Was und?“ warf ich ihm fahrig entgegen.
„Bist du?“ Er grinste noch immer freundlich. Ich merkte, wie mein Zorn und meine Panik langsam verrauchten.
„Naja...“, meinte ich.
„Also doch!“ Tim strahlte. „Hab ich´s doch gewußt.“

Die Suppe kam.
Funkstille zwischen uns beiden. Zwischen zwei Löffeln voll dampfender Brühe, hin und wieder ein Blick hinüber, wenn man sicher war, daß der andere gerade nicht herschaute. Oft verschätzte ich mich aber, und er schaute doch gerade her und grinste mich an. Ich beeilte mich, meine Suppe weiter zu löffeln.
Oh mann, was würde das bloß für ein Abend werden? Hochzeiten auf dem Land konnten ja durchaus ihren Reiz haben, aber in diesem Fall hatte ich meine Zweifel. Die meisten der Leute um mich kannte ich flüchtig oder gar nicht. Meine Eltern waren auch nicht da (was mich aber weniger störte, die hätten sowieso nur genervt.).
Normalerweise ließen sie sich keine Hochzeit entgehen, aber diesmal war ihnen ein Urlaub nach Mauritius dazwischen gekommen. Pech! Somit saß ich allein in mitten der Hochzeitsgesellschaft, als einziger Abkömmling meiner Eltern und würdiger Vertreter der Familie. Schwachsinn!
Ich begann mich jetzt schon zu langweilen. Ein Blick auf die Tanzfläche zeigte mir, daß ich eindeutig zu jung war, um mich auf diese Art zu amüsieren.
„Willst du tanzen?“ Mit einem Ruck riß ich meinen Kopf nach rechts und machte anscheinend ein extrem dummes Gesicht, denn Tim brach sofort in schallendes Gelächter aus.
„Es... Es tut mir.. leid“ Stieß er hinter der vorgehaltenen Hand hervor.
„War nur ein... Scherz.“ Er konnte sich kaum halten.
Ich blickte ihn verstört an. Schließlich mußte ich aber auch ein wenig schmunzeln, als ich ihn so sah, von Krämpfen gebeutelt, mit Tränen in den Augen. Ein lustiger Kerl, dieser Tim, nervtötend, aber lustig.
„Ich hoffe, du bist mir nicht böse.“ meinte er, während er sich über die Augen wischte und ein wenig nach Atem schnaufte.
„Du hast nur grade so komisch ausgesehen.“
„Jaja, das höre ich ständig.“ Meinte ich grinsend. Was solls, dachte ich bei mir. Der Abend würde vielleicht doch nicht so langweilig werden. Eigentlich war Tim ja ziemlich nett. Und er war schwul.
„Willst du noch was trinken?“ Ich deutete auf das leere Bierglas vor ihm. Natürlich wollte er. Wir bestellten beide noch ein Bier und dann begannen wir uns miteinander zu unterhalten.
Zuerst redeten wir über ganz banale Dinge. Wohnort, Ausbildung, Hobbies, alles was es an Backgroundinformationen so gibt.
Dann erzählte er mir von seinen Eltern, die seit seinem sechsten Lebensjahr geschieden waren und von seiner Schwester, die einen Alkoholiker geheiratet hatte.
Ebenso, wie er es seinen Eltern offenbart hatte, wie sie ausgerastet waren und daß sie es auch jetzt nicht akzeptierten, daß er schwul war.
„Wie war es bei dir?“, wollte er wissen.
„Ich...“, begann ich, „Entschuldigung, kann ich noch zwei Bier haben?“ Der Kellner nickte hastig und huschte weiter.
„Entschuldige. Du wolltest eh noch eines, oder?“ Tim lächelte und nickte.
„Gut, wo war ich? Ach ja. Na eigentlich hab ich es meinen Eltern noch nicht gesagt. Bisher wissen es nur ein paar meiner Freunde. Ich bin irgendwie noch nicht soweit. Und außerdem... Ich will vorher ein paar Erfahrungen sammeln.“
„Du meinst... Du hast noch nie...?“
„Nein.“, sagte ich, „Nie. Nichts. Nicht einmal ein Kuß. Ich meine... ach verdammt, es macht mich fast wahnsinnig.“ platzte ich mit meinen Gefühlen heraus.
Er nickte verständnisvoll, meinte, es wäre ihm genauso gegangen. Damals.
Tim erstaunte mich. Nie hätte ich vermutet, daß in dem übermütigen Kerl so ein guter Gesprächspartner steckte.
Die Zeit verging wie im Flug mit essen, trinken und reden. Je länger wir uns unterhielten, umso mehr Besonderheiten fielen mir an ihm auf. Ich fragte mich, ob es bloß am Alkohol lag, aber er begann mir zu gefallen. Ich mußte ihn einfach ansehen, wie er so dasaß mit seinen strubbeligen Haaren, dem schelmischen Grinsen, wie er einen kurzen Blick auf den Hintern des Kellners warf und dann sofort wieder mich anblickte mit der Treuherzigkeit eines Hundes.
„Weißt du, was ich mir gerade denke?“ Tims Augen hatten schon einen glasigen Schimmer. Er war betrunken und ich war es ebenso. Deshalb wehrte ich mich nicht dagegen, als er plötzlich seine Hand auf meinen Oberschenkel legte. Ich schüttelte betreten den Kopf.
„Ich finde, wir sollten ein wenig an die frische Luft gehen.“ meinte Tim mit einem verschlagenen Grinsen.
Ich schluckte, mir wurde plötzlich fürchterlich heiß, als die Hand sich ein paar Zentimeter nach oben bewegte. Weiter, immer weiter arbeitete sie sich vorwärts, unerbittlich und unaufhaltsam.
Mein Kopf bewegte sich auf und ab – ein Nicken. Vielleicht konnte die frische Nachtluft meinem glühenden Körper Linderung verschaffen. Hastig streifte ich seine Hand ab und stand auf.
Es war herrlich draußen. Die Luft hatte die sengende Hitze des Tages verloren und roch intensiv nach Sommer. Getreidefelder, Nadelbäume, der Duft von Blumen, all das vermischte sich zu einem betörenden Parfum und so stand ich ein paar Augenblicke mit geschlossenen Augen da und saugte alles in mich auf.
„Eine wunderschöne Nacht.“ Ich hatte beinahe vergessen, daß er da hinter mir stand. Er trat mit leisen Schritten neben mich und in seinen Augen spiegelte sich der weißglühende Vollmond. Aller Lärm und Tumult der hinter der Tür zum Festsaal hervordrang, alles Gelächter und Geschwätz verblasste plötzlich als seine Hand sich um meine schloß. Mein Herz setzte einen kurzen Moment lang aus, um sich dann doppelt so schnell wieder an die Arbeit zu machen.
„Komm mit!“ sagte er und zog mich plötzlich davon. Meine Beine bewegten sich von selbst und wollten gar nicht mehr aufhören zu laufen, so gut fühlte es sich an. Wir tauchten in den Schatten eines Gebäudes ein, Dunkelheit umhüllte uns und als er plötzlich stehenblieb prallte ich mit Schwung an seinen Körper.
„Hier sind wir richtig.“
Stimmte das? War es richtig, was jetzt kommen würde? Und was würde denn kommen?
Ja! Schrie mein ganzer Körper, ja und nochmals ja. Es gab nichts, zu dem ich nicht bereit gewesen wäre.
Eilig huschten wir durch eine Türe in einen kleinen Raum mit einem einzigen schmalen Fenster, durch welches das weiße Mondlicht hereinfiel und ein helles Trapez auf den Boden projizierte. Wir tasteten uns vorwärts durch den Raum, der mit merkwürdigen Geräten ausgestattet schien. Ganz hinten stießen wir auf einen massiven hölzernen Tisch, umringt von zahllosen gestapelten Stühlen, wie ich bemerkte, als ich einen anstieß und mit lautem Poltern auf den Boden beförderte.
Wir waren am Ende angelangt, es gab kein Zurück mehr. Ich setze mich halb auf die Tischkante, während er anfing mich zu streicheln und sanft seine Arme um mich legte. Seine Lippen kamen auf mich zu, ich hörte ihn atmen, sog seinen Atem ein. Sein Duft stieg mir in die Nase, eine Mischung aus Parfum und einem unwiderstehlichen Geruch von Männlichkeit, rauh und süß und betörend.
„Küss mich!“ Meine Stimme brach vor Aufregung, während ich bemerkte, wie meine Hose im Schritt eng wurde. Kaum zu Ende gesprochen bekam ich die Antwort. Seine Lippen waren weich und warm. Er drückte sie sanft an meine, öffnete sie leicht, schloß sie wieder, jagte einen Schauer nach dem anderen durch meinen Körper.
Langsam und tänzelnd tastete sich seine Zunge vor, strich über meine Unterlippe, wollte sich einen Weg bahnen in mich. Und ich ließ es zu.
Etwas in mir schaltete plötzlich ab. Logik, Verstand, Selbskontrolle, das alles existierte nicht mehr, in meinem Weltbild gab es nur mehr zwei Menschen. Doch ich wußte bald nicht mehr zu sagen, wo der eine anfing und der andere aufhörte, und welcher von beiden ich selbst war.
Die Küsse wurden heftiger und meine Hose konnte nun nichts mehr verbergen. Ich öffnete die Knöpfe seines Hemdes und er tat dasselbe bei mir. Meine Hände tasteten seinen Körper ab, be-griffen ihn. Auf Brust und Bauch hatte er weiche Haare, meine Finger strichen darüber, fühlten seine aufgerichteten Brustwarzen. Er sog zischend die Luft durch seine Zähne, während ich sie mit kreisenden Bewegungen massierte. Und auch er berührte mich, behutsam und forschend, streichelte mich, mal ganz sanft, dann energischer.
Seine Hand tastete sich langsam an meinem Bauch nach unten und war schließlich am Ziel angelangt. Durch den dünnen Stoff der Hose konnte ich seine Finger spüren, die sich sanft und doch kraftstrotzend um meine zentralen Körperteile legten. Ein krächzender Laut drang aus meiner Kehle. Er drückte wieder seine Lippen an meine und ich spürte, daß er vor Vergnügen grinste.
Plötzlich zerbrach mein zwei Personen-Universum. In meinem Taumel wußte ich zuerst gar nicht was es war. Dann wurde mir bewußt, das es ein Geräusch war, ein bekanntes Geräusch. Ja, das war doch...
„Verdammt!“ Stieß Tim hervor, sein Mund war dicht an meinem Ohr und dieses eine Wort hallte in mir nach und begann mich in Panik zu versetzen.
Es war die Tür! Jemand hatte die Klinke runtergedrückt und nun begann sie sich mit leisem Schlurfen zu öffnen.
Wieder nahm Tim meine Hand und zog mich in eine Ecke des Raumes, in die das Mondlicht nicht vordringen konnte. Meine Schläfen pochten, mein Atem ging schnell und heftig, ich hatte das plötzliche Bedürfnis, vor Aufregung und Verwirrung zu schreien. Doch ich tat es nicht.
Was dann passierte, werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen. Während Tim und ich in der Ecke hockten, uns an den Händen fassten und versuchten jedes Geräusch zu unterdrücken, betraten zwei Personen den Raum. Die Tür schloß sich wieder und bis auf das Mondlicht blieb alles dunkel.
Bekannte Geräusche drangen an unsere Ohren. Atmen, Saugen, Schmatzen. Zweifellos war da ein Pärchen heftig am Küssen. Es schien, als wäre Tim nicht der einzige, der die Vorzüge dieses Ortes erkannt hatte.
Eine Zeitlang passierte nichts. Wir kauerten bloß im Dunkeln und hörten zu.
Dann kam der nächste Schock.
Ein Licht an der Decke des kleinen Raumes flammte auf und enthüllte alles Verborgene. Und das waren nicht nur wir.
„Verdammt, was tust du?“, sagte eine Frauenstimme.
„Ich... ich... Keine Ahnung, auf einmal war das Licht an.“
„Jaja, das seh ich. Du mußt dich an den Schalter gelehnt haben. Dreh es ab bevor...“
Die Frau hatte uns plötzlich entdeckt und starrte uns verdutzt an. Die andere Frau starrte ebenso. Und wir taten natürlich dasselbe, während wir noch immer in der Ecke hockten und uns an der Hand hielten.
Es war Tim, der die Stille durchbrach.
„Hallo Sonja, hallo Andrea!“
„Hallo Tim!“ sagten die beiden gleichzeitig.
So war das also. Die kannten sich alle.
Auf einmal wurde mir die ganze Ironie der Situation bewußt. Wie wir da hockten, wie zwei verängstigte Mäuschen. Und die beiden jungen Frauen sahen ebenso verstört drein. Ich mußte lachen.
Dann begann auch Tim zu kichern.
„Ich habs doch gewußt, daß ihr was miteinander habt.“ gluckste er vergnügt. Die Frauen blickten einander kurz an, begannen zu grinsen und prusteten ebenfalls los. Wir konnten uns eine ganze Weile lang gar nicht mehr beruhigen, lachten und kicherten, bis Tim schließlich meinte, daß vier gackernde zerrupfte Hühner wie wir wohl etwas Aufsehen erregen konnten.
Jeder machte sich notdürftig ein wenig zurecht und wir verließen gemeinsam den Geräteschuppen, noch immer leise kichernd.
„Kommt mit!“, meinte Tim, mich an der Hand nehmend.
„Wohin denn?“ fragte eine der Frauen.
„Wirst schon sehen.“
So verließen wir nun endgültig die Hochzeitsgesellschaft und unter Tims Führung erreichten wir nach einem kurzen Spaziergang eine kleine Hügelkuppe mit einem eisernen Kreuz und einer hölzernen Bank darauf.
Es war wunderschön. Keine Menschenseele weit und breit, alles war still und friedlich. Man konnte weit in die nächtliche Landschaft blicken, die der Vollmond in helles Silber tauchte. Nun saßen wir also zu viert auf der Bank. Zwei Pärchen die redeten, lachten, kuschelten und küssten.
Wir beschlossen, daß dies unsere eigene Hochzeit war. Eine Hochzeit zu viert, zwei Brautpaare, vermählt durch die Macht des vollen Mondes.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Hallo Sonnentochter!

Ja, dein Sensor funktioniert tadellos! Und danke für dein Lob! es ist lange her, daß ich diese Stories geschrieben habe und seither hat sich viel verändert. Vielleicht nehm ich das jetzt als Ansporn und schmeiß mich mal wieder and die Tasten. Ach ja, noch ein kleiner Tip: Lies mal was von Teleny. Ebenfalls schwul und schreibt tolle Gedichte.


Der kleine Prinz (17.03.2006)

ich grinse auch gerade sehr, allerdings aus mehreren gründen. habe vor der geschichte hier nämlich eben "das stechen" gelesen. an der stelle, wo der protagonist dem blick des mannes auf der bank begegnet, dachte ich "der ist sicher schwul!" (also der typ aus der geschichte). keine ahnung wie ich darauf kam. vor allem, weil mir gerade einfällt, dass es genausogut eine protagonistin sein könnte.

ist er es? klär mich auf, dann weiß ich, ob mein sensor auch bei literarischen, fiktiven charakteren funktioniert. cool wäre es schon ;)

die geschichte ist übrigens wirklich gut. dein stil gefällt mir echt (deine wortwahl ist weder zu lyrisch nocht total sachlich, die sätze klimgen schön nach) und die thematik ist natürlich nach wie vor aktuell... außerdem ist das überhaupt eine der wenigen geschichten hier, in denen gleichgeschlechtliche liebe mal thematisiert wird.

liebe grüße
von der sonnentochter


HijaDelSol (17.03.2006)

Kann mich den Anderen nur anschliessen!

gori (19.10.2003)

*dickes breites grinsen aufhab und leise vor mich hin gluckse*

irgendwie... tappsig? goldig? egal, jedenfalls hat norma schon recht...

*immer noch kicher*


Becci (14.10.2003)

Süüüß!

Norma Banzi (13.10.2003)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Herzrauschen  
Am Ende  
Das Stechen  
Incubus  
Sonnenküsse  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De