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Der Salzstreuer

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Das sonntägliche Frühstück: Toast mit Butter, Orangenmarmelade, Tee und
weich gekochte Eier auf dem ovalen Holztisch, den er damals für unerschwinglich
hielt. Akkurat sind die Stühle angeordnet. Ein blühender Rosengarten hinter
penibel geputztem Fensterglas als morgendliche Aussicht. Strahlend weiße
Gardinen. Spitzenbesatz. Nichts ist dem Zufall überlassen. Das war es bei ihr nie.

Und es gibt Kommunikation in der verschlafenen Atmosphäre. Oh ja! Sie
murmelt: Das Wetter ist schön. Stumm nickt er. Das genügt. Nach so langer Zeit
versteht man sich. Fragen wie Reichst du mir bitte die Butter, Liebling? wird
vorgebeugt. Alles steht am rechten Platz. Er hat gelernt, in welcher Reihenfolge
sie nach Butter, Teekanne oder Marmeladenglas verlangt. Und das Wichtigste
ist der Salzstreuer. Direkt neben dem Eierbecher muss er stehen. Nicht davor,
auch nicht dahinter – genau rechts daneben. Zielsicher greift sie danach, wie
jeden Morgen.

Ihre Fingerspitze stößt dagegen – pastellrosa lackiert, makellos –, und
kristallene Körnchen des Salzes, das für das Ei bestimmt war, prallen vom
Platzdeckchen ab auf das ungeschützte Holz des Tisches, als ließe man eine handvoll
Kieselsteine auf den Asphalt der Straße rieseln. Eine trockene Lache weißer
Transparenz erstreckt sich bis nach vorn zur Teekanne. Das ist ein weiter Weg.



Der Tisch erzittert leicht, als sie hastig aufsteht und behänden Schrittes
in die Küche läuft. Er bleibt. Wer ist das, fragt er sich. Wer ist das, der da
gerade eilig und schlecht gelaunt los gesprungen ist, um einen Lappen oder
Putzmittel oder den Handfeger zu holen? Was macht es, ob das Salz nur fünf
Minuten die Ruhe auf der Tischplatte liegend genießt oder bis zum nächsten
Sonntag dort verstreut bleibt und darauf wartet, mit dem Ei verspeist zu werden?
Ihm tut das nicht weh. Ihr schon.

In der kurzen Zeit, in der sie weg ist und leise ihre weiblichen Flüche von
der Küche herüber schickt, denkt er an all das Salzige, das er seit langem
wahrnimmt. Da ist der salzig-bittere Geschmack, der an seinen Lippen haftet,
wenn sie ihn morgens zum Abschied küsst (Sie verschwinden alltäglich in ihren
eigenen Welten aus Schwimmkurs und Mechanikertreff, Sauna und Stadion,
Kaffeeklatsch und Stammkneipe.) und den er stumm erduldet, genau wie den Geruch, den
ihr Atem hat, wenn sie sich im Bett zu ihm dreht. Das ist es, was ihn zum
Aufstehen treibt, nicht der Lärm des Weckers – sieben, manchmal acht Minuten
danach. Und er weiß auch noch, wie es aussieht, wenn ihre Tränen – wütende,
missverstehende, hysterische Tränen eines Kindes – salzige Spuren auf den
verwelkten Wangen hinterlassen. Warum sie weint, kann er nicht sagen. Vielleicht
kann sie das selbst nicht einmal. Oft kommt sie nach hause – früh am Abend –
mit glühendem Gesicht. Damenkegelclub, denkt er dann und fühlt sich bestätigt,
wenn ihm mit der Abendluft eine Wolke süß-salzigen Schweißes entgegen weht,
die er wortlos erträgt. Denselben Geruch haben ihre Kleider, bevor sie sie
wäscht, hat die Bettwäsche, auch wenn sie nur eine Woche benutzt und dann
gewechselt wird, haben die Handtücher, mit denen sie sich abtrocknet. Fast meint
er, ihn gar nicht mehr wahrzunehmen, weil er mit dem Alltag verschmolzen ist.
Ganz schwach erinnert er sich jetzt an den herb-salzigen, muschelartigen
Geschmack ihres Schoßes, ihrer Erregung. Wie oft hatte er ihn wohl gekostet, so
lange sie zusammen waren? Nicht oft, das weiß er, ohne zu zählen. Und jetzt
schon seit einigen Jahren nicht mehr. Dieser besondere Geschmack spielt in ihrer
Beziehung keine Rolle mehr.



Wehmütig sieht er die verstreuten Salzkörner an. Gerade kehrt sie aus der
Küche zurück – bewaffnet mit Handfeger, Putzlappen und Scheuermilch (Es war nur
Salz, verdammt noch mal!) -, als er unvermittelt aufsteht, zu Jacke und
Autoschlüssel greift und im Begriff ist, die Haustür zu öffnen. Wohin willst du,
fragt sie.

Er sagt: Ich muss Zucker kaufen. Und Pfeffer haben wir auch nicht mehr, und
geht.

Sie wischt das Salz auf, wischt den ganzen Vormittag das Salz auf, und
wartet vergeblich auf ihn.
 
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Kommentare  

mir hat sie auch gefallen

Dr. Ell (23.09.2009)

Gott oder an wen oder was auch immer ihr glaubt, bewahre uns alle vor diesem traurigen Schicksal. Sehr gut erdacht oder beobachtet. Oder erlebt!!

Stephan F Punkt (03.06.2007)

Wirklich schön

Jana (01.06.2007)

Mir auch! Schöne Grüße

der Gimpel (04.02.2007)

gefällt mir auch echt gut!

darkangel (30.01.2007)

Hallo, tolle Geschichte,gefällt mir sehr gut. lg Sabine

Sabine Müller (02.04.2006)

Ich gib Dir einen TIP !
Schalte den Scheidungsanwalt ein, solange
es noch nicht zu spät ist.
Die Frau ist die Hölle!
Wie ist eigentlich die Schwiegermutter ?


E.Hemann (26.06.2005)

Dass du die Geschichte bis ins Detail beschreibst kommt gut! Was mir nicht so gut gefällt ist die Einseitigkeit der Sichtweise; zur Ehe gehören doch immer zwei, oder?

traumfrau (04.02.2005)

Salz, überall Salz. Da würd ich auch verrückt werden.
Setting gut und kurz beschrieben, Argumente sauber aufgebaut und schließlich noch eine schöne Pointe am Ende (Zucker, Pfeffer).
Doch warum gehen die Zeilen nicht bis ans Ende?

Auf jeden Fall sehr gut.


Redfrettchen (21.03.2004)

Weglaufen nutzt auch nichts.
Hast einen frustigen Ehealltag gut beschrieben.
3 Punkte


NewWolz (NW) (13.03.2004)

Ich find die Geschichte gut. 4 Punkte

 (12.03.2004)

That's life. Aber gut beschrieben und sehr angenehm aufbereitet. Allerdings würde mich der Charakter der männlichen Hauptperson noch ein bißl mehr interessieren, weil ja die Frau unmöglich alleine diese ganze Situation erzeugt haben kann. Aber das hängt eher mit meiner Art zu lesen usammen und ist sicher keine objektive Kritik. Immerhin ist diese Erzählung besser als die meinigen.

Der Ernst (05.03.2004)

Hi,

die Entwicklung der Geschichte ist echt gut.
Ich wäre dann wahrscheinlich auch "Zigaretten holen" gegangen ;o)

Ich hoffe, daß mich nie diese Monotonie des Alltags erwischt...

MfG


Kalimera2002 (04.03.2004)

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