35


3 Seiten

"Ich find deine Stimme schön" - Die Architektin

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
An jenem Nachtmittag - sein Magen intonierte den Don Kosaken Chor - kamen ihm das erste Mal Zweifel. "Ich find deine Stimme schön" lächelte zum 5 Mal ein "Gleich bin ich fertig, dann mache ich etwas Leckeres zu Essen für uns." in seine Richtung, zeichnete gleichzeitig galant eine Mauer ins Wohnzimmer - da stellte sich ihm die Frage: "Wie konnte es nur soweit kommen?" Er schaute den Weg lang zurück.

Am Tag des ersten Treffens hatte das Projekt "Hochhaus" schon begonnen - hatte sich in ihrem Kopf eingenistet und erste Früchte getragen. Schuld daran war die Regierung, wie das meistenteils der Fall ist. Es gab "Bauförderung" für jeden Einwohner, der sich in einer der zahlreichen Kleingarten Siedlungen vor den Toren der Stadt auf 50 Quadratmeter ein Eigenheim erbaute. Grund genug, sich dieses Geld nicht entgehen zu lassen. Die paar fehlenden Schillinge bis zur Vervollständigung der Gesamtbausumme ließen sich ja bei einer Bank aufnehmen und mit den Jahren abbezahlen. Das ist so wie Miete zahlen. Nur gehört einem das Heim später. Und wenn man etwas klug an die Sache heranging, ließ sich auch an den Baukosten sparen. Den Entwurf selbst gestalten, einen Statiker finden, der diesen begutachtet, einen Unternehmer, bei dem man sich selbst anstellen lassen kann - all das reifte in kurzer Zeit in ihrem Kopf und hatte schon Formen angenommen, als er ihr begegnete. Zugegeben, wenn der Lohn beim Bauunternehmer höher ist, als dessen Rechnung an den Kunden, konnte das Konzept aufgehen. Aber gerade dort setzten seine Zweifel an. Zweifel, die auch an den architektonischen Geistesblitzen der selbsternannten Architektin Nahrung fanden. "Du wirst schon sehen, Kuckuck. Das wird ein ganz tolles Haus."

Wichtiger aber als all das Finanzielle schien ihm die Art und Weise zu sein, mit der sie das Projekt in Angriff nahm. So wie das Haus des Nachbarn sollte es nicht aussehen, ihr Heim. "Die Ziegel speichern viel zu wenig Wärme und im Winter steigen die Heizkosten", war ihr Argument. Lehmbauweise, wie sie die Altvorderen benutzt hatten, versprach Wärmespeicher in der biologischen Wand. Die dabei entstehenden Mehrkosten konnten leicht durch den geringeren Verbrauch der Fußbodenheizung aufgefangen werden. So bedeutete der Bleistiftstrich Lehmfüllung, den sie galant auf das Blatt Papier zeichnete während sein Magen die Nachbarschaft mit Urgeräuschen alarmierte. "Noch fünf Minuten Kuckuck, dann mache ich etwas zu essen." Er schaute zum Hund hinüber, dem derlei Situationen vertraut schienen. Er hatte sich etwas vom Frühstück in seinem Fressnapf aufbewahrt und grunzte zufrieden vor sich hin.

An diesem Sonntag, wie schon erwähnt - seine Zweifel begannen zu wachsen - kam es ihr in den Sinn, dass ja auch noch zwei Kinder Raum im Hochhaus auf 50 Quadratmetern finden müssten. Ein Arbeitszimmer für ihn war schon gezeichnet, als der Stift im Kellergeschoss zu kreisen begann. "Und wenn die Kinder einmal Freunde mitbringen, dann brauchen sie nicht durchs ganze Haus, sondern können den Kellereingang benutzen." Das Radiergummi schaffte einen Spalt im Lehm, dessen Ränder bröckelten. Ausgefranste Zweifel stoben durch seinen Kopf. Nein, also im Keller wollte er seine Kinder wirklich nicht unterbringen. Das war ja wohl der Gipfel - so dachte er für einen Moment. Weit gefehlt. Ihre Phantasie stieg zu kaum fassbaren Höhen auf. "Und wenn wir dann eine Tochter bekommen, können wir die 8000 Schilling für das Kinderzimmer im ersten Obergeschoss nutzen", säuselte sie. "Welche 8000 Schilling?". "Die, wo eine Mutter monatlich bekommt, wenn sie keinen Vater für ihr Kind angeben kann", gab sie zurück. Nun hörte selbst sein Magen auf zu knurren. Die Zweifel wurden zur Gewissheit und der Hund knurrte leise, als ahne er, dass nun eine Änderung im Tagesverlauf anstand.

Zwei Jahre später stand er vor dem Rohbau des Hochhauses. Zwei Jahre ohne Kontakt mit "Ich find deine Stimme schön". Was hatte die Vollendung des Projektes aufgehalten? Stand der Keller unter Wasser oder hatte man ihr die Verkleidung des Ziegelsteinbaus mit Lehm untersagt? Waren letztendlich die Kühe ausgestorben, die mit ihrem Dung als Lehmzulieferer geplant waren? Ein kleiner Artikel in der Stadtzeitung gab Aufschluss. Die Unterstützung für alleinstehende Mütter war gestrichen worden. Eigentlich schade, denn auf dem Dach hätte das Kind wunderbaren Auslauf gehabt. Und selbst Kühe für die notwendigen Reparaturarbeiten am Haus hätten auf den 50 Quadratmetern locker ihren Dung ablegen können. Aber wie es so kommt. Die Regierung gibt und sie nimmt auch wieder. Zusammenhänge sieht sie nicht. Wer soll auch schon verstehen, dass Bauförderung und der Aufruf zur Samenspende in irgendeiner Weise zusammenhängen könnten. Wer, außer ihm, der "Ich find deine Stimme schön" kannte.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

na da war sie wieder: "Ich finde deine Stimme schön" Auf der HP habe ich auch schon ordentlich gestöbert. Auch einen Betrag habe ich dagelassen.

Traudel/arbeitsmaus (10.06.2004)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Keine Kindheit lang  
Die Tafel Schokolade  
Die Gummibärchen einer Ehe  
Der Uhrheilemacher  
Zwischen Wahrheit und Ordnung  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De