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5 Seiten

Der Club

Spannendes · Kurzgeschichten
Der Brief war vor ein paar Tagen gekommen, ganz normal mit der Post. Er hatte ihn interessiert in der Hand gehalten, hob der Umschlag sich doch auf ganz konservative, sehr edle Form von denen der sonstigen Rechnungen, Werbesendungen und Gewinn-Versprechen ab. Schweres, handgeschöpftes Papier mit einer gestochen scharfen Handschrift, zweifelsfrei an ihn adressiert. "Writer´s Club" war als Absender vermerkt gewesen. Eine Einladung an John D. McEnroe für den kommenden Dienstag, 21 Uhr, in der Roarington- Road Nr.10.

Er kannte weder den Club, noch hatte John eine Ahnung, in welchem Stadtteil er landen würde, als er sich in die U-Bahn setzte. Die Verbindung hatte er sich über das Internet heraus gesucht. Dort hatte er auch vergeblich nach einem "Writer´s Club" in Jenport recherchiert.

Sein Leben hatte in letzter Zeit mit aufregenden Ereignissen eher gegeizt. Seit fast einem Jahr war er nun schon arbeitslos und hatte irgendwann aus lauter Langeweile angefangen, Kurzgeschichten zu schreiben. Auf Anraten eines Freundes waren diese mittlerweile auch auf einer Homepage zu lesen. Die Resonanz der (immerhin vorhandenen) Leser hielt sich in Grenzen.

Und nun diese Einladung zu einem Schriftsteller-Club, wie John vermutete. Die nächste Station war seine. Er stieg aus und erschrak. Nach Winterthorn hatte es ihn verschlagen, in eine Gegend von Jenport, die eher für Drogenhandel, Prostitution und herunter gekommene Hochhaus-Siedlungen bekannt war, als für Mitglieder der schreibenden Zunft. Nun gut, er würde es drauf ankommen lassen. Ein Blick auf den ausgedruckten Stadtplan-Ausschnitt ließ ihn erkennen, dass er bereits in der nächsten Seitenstraße sein Ziel gefunden haben würde. Die Straßen wirkten staubig, Zeitungen und leere Plastikflaschen lagen über den schon schief getretenen Bürgersteig verteilt. Die Laternen hatten größtenteils ihren Geist aufgegeben oder waren wohl kaputt geschossen worden. John konnte seine Hand kaum vor Augen erkennen. Zudem traf er auf seinem Weg zum "Writer´s Club" - oder wo auch immer er am Ende sein würde - keine Menschenseele an. Angst hatte John erstaunlicherweise keine, nein er war geradezu dankbar für den Thrill, den der Fußmarsch seinem eintönigen Dasein verpasste. Er schlug seinen Mantelkragen hoch, als eine Windböe ihm eine Plastiktüte ins Gesicht trieb und stand plötzlich und unerwartet vor einem großen, recht schäbigen Altbau. John sah sich nach einer Hausnummer oder einem sonstigen Hinweis auf den Club um und entdeckte schließlich einen Briefumschlag - genau so einen, wie er vor kurzem in seinem Kasten gefunden hatte, schlicht mit einem Klebefilmstreifen an der Eingangstür befestigt.
John war überrascht, dass er den Ort scheinbar so mühelos gefunden hatte. Er zögerte nicht lange und klopfte an das Portal, dass sich bei näherem Hinsehen als sehr gediegen, aus massivem Holz und mit schweren Messing-Griffen versehen zeigte.

Die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet, und ein alter Mann zeigte sein Gesicht. "Ja bitte, was wollen Sie? Ich kaufe nichts und bin bewaffnet!" stellte dieser schockierend direkt klar. John trat einen Schritt zurück. "Entschuldigen Sie bitte, ich bin auf der Suche nach einem "Writer´s Club", hier ist meine Einladung!" entgegnete er unverzagt und hielt den Umschlag in Augenhöhe des Greises. "Oh, Mr. John D. McEnroe, nehme ich an?" Der Alte blinzelte nun schon wesentlich freundlicher und öffnete die Tür. "Treten Sie ein!" John wunderte sich selbst über seine völlige Sorglosigkeit, als er der Aufforderung nachkam, erklärte es sich aber selbst mit einer Art bedingungslosem Durst nach Abwechslung und Aufregung.

John wurde von dem vermeintlichen Greis, der im schummrigen Licht im Innern des Hauses beeindruckend gut gekleidet und offenbar mehr eine Art Butler war, in einen kreisrunden Raum geführt. Zahlreiche Türen gingen davon ab, sowie ein offener Gang, der den Blick auf eine Wendeltreppe frei gab. Ein schmiedeeiserner Kronleuchter hing von der Decke, der das einzige Licht gab, an den Wänden hingen Ölgemälde namhafter Schriftsteller, wie etwa eines von Edgar Alla Poe, die Türrahmen waren aus dunklem Teakholz.
"Sir, ich heiße Sie herzlich willkommen im "Writer´s Club"" eröffnete der Butler. "Wie Sie sich denken können, wurden Sie aufgrund Ihrer schriftstellerischen Tätigkeiten eingeladen, selbstverständlich finden Sie in diesem Haus eine Vereinigung von Ihresgleichen. Sie dürfen sich hier frei bewegen, mit drei Auflagen. Erstens müssen Sie eine Maske tragen." Der alter Diener reichte John eine schlichte Augenmaske aus schwarzem Samt. "Zweitens dürfen Sie niemandem direkte Fragen stellen. Sie finden hinter jeder Tür und in der oberen Etage eine Szenerie, die Sie mit den dort anwesenden Personen aktiv verändern oder gestalten können. Sie dürfen sich mit den Teilnehmern besprechen, beraten und arrangieren, aber ihnen keine Fragen zur Person oder dergleichen stellen. Umgekehrt gilt dies natürlich auch für die anderen Eingeladenen im Bezug auf Sie. Und: Ihre Zeit an diesem ersten Abend ist auf zwei Stunden begrenzt. Danach erwarte ich Sie wieder hier am Eingang. Haben Sie die Regeln verstanden und akzeptieren Sie diese?" John war verblüfft, sprachlos und fühlte sich überrannt. Aber ja, aus einem unerklärlichen, impulsiven inneren Antrieb heraus, war er zu Allem bereit. "In Ordnung", antwortet er und setzte seine Maske auf. "Gut Sir. Dann wünsche ich Ihnen eine erlebnisreiche Zeit im "Writer´s Club"!" Der Butler verbeugte sich leicht und verschwand wortlos durch eine der Türen.

Nun lief John doch eine Gänsehaut über den Rücken. Es war irre, total verrückt und gefährlich, was er hier tat. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was ihn erwarten würde, wenn er einen der Räume betrat. Andererseits war die Tür hinter ihm nicht abgeschlossen worden, er konnte auch einfach gehen. Gut, er würde es versuchen. Entschlossen und mit angestrengt- zusammen gepressten Lippen öffnete er die Tür links von ihm. Mit einem deutlich vernehmbaren Knatschen schwang sie auf und John trat ein.

Die Szenerie, die sich ihm darbot, war anheimelnd und gespenstisch zugleich. In dem offenbar fensterlosen Raum duftete es nach Popcorn und Zuckerwatte, auch hier fiel das Licht eher schummrig aus und in der Mitte dominierte ein riesengroßes, historisches Holzkarussell das Zimmer. Wunderschöne geschnitzte und wohl handbemalte Pferde, Kutschen, Bären, Affen und Tiger vollführten einen nicht enden wollenden Reigen zur Musik von Tom Waits´ "Black Rider". Auf dem einen oder anderen Reittier saß tatsächlich jemand, meist Männer zwischen Anfang 30 und Ende 40, bekleidet von schäbig bis nobel, von modern bis gediegen, alle offenbar aber leicht benommen und mit verklärtem Blick auf ihren Tieren sitzend. "Guten Abend" grüßte John, aber die Herren ignorierten ihn, starrten versonnen vor sich hin, würdigten ihn keines Blickes. John war zu neugierig, um es länger in dem Spielzimmer, wie er es beschlossen hatte zu nennen, zu bleiben. Er war jetzt angespornt, auch etwas erleichtert und entdeckungslustig. Er hatte mehr bizarre Sex-Spiele erwartet oder andere Skurrilitäten. Nun, vielleicht sollte er sich doch langsam etwas entspannen, dachte er und verließ den Raum, um sofort den nächsten zu betreten.

Dieser entsprach seinen Vorurteilen auf frappierende Art und Weise. John sah eine Reihe von Männern mit dem Rücken zu ihm stehen, teilweise mit herunter gelassenen Hosen, manche ganz nackt, andere einfach nur in Beobachterposition. Alle standen sie vor einer Holzwand, in die Löcher und Schießscharten-ähnliche Öffnungen hinein gesägt worden waren. Einer der nackten Herren drehte der Wand soeben sein Gesäß zu, ein aus dem in Hüfthöhe befindlichen Loch stehender, erigierter Penis lieferte die Erklärung für das Verhalten. Gleich daneben massierte ein gut gekleideter Mittvierziger durch die Wand eine klar erkennbare Vagina und saugte etwas höher an hervor stehenden weiblichen Brüsten. Auch umgekehrt wurden sexuelle Wünsche befriedigt: Eine schlanke Hand verschaffte einem fast knabenhaften jungen Asiaten manuelle Erleichterung. Dessen Körper zuckte, den Kopf hatte er an die Wand gelehnt. Also doch, dachte John. Als er einen üppigen Hintern durch eine der Öffnungen erblickte, war er kurz versucht, sich dem bunten Treiben anzuschließen, entschied sich aber doch schnell wieder dagegen. Erstaunlicherweise wurde auch in diesem Raum überhaupt nicht miteinander geredet.

Als John wieder in das kreisrunde Ausgangszimmer zurück gegangen war, fühlte er die Erregung in sich. Er war nicht nur sexuell gereizt worden, sein Puls raste auch wegen der Gesamtsituation. Er hatte bis jetzt nur zwei Räume erkundet, beide hatten ihm verwirrende und zugleich animierende Emotionen beschert, es warteten noch einige mehr auf ihn. Aber seine Zeit war begrenzt. John beschloss seine Zeit optimal zu nutzen und stieg die Wendeltreppe hinauf.

Schon auf den letzten Stufen drang ein bizarres Geräusch-Potpourri an seine Ohren. Blechernes Scheppern mischte sich mit gläsernem Klirren, Rasseln und eine klagende Stimme schien die Tonfolge in eigenartiger Weise zu untermalen. John öffnete eine Tür direkt neben dem Aufgang und trat in eine absurde Klangwelt ein. Ein weißhaariger Brillenträger drosch mit verzerrter Mimik auf einen Stahlhelm ein, der ein dumpfes Klopfen hören ließ, ein anderer im Anzug brachte eine leere Cognac-Flasche mit seinem Kugelschreiber zum Erklingen, ein wahrer Greis schien sein Gebiss heraus genommen zu haben und lallte unverständliche Strophen durch fahle, faltige Lippen. Dazu schlug ein komplett in schwarz gekleideter Typ mit einer alten Stahlkette den morbiden Takt an die Wand. John D. McEnroe hatte genug gesehen - und vor allem gehört. Mit rasendem Herzen und hochgradig strapaziertem Trommelfell stürzte er zurück in die Eingangshalle. Nicht nur die Rundung der Wendeltreppe schien seinen Körper rotieren zu lassen.

"Perfektes Timing, Sir", begrüßte ihn der Butler mit einem anerkennenden Blick auf die Uhr, die John beim Hereinkommen gar nicht über dem Hauseingang bemerkt hatte. John blickte den Clubdiener entgeistert an. "Ist die Zeit schon um?" hauchte er nur. Sein Gegenüber nickte. "Haben Sie noch eine Frage Sir, bevor ich Sie zur Tür geleite?" Eine? Tausende spukten in Johns Kopf herum, er wusste nicht wirklich, wo er anfangen sollte. Dann aber räusperte er sich und fragte: "Ja. Wozu und warum sind alle diese Herren hier? Sind es wirklich alles Autoren? Worüber schreiben sie?"
"Die meisten schreiben über ihre Erlebnisse im Club, Sir!" entgegnete der Butler mit einem Lächeln und schob John sanft zur Tür.



© Brennender Junge
 
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Kommentare  

Der Schreibstil gefällt mir sehr gut, es wird Spannung damit erzeugt und gerade ein Hobbyschreiberling kann sich diese Situation einer unerwarteten Kontaktaufnahme gut vorstellen.
Haben wir nicht alle (natürlich heimlich) schon einmal davon geträumt, "entdeckt" zu werden? Der Prot kommt somit sehr glaubhaft und auch bildhaft rüber.
Was den guten Gesamteindruck ein wenig stört, ist die überraschende Wendung und das Ende der Geschichte.
Der Schlußsatz des Butlers dagegen entschädigte den Leser wieder dafür.
Was ich nicht ganz verstanden habe, ist, was das Timing bei dieser obskuren Veranstaltung für eine Rolle spielt.
Noten vergebe ich nicht so gerne, aber die Geschichte hat mir trotzdem gut gefallen.


Minotaurus (28.09.2006)

Hallo,

Warst du auf einer Fetischparty hinterm Vorhang?
Die Geschichte ist spannend, amüsant und erotisch zugleicht. Nicht schlecht geschrieben, vorallem die Wendung ist interessant
Hätte eher eine Lesung oder schulung für den Schreiberling oder soetwas erwartet :-)
Gruß Sabine


Sabine Müller (22.09.2006)

Sprachlich wirklich super geschrieben. Die Handlung ist mysteriös und spannend. Der Schluss lässt mir dann aber doch zu vieles offen. Da hätte ich ein bisschen mehr erwartet.
Soll es eine Satire sein, oder mehr eine Mysteriestorie ala Lynch. In beiden Fällen fehlen mir noch einige Zutaten oder Hinweise. So gesehen, ist alles sehr schön geschrieben, spannend, weil man irgendeine Auflösung erwartet, dann verpufft aber doch alles im letzten Satz. Schade.


kleiner möchtegernwritersclub (22.09.2006)

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