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3 Seiten

Taten warten

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Experimentelles
© Marco P
Der Regen klopft in ungleichmäßigem Takt an die beschlagene Scheibe. Eine unbehagliche Stille dort draußen. Keine Menschein, keine Autos, keine Kinder, eine Ansammlung von nichts. So wie es in seinem Kopf aussieht. Die Ruhe macht ihn verrückt. Eine dumpfe Stimme klingt aus dem Hintergrund zu seinem Ohr. Er weiss woher diese Stimme kommt. Eine unangenehme Stimme, krächzende Töne, ein Wechsel der Höhen und Tiefen. Seine Gedanken quälen Ihn. Wie lange soll er das noch ertragen? Die Bäume bewegen sich im Wind, ächzen und rauschen. Dieser Ton scheint ihm nahe zu gehen. Er genießt die Sprache des Windes. Die Intensität wie der Wind mit seiner Umwelt spielt und man diese unsortierten und nicht definierbaren Töne wahrnimmt und er sie aufsaugt. Sein Leben war geprägt von Zurückhaltung und Ärger, von ständiger Angst und dem allgegenwärtigen Gefühl der Unterdrückung. Doch heute sollte es ein Ende finden. Ein Ende, so wie er es will und er es bestimmt. Einmal in seinem Leben wird etwas geschehen. Zu seinen Bedingungen, einem Zeitpunkt seiner Wahl und einem Weg seines Wunsches. Welche Gedanken haben ihn dazu geführt und ihn zu dem werden lassen, was er jetzt ist, was er jetzt fühlt und wie er jetzt gerne wäre? Sein unaufhörlicher Wunsch nach dem Ausbruch wurde gebrochen. Unter dem Deckmantel der Liebe wurden Emotionen weggeschlossen und verboten. Seine Lösung war nah und zum greifen. Würde er zupacken?
Der Weg war sein Ziel, die Lösung sein Antrieb, das Gefühl sein Motiv. Immer und immer wieder, eher bedächtig und rücksichtsvoll, formte er seine Gedanken zu einem glasklaren Spiegel indem er sich und seine Welt trotzdem nur verschwommen sah. Was bereitete ihm die Schwierigkeit nach klarem Blick, nach klarer Luft und nach klarem Denken? Wieder ein unverständlicher Satz aus dem Hintergrund. Er presste sich beide Handflächen auf die Ohren, wollte nicht hören, wollte sich nicht lenken lassen, von der Stimme seiner Ängste. Es musste geschehen. Hier und jetzt heute und nun. Es wurde Zeit zu handeln und es war richtig. Oder doch nicht? Diese ständigen Zweifel, dieser ständige Kampf in seinen abgedrehten Fantasien. Sie ließen ihn über den Rand des Wahnsinns schauen. Fernab von jedem klaren Gedanken sah er nur sich und sein unmittelbar bevorstehender Wunsch nach einer Lösung. Vergessen war alles dass was seine Kindheit, seine Jugend und die frühen Jahre seiner Erwachsenenwelt auszeichneten. Er drehte sich um und blickte auf die halb geschlossene Tür. Weiss, wie alle Türen in diesem Haus. Eine Riffelglasscheibe in der Mitte machte ein durchsehen unmöglich, erlaubte gleichzeitig kein Gefühl von Abgeschiedenheit. Das was er so dringend brauchte, schon seit Jahren, wurde im stetig abspenstig gemacht. Immer wieder wurde versuchte Sie seinen Willen zu brechen, sein Leben zu kontrollieren und sie war gut darin. Eine Meisterin ihres Faches. Ohne Ablass und mit unnachgiebiger Konsequenz verhinderte sie jede Form von Selbständigkeit. Er sah sie vor sich. In ihren alten Kleidern, der Mundgeruch von ihrer Leidenschaft für Lakritze, die dunklen Zähne, die vom Alter gezeichnete Haut, der humpelnde Gang, ihr Gehstock und ihre sich dem Erdboden zu gewandte Brust. Die kleinen Deckchen auf der Kommode, das Bild Ihres verstorbenen Mannes, das Eiserne Kreuz erster Klasse, wie es die Eintönigkeit der leicht blau getünchten Wände verwischen sollte und das Radio, wie es unaufhörlich Musik aus den frühen 30’ igern spielte. Alles dass widerte ihn an. Es widerte ihn seit Jahrzehnten an, aber jetzt war es daran, Dinge zu ändern. Es war Zeit zu handeln und dafür war er heute und jetzt bereit. Sicher und frei von Zweifeln öffnete er die Türe. Der Weg in das von Modergeruch geschwängerte Zimmer war ihm bekannt. Dort saß sie, auf ihrem Stuhl, eine grüne Steppdecke um ihre Beine gewickelt und mit wedelnder Hand zu den Takten dirigierend. Bevor er in das Zimmer trat, sah er sich noch einmal durch den kleinen Schlitz zwischen Tür und Rahmen an. Er beobachtet sie genau. Ließ sie keine Sekunden aus den Augen. Sie hörte schlecht und vergass trotzdem nie zu erwähnen dass ihr seine Musik doch viel zu laut war, so konnte er unbemerkt die Türe öffnen und in das Zimmer schleichen. Ihre Augen waren geschlossen und sie hörte voller Hingabe einer alten Marschmusik zu. Ein Schritt, noch einer und noch einer. Er stand regungslos hinter ihr, wieder den Kopf voller Gedanken von Schuld und Hass. Er legte seine Hände auf Ihre Schultern, küsste Sie zärtlich auf die fettigen und strohähnlichen Haare und verabschiedete sich.
Mit dem schliessen der schweren Eingangstür kehrte Ruhe in seinen Kopf und seinen Wirren Gedanken. Er war so froh endlich das getan zu haben, was schon so lange notwendig war. Endlich war er fähig zu denken. Und er tat es diesmal. Es war nicht nur ein frommer Wunsch, sondern das erste mal real.
 
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Kommentare  

Also habe ich eine Geschmacksverirrung oder warum scheine ich die Einzige zu sein, die im Gegensatz zu allen anderen deine Geschichten total gut zu findet?!

Wie schon in dem anderen Kommentar geschrieben gefällt mir inbesondere dein Schreibstil. Ich bin leider nicht besonders gut darin zu erklären, warum mir etwas gut oder schlecht gefällt...

Eine Frage habe ich dann aber noch:
Spielt es für dich, für die Aussage der Geschichte eine Rolle WAS er tut oder getan hat?
Ich würde schätzen nein, aber wenn doch würde ich gerne wissen was dies ist denn das konnte ich aus dem Text nicht herauslesen.

lg, Meggie


Meggie (03.03.2004)

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