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16 Seiten

Körpertausch mal anders

Romane/Serien · Aktuelles und Alltägliches
Ach ja, mein Nachbar. Was kann ich Ihnen über ihn erzählen? Nichts Gutes. Ich kann ihn zum Tod nicht ausstehen. Die gute alte deutsche Geschichte. Aber bei mir hat es nichts mit Gartenzäunen zu tun, oder mit Grundstücksgrenzen, Bäumen, Haustieren,
zu lauter Musik. Nichts von alledem. Wir wohnen auch nicht in Einfamilienhäusern, sondern in Hochhäusern. Unsere liegen nebeneinander. Man sollte meinen, dass man sich nicht oft über den Weg läuft, aber das ist ein Trugschluss. Immer wenn ich den Müll raustrage, zum Auto gehe, den Bürgersteig fege - das ist sowieso der größte Mist, oder? Warum müssen wir den Bürgersteig fegen? - treffe ich ihn. Unweigerlich. Manchmal denke ich, er liegt auf seinem Balkon regelrecht auf der Lauer.
Angefangen hat das alles vor ungefähr sechs Monaten. Da ist mein Nachbar samt Familie eingezogen. Freundlich wie ich eben bin sage ich also "guten Tag" als ich ihn treffe und lächle. Er sieht mich an wie ein besonders hässliches Exemplar der gemeinen Küchenschabe, rümpft tatsächlich noch die Nase und geht einfach weiter. So'n Arsch, denke ich mir also und beschließe, ihn nie wieder zu grüssen. Soweit so gut.
Eine Woche später sehe ich, dass seine Angeberkarre auf dem Besucherparkplatz steht. Ich bin nicht der Typ dazu, also rufe ich auch nicht die Hausverwaltung an und beschwere mich. Erstens ist mir das eigentlich egal, es sind ja noch vier andere Parkplätze frei, außerdem haben wir einen allein stehenden Rentner im Haus, der so was erledigt. Er hat keine andere Aufgabe mehr im Leben, als sich über spielende Kinder und unrechtmäßig geparkte Autos zu beschweren. Was ich nicht weiß ist, dass mein ungeliebter Nachbar mir die Schuld für den Rüffel der Hausverwaltung in die Schuhe schiebt und sich von nun an nicht mehr mit einem verächtlichen Blick und einer gerümpften Nase begnügen wird. Von nun an herrscht Krieg. Sein Auto, das nach wie vor auf dem Besucherparkplatz geparkt wird, obwohl dieser Mensch eine wunderschöne Garage hat, steht eines Tages neben meinem. Ich habe auch auf dem Besucherparkplatz geparkt, ja, ich gebe es zu. Für die dreißig Minuten, bis ich meinen Mann von der Arbeit abholen muss, wird das wohl drin sein, und alle anderen Parkplätze sind frei. Als ich zu meinem Auto zurückkehre sehe ich mit Schrecken, dass ich so nicht einsteigen kann. Er hat sein Auto so dicht neben meinem geparkt, dass ich die Fahrertür nicht öffnen kann. Na warte, Bursche, denke ich und tue, was ich schon längst hätte tun sollen: Ich marschiere zum Haus, wo der Sack wohnt und klingele. A. Weiß steht auf dem Schild und ich drücke mindestens sieben Sekunden am Stück darauf, denn nun bin ich sauer!
Nichts. Während ich mit klopfendem Herzen vor der Tür stehe, rührt sich absolut nichts. Ich weiß auf einmal auch warum. Ich habe eine Eingebung:
Der Mistkerl hat die Klingel abgestellt und lacht sich sicher tot über seinen kreativen Einfall.
Ich sehe auf die Uhr. Verdammt, ich werde noch zu spät kommen. Ich werfe einen vernichtenden Blick hoch zu seinem Küchenfenster, gehe zurück zu meinem Auto und steige auf der Beifahrerseite ein. Haben Sie schon mal versucht, vom Beifahrersitz auf den Fahrersitz zu klettern? Es ist kein Vergnügen, das kann ich Ihnen versichern. Ich glaube, ich werde zum Chiropraktiker müssen. Und das alles wegen diesem......diesem..... "dämlichen Affenhintern", knirsche ich und rase davon.
Seit diesem Tag haben sich die Dinge nicht grade verbessert. Im Telefonbuch steht er nicht, ich zum Glück aber auch nicht. Wie ich ihn einschätze, würde die feige Socke mitten in der Nacht anrufen und wieder auflegen, sobald er sicher sein kann, dass er das ganze Haus aufgeweckt hat. Christian habe ich alles erzählt, aber er nimmt das nicht allzu ernst. Er zuckt nur die Schultern oder grinst. Ich hatte gehofft, er würde vielleicht den Beschützer raushängen lassen und den Kerl mal darauf ansprechen, was er so abzieht, aber leider stehe ich wohl allein auf weiter Flur.
Selbst dass seit einiger Zeit die Zeitung aus dem Postkasten geklaut wird, lässt ihn kalt. Er glaubt nicht, dass es der liebe Nachbar ist. Es könnte ja jeder sein, meint er. Ach, auf einmal fangen unsere anderen Nachbarn an, uns die Zeitung zu klauen? Aber Christian ist es egal. Die kleinen, fiesen Attacken gehen weiter, werden schlimmer, und eines Morgens ertappe ich mich dabei, wie ich um 6:30 Uhr hinter der Schlafzimmergardine stehe und auf ihn warte. Christian hat heute Frühschicht und ist schon seit über einer Stunde weg. Es soll mir noch zugute kommen, dass er weg ist und auch, dass es Ende Oktober ist und noch vollkommen dunkel. Auch ist es die perfekte Zeit für das, was gleich passieren wird. Alle die, die zur Arbeit müssen sind entweder schon weg oder gehen erst um sieben, und die anderen schlafen noch. Da, auf einmal geht das Licht an. Der Bewegungsmelder am Weg an unserem Haus vorbei beleuchtet dem Kacker den Weg, damit er bloß nicht stürzt und sich den etwas Edles prellt. Ich höre Schritte. Da ist er, der Affe. Seine rote Jacke, die Aktentasche, und die kahle Stelle an seinem Hinterkopf. Ich starre darauf. Blöder Sack, denke ich, du Affenarsch! Meine Augen verengen sich, mein Blick wird stechend. Ich wünschte, ich könnte dir mal eine Lektion erteilen, denke ich voller Inbrunst. Die kahle Stelle, ich fixiere sie. Sie scheint näher zu kommen, immer näher, als würde ich sie heranzoomen...näher...sie füllt mein Blickfeld total aus...die Haut ist direkt vor mir...kommt sie auf mich zu, oder fliege ich runter zu ihr? Es wird schwarz vor meinen Augen. Ich spüre einen heftigen Ruck. Ich schwanke. Das Gleichgewicht ist schwer zu halten. Meine Beine fühlen sich so merkwürdig an, und ich sehe an mir runter und erkenne, dass ich auf einmal eine enge schwarze Jeans trage, ein Hemd, Lackschuhe und eine rote Jacke.
Ich öffne meine linke Hand, und eine Aktentasche fällt auf den Boden. Ich berühre meine Brust. Meine Brüste sind weg. Ich bin auf einmal so schlank, und viel größer...ich verstehe in diesem Moment noch nicht genau, was passiert ist. Da reißt mich ein hoher, dünner Schrei aus meiner Erstarrung.
Ich sehe zum Fenster hoch. Ja, ich stehe wirklich hier auf dem Bürgersteig und sehe an unserem Haus hoch. Es ist keine Einbildung. Hinter dem blauen Vorhang, der unser Schlafzimmerfenster bedeckt, bewegt sich etwas. Erschrockenes Gestammel ist zu hören. In meinem Kopf spricht eine klare, eiskalte kleine Stimme. Du bist in seinem Körper, und er in deinem. Tu was, bevor er zu sich kommt und nütze die Gelegenheit! Etwas in meinem Kopf wird umgelegt wie ein Schalter, und ich bin nicht mehr ich selbst. Sie werden schon noch sehen, wie ich das meine. Ich stürze zur Haustür und wühle in seinen Jacken- und Hosentaschen. Natürlich ist kein Schlüssel zu unserem Haus drinnen. Nur zu seinem. Mist. Da fällt mir der Notfallschlüssel ein, den ich vor Jahren in meinem Wäscheklammerbeutel im Keller versteckt habe. Aber ins Haus muss ich trotzdem erst. Ich zögere nur kurz und klingele bei Frau Buchmann. Sie ist noch zu Hause, wie ich weiß. Sie geht immer erst um zehn nach sieben. Ein Kratzen in der Gegensprechanlage und ein verblüfftes "Ja bitte?" ertönen. Ich räuspere mich und als ich spreche klingt meine Stimme tief und brummig. Er hat sowieso eine unangenehme Stimme. "Hier ist Herr Weiß von nebenan. Mein Sohn hat sein Fahrrad aus Versehen gestern in Ihren Fahrradkeller gestellt, ich möchte es nur schnell holen." Ein Summen und die Tür geht auf. Ich sehe hoch. Frau Buchmann guckt über die Brüstung, sieht, dass es tatsächlich ich bin - nein, dass es tatsächlich er ist - und geht grußlos zurück in ihre Wohnung. Sie scheint ihn auch nicht grade sehr zu mögen. Mir ist das ganz recht. Ich rase in den Keller, wobei mir das neue Gleichgewicht immer noch sehr zusetzt, biege in den Trockenkeller ab und schütte kurz entschlossen alle Wäscheklammern aus meinem Beutel in den Wäschekorb. Soll sich doch jemand drüber wundern, darum kümmere ich mich später. Der Schlüssel fällt fast als letztes heraus, ich habe ihn ja auch vor Jahren ganz unten vergraben. Für den Fall, dass ich mich mal aussperren sollte. Ich könnte mich küssen dafür. Ja, im Grunde könnte ich das jetzt auch tun, sobald ich in meiner Wohnung bin, denke ich noch und renne die Stufen rauf. Ich schließe die Tür auf und höre noch entsetzte Laute aus dem Schlafzimmer. Offensichtlich hat er sich noch nicht erholt von dem, was da passiert ist. Gut. Ich gehe in die Küche und sehe mich um. Wenn er jetzt in meinem Körper ist, ist er mir körperlich unterlegen. Immerhin ist es der Körper einer kleinen, dicken Frau. Meiner ist der eines Mannes. Aber soll ich es wirklich auf einen Kampf ankommen lassen? Nein, besser nicht. Aber ich muss ihn ausschalten und irgendwo verstauen, damit er nichts machen kann, bis ich wieder da bin. Ich habe schon einen groben Plan zurechtgelegt. Ich gehe ins Wohnzimmer, öffne eine Schublade der Wohnwand, und bin wieder erstaunt, wie tief ich mich nun bücken muss. Es dauert bestimmt seine Zeit, sich daran zu gewöhnen. Wie lange der Zustand wohl andauert? Aber ich schiebe den Gedanken an später erstmal beiseite und hoffe einfach, dass es nichts Permanentes ist. Das wäre nicht so gut. Seine Frau ist nämlich gar nicht mein Typ.
In der Schublade finde ich die Rolle mit dem Klebeband und eine Schere. Ich nehme beides an mich und hole mein längstes, schärfstes, am gemeinsten aussehendes Messer aus der Küche. Dann gehe ich ins Schlafzimmer. Es ist ein Schock. Da stehe ich, mein Körper, und sieht mich verwirrt an. Zum ersten Mal sehe ich mich mit den Augen eines anderen. Es gibt angenehmeres. Ich müsste tatsächlich dringend abnehmen, und die alte Jogginghose und das schlabberige T-Shirt sind auch nicht grade der Brüller. Die Haare hängen lieblos runter. Der verstörte Gesichtsausdruck ist seiner, aber dadurch wird meine Gestalt nicht attraktiver. Wenn das alles vorbei ist, werde ich da einiges ändern, schwöre ich mir in diesem Augenblick. Ich gehe zu mir rüber, oder auch zu ihm, wie man das sehen will, und er weicht zurück. Auch gut. Ich hebe das Messer und sage: "Leg dich aus Bett, Gesicht nach unten und rühre dich nicht!" Er bewegt sich nicht und sieht mich nur dumm an. "Los!" kommandiere ich, und er zuckt zusammen. Zögernd geht er auf das Bett zu und legt sich hin. "Auf den Bauch!" befehle ich und er dreht sich rum. Gott, hab ich einen fetten Hintern! Sonst sieht man seinen eigenen Arsch ja nie, und jetzt prangt er da vor mir, anklagend, ein Zeugnis der vielen Tafeln Schokolade, die ich in den letzten Jahren in mich hineingestopft habe. Aber Po beiseite, ich habe nicht viel Zeit. Ich knie mich also auf Bett und fessle meine eigenen Handgelenke mit Klebeband. Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl, meine Handgelenke anzufassen. Ich verschnüre sie etwas lockerer als geplant, ich bringe es nicht über mich, sie zu fest zu verkleben. Aber ich nehme mehrere Lagen Klebeband. Er wird sich nicht daraus befreien können. Außerdem mache ich noch einen kurzen Streifen über seinen - meinen - Mund, aber wirklich nur so lang, dass er nicht laut rufen aber noch gut atmen kann. Meine Nase verstopft so leicht. Dann gehe ich und suche nach der Paketschnur, die ich im Flurschrank versteckt habe, finde aber nur meine Ersatzwäscheleine und binde ihn damit an den Bettpfosten fest. Erst die vertäuten Arme am oberen linken Pfosten, dann die Beine am unteren linken. So ein Himmelbett kann sehr praktisch sein. Ich zögere einen Augenblick und umwickele auch noch seine - meine - Fußgelenke mit Klebeband, damit er sich nicht mehr rühren kann. Erst jetzt verlasse ich das Schlafzimmer, lege das Klebeband vorher neben ihn aufs Bett, nehme aber Schere und Messer mit. Ich schließe die Schlafzimmertür ab. Messer und Schere lege ich vor die Tür, falls es nachher schnell gehen muss. Dann gehe ich ins Wohnzimmer, nehme mein Handy und schicke Christian eine SMS. Er wollte heute nach der Arbeit bei seiner Mutter vorbeischauen und vielleicht noch in die Kneipe. Ich habe ihm gestern Abend gesagt, dass ich das nicht möchte und schreibe ihm nun, dass das doch eine gute Idee ist. Er antwortet, dass er dann erst um sieben zu Hause ist und wünscht mir einen schönen Tag. Na, den werde ich haben!
Ich verlasse die Wohnung und schleiche mich die Treppen herunter. Zum Glück ist niemand im Treppenhaus. Ich gehe zu seinem Angeberauto und fummle etwas ungeschickt mit den Schlüsseln herum, steige ein und schnalle mich an. Ich sehe mir seine CDs an. Bernhard Brink, best of Schlagerparade und Wolle Petry. Mann, der wird mir von Sekunde zu Sekunde unsympathischer! Ich starte den Wagen, lege den Rückwärtsgang ein und würge die Karre erstmal ab. Na ja, alles Gewöhnungssache. Ich fahre die Strasse herunter und warte an der Einmündung eine Ewigkeit, bis mich jemand hereinwinkt. Na, das wird er noch bereuen, denn ich habe meine erste Idee. Ich fahre also im Stop and go Verfahren, bis ich mitten auf der Kreuzung stehe. Als ich mir ganz sicher bin, wirklich jedem im Weg zu stehen, stelle ich den Motor ab und steige aus. Wütendes Hupen begleitet mich, als ich pfeifend zu Fuß weitergehe. Ich komme an einem der blockierten Autos vorbei. Jemand kurbelt die Scheibe runter und brüllt: "Ey! Fahren Sie Ihre Karre da weg!" Ich drehe den Kopf, sehe ihn an, und zeige ihm gelangweilt beide Stinkefinger. Mit dem linken tippe ich mir noch zusätzlich an die Stirn. Das müsste eine doppelte Beleidigung sein und mindestens einen Tausender an Strafe kosten, überlege ich. Der Typ wütet hinter mir, steigt aus, und geht zu seinem Hintermann. Der steigt auch aus, und beide diskutieren und gestikulieren. Gut so, denn ich habe darauf geachtet, dass die Stinkefingernummer auch von allen anderen gut gesehen werden konnte. Ich schlendere weiter in Richtung Straßenbahnhaltestelle. Die fährt woanders lang und wird von meinem - seinem - Auto nicht blockiert. Auch darauf habe ich geachtet. Ich bin stolz auf mich. An der Haltestelle ziehe ich mir ein Ticket aus dem Automaten und steige ein. Jede Menge Schulkinder sitzen schon drinnen. Ich überlege erst, aber lasse die in Ruhe. Ich will erst in die Stadt, bevor ich mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Ich stehe also gelassen in der Straßenbahn und steige in der Innenstadt aus. Die meisten Geschäfte haben noch zu, also muss ich mir anders behelfen. Das McDonalds hat jedenfalls schon auf, wie ich mit einem breiten Grinsen feststelle. Ich gehe rein und bestelle mir Kaffee, zwei Hamburger und einen Milchshake. Ich setze mich friedlich in eine Ecke, warte, bis sich noch ein paar Leute mehr niederlassen und stehe auf. Ich zähle einmal durch. Siebzehn Zeugen, plus drei Angestellte. Sollte reichen. Ich trinke den Kaffee auf Ex aus, obwohl ich Kaffee nicht mag, aber das gehört schon zum nächsten Plan. Dann nehme ich meinen Milchshake in die Hand, ziehe den Deckel ab und gieße ihn der Frau am Nebentisch über die sorgfältig gestylten Haare.
"He!!! Sind Sie verrückt geworden??" Sie fährt mit beiden Händen über den Kopf, wobei sie den kalten Brei noch schön verschmiert, springt auf und schimpft wie ein Rohrspatz. Ich lächle sie irr an. Ein Mann vier Tische weiter kommt auf mich zu gerannt, einer der Mitarbeiter hinter dem Tresen sprintet auch los. Ich berechne, dass der Mann vom anderen Tisch mich zuerst erreichen wird, nehme meinen ausgewickelten Burger in die Hand und klatsche ihn mitten in das überraschte Gesicht des Möchtegern- Helden. Die obere Brötchenhälfte habe ich selbstverständlich vorher entfernt, damit der Ketchup auch Feindberührung hat. Er brüllt, die Frikadelle und der Salat fallen auf den Boden, aber alles andere ist schön im Gesicht verteilt. Er blinzelt und reibt sich die brennenden Augen. Andere springen auf, laufen auf mich zu. Aber ich hüpfe Matrix-mäßig auf die Bank, von da auf den Tisch (es hat schon seine Vorteile, dass der Sack so einen sportlichen Körper hat), von da zu einem anderen Tisch uns beginne, inspiriert von den Cds im Auto, was vom Petry zu singen. Ich stehe auf einem Tisch in der Nähe des Ausgangs und mache eine auffordernde Handbewegung. "Na was ist? Los, mitsingen! Und jetzt alle: "Hölle! Hölle! Hölle!" brülle ich. Alle schweigen und starren mich mit offenem Mund an. "Ich rufe die Polizei", sagt einer der Mitarbeiter mit schwacher Stimme und macht auf dem Hacken kehrt. Er verschwindet in einem Nebenraum, und ich beschließe, seinem Beispiel zu folgen und auch zu verschwinden. Ich springe vom Tisch und laufe aus dem Restaurant. Nach zwei Ecken gehe ich wieder normal. Nichts ist auffälliger, als von einem Tatort wegzulaufen. Das habe ich gelernt, als ich "der Pate" gesehen habe. Tatsächlich folgt mir niemand, und keiner der vorbeihastenden Passanten schenkt mir auch nur einen zweiten Blick. Ich gehe in Richtung Altstadt und setze mich erstmal in dem kleinen Park auf eine Bank. Die Stadt ist noch nicht voll genug für das, was ich mir noch so vorgenommen habe. Es ist auch erst kurz nach acht, und die großen Geschäfte öffnen nicht vor zehn. Ich mache erstmal eine Pause. Es ist ziemlich anstrengend, so gegen die Norm zu verstoßen. Auch wenn man in einem anderen Körper steckt, muss man sich erst überwinden, solche Dinge zu tun. Ich habe ohnehin schon von Anfang an beschlossen, dass das nur ein Traum ist. Sonst wäre ich wohl durchgedreht. Nach über einer halben Stunde ist der Schweiß getrocknet, und ich habe die Kraft für einen weitern Verstoß gegen die guten Sitten. Die guten Sitten...? Ich grinse ziemlich fies. Da fällt mir doch noch was ein, was ich machen könnte. Und hier in der Altstadt ist der perfekte Platz dafür. Außerdem kann ich so die Zeit bis zehn totschlagen. Ich gehe querfeldein zum Hauptbahnhof. In der Nähe des Parkhauses treiben sich immer ein paar Bordsteinschwalben rum. Ich zähle aber erstmal sein Geld. Hm, fast hundert Euro. Das sollte genügen. Ich habe natürlich keine Ahnung, wie man eine dieser "Damen" anspricht, aber ein interessierter Blick reicht schon. Da kommt eine auf mich zu. "Lust auf n bisschen Spaß?" fragt sie gelangweilt und schiebt ihren Kaugummi in die andere Backe. Au Weia, die spricht ja wirklich wie die im Fernsehen. Na, auch egal. "Wie viel?" frage ich weltmännisch. Die Preisliste lässt mir schon das Blut in die Wangen steigen, und was bitte schön ist halb und halb? "Ich habe spezielle Wünsche", schneide ich ihr das Wort ab. Sie sieht mich schräg von der Seite an "Natursekt is nich", sagt sie knapp. Auch gut. "Hast du ne Kamera?" frage ich.
"Nein, aber ich kann eine besorgen. Kostet dich zwanzig extra." "Pass auf Süße", ich klinge so cool wie Eastwood und Bogart zusammen. "Ich gebe dir sechzig für ein paar nette Fotos und mehr Arbeit hast du nicht." "Achtzig", kontert sie automatisch. Wir einigen uns auf siebzig und sie führt mich in eine Kabine im Sonnenstudio, vor dem wir bis grade noch standen. Ach so geht das? Sie verschwindet, kommt nach fünf Minuten mit einer Sofortbildkamera zurück und wartet auf Anweisungen. "Zieh dich aus", befehle ich und sie schließt die Tür ab und zieht sich die wenigen Klamotten aus. Als wir beide nackt sind machen wir ein paar schöne Fotos. Sie von mir - ihm - nackt, ich von ihr nackt, dann halte ich die Kamera mit ausgestrecktem Arm vor uns, während sie vor mir - ihm - kniet und auch in anderen Posen. Die Bilder, wo auch die Gesichter gut zu erkennen sind, lege ich schon mal zur Seite. Nach zehn Minuten ziehen wir uns wieder an und ich nehme ungefähr sechs gut gelungene Schnappschüsse an mich und verabschiede mich. Genau gegenüber dem Sonnenstudio ist die Post. Ich kaufe ein paar Umschläge, beschrifte einen, stecke die Fotos hinein und gebe den Umschlag am Schalter ab. Morgen wird Frau Weiß eine hübsche Überraschung erleben. Sie hat sich wirklich keinen guten Mann ausgesucht, vielleicht kann ich ihr behilflich sein, das zu erkennen. In bester Laune verlasse ich die Post und mache mich auf den Weg zurück zum Bahnhof. Noch fast eine ganze Stunde, bis die Geschäfte öffnen. Was kann man in der Zeit noch anfangen?
Ich gehe in den Bahnhof und sehe mich um. Ein McDonalds. Nein, nicht schon wieder. Ein Zeitschriftenladen. Hm, schon besser. Ich betrete ihn und der Besitzer, der mir freundlich zunickt, tut mir fast Leid. Nein, hier irgendetwas anzustellen bringt nicht viel. Hier rennt auch immer viel Polizei rum, fällt mir ein. Ich begnüge mich also damit, einem Geschäftsmann mit einem Playboy in der Hand freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen und laut und fröhlich: "Na, wieder n Tittenmagazin gekauft?" zu rufen. Dann verlasse ich den Laden, in dem mich jetzt alle komisch ansehen und der Geschäftsmann ganz rote Bäckchen bekommen hat. Ich wandere langsam zurück in die Innenstadt und komme am C&A vorbei. Hier durchfährt mich wieder ein Geistesblitz.
Ich sehe auf die Uhr. Noch zu früh. Aber das ist mir egal, denn ich gehe an einem Zeugen Jehovas mit seinen dargebotenen Wachtürmen vorbei. "Na Alter? Ist das UFO noch nicht gekommen? Oder war's schon hier, und die wollten dich hässlichen Vogel nicht mitnehmen?" frage ich also, nehme dem völlig Verdatterten einen Wachturm aus der Hand, reiße eine Seite heraus und schnäuze mir geräuschvoll die Nase. Dann stopfe ich ihm die Bescherung in die Jackentasche und ziehe meiner Wege. Ich beginne, mich richtig gut zu fühlen. Endlich kann ich mal schön daneben benehmen, und niemand weiß, dass ich das bin. Ich hüpfe statt zu gehen und kümmere mich nicht um die irritierten Blicke.
Mitten in der Einkaufsmeile stelle ich mich auf einen Blumenkübel und beginne mit meiner spontanen Rede, zu der mich der Zeuge Jehovas inspiriert hat. "GOTT IST TOT!!" donnere ich also über die Köpfe der Passanten hinweg. Erschreckte Blicke treffen mich, Köpfe fahren zu mir herum. Einige bleiben stehen, aber die meisten gehen schnell weiter, als sie meinen irren Blick sehen. Ich muss mich wohl beeilen. "GOTT IST TOT, UND SATAN LEBT!!" ich erinnere mich, das mal bei Rosemarie`s Baby gelesen zu haben. Lesen war schon immer mein Hobby. "SATAN IST NUN UNSER HERR! GEHT HIN UND SÜNDIGT DENN SATAN LEBT! GEHE HIN SCHWESTER UND RAMMLE DIR DAS HIRN RAUS!! ENTERBT EURE KINDER!! WERFT EURE ALTEN AUF DIE STRASSE!" ich zeige auf eine Frau um die fünfzig, die mich erschreckt anstarrt. "GEHE HIN UND FRESSE DENN SIEHE ICH WILL DIR EINEN FETTEN ARSCH SCHENKEN! MICHAEL JACKSON IST DER ANTICHRIST! OPFERT EURE MEERSCHWEINCHEN!! PAART EUCH IN DEN STRASSEN!! DARTH VADER IST SCHWUL!! SCHÖNEN GUTEN ABEND!" ich steige erschöpft vom Blumenkübel und will mich zum Gehen wenden, da keift mich eine Oma von mindestens sechzig an. "Wie können sie so was sagen!" Sie wedelt mit ihrem Spazierstock drohend in meine Richtung. "Das haben wir gerne", erwidere ich mit erhobener Stimme "aus dem Grab kraxeln und dann anständige Bürger anpöbeln, was?" Ich öffne meine - seine - Jeans, kehre der Alten den Rücken zu, ziehe die Hose runter, bücke mich und wackele mit dem nackten Arsch. Gelächter, empörtes Geschrei, und ich mache die Hose schnell wieder zu und verschwinde. Diesmal gehe ich doch etwas schneller und stoppe erst in der Damentoilette vom C&A, das inzwischen geöffnet ist. Damentoilette? Mir fällt es erst auf, als eine Frau aus einer Kabine kommt und mich angewidert mustert. "Das hier ist die Damentoilette", sagt sie noch und ich nutze die Gelegenheit. Ich öffne wieder die Hose und sage: "dann entgeht dir ja das hier, Baby!" und zeige ihr das einzige, woran ich mich noch nicht gewöhnen konnte und mache mich fix aus dem Staub. Exhibitionismus ist eine Straftat. Also schnell weg. Im Verkaufsraum im Erdgeschoss gehe ich noch hinter die Kasse, schiebe die protestierende Verkäuferin zur Seite und spreche ins Mikro. "Achtung, Achtung. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bitte verlassen sie umgehend das Gebäude. Der Geschäftsführer dieses Hauses wurde soeben als Osama bin Laden identifiziert. Das FBI ist auf dem Weg. Bitte begeben Sie sich zu den Notausgängen und bedenken Sie, dass C&A in wenigen Stunden wieder für Sie geöffnet hat. Heute im Sonderangebot: Damenröcke, geknüpft von zarten Kinderhänden aus Usbekistan. Vielen Dank und auf Nimmerwiedersehen!" Nun wird mir der Boden hier wirklich zu heiß und ich verpiesel mich rasch. Als ich aus dem Laden komme, zeigen mehrere Passanten auf mich, und ich renne die Rolltreppe zur Unterführung herunter. Dort verstecke ich mich in einem Nanu Nana, und als mir nach fünf Minuten noch niemand gefolgt ist, ziehe ich die verräterische rote Jacke aus. Wieder habe ich einen Geistesblitz und nehme die Brieftasche aus der Innentasche, hole den Personalausweis mit einem eindeutig hässlichen Foto heraus und stecke den wieder in die Innentasche. An einem Punkt, wo man mich auf jeden Fall der Polizei melden wird, werde ich die Jacke liegen lassen. Aber natürlich erst zum Schluss, damit mich die Polizei nicht schon vorm Haus erwartet. Ich gehe zur Kasse und bezahle ein Spaßkondom mit Noppen das im Dunkeln leuchtet, und verlange dafür eine von den großen Tüten. Da stecke ich die Jacke rein. Das Kondom tue ich in meine - seine - Jeanstasche. Mal sehen, was für Schweinereien man damit anfangen kann. Dann kaufe ich noch eine Baseballkappe und setze mir die auf den Schädel. Jetzt bin ich schon etwas unsichtbarer, auch wenn mir sehr schnell kalt wird. Aber ich will sowieso nur noch ins Galeria Horten, und dann mache ich mich wohl besser auf den Heimweg.
Zum Glück erkennt mich jetzt keiner mehr, aber ich sehe, dass sich vor dem C&A eine kleine Menschenmenge versammelt hat und weiche der lieber aus. Auf Umwegen erreiche ich das Galeria Horten und stelle mit Erstaunen fest, dass es schon zwanzig nach zwölf ist. Wie schnell doch die Zeit vergeht, wenn man sich gut amüsiert. Ich gehe zur Schmuckabteilung und lasse mir ein paar Uhren zeigen. Natürlich nur die teuren. Inzwischen hat der Kaffee seine Wirkung getan. "Sind die wasserfest?" frage ich die Verkäuferin. "Nein, die hier nicht. Aber ich kann Ihnen welche zeigen, wenn Sie möchten." Ich nicke.
Die Verkäuferin bückt sich. Ich öffne meinen Reißverschluss, nehme meinen - seinen - ziemlich Kleinen heraus (ich hatte immer vermutet, dass da nicht viel ist) und uriniere auf die Uhren. Herrlich befreiend. Ich verteile den Segen auch sehr sorgfältig und durchtränke jede einzelne Uhr, von denen keine unter dreihundert Euro kostet. "Was machen Sie denn da!!!" schreit die Verkäuferin schockiert. "Mann, wenn ich einen Euro für jedes Mal hätte, wo ich das heute schon gehört habe, könnte ich mir glatt eine von den Uhren leisten. Nicht, dass ich eine davon will. Jedenfalls jetzt nicht mehr." Ich ziehe den Reißverschluss wieder hoch und spurte auch aus diesem Geschäft.
Jetzt wird es langsam Zeit für die Heimreise. Ich kaufe wieder brav ein Ticket und setze mich in die Straßenbahn. Nach ein paar Minuten stelle ich mich lieber in den Gang, etwas weiter weg von den Fenstern. Die Polizei ist jetzt auf jeden Fall hinter mir - ihm - her.
An der Endhaltestelle überlege ich, wo ich die Plastiktüte mit der Jacke hinterlegen soll, so dass sie auch gefunden wird. Da fällt mein Blick auf den türkischen Imbiss. Ich reibe mir in Gedanken die Hände und gehe hinein. Das hier wird mein großes Finale.
"Ja bitt `schön" sagt der Inhaber und blickt mich fragend an. "Ich möchte eine Bratwurst, schön braun, mit Mayo." Ich lege meine Plastiktüte auf den Tisch neben mir. Außer mir sind nur noch zwei Männer in blauen Overalls und ein ältere Mann hier. Der ältere steht vor einem Spielautomaten. Alle drehen sich zu mir um und glotzen mich an. So auch der Mann hinterm Tresen. "Bratwurst mit...Mayo?" fragt er dümmlich. "Ja, verdammt, mach hinne!" schnauze ich und setze mich. Er fährt zusammen, blinzelt und legt eine Wurst auf den Grill. Er sieht mich finster an. Ich kümmere mich nicht darum und bereite mich mental auf meinen letzten und peinlichsten Auftritt vor. Aus einem Raum hinter dem Tresen kommt ein weiterer junger Mann und stellt eine Schüssel mit Salat in die Auslage des Tresens. Der andere nickt in meine Richtung und murmelt böse vor sich hin. Er erzählt dem anderen wohl von meinem Kommentar. Gut. Ein paar Minuten später knallt er mir den Teller vor die Nase. Es ist tatsächlich eine Bratwurst mit Mayo. Ich schlucke und warte, bis er wieder hinter dem Tresen verschwunden ist. Alle sehen mich wieder an und warten, dass ich die Bratwurst in die Mayo tunke und esse. Die Aufmerksamkeit ist mir sicher. Ich ziehe das Noppenkondom aus meiner Hosentasche und reiße die Verpackung auf. Jetzt recken alle neugierig die Köpfe. Die Männer im Overall zwinkern, als ich die heiße Bratwurst nehme und das Kondom drüberziehe. Sie erstarren, als ich die überzogene Bratwurst in die Mayo tunke, sie hinlege, wieder die Hose öffne und sie bis auf die Knöchel runterziehe. Ihre Kinnladen klappen nach unten, als ich - nein, er...jetzt ist es wirklich er - sich quer über den Tisch legt, die Bratwurst nimmt und sie langsam einführt. Alle keuchen entsetzt auf, und auch ihm entweicht ein Schmerzenslaut, denn nicht nur ist er eine solche Behandlung nicht gewöhnt, sondern die Bratwurst ist auch immer noch verdammt heiß. Langsam dringt sie weiter in Galaxien vor, die noch nie zuvor eine Bratwurst gesehen hat und er schielt zum Tresen. Der Mann dahinter greift hilfesuchend neben sich, wo sein Handy liegt. Sein Mitarbeiter kommt mit einer weiteren Schüssel in den Verkaufsraum, und er lässt sie fallen. Dann nimmt er sein Handy und beginnt, die Szenerie zu filmen. Sein Chef findet die Sprache wieder. "Ey, der steckt sich die Wurst innen Arsch! Hast du das gesehen?" "Eure Würste sind ja auch fürn Arsch", ächze ich - nein, er...eindeutig er. Ich würde nie auf eine solche Idee kommen. Auch wenn er nun wirklich bis ins Jahr dreitausend blamiert ist.
Der Preis ist jedenfalls hoch. Mann tut das weh. Als ich mir sicher bin, dass jeder hier und von den vorbeigehenden Passanten genug gesehen hat - vor dem Schaufenster hat sich schnell eine Traube von Menschen gebildet, denn nebenan ist eine Bankfiliale - ziehe ich das Ding erleichtert raus und ziehe die Hose wieder hoch. Ich lege die Bratwurst säuberlich samt dem Kondom zurück auf den Teller und bedaure, dass ich nie erfahren werde, ob das Teil wirklich im Dunkeln geleuchtet hat. Ich wanke zum Tresen. "Was macht das?" frage ich und stopfe das Hemd wieder in die Hose. Die bleibt jetzt oben. Ich hab die Nase voll. "Hä?" stößt der gute Mann hinterm Tresen hervor, während der andere immer noch filmt, und zwar diesmal mein - sein - Gesicht. Sehr gut. "Was das machen? Du versteh? Wolle zahle!" sage ich rüde und füge so dem Strafregister auch noch Rassismus hinzu. Wunderbar. Er blinzelt. Der andere, der sich tapferer hält, sagt "zwei fünfzig", und ich werfe einen Euro auf den Tresen und verlasse den Imbiss. So schnell mich seine Füsse tragen laufe ich jetzt nach Hause, denn die Plastiktüte wird wohl bald ihr Geheimnis preisgeben. Das Laufen fällt mir aber nicht leicht. Der Po wird ihm wohl noch einige Tage wehtun. Na dann hat er wenigstens schon einen Vorgeschmack auf das Gefängnisleben. Hähä.
Beim Laufen denke ich aber auch besorgt darüber nach, wie der Rücktausch wohl vonstatten gehen wird. Ich hoffe das klappt. Sonst habe ich ein Riesenproblem. Keuchend ziehe ich meinen Schlüssel aus der Hosentasche, zum Glück habe ich meinen eingesteckt als ich heute Morgen ging, und muss meine Umsicht bewundern. Auch meinen Einfallsreichtum bewundere ich grenzenlos, wenn mir auch die letzte Episode etwas Sorgen bereitet. Das ist ja krank. Ich möchte nicht wissen, was Doktor Freud zu so was zu sagen hätte. Ich biege um die Ecke und bleibe wie angewurzelt stehen. Zwei Polizeiautos warten auf dem Besucherparkplatz. So schnell? Da fällt mir das Auto ein, das ich auf der Kreuzung habe stehen lassen. Mist, das hatte ich ganz vergessen. Ein Blick aufs Nummernschild, und ich war enttarnt. Die warteten bestimmt schon lange hier. Blitzschnell springe ich hinter die Hecke und zermartere mir das Hirn, was jetzt wohl zu tun ist. Die Autos sind leer. Sie werden entweder vor oder im Haus auf mich - ihn - warten. Ich komme langsam aus der Hecke und nähere mich dem Haus auf der anderen Seite. Zum Glück ist dort der Kellereingang. ich haste die Treppe hinunter, schließe auf, und rase den Gang entlang. Frau Buchmann steht im Trockenkeller. Sie sieht mich, reißt die Augen weit auf und ruft irgendetwas. Aber ich bin schon aus dem Keller raus, stürze die Treppen hoch und schaffe es erst beim dritten Versuch, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, so sehr zittern meine Hände. Als ich endlich die Wohnungstür aufstoße, höre ich Frau Buchmann die Haustür unten öffnen und nach der Polizei rufen. Ich renne mit klopfendem Herzen zum Schlafzimmer und stoße mir den Kopf. Ach ja, ich hatte ja abgeschlossen. Ich drehe den Schlüssel, bücke mich, nehme die Schere und das Messer an mich und betrete das Schlafzimmer. Da liegt er immer noch, oder eher ich, oder wir beide. Jetzt muss es schnell gehen, aber was zur Hölle muss ich tun? Ich springe auf das Bett und starre konzentriert auf meinen eigenen Hinterkopf, so wie heute Morgen. Er hat ordentlich geschwitzt, das Haar ist strähnig und feucht. Ich starre und verenge die Augen. Nichts passiert. Ich gehe näher ran. Der Körper unter mir, mein Körper windet sich, dumpfe Protestgeräusche dringen aus dem Mund. Aber nichts weiter passiert. Verdammt. Ich höre Geräusche vor der Wohnungstür, es wird geklingelt. "Aufmachen, Polizei!" erklingt eine autoritäre Stimme. Ich bin ratlos. Ich lege mich auf meinen Körper, sehe weiter auf den Hinterkopf. Nichts. Dumpfe, dröhnende Laute. Die Tür wird aufgebrochen. Uniformierte Beamte stürmen in mein Schlafzimmer. Und ich habe die Handtücher noch nicht weggeräumt. Hände zerren mich von meinem Körper. Ein anderer Beamter kümmert sich um das, was da auf dem Bett liegt. Mein Körper wird umgedreht. Ein hasserfüllter Blick aus meinen eigenen Augen bohrt sich in meine - seine - Augen. Etwas in mir löst sich. Die Augen werden größer...kommen näher...es wird wieder schwarz, der Ruck, und ich fühle, wie ich mich in meinem viel breiteren Körper ausdehne. Als ob man in ein bequemes T-Shirt schlüpft. Zutiefst erleichtert sehe ich die Beamten meinen Nachbarn zu Boden werfen und mit Handschellen fesseln. Der andere Beamte zieht mir so behutsam wie möglich den Klebestreifen vom Mund. Auch alle anderen Fesseln werden gelöst. Mein Nachbar wird abgeführt.
Meine Aussage und die von Frau Buchmann werden ihn wohl ziemlich lange in den Knast bringen. Frau Buchmann sagt aus, dass er heute Morgen bei ihr geklingelt und sich so Zutritt zum Gebäude verschafft hat. Ich sage aus, dass er danach hier bei mir geklopft, mich überwältigt, gefesselt und dann mit der Drohung verlassen habe, er käme bald wieder, und dann würde ich ihn kennen lernen. Freiheitsberaubung, Körperverletzung, plus dem, was er in der Stadt angestellt hat. Ich kann mir nicht denken, dass ich ihn so bald wieder sehe.
Als ich wieder zu Hause bin, wartet Christian auf mich. Ich ziehe eine Oscarreife Show ab, werfe mich an seine Brust uns schluchze. Aber so sehr schauspielern muss ich nun auch wieder nicht. Jetzt, wo alles vorbei ist, bin ich ein nervliches Wrack. Ich nehme eine lange, heiße Dusche und lasse mir dann ein paar Beruhigungsmittel verabreichen. Heute werde ich sonst bestimmt nicht schlafen. Ich fühle mich auf einmal irgendwie schuldig und schäme mich. Und andererseits auch nicht. So gemein, fies und hinterhältig kann doch kein Mensch sein. Ich versuche mir einzureden, dass zumindest ein Teil von dem, was ich gemacht habe, aus seinem Hirn gekommen ist. Vor allem der letzte Teil. Ich bin doch gar nicht so. Oder doch?
Am nächsten Tag bietet Christian an, zu Hause zu bleiben. Ich sage ihm, er solle ruhig arbeiten gehen. Später, beim Abwasch sehe ich Frau Weiß an meinem Fenster vorbeigehen. Sie hat einen Briefumschlag in ihrer Hand und sieht mit Rotgeweinten Augen zu mir hoch, als habe sie meinen Blick gespürt.
Ach ja, der Brief. Ich erröte und trete einen Schritt zurück. Als sie weitergegangen ist, grinse ich.
Ich bin wohl doch so.
 
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Kommentare  

Komische Geschichte.....aber auch ganz lustig!
Wie kommt man denn auf sowas????


Marion (19.12.2006)

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