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R.M.S. TITANIC Die Erinnerung an eine legendäre Jungfernfahrt. (7)

Romane/Serien · Erinnerungen · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Tim Wecnk
Neunter Tag, 18. April 1912


Die nächsten drei Tage auf der Carpathia vergingen zwar recht schnell, aber dafür sehr trübselig. Der Schock, die Ängste und die Trauer um all diejenigen, die verstorben waren, ließen es uns schwer fallen, darüber zu schweigen oder die Sache mal für einen Moment lang zu vergessen. In diesen Tagen waren wir aber auch voll des Lobes über die grenzenlose Hilfsbereitschaft der Passagiere und Besatzungsmitglieder der Carpathia. Sie gaben uns Klamotten, Essen und Trinken, Trost und jede Menge seelischen Beistand. Eine Menschlichkeit wie diese hatte man wirklich schon lange nicht mehr erlebt gehabt. Dennoch gab es unter den Überlebenden viele, bei denen man noch viel mehr als das benötigte und das stellte ich fest, als ich mich Nachmittags alleine auf dem achter Oberdeck der Carpathia aufhielt und eine Weile auf das Achterdeck schaute, auf dem sich einige Passagiere der dritten Klasse ein wenig die Füße vertraten. Kurz darauf hörte ich eine Stimme neben mir meinen Namen rufen und als ich mich umdrehte, sah ich in das Gesicht einer Person, von der ich beinahe schon ausgegangen war, er wäre verschollen. ,,Jack?“, fragte ich total verwundert und gleichzeitig erfreut. Es war wirklich Jack Thayer, mit dem ich einst Squash auf der Titanic gespielt hatte, und ich schüttelte ihm zu Begrüßung und voller Erleichterung kräftig die Hand. Die Freude seinerseits zeigte er allerdings eher mit einem matten Lächeln und ich erkannte, wie bleich er im Gesicht und wie kalt überhaupt seine Hand war. ,,Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte ich und er sagte in einem wenig überzeugendem Ton: ,,Mir...mir geht es gut.“ ,,Du wirkst so angeschlagen. Hast du.... .“ Und dann schossen mir die Gedanken durch den Kopf, dass Jack wohlmöglich Familienmitglieder verlor, worauf Jack gleich sagte: ,,Ich habe meinen Vater hier an Bord nicht finden können.“ Aus seinem Mund klang es, als wusste er schon, dass sein Vater mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Katastrophe ums Leben kam, doch er lies es sich nicht anmerken und sagte verkrampft: ,,Er ist sicher auf einem anderem Schiff, er kommt nach.“ Er lies sich einen Moment, bis er dann ergänzte: ,,Aber ich...ich.“ Es fiel ihm schwer, weiter zu reden, und ich fragte ihn: ,,Was ist passiert?“ Er atmete tief ein und sagte zitternd: ,,Ich...ich wäre fast gestorben.“ Ich sah ihn entsetzt an und fragte: ,,Wieso? Warum?“ und er antwortete: ,,Als die Menschen in Panik gerieten, verlor ich meine Eltern. Ich versuchte in den restlichen Booten noch ein Platz zu finden, doch man gewährte mir keinen Einlass. Als schließlich kein Boot mehr da war, bin ich, wie einige andere auch von Bord gesprungen.“ Dann schwieg er einen weiteren Moment lang mit geschlossenen Augen, weil er wohl gerade an diesen stechenden Schmerz des eiskalten Wassers denken musste, bis er fort fuhr: ,,Dann fiel dieser verdammte Schornstein um und.....er hat mich nur knapp verfehlt.“ Seine Hände zitterten und er bemühte sich sehr, sie ruhig an der Reling fest zu halten. Ich wollte ihm das zuerst gar nicht glauben, was er mir da erzählte, doch er sprach die Wahrheit und ich fragte ihn: ,,Hast du es geschafft, zu einen der Boote zu schwimmen?“ Jack antwortete: ,,Ich wurde auf eines rauf gezogen, was gekentert war.“ Mir fehlten die Worte. Jack war tatsächlich einer von denen, die sich auf dem kielgekenterten Notboot gerettet haben und während ich mir das langsam durch den Kopf gehen lies, schloss Jack wieder die Augen und sagte zittrig: ,,Überall schwammen Leichen. Blutige, verstümmelte, bleiche, vom Schornstein erschlagende Leichen. Es....es war grauenvoll.“ Der Schock saß tief in ihm und das einzige, was ich ihm noch trostvoll sagen konnte, war: ,,Beruhige dich, Jack. Es ist vorbei.“ Er schaute hinauf in den bewölkten Himmel, was später noch auf Regen deuten ließ, und sagte: ,,Ja....ja, du hast Recht.“ Ich sah ihn einen Moment lang mitleidig an, bis er mich dann zum ersten Mal wieder anlächelte und fragte: ,,Und wie geht es dem Mädchen? Ich meine das, mit den dunkelblonden Haaren?“, worauf ich erleichtert über sein lächelndes Gesicht antwortete: ,,Ihr geht es ganz gut. Sie ist wohlauf.“ Er nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis und fragte anschließend: ,,Seid ihr euch beide etwas näher gekommen?“ Ich schaute schmunzelnd nach unten und meinte: ,,Das waren wir schon vor unserem ,,Turnier“, Jack.“ Er schaute darauf runter auf das Achterdeck und schwieg eine Weile, bis er sagte: ,,Echt schade.“, worauf ich fragte: ,,Was ist schade?“ und Jack antwortete: ,,Na ja, es ist schade, dass es hier kein Squashraum gibt, dann könnten wir beide wieder spielen.“ Dann fing er an zu lachen, jedoch war sein Gelächter eher trübselig und freudlos und ich sah ihn vollkommen unmissverständlich an, bis er sagte: ,,Entschuldige bitte, Tim. Du hältst mich sicher für total bescheuert.“ Ich entgegnete: ,,Nein, Jack, das tue ich keineswegs.“ Er begann, mit dem Kopf zu schütteln und sagte: ,,All diese Menschen....einfach so auf einen Schlag tot. Batsch.“ Mit einem auffällig lautem Klatsch schlug er sich die Hände zusammen und ergänzte: ,,Wie kleine Ameisen auf einem sinkendem Baumstamm.“ Nun begriff ich absolut nicht, was mit Jack auf einmal wieder los wahr. Er schien völlig durcheinander zu sein und gleichzeitig beinahe den Verstand zu verlieren. Schließlich meinte er dann zu mir: ,,Ich...ich glaube, ich gehe mal lieber wieder zu meiner Mutter, Tim. Machs gut.“ Er klopfte mir auf die Schulter und machte sich auf dem Weg zum Treppeneingang, worauf ich ihm noch einen Moment lang stutzig hinterher schaute und anschließend ebenfalls leicht verwirrt sagte: ,,Machs gut.“ Das, was ihm widerfahren war, hatte ihn vollkommen verändert. Er war nicht mehr der Jack, der sich gerne kindisch daneben benahm, rumhampelte, Scherze trieb und viel lachte. Nein, er war nun vollkommen anders und ich habe ihn von diesem Moment an nie wieder gesehen. Später in Haderford studierte Jack, wie einst sein Vater auch, an der Universität in Pennsylvania und stieg anschließend in das Bankenunternehmen ein, da das Pennsylvania Railroad Unternehmen seines nun verstorbenen Vaters nicht mehr existierte. Er heiratete und bekam zwei Söhne, die tragischerweise als Soldaten im Zweiten Weltkrieg gefallen waren und Jack sich deshalb im Jahre 1945 das Leben nahm.
Ein mir anderes bekanntes Gesicht sah ich, als ich auf dem Achterdeck einen Jungen erblickte, der auf einem Poller saß und mehrere Male einen Squashball auf den Boden warf und wieder auffing. Es war Frank Goldsmith, den ich zusammen mit anderen Kindern auf dem Achterdeck der Titanic beim Fußballspielen zugesehen und ihm dabei mal den Squashball geschenkt hatte. Anscheinend wartete er gerade auf seine Freunde, um ein weiteres Spiel durchzuführen und als er gerade dabei war, ein paar Kickübungen zu machen, kamen zwei weitere Kinder gleichen Alters aufs Achterdeck und fingen prompt an, mit Frank vergnügt mit dem Squashball Fußball zu spielen. Während ich ihnen dabei zusah, schloss ich zu meinem Bedenken die Tatsache nicht aus, dass all die anderen Kinder, mit denen Frank auch immer gespielt hatte, mit der Titanic untergegangen waren. Insgesamt waren an Bord 109 Kinder gewesen, von denen 52 die Katastrophe nicht überlebt hatten. Sie waren allesamt aus der dritten Klasse, und weil die Passagiere der ersten und zweiten Klasse zuerst in die Rettungsboote gelassen wurden, kamen bei dem Untergang schließlich mehr Kinder aus der dritten Klasse um, als Männer aus der ersten Klasse. Der Gedanke daran beunruhigte mich sehr, da ich ja auch zu den erste Klasse Passagieren gehörte und all diese unschuldigen Kinder, die noch ihr ganzen Leben vor sich hatten, mit Träumen und Hoffnungen gesegnet waren, und in dieser Nacht wahrscheinlich noch gar nicht mal wussten, was geschehen würde, mussten nun wegen eines großen menschlichen Versagens und grundloser Verachtung von den ,,Wohlhabenden“ in den eisigen Fluten des Atlantiks sterben. Diese grausame und recht traurige Wahrheit von Respektlosigkeit erweckten in mir tiefe Betrübnis. Ich ertrug dies nicht länger und ließ Frank mit seinen beiden Freunde beim Fußballspiel auf dem Achterdeck zurück und von diesem Moment an, habe ich auch Frank dann nie wieder gesehen. Er zog wenige Tage später mit seiner nun verwitweten Mutter nach Detroit zu seiner Tante, wo er aufwuchs und Jahrzehnte später als Fotograph für die U.S. Air Force arbeitete. Er heiratete, bekam drei Söhne und schrieb in seinen späteren Jahren noch ein Buch über sein Erlebnis auf der Titanic, bis er im Februar 1982 an einem Herzinfarkt starb.
Als ich die Treppe runter in die Etage zum Speisesaal lief, sah ich Jeanette überraschenderweise neben einem Mädchen im gleichen Alter auf der Stufe sitzen. Zuerst wollte ich zu ihnen runter gehen, doch als ich sah, dass dieses Mädchen weinend die Hände vors Gesicht hielt und Jeanette vergeblich versuchte, sie zu trösten, hielt ich mich vorerst lieber zurück. ,,Ich bin schuld.... ich bin schuld.“, sagte dieses Mädchen verbittert, worauf Jeanette ihr die
Schulter strich und meinte: ,,Sag doch so was nicht. Es ist nicht deine Schuld.“ ,,Doch, es ist meine Schuld.“ Im selben Moment kam eine Passagierin der Carpathia an der Treppe vorbei gelaufen und bemerkte dabei das weinende Mädchen, worauf sie sagte: ,,Um Gottes Willen, Kind, was ist denn?“ Das Mädchen antwortete schniefend: ,,Meine Eltern... .“ worauf die Dame zu Jeanette rüberblickte und sie ihr sagte: ,,Sie ist vollkommen verstört. Sie sagt, sie sei schuld für....“ Die Dame verstand sofort, was Sache war und wandte sich darauf wieder an das Mädchen: ,,Na komm, Kleines. Du brauchst ein wenig Ruhe. Kennst du hier jemanden an Bord, zu dem du engen Kontakt hast?“ Das Mädchen antwortete: ,,Meine Schwester.“ ,,Na komm, dann gehen wir jetzt gleich zu ihr.“ Die Dame half dem Mädchen auf, worauf sie sich an Jeanette wandte und fragte: ,,Dir geht’s gut, Engelchen?“ Jeanette antwortete: ,,Ja, mir fehlt nichts.“ Die Dame nahm es beruhigt zur Kenntnis und strich Jeanette noch mal kurz über die Wange, worauf sie dann mit dem Mädchen gemeinsam das Treppenhaus verließ und Jeanette dem Mädchen noch eine ganze Weile mitleidig hinterher sah. Ich setzte mich, mein Arm um ihre Schulter gelegt, danach neben sie, worauf Jeanette ihren Kopf an meine Schulter lehnte und bedrückt sagte: ,,Oh Tim, es ist alles so furchtbar.“ Ich hielt sie dicht an mich und fragte sie: ,,Wer war denn das? Was war mit ihr los?“ Jeanette antwortete: ,,Sie heißt Edith Brown. Sie fühlt sich schuldig für den Tod ihrer Eltern.“ Erschreckt sah ich Jeanette an und fragte: ,,Sie hat beide Eltern verloren?“ und sie antwortete nickend: ,,Sie und ihre Schwester haben als einzige überlebt.“ Ich brauchte eine Moment, um den kurzweiligen Schock zu überwinden, bis ich dann fragte: ,,Und weswegen fühlt sie sich schuldig?“ und Jeanette antwortete: ,,Als ihr Vater die Reise buchte, hatten sie die Wahl auf irgendeinem anderen Dampfer oder auf der Titanic zu fahren. Edith bestand voller Stolz darauf, auf der Titanic zu reisen und jetzt macht sie sich für den Tot ihrer Eltern verantwortlich.“ Ich sah die Stufen nach, die Edith mit der Dame vorhin gegangen war, und sagte anschließend: ,,Sie kann doch nichts dafür, sie konnte das doch nicht wissen.“ Darauf Jeanette: ,,Das habe ich ihr auch gesagt, aber...“ Sie brachte den Satz nicht fertig und hielt sich die Hände vors Gesicht, worauf ich ihr ein wenig die Schulter strich und meinte: ,,Du hast dein Möglichstes getan, ihr beizustehen. Es ist zwar schlimm für sie, aber sie wird deine Worte sicher bald zu schätzen wissen.“ Jeanette lies es sich einen Moment lang durch den Kopf gehen, bis sie mich dann wieder zart lächelnd ansah und ich darauf zu ihr sagte: ,,Na komm, gehen wir wieder zu deinen Eltern.“
Im Speisesaal unterhielten sich Jeanettes Eltern gerade mit den Gordons und als Mrs. Franklin uns erblickte, sagte sie: ,,Gut, dass ihr da seid.“, worauf Jeanette fragte: ,,Wieso?“ Mrs. Franklin richtete ein paar Strähnen von Jeanettes Haaren und sagte: ,,Es findet gleich eine Gedenkpredigt statt und ich möchte, dass wir alle dabei sind, okay?“ Wir stimmten ihr zu und kurze Zeit später stellten sich die Passagiere auf einmal in mehreren Reihen nebeneinander auf, worauf sich weiter vorne ein Pastor mit einer Bibel in der Hand auf eine Erhöhung stellte und mit seiner Predigt anfing. Stillschweigend den Kopf nach unten geneigt und die Hände übereinander liegend, gedachten wir nun an all die Opfer, die bei dem Untergang der Titanic ums Leben kamen, wobei Jeanette plötzlich unauffällig meine Hand nahm und ich noch hören konnte, wie sie leise anfing, zu schluchzen. Ich hielt sie darauf etwas näher an mich und erblickte eine Reihe weiter vorne Molly Brown zu mir rüberschauend, die mich zart anlächelte und mir anschließend mit dem Auge zuzwinkerte, worauf sie ihr Gesicht dann wieder nach vorne richtete und sich wieder der Predigt des Pastors wandte. ,,Allmächtiger Gott. Schöpfer des Himmels und der Erde, wir, Deine unwürdigen Knechte, nahen uns Dir in tiefer Demut und danken Dir für all die Gnade und Barmherzigkeit, die Du uns hast zum Teil werden lassen. Unsere Herzen sind Dir zugewendet, oh Herr, der Du gnädig Deine Hand über uns gehalten und uns errettet hast aus großer Not und Gefahr. Wir preisen Dich, oh Vater im Himmel, der du uns erschaffen hast und uns erhältst in Deiner großen Güte. Der Du uns Deinen Sohn gesandt hast, unseren Herrn Jesus Christus, auf dass er auf sich nehme die Missetaten dieser Welt und uns armen Sündern das Tor öffne zum Ewigen Leben. Wir bitten Dich, allmächtiger Gott, erleuchte und erfülle uns mit Deinem Geist, auf dass wir unsere Schuldigkeit gegen Dich erinnert werden, dass nicht nur unsere Lippen, sondern auch unsere Herzen Dich preisen und Dir Lob singen, für all Deine Liebe und Barmherzigkeit. Du hast uns Inne werden lassen unserer großen Ohnmacht und Hilflosigkeit. So gib uns denn Herr die Kraft, den Weg zu finden zu Jesus Christus. Auf dass wir dereinst auf die Stufen Deines Thrones gelangen und Dich sehen mögen in all Deiner Herrlichkeit. Amen.“

Nachdem Abendessen machten Jeanette und ich, trotz leichten Regenschauers, unter einem aufgespannten Regenschirm einen kleinen Spaziergang auf dem Deck und als Jeanette dabei einen Moment lang auf dem Meer ein entgegenkommendes Schiff beobachtete, fragte sie: ,,Glaubst du, dass einige der Vermissten vielleicht doch auf anderen Schiffen sind?“ Bedenklich schaute ich dem Schiff mit seiner recht schwachen Beleuchtung an dem allmählich nächtlichem Horizont nach und meinte dann: ,,Wenn es so wäre, dann hätten es diese Schiffe uns per Funk schon längst mitgeteilt.“ Jeanette sah bedrückt auf den Boden, bis sie dann wieder aufblickte und fragte: ,,Was denkst du, wie viele Menschen gestorben sind?“ Ich dachte einen Moment lang nach und antwortete schließlich: ,,Bei so einem großen Schiff...... wohlmöglich über 1000.“ Jeanette hielt sich die Hand vorm Mund und sagte: ,,Großer Gott.“
Als wir gerade an der vorderen Promenade des Decks ankamen und dabei eine Sicht über das Vorderdeck nach vorne hatten, wollte Jeanette gerade eine weitere Frage stellen, wovon ich sie aber abhielt, da ich einen Stockwerk über uns auf der Brücke gerade zwei Stimmen hörte, die sich ebenfalls über dasselbe Thema unterhielten: ,,Sie dürfen sich nichts vormachen, Mr. Lightoller. Sie haben getan, was Sie tun mussten, obwohl Sie, wie jeder andere auch in dieser Situation, Angst hatten.“ Darauf Lightoller: ,,Ich habe schon mehrere Schiffbrüche erlebt, Kapitän Rostron, aber das hier war etwas vollkommen anderes.“ ,,Das glaube ich Ihnen, Sir.“ ,,Wir waren uns alle so sicher über unser Schiff gewesen. Waren stolz, auf ihm dienen zu dürfen, und dann dieses verheerende Ende. Ich kann es immer noch nicht fassen.“ ,,Das wird wohl niemand so wirklich fassen können. Aber wichtig ist, dass Sie und die überlebenden Passagiere sich nichts vorwerfen.“ Es wurde einen Moment lang still, bis Kapitän Rostron dann fort fuhr: ,,Mich würde wirklich mal interessieren, was sich in der Nacht der Kollision auf der Brücke abgespielt hat.“ Lightoller antwortete: ,,Gegen 21uhr habe ich mich mit Kapitän Smith kurz über das klare Wetter unterhalten und er war der Meinung, es wäre vollkommen ungefährlich, das Schiff mit 22kn durch die Nacht zu jagen.“ Darauf Rostron entrüstet: ,,Sie sind in dieser Nacht mit 22kn durchs Meer gerauscht trotz der vielen Eiswarnungen?“ Lightoller entgegnete: ,,Na ja, wissen Sie Sir, gegen früh am Abend hatten wir in einen der Kohlenbunker einen Brand gehabt.“ Darauf Rostron nach kurzem Überlegen: ,,Ah, ich verstehe.“ Kohlenbrände waren auf damaligen Dampfschiffen zwar nichts Ungewöhnliches, aber wenn in den Bunkern ein Feuer ausbrach, musste die dort gelagerte Kohle schleunigst verschaufelt werden, wodurch die Kessel hohen Dampfdruck erzeugten und das Schiff beinahe mit Höchstgeschwindigkeit durchs Meer jagten. So fuhr auch die Titanic in dieser Nacht wegen eines Kohlenbunkerbrandes mit unvermeidlich hoher Geschwindigkeit durchs Meer und Ismay lies es für die Passagiere wie ein Wettkampf der Atlantiküberquerung gegen ihr Schwesterschiff Olympic aussehen, um seine Gäste wegen dieses ,,lächerlichen“ Brandes auf seinem Schiff nicht zu beunruhigen.
,,Dieses Schiff und sein Schicksal werden wohl einen ewigen Platz in der Geschichte der größten Schiffsunglücke haben und Sie werden als der Offizier bekannt sein, der bis zur letzten Sekunde seine Pflicht getan hat, um Menschenleben zu retten.“, sagte Rostron, worauf Lightoller entgegnete: ,,Das mag sein, Kapitän, aber froh werde ich darüber ganz gewiss nicht sein. Ich weiß nur, dass ich meinem ganzen Lebens nie wieder richtig sicher sein werde, was ich glauben soll, oder nicht.“ Charles Herbert Lightoller gehörte ebenfalls zu denjenigen, die sich auf dem kielgekenterten Notboote gerettet hatten, und überlebte neben den Offizieren Pitman, Boxhall und Lowe, als ranghöchstes der 139 überlebten Besatzungsmitgliedern der Titanic das Unglück. Er war auch der Offizier, der mir den Einstig ins Rettungsboot verweigerte, bis Molly Brown ihn aber umstimmen konnte. Nach dem Ersten Weltkrieg blieb Lightoller noch einige Zeit bei der White Star Line, bis er sich in seinen späteren Jahren noch einen Traum erfüllte und seine eigene Werft gründete, die ,,Richmond Slipways“. Dort lies er sich sogar noch ein eigenes Boot anfertigen und bescherte sich damit bis zu seinem Tod im Jahre 1952 die letzten Freuden eines Seemannes.
Im selben Moment war plötzlich der Pfiff eines Sprachrohrs zu hören, worauf der Kapitän der Carpathia, Arthur Rostron, den Hörer abnahm und der Auskuck ihm etwas mitteilte. ,,Ah ja, ich sehe es. Vielen Dank.“, sagte Rostron, worauf er den Hörer wieder auflegte und zu Lightoller sagte: ,,Wir erreichen die amerikanische Küste.“

Drei Stunden später passierte die Carpathia unter regnerischem Nachthimmel den Narrowskanal zwischen Brooklyn und Staten Island, worauf sich direkt vor uns die Lichter der zahlreichen Hochhäuser von New York in einem hocheindrucksvollen Schein erstreckten. In der großen Bucht vor Manhattan durchkreuzten viele kleine Boote die See, um die Carpathia bei ihrer Ankunft in New York zu begleiten. In diesem Gewirr der vielen umher fahrenden Boote ragte beim näherem Heranfahren in den Hafen schließlich die berühmte Freiheitsstauer auf ihrem Sockel von Liberty Island empor und bei ihrem gewaltigen Anblick weiteten sich bei Jeanette und mir die Augen, wobei Jeanette ihrer Begeisterung zusätzlich noch betonte: ,,Fantastisch.“, und ich darauf meinte: ,,Allerdings. Willkommen in der Neuen Welt.“
An der Freiheitsstatur vorbeigekommen, fuhr die Carpathia nun in Begleitung der vielen Boote, auf denen sich Reporter versammelt hatten und ihre Fragen zum Titanicunglück über Megaphone an die Überlebenden zu stellen versuchten, sie aber niemand vom Deck der Carpathia aus beantwortete, den Hudson River flussaufwärts die Westküste von Manhattan entlang, bis sie an den Piers der White Star Line ankam und dort vorerst die Rettungsboote der Titanic absetzte. An diesem Pier, wo die Titanic gestern hätte anlegen müssen, war ein großes Schild aufgestellt, welches mit bunten Blumen geschmückt und von Scheinwerfern angeleuchtet wurde, so dass die Worte: ,,WELCOME TO NEW YORK RMS TITANIC“ zu lesen waren. Doch diesen freundlichen Willkommensgruß der New Yorker hatten die Titanic und ihre Opfer nie zu sehen bekommen.
Nachdem die Carpathia die Boote schließlich alle abgesetzt hatte, halfen ihr die Schlepper, die sie bei der Flussauffahrt neben den Booten mit begleitet hatten, wieder flussabwärts zurück zu ihrer Anlegstelle am Cunard Line Pier, wobei die Reporter in ihren Booten nun sogar versuchten, an die Carpathia anzudocken und an den Gangwaypfoten nach ,,höflichem Anklopfen“ hofften, ins Schiff eintreten zu können. Der ganze Hafen von New York war übersät mit Menschen, die auf das Überleben ihrer Familienmitglieder oder Freunden hofften und ungeduldig im strömenden Regen an den Piers warteten. Das Unglück schien sich hier offensichtlich schon weit rum gesprochen zu haben und morgen wird es die ganze Welt sein.
Jeanette und ich gingen wieder runter zu ihren Eltern in den Speisesaal, wo sie ein letztes mal im Gespräch mit Molly Brown waren und wir darin noch mal die Gelegenheit hatten, uns von ihr zu verabschieden. Für uns nahm sie sich dafür extra einen Moment alleine und sagte: ,,Tja, ihr Lieben. Nun ist es soweit, jetzt beginnt für euch der Ernst des Lebens.“ Sie strich darauf Jeanettes Wange und sagte: ,,Ich hoffe, dass ich eines Tages ein paar schöne, von dir entworfene Kleider tragen werde, Jeanette.“ Jeanette lächelte geschmeichelt auf, worauf sich Molly dann an mich wandte und etwas spaßbetont sagte: ,,Und was deine Flugzeuge angeht, Tim, lässt du mich mal mit ihnen mitfliegen, ja, denn für so was bin ich ganz gewiss noch nicht zu alt.“ Das war für uns ein kleiner Anlass zum Lachen, bis es wieder einen Moment lang still wurde und Jeanette darauf fragte: ,,Werden wir Sie wieder sehen, Mrs. Brown?“ Molly antwortete: ,,Ganz bestimmt, Schätzchen. Ich würde euch wahnsinnig gern wieder sehen, wenn ihr zwei......na ja.“ Sie wurde leicht rot an den Wangen, weil so nun an etwas dachte, wovor sie sich ein wenig genierte und schließlich sagte: ,,Also, ihr beiden. Passt gut auf euch auf und haltet immer zusammen, egal was kommt.“ Wir stimmten ihr zu und schüttelten uns die Hände, worauf wir uns schließlich von Molly verabschiedeten und sie sich darauf zu den Kabinen der ersten Klasse begab, um wohlmöglich Mrs. Astor beim Verlassen des Schiffes beizustehen und zu begleiten. Von diesem Moment an habe ich dann auch Molly Brown nie wieder gesehen. Sie lies in den Tagen nach der Ankunft für alle Besatzungsmitglieder der Carpathia eine Medaille und speziell für Kapitän Rostron eine Trophäe für die heldenvolle Rettung der Überlebenden des Titanicunglückes anfertigen und zog sich darauf zu ihrer Familie nach Denver in Colorado zurück. Im Jahre 1932 starb Molly Brown bei einem Aufenthalt in New York an einem Schlaganfall, worauf man ihr ein Broadway-Musical bzw. Film widmete mit dem Titel: ,,Die ,,unsinkbare“ Molly Brown.“

Kaum als die Gangways ausgefahren und die Pforten geöffnet wurden, stürmten sofort die Reporter in das Schiff und bombardierten in der Nähe stehende Passagiere mit tausenden von Fragen über das verheerende Unglück, die keiner wirklich wagte, konkret oder gar überhaupt zu beantworten. Matrosen bemühten sich, die Reporter zurückzuhalten, während die Passagiere zu den erhöhten Gangways in den strömenden Regen nach draußen aufs Deck gingen und dort versuchten, eventuell von Bord zu kommen. Aber auch hier waren die Reporter schnell wieder an ihrem Werk und standen mit Notizblock und Stift an jedem Gangwayausgang bereit. Die meisten Passagiere weigerten sich deshalb, das Schiff zu verlassen und verbrachten diese Nacht noch an Bord in der Hoffnung, die Reporter und die riesige Menschenmasse im Hafen würden bis zum nächsten Tag verschwunden sein. Jeanette, ihre Eltern und ich blieben standhaft. Wir wollten runter vom Schiff und das möglichst schnell, doch das war leichter gesagt, als getan, denn die Menschenschlangen gingen nur sehr langsam voran, weil jedem einzelnen Passagier es schwer fiel, amerikanischen Boden zu betreten, ohne ein Opfer der neugierigen Reportern zu werden. Während wir von Minute zu Minute der Schlange auf dem Deck bei plätscherndem Regen folgten, erblickte ich eine Etage höher eine Person an der Reling allein stehend auf uns alle runterschauen. Es war J. Bruce Ismay, der Reeder der Titanic. Er schien schon eine ganze Weile dort zu stehen, denn er war durch den Regen von Kopf bis Fuß total durchnässt gewesen. Er wischte sich nicht mal über das Gesicht und nach seinen Augen zu urteilen, mit denen er auf die Menschen schaute, die auf seinem Schiff fuhren und viele von ihnen nach dem Untergang welche verloren hatten, ließen deutlich darauf schließen, dass Ismay vollkommen verstört und deprimiert war. Sein Stolz für die Titanic hatte ihn nun ans Ende seiner Karriere gebracht und dass er sich beim Untergang ein Platz in einem Rettungsboot nahm, war für viele eine Schande und ein Teil großer Verachtung. Ein Jahr später kündigte er seinen Posten bei der White Star Line und lebte bis zu seinem Tode im Jahre 1937 zurückgezogen in der Londoner Umgebung. Was die Reederei White Star Line anging, sie konnte sich trotz weiteren unter ihrer Fahne neu dienenden Passagierschiffen nicht von dem tragischen Verlust des Untergangs der Titanic erholen und wurde 1934 von der Reederei Cunard Line aufgekauft. Alle Schiffe, die seit 1867 unter der White Star Line fuhren, wurden darauf hin entweder umbenannt oder letztendlich von der Cunard Line verschrottet, wobei einige Einrichtungen in Hotels oder neueren Schiffen eingebaut wurden.
Als wir schließlich an die Gangway ankamen, hatte Kapitän Rostron inzwischen an allen Gangwayausgängen Matrosen nach unten geschickt, um dort die Reporter sowie Schaulustige fernzuhalten, jedoch nur mit aller größter Mühe.
Bevor wir das Schiff verließen und die Gangway runter liefen, sagte Mr. Franklin zu mir: ,,Du bleibst jetzt erst mal solange bei uns, bis wir deine Eltern gefunden haben!“ Ich nickte und schaute zu der Menge unten im Hafen in der Hoffnung, ich könnte meine Eltern vielleicht irgendwo sehen, jedoch vergebens, da es einfach viel zu viele Menschen waren, die sich dort unten dicht aneinander drängten und auf ihre Angehörigen warteten.
Kaum als wir unten ankamen, riefen die Reporter uns über den Matrosen hinweg ihre Fragen zu: ,,Haben Sie Angehörige verloren?“ ,,Konnten Sie sehen, wie es passiert ist?“ ,,Kleines, hast du Leichen gesehen?“ Ich wollte keinesfalls, dass sie Jeanette mit diesen Fragen belästigen und hielt sie deshalb dicht an mich, sodass sie ihr Gesicht nach unten richtete und sie sich von mir führen lies, bis sich die Reporter die nächsten Passagiere vorknöpften, die hinter uns die Gangway runter kamen. Wir kämpften uns darauf dicht beieinander durch die Menschenmasse zur Empfangshalle, wo wir dann endlich wieder unter einem Dach standen und unsere Schirme wieder zuspannen konnten. Während wir darauf weiterhin versuchten, uns durch die Menschenmasse durch zu drängen, kamen wir an der Wartehalle vorbei, in der zu unserer großen Überraschung alle Sitzplätze frei waren. Klar, jeder, der hier nun auf Angehörige wartete, kam jetzt bestimmt nicht auf die Idee, sich hier hinzusetzen. Umso besser war es für uns und nahmen ein paar Plätze ein. Mr. Franklin schüttelte die Tropfen von seinem Regenschirm ab, worauf er dann etwas spaßbetont sagte: ,,Tja, und damit herzlich willkommen in den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Jeder nahm es mit einem matten Grinsen als Witz entgegen, worauf unsere Blicke auf die dichte Menschenmasse fiel und Mr. Franklin kurze Zeit später kopfschüttelnd meinte: ,,Das könnte eine lange Nacht werden.“
Da saßen wir nun stillschweigend und ohne irgendwelches Gepäck. Das einzige, was wir an Klamotten noch hatten, waren die, mit denen wir das Schiff in der Unglücknacht verlassen hatten. Zwar wurden diese während der Tage auf der Carpathia gereinigt, doch letztendlich war der schnieke Anzug, den Onkel Frank mir vor der Abreise geschenkt hatte, mein Mantel, meine Brieftasche und meine Taschenuhr das einzige, was ich noch an Besitz hatte. Auch Mr. Franklin war noch immer in dem Anzug angezogen, den er beim Dinner am Kapitänstisch anhatte. Jeanette hatte sich an dem Abend nachdem Essen ein normales Kleid angezogen und ihre Mutter hatte sich, als der Eisberg kam, bereits schlafen gelegt, wodurch sie sich, nachdem wir erfuhren, wir sollen an Deck zu den Rettungsbooten kommen, auch ein normales Kleid überzog. Alles andere, was die Franklins und ich an Besitz hatten, gingen mit der Titanic unter und dies waren nicht nur die Klamotten, sondern auch Jeanettes wundervolle Fotos, ihr und Mrs. Franklins Schmuck, meine Flugzeugpläne, mein Abschlussschulzeugnis, Mr. Franklins Zigarren. Okay, wenn man nun daran dachte, dass mit der Titanic noch zahlreiche Menschenleben untergingen, wirkte der Verlust der eigenen Wertsachen eher mager und lächerlich. Doch neben dem Schock, den wir alle nach der Katastrophe in uns hatten, wurde uns letztendlich doch klar, dass wir nicht mehr hatten, als unser Leben und ob wir dafür wirklich dankbar sein sollten, war hinsichtlich der vielen Todesopfer nur schwer zu empfinden.
,,Fällt euch was auf?“, fragte Mr. Franklin uns nach einer gewissen Zeit, worauf wir ihn zuerst ansahen und anschließend seine Blickrichtung zu der noch immer dicht aneinander stehenden Menschenmenge verfolgten, bis Mr. Franklin ergänzte: ,,Kein Zoll, keine Passkontrollen, keine Wareneingangskontrollen und kein Papierkram. Alles verläuft ohne jegliche Art der allgemeinen Einwandervorkehrungen.“ Da hatte Mr. Franklin Recht und ich stellte auf meiner Taschenuhr genau 23:00Uhr fest. Fast eine Stunde warteten wir jetzt schon in der beinahe menschenleere Wartehalle auf irgendein Anzeichen meiner Eltern und als ich gerade dabei war, meine Taschenuhr wieder einzustecken, erblickte ich wie durch ein Wunder, das Gesicht meines Vaters in der Menschenmenge. Er trug nie gerne Hüte, höchstens vielleicht mal eine Schirmmütze, aber dieses mal hatte er auch keine Kopfbedeckung und ich erkannte ihn durch seine auffällig schwarzen und kurzlockigen Haare. Ich sprang auf und sagte zu den Franklins, dass ich meinen Vater gesehen habe, worauf ich schnurstracks auf die Menge zulief und mir Mrs. Franklin noch hinterher rief, ich solle dableiben, doch ich lies mich nicht umstimmen und lief durch die Menge geradewegs auf die Person mit den schwarzen Haaren zu. Es war ohne Zweifel tatsächlich mein Vater gewesen, denn als ich direkt hinter ihm stand, sah ich, wie er irgendeinem Herr ein Familiefoto von uns zeigte und hektisch fragte: ,,Haben Sie meinen Sohn gesehen? So sieht er aus.“ Bevor der Herr antwortete, tippte ich auf die Schultern meines Vaters und sagte: ,,Hier bin ich, Papa!“ Er drehte sich zu mir und sah mich mit großen Augen an und als er schließlich erkannte, dass ich es wirklich war, umarmte er mich ganz fest und sagte voller Freude und Erleichterung: ,,Oh Tim, mein Junge. Dem Himmel sei Dank, du lebst.“ Ich merkte, wie er versuchte, sich die Tränen zu verkneifen und ich entgegnete ein wenig spaßbetont: ,,Selbstverständlich lebe ich noch, was dachtest du denn?“ Er sah mich darauf leicht lächelnd an, bis er dann meinte, um wohlmöglich auf andere Gedanken zu kommen: ,,Meine Güte, ich glaube, du bist in den letzten paar Monaten doch noch etwas gewachsen, oder?“ ich antwortete. ,,Wohl kaum, Papa. Komm mal mit. Ich möchte dir jemanden vorstellen, den du mit Sicherheit kennst.“ Als wir darauf auf die Franklins zuliefen, achtete er gar nicht wirklich auf sie, sondern sah die ganze Zeit immer nur mich an, weil er wohl immer noch so erleichtert darüber war, dass es mir gut ging und ich fragte ihn, ob Mama auch nach mir suchte und Papa antwortete: ,,Nein, deine Mutter und deine Schwester sind im Hotel. Ich wollte nicht, dass wir uns in diesem Gewirr verlieren. Sie werden es gar nicht erwarten können, dich wieder zu sehen.“ ,,Kann ich mir denken.“ Schließlich kamen wir bei den Franklins an und vollkommen überrascht begrüßte mein Vater Mr. Franklin mit einer Umarmung. Sie sprachen sich mit dem Vornamen an und ich erfuhr, dass Jeanettes Vater ,,Eric“ mit Vornamen hieß. Er fragte darauf, ob sich mein Vater noch an seine Frau Maria erinnerte und zeigte auf Mrs. Franklin, die direkt neben ihm stand und mein Vater antwortete: ,,Ja selbstverständlich erinnere ich mich an deine Frau.“ Er begrüßte sie mit einem Handkuss, worauf er Mr. Franklin dann fragte: ,,Und was ist mit deiner kleinen Tochter?“ darauf Mr. Franklin grinsend: ,,Also klein würde ich sie jetzt nicht mehr nennen.“ Jeanette trat hervor und begrüßte mit einem freudigen Lächeln meinen Vater. Er sah sie
ganz überrascht an, weil er sie wahrscheinlich in ganz anderer Erinnerung hatte und nun nicht erwartete, dass sie so wunderschön geworden ist.
Während Jeanette darauf langsam wieder zu mir trat, flüsterte Mr. Franklin meinem Vater was ins Ohr, worauf mein Vater zu Jeanette und mir rüberschielte und uns beglückwünscht anschaute.Schließlich meinte mein Vater zu uns allen: ,,Na kommt, verschwinden wir erst mal aus diesem Chaos hier.“, worauf wir uns wieder durch die Menschenmasse nach draußen auf die Straße hindurch drängten und uns auf den Weg zu den Hotels auf der West 12th Avenue in der Nähe des westlichen Hafens machten. Der Regen hatte mittlerweile nachgelassen, was viele Schaulustige und Neugierige dazu veranlasste, ihre Wohnungen zu verlassen und sich in den Hafen mal umzuschauen. Darauf bezogen sagte Mr. Franklin zu meinem Vater: ,,Das Unglück scheint sich hier wohl deutlich rum gesprochen zu haben.“ Mein Vater antwortete: ,,Mehr als deutlich, Eric. Doch die Wahrheit über das Unglück kam erst heute ans Tageslicht?“ ,,Was soll das heißen?“, fragte ich verdutzt und mein Vater erzählte, die Presse habe in den Tagen vor der Ankunft der Carpathia berichtet, alle Passagiere der Titanic seien gerettet und das ,,beschädigte“ Schiff nach Halifax/Neufundland gebracht worden. Jeden Tag standen Massen von Menschen an den Zeitungsläden, um die letzten Mitteilungen der Titanic in den Zeitungen zu lesen, doch mit der Carpathia kam nun die Wahrheit ans Licht und alle stellten fest, dass es sich nicht nur um das schlimmste Schiffsunglück der Welt handelte, sondern auch um den größten Presseschwindel aller Zeiten.

In unserem Hotel angekommen ließ sich Mr. Franklin an der Theke eine Kutsche bestellen, da er für seine Familie ein Zimmer in einem Hotel etliche Avenuestraßen weiter nördlicher vor der Titanicüberfahrt reserviert hatte und die Kutsche sie nun dort hinbringen sollte.
Vollkommen unerwartet kam für Jeanette und für mich nun der Moment, an dem wir uns voneinander verabschieden mussten und dies war mit Abstand der schwerste Moment, den ich je in meinem ganzen Leben hatte. Genauso erging es auch Jeanette und als wir uns etwas abseits von den anderen entfernt noch einmal dicht gegenüber standen, sah sie bedrückt nach unten und meinte darauf zu mir: ,,Auf dem Schiff sagte ich dir, dass wir diesen Moment hinnehmen müssen...“ Dann sah sie mir in die Augen, wobei ich an ihren Wangen Tränen runter laufen sah und sie darauf schluchzend erwähnte: ,,...aber ich kann es nicht, Tim. Ich will dich jetzt nicht verlassen.“ Sie drückte ihr weinendes Gesicht tief in meine Brust, worauf ich sie fest an mich hielt und sagte: ,,Ich weiß, Jeanette! Ich will es auch nicht, aber wir müssen. Wir können nicht anders, verstehst du?“ Mit tränengefüllten Augen sah sie mich an und ich erwähnte, wobei ich mich sehr darum bemühte, meine Tränen zu unterdrücken: ,,Hör zu, Jeanette. Wir müssen jetzt tapfer sein, okay? Und sobald wir morgen in unseren Häusern sind, fangen wir sofort an, uns gegenseitig Briefe zu schreiben, in Ordnung?“ Jeanette nickte und sah zum Boden hin, worauf ich sie umarmte und sagte: ,,Ich werde jeden Tag bis zu unserem Wiedersehen ununterbrochen an dich denken, Jeanette. Das schwöre ich dir.“ Und schließlich wurde ich schwach, sodass jetzt auch bei mir die Tränen kamen und als Jeanette das sah, wischte sie mir sanft die laufenden Tränen von den Wangen und sagte mit einem kleinen gerührtem Lächeln: ,,Das ist das erste Mal, dass ich dich weinen sehe.“ Ich wischte mir die restlichen Tränen von den Augen und meinte: ,,Ach, das solltest du lieber nicht sehen. Weinen ist nicht schön.“ Darauf Jeanette: ,,Oh doch, es hilft uns ein wenig, den Schmerz zu lindern.“ Darauf ich etwas ironisch ausgedrückt: ,,Oh ja. So sehr, dass mich das schon wieder zu Tränen rührt.“ Jeanette lachte ein klein wenig, worauf wir beide uns einen Moment lang ansahen und ich dann zu ihr sagte: ,,Ich habe dir noch nicht mal ein Foto von mir geschenkt, was du wenigstens hättest mitnehmen können.“ Jeanette strich mir dankerfüllten Blickes das Gesicht und meinte: ,,Das ist doch nicht so wichtig, Tim. Du selbst bist mir tausendmal lieber, als irgendein Foto von dir.“ Darauf ich: ,,Trotzdem werde ich dir als erstes ein Foto von mir schicken. Das verspreche ich dir.“ Wieder sah mich Jeanette dankerfüllt an und meinte zu mir: ,,Du bist wirklich ein ganz wundervoller Mensch.“ Ich hielt meine Hand an ihre Wange und entgegnete: ,,Das bist du auch, mehr als jeder andere auf der Welt.“ Jeanette sah einen Moment lang geschmeichelt nach unten und meinte dann: ,,Du wirst mir fehlen.“ Ich strich ihr über die Schulter und entgegnete: ,,Mir wirst du auch fehlen, Jeanette, aber wir werden uns wieder sehen. Ganz bestimmt.“ Sie blickte wieder zu mir auf und meinte: ,,Natürlich werden wir das und auf diesen Tag freue ich mich jetzt schon ganz besonders.“ Nun zeigte sich in Jeanettes Gesicht wieder ein zartes Lächeln und um ihr zu zeigen, wie sehr mich das freute, strich ich ihr die Wange und sagte: ,,Ich liebe dich, Jeanette.“ Ihr Lächeln weitete sich und sie entgegnete ebenfalls: ,,Ich liebe dich auch, Tim.“ Und schließlich gaben wir uns ein letztes mal einen langen, ununterbrochenen Kuss mit geschlossenen Augen und dieser so sagenhaft wunderschöne Liebesaustausch lies mich alles um mich herum vergessen und mich in ein Gefühl von Wärme und Leichtigkeit versinken. Als wir es schließlich beendeten, spürte ich einen Regentropfen auf meiner Hand plätschern und kurz darauf begann eines der beiden Pferde an der Kutsche zu schnaufen, worauf ich zu Jeanette meinte: ,,Tja, dann solltest du wohl jetzt besser einsteigen, sonst stehen wir wohl noch die ganze Nacht hier.“ Auch das war für Jeanette ein kleiner Anlass zum Kichern und wir gingen gemeinsam wieder zurück zu der Kutsche, wo sich Jeanettes Eltern dann auch noch mal von mir verabschiedeten und Mrs. Franklin zu mir meinte: ,,Denk daran, Tim, du bist jederzeit bei uns in Philadelphia willkommen.“ Mr. Franklin ergänzte zusätzlich: ,,Wir würden uns freuen, einen baldigen Flugzeugingenieur bei uns begrüßen zu dürfen.“ Das freute mich, dass sie das zu mir sagten und entgegnete: ,,Vielen Dank Mr. und Mrs. Franklin. Und vielen Dank für Ihre Fürsorge.“ Mrs. Franklin strich mir die Wange und meinte: ,,Das war doch selbstverständlich, Tim.“ Darauf Mr. Franklin ironisch: ,,Schließlich bist du ja noch minderjährig.“ Ein kleines Gelächter ging rum, worauf sich die Franklins dann endgültig von mir verabschiedeten und mit Jeanette anschließend in die Kutsche stiegen. Der Kutschierter war recht überrascht darüber, dass er keine Gepäckstücke auf die Gepäckablage stellen musste und setzte sich recht verlegen wieder auf seinen Platz zurück. Jeanette lehnte sich aus dem offen Fenster zu mir runter und hielt mir ihre Hand entgegen, worauf sie zu mir sagte: ,,Vergiss nicht, mir zu schreiben, Tim.“ und ich entgegnete: ,,Natürlich werde ich dir schreiben, Jeanette. Denk du aber auch daran.“ ,,Wie könnte ich das nicht?!“
Der Kutschierter ließ die Pferde los trappen, worauf sich die Kutsche langsam in Bewegung setzte und sich unsere Hände von einender trennten. Ich rief Jeanette noch hinterher: ,,Bis bald, Jeanette.“ worauf sie ebenfalls, aber allerdings recht leise, entgegnete: ,,Bis bald, Tim.“ Und kurz darauf sah ich im Lichtschein von einer Straßenlaterne, dass an Jeanettes Wangen erneut wieder Tränen runter liefen und bevor die Kutsche zu der Avenue nach Norden abbog, konnte ich noch erkennen, wie Jeanette weinend in die Arme ihrer Mutter fiel und ihre Eltern ihr nun liebevollen Trost gaben.
Als die Kutsche schließlich abbog und nicht mehr zu sehen war, blieb ich noch einen Moment lang schweigend an der Straße stehen, bis mein Vater sich neben mich stellte, mir einmal auf die Schulter klopfte und zu mir meinte: ,,Na, mein großer Frauenheld. Ich glaube, es gibt da wohl etwas, was du deiner Mutter und mir mal erzählen solltest.“ Ich grinste leicht und bemerkte, dass es wieder anfing, zu regnen, worauf mein Vater sagte: ,,Na komm, mein Junge. Im Hotel sind auch noch Zwei, die sehnsüchtig auf dich warten.“
Im Aufzug meinte mein Vater auf dem Weg zu unserem Hotelzimmer zu mir: ,,Das ist ja wirklich ein Zufall gewesen, dass du den Franklins auf dem Schiff begegnet bist.“ Ich dachte kurz nach und meinte dann zu ihm: ,,So langsam glaube ich, dass das irgendwie kein Zufall war.“ Mein Vater ging darauf nicht ein und holte aus seiner Manteltasche schon mal den Zimmerschlüssel hervor. Als sich kurz darauf die Schiebegitter des Aufzug öffneten, führte mich mein Vater zu unserer Zimmertür und schloss sie auf. Meine Mutter und meine Schwester saßen schweigend dicht zusammen gelehnt und die Hände aneinander haltend auf der Couch und kaum, als sie mich erblickten, sprangen sie voller Freude und Erleichterung auf und umarmten mich ganz fest. Sie wollten mich schon gar nicht mehr loslassen und ich bemerkte, wie sie beide anfingen, vor Freude zu schluchzen. Meine Mutter sah mir darauf in die Augen und hielt mir ihre Hände an die Wangen, worauf sie mich fragte: ,,Ist alles in Ordnung mit dir, Tim? Tut dir irgendwas weh oder fehlt dir was?“ Ich nahm ihre Hände von meinem Gesicht und antwortete: ,,Mir geht es gut, Mama. Wirklich, es ist alles in Ordnung.“ Meiner Mutter liefen erneut die Tränen und als sie mich wieder fest umarmte, sagte sie schluchzend: ,,Oh Gott, Tim. Wir haben solche Angst um dich gehabt.“ Ich blickte etwas verlegen zu meinem Vater, da ich nun nicht wusste, wie ich meine Mutter und meine Schwester wieder beruhigen sollte. Schließlich griff mein Vater ein und meinte zu beiden: ,,Kommt, ihr beiden. Lasst ihn sich erst mal hinsetzen.“
Nachdem ich mir meinen Mantel auszog und mich auf die Couch setzte, schenkte mir meine Mutter, immer noch leicht schluchzend, eine Tasse Tee ein und als ich ihn darauf trank, bemerkte ich, dass meine ganze Familie vor mir stand und mich einfach nur ansah. Etwas verwundert darüber fragte ich sie: ,,Wollt ihr euch nicht auch setzen?“, worauf sie sich schließlich alle um mich herum setzten und meine Schwester, die vorerst noch kein Wort erwähnt hatte, mich leicht schniefend fragte: ,,Was trägst du denn da für einen schnieken Anzug, Bruderherz?“ Ich betrachtete meinen Anzug und antwortete: ,,Den hat Onkel Frank mir vor der Abreise für meinen Schulabschluss geschenkt.“ Alle nahmen es mit einer kleinen Bewunderung zur Kenntnis, worauf ich noch ergänzte: ,,Ich soll euch alle lieb von ihm grüßen.“ Alle nahmen es mit einem Dankeschön entgegen und mein Vater betrachtete mich einen Moment lang, bis er meinte: ,,Der steht dir wirklich sehr gut, mein Junge.“, worauf ich geschmeichelt entgegnete: ,,Vielen Dank. Den hatte ich an, als ich am Kapitänstisch zu Abend gegessen hatte.“ Alle sahen mich auf einmal ganz verdutzt an und meine Schwester fragte: ,,Du hast am Kapitänstisch gesessen?“ Ich grinste und wollte anfangen, davon zu erzählen, wovon mich mein Vater aber abhielt und meinte, ich solle das morgen alles erzählen, da ich jetzt lieber schlafen gehen sollte. Ich gehorchte meinem Vater und zog mir einen Pyjama über, den meine Mutter zusammen mit ein paar frischen Klamotten in einem kleinen Koffer gepackt hatte, um für meine Ankunft frische Sachen für mich bereit zustellen. Sie rechnete dabei allerdings wohl nicht damit, dass ich ohne Gepäck und nur einem Anzug kommen würde.
Als ich im Bett lag, stand meine Familie um das Bett herum und meine Mutter meinte: ,,Jetzt hat unser Kleiner doch tatsächlich seine schulische Laufbahn beendet.“ und mein Vater ergänzte: ,,Wie die Zeit doch vergeht, ist schon unglaublich.“ Ich sah grinsend an die Zimmerdecke und entgegnete: ,,Ich bin froh, dass sie das tut.“ Alles fiel kurz ins Gelächter, bis alle dann wieder verstummten und mein Vater schließlich meinte: ,,Na, dann schlaf mal gut mein Junge. Bis morgen.“ ,,Gute Nacht. Bis morgen.“ Entgegnete ich, worauf mir meine Mutter und meine Schwester auch noch eine gute Nacht wünschten und anschließend das Zimmer verließen. Als mein Vater das Licht ausknipste und die Tür anlehnte, hörte ich meine Mutter noch zu ihm sagen: ,,Hoffentlich hatte er wenigstens ein paar schöne Tage auf dem Schiff gehabt.“, und mein Vater entgegnete darauf zu ihr: ,,Die hat er gehabt, glaub mir. Die hat er wirklich gehabt."
 
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