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Kollektivismus

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Neulich lief ich meinen Weg durch die Straßen dieser Stadt. Hektisch liefen die Menschen auf und ab, verrichteten ihre Arbeit, erledigten unerledigtes. Ich blieb stehen, ich beobachtete.
Die Menschen liefen achtlos aneinander vorbei. Sie würdigten sich keines Blickes. Hin und wieder kreuzte ein Fahrradfahrer die Wege der Fußgänger, die nur widerwillig bereit waren, den Weg freizugeben; obwohl sie auf dem Fahrradweg liefen. Einige der Menschen, die auf diesen Straßen ihren Weg suchten, blieben kurz vor einem der großen, in dieser Straße zahlreich vertretenen Schaufenster stehen. Wenige ließen sich von den Geschäften anziehen, gingen hinein, kauften eine Kleinigkeit und verließen die Räumlichkeiten in gleicher Weise hektisch, wie sie diese betreten hatten. Es war eine Einbahnstraße und die Fahrzeuge, die diese Straße benutzten, fuhren schneller als erlaubt war.
Eine alte Frau wurde von meinen Blicken erfasst. Sie lief langsam; vielleicht konnte sie in ihrem Alter nicht mehr schneller gehen; vielleicht hatte sie einfach Zeit und wollte sich nicht von den vielen Hektischen anstecken lassen, ich weiß es nicht. Während ich diese Frau einige Meter mit meinen Blicken verfolgte, merkte ich, wie ihr Körper langsam hin und her schwankte. Die Frau war sichtlich bemüht, das Gleichgewicht zu halten. Immer wieder hielt sie sich fest. An den Sitzbänken, die hier überall verstreut standen. An den Laternen. An den Fassaden.
Ich begann mich zu sorgen. Die Menschen liefen achtlos an ihr vorbei. Ich lief zu ihr.
Noch bevor ich sie erreichte, brach sie zusammen. Sie blieb regungslos auf den Boden liegen. Meine Schritte wurden schneller. Ich rannte. Einige Passanten blieben um sie herum stehen; einige Menschen liefen einfach an ihr vorbei. Die Menschen die stehen blieben starrten sie einfach an. Der Kreis der Schaulustigen schloss sich, versperrte mir den Weg zu dieser Frau. Mein Herz pochte. Der Schweiß der Aufregung benetzte meine Hände. Meine Gedanken richteten sich nur auf ein Ziel. Ich musste ihr helfen.
Ich erreichte die Menge. Ich schob die Passanten zur Seite. Noch immer kümmerte sich niemand um sie. Sie lag einfach da und die Menschen betrachteten sie nur. Niemand wollte ihr helfen.
Ich erreichte die Frau, ich kniete mich zu ihr nieder.
„Hallo“, rief ich ihr laut zu. „Hören sie mich.“
Hilflos, ängstlich richtete sie ihre Augen auf mich. Eine Träne kullerte über ihre Wangen. Doch sie sprach nicht zu mir.
Ich fühlte ihren Puls. Er war schwach.
„Einen Krankenwagen“, schrie ich in die Menge. Die Menschen starrten mich nur an. Einige von ihnen redeten leise mit ihrem Nebenmann.
„Ein Krankenwagen“, schrie ich abermals. Angst machte sich immer mehr in mir breit. Die Menschen starrten mich und diese Frau noch immer an. Niemand redete mit uns, niemand schien Hilfe zu holen. Sie beobachteten uns.
Ich weiß nicht wie lange es dauerte. Irgendwann wurde ich durch zwei Sanitäter aus meiner Verzweiflung errettet. Die alte Frau wurde auf eine Liege gelegt, wurde eingeladen. Der Krankenwagen fuhr davon. Mit Blaulicht. Ich habe keine Ahnung, bis heute noch nicht, wie es dieser Frau geht; ob sie noch unter den Lebenden weilt. Ich hatte versucht sie ausfindig zu machen, doch der Versuch scheiterte.
Denke ich heute an diese Situation zurück, so fällt mir nicht mehr ein, wie ich mich fühlte, als diese Frau auf dem Weg in ein Krankenhaus war. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass sich die Menge beinahe gelangweilt wieder auflöste und ein Mann, welcher die ganze Zeit in diesem Ring um mich und die Frau stand, sagte: „Diese blöden Gaffer.“
 
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