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3 Seiten

geliebte zeit

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Eve
Erster Tagebucheintrag im neuen Jahr.
Sitze an meinem provisorischen Schreibtisch, der aus einer zu kleinen Glasplatte besteht, die ich von Freunden aus deren Kneipe geschenkt bekommen habe – eine alte, von Münzgeld zerkratzte Platte – DM, ab heute werden ja die Thekenplatten vom Euro zerkratzt, ob das schneller oder langsamer geht oder ob diese Eigenschaft bei allen Münzen gleich ist? Die Glasplatte liegt auf zwei silbermetallfarbenen Containern, die jeweils sechs Schubladen haben, wirklich gefallen haben sie mir nie, aber es waren die Günstigsten und ich konnte bis jetzt mit diesem Kompromiss leben, denn es passt auch viel hinein in 12 Schubladen. Der Computer, der links auf der Platte steht, nimmt etwa ein Drittel des Platzes ein, den ich zur Verfügung habe, um Dinge zu lagern wie Kugelschreiber, Telefonrechnungen, H&M Rechnungen, Teelichter, notierte Zitate auf Zetteln jeder Form und Farbe, Feuerzeuge, Steine, den hölzernen Brieföffner meiner Mutter; wenn ich mir das genau ansehe, bin ich erstaunt, wie viele Sachen auf so einem kleinen Tisch Platz haben, denn es kommen ja auch noch die wirklich notwendigen Dinge hinzu wie Locher, Terminkalender, Maus, Schere, Notizblock, Aschenbecher..
Über meine Vergangenheit möchte ich, wenn irgend möglich nicht sprechen. Vor einiger Zeit habe ich festgestellt, dass es einem besser geht, wenn man einfach mal die Klappe hält. Merkwürdigerweise dachte ich lange Zeit, es würde mir besser gehen, wenn ich über alles rede, die Tatsache, einen Gedanken zu teilen, mehr noch, eine Geschichte mit einer Person oder mehreren Personen zu teilen, würde mir helfen oder wenigstens mich auf irgendeine Art und Weise bestätigen - das ist falsch.
Eine einfache Geschichte erzählen, ohne sentimental oder gar kitschig zu werden ist schwer, wenn nicht gar unmöglich – für eine Frau. Auch für eine Frau von heute. Ich bin eine Frau von heute. Werde gar nicht erst versuchen sachlich und ohne Übertreibung zu erzählen, hin und wieder werde ich mich auf den Boden der Tatsachen zurückholen müssen, damit die einfache Geschichte zu ihrem Ende kommt (und Sie sich Ihre Meinung bilden können).
Die Geschichte aufzuschreiben kam mir gerade jetzt in den Sinn, da ich so an meinem viel zu kleinen Schreibtisch sitze und nicht reden kann – die Zeit des Redens war schön, leicht, so federleicht und zerstreut. Suchte die Zerstreuung aus Angst vor der Sammlung oder besser Ansammlung meiner Gedanken. Seit ich nicht mehr rede fühlt sich mein Inneres zu voll an und die Gedanken ziehen sehr zäh ihre Bahnen, oft fehlen mir die Worte wenn ich reden muß, früher soll ich sehr redegewandt gewesen sein.

Der Morgen bricht an, sitze immer noch hier, höre das leise Surren des Computers und fühle mich etwas angespannt, nervös – so ähnlich fühlte ich mich schon einmal ..erinnere dich verdammt! Es war doch nicht immer so leer und kalt in dir – kann nicht, will mich nicht erinnern, lieber sitze ich stattdessen stundenlang an meinem viel zu kleinen Schreibtisch und starre abwechselnd auf den Monitor und die Tastatur. Die Natur fordert ihre Pflicht; das Badezimmer in dieser Wohnung gefällt mir sehr gut, es hat eine Schräge, ein kleines Dachfenster und eine weiße Badewanne. Ich mag weiße Badewannen und Dachschrägen mit kleinen Fenstern. Eine Pflanze fehlt noch, ein grüner Farn wäre genau das Richtige, aber ich habe keinen gute Hand für Pflanzen, deshalb gehe ich in Kaufhäusern oder Blumenläden gerne zu den Verkäufern, lasse mich beraten, um dann doch lieber keine Pflanze mitzunehmen – aus Angst, bei mir könnte sie nach kurzer geliebter Zeit zugrunde gehen.
Auf dem Weg vom Badezimmer zu meinem ... Schreibtisch gehe ich in die Küche, um mir einen Sherry einzuschenken. Die Küche ist eigentlich ein gemütlicher Raum, man sagt ja auch, dass die Küche das Herz eines Hauses sein soll, aber wenn ich mich in der Küche mehr als zehn Minuten aufhalte, beginnt mein Herz schneller zu schlagen und in meinem Hals bildet sich ein Klos..am ehesten beschreibt sich das mich überfallende Gefühl mit bodenloser Traurigkeit, kein Anfang, kein Ende, diese Form der Traurigkeit ist die Gemeinste, sie paart sich mit einem Gefühl der Unwiederbringlichkeit. Etwas wird nie wieder sein, kein Moment kann mehr dieses Unwiederbringliche wettmachen.

2. Tagebucheintrag

Es gab Zeiten, in denen ich es als meine Aufgabe sah, anderen von meinem Optimismus etwas abzugeben, war der Ansicht, dass es immer eine Lösung geben muss. Bin nicht auf die Idee gekommen, dass eine Lösung viel vernichtender sein kann als die Situation, in der sich jemand gerade befindet. Die Lösung verändert, zwingt einzusehen, dass es ihrer bedarf, die Lösung beendet einen Zustand. Dachte, wenn ich jemanden zu einer Lösung führe, würde es ihm automatisch besser gehen und das dachte ich auch von mir. Finde die Lösung, gehe dann über Los und ziehe 4000 DM ein. Ha!!
Liegt in der Natur der Menschen, nach Lösungen zu suchen, Nichts dem Schicksal oder Zufall überlassen zu wollen?
Es fällt so schwer, wirklich eigenständig zu handeln, nur die eigenen Bedürfnisse, Vorstellungen zu berücksichtigen; schwer wiegt der Teil, der von Außen kommt...


3.Tagebucheintrag

Es ist wahr, ich bin egoistisch, egozentrisch von mir aus auch – ich bin der Mittelpunkt meines Lebens, wessen sonst? Aufopferungsvolle Frauen beneide ich nur insofern, als dass ich sie für die besseren Menschen halte. Ich habe Angst vor dem Leben und Angst vor dem Tod. Ich liebe das lebendig sein und hasse das Leben. Das Leben ist meine Zeit hier und ich soll so viele Dinge tun, die mir mein lebendig- sein- Gefühl zerstören. Deshalb sitze ich hier, in einer Wohnung, die exakt so aussieht wie meine Wohnung in der "echten" Welt aussah. Ich habe mich freiwillig zu dieser Studie gemeldet, obwohl meine Eltern immer noch glauben, dass ich gezwungen wurde oder unter Drogen zu der Beistimmung gebracht worden bin. Nein, ich wollte es so. Einen Raum für mich und mein lebendig- sein- Gefühl, ohne Fremdbestimmung.
Mein Fall wird pathologisch eingestuft, das kann mir nur recht sein, dann muss ich nicht zurück; dorthin, wo ich gleichsam in tiefster Verzweiflung, vergeblich um Hilfe rufend ein Leben lebte ohne meine innere Zeit.
 
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Kommentare  

Deprimierend, aber gute Grundaussage. Du fühlst Dich allein und im Stich gelassen und nimmst darum an dieser Studie teil? So ist das Leben. Ohne Gott und seine Zuversicht schafft es kein Mensch wirklich. Lass Dich fallen und auf IHN ein. Dann schaffst Du das Leben - ohne Angst vorm Sterben!

Andreas Tröbs (12.03.2012)

Das Ende besser der letzte Satz, das sag ich ma würg und außerdem: That´s World!

anonym (16.07.2008)

um gottes willen, mit dem ende hätte ich nicht gerechnet, irgendwie bin ich schockiert, aber es ist trotzdem eine gute geschichte. 4 punkte.

crépuscule (30.09.2004)

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