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16 Seiten

Fischer geht baden Teil1

Romane/Serien · Amüsantes/Satirisches
© Mork
1 Väter
„Ich kann nicht Mutter. Ich gehe morgen baden.“
„Baden?“, fragt sie entsetzt, „Du gehst an Deinem Geburtstag baden?“
„Ja, Mutter. In einem Hamam.“
„Was willst denn Du bitteschön in einem Hamam?“
„Baden, Mutter, wie alle anderen dort drin auch.“
„Aber seit wann… ich meine, warum gerade in einem Hamam?“
„Warum denn nicht?“
„Warum denn nicht? Weil Du keine Türken magst, vielleicht.“
„Ich habe nie gesagt, ich würde keine Türken mögen. Türken sind Menschen, wie wir.“, sage ich, „Also nicht ganz wie wir, ich würde es halt nur besser finden, wenn sie in ihrem eigenen Land leben würden.“
„Aber was hat das jetzt mit dem Hamam zu tun? An Deinem Geburtstag? Warum willst Du lieber mit Leuten baden, die Du nicht magst, anstatt mit Deiner Mutter essen zu gehen?“
„Wir können ja auch am Abend essen gehen, Mutter. Ich würde mich sogar sehr freuen. Doch über den Mittag bin ich halt schon verabredet.“
„Verabredet? Mit wem gehst Du denn dahin, um Gottes Willen?“
„Na mit wem wohl? Mit einem Türken natürlich!“
„Du gehst mit einem Türken in ein Hamam?“, es entsteht eine ausgedehnte Pause und ich höre Mutter laut atmen, dann fährt sie fort, „Sohn, was ist los mit Dir? Du bist in letzter Zeit so…so anders. Ist etwas passiert? Hast Du Sorgen, geht es Dir nicht gut?“
Sorgen. Außer den Sorgen um mein Land? Um die Menschen, die hier seit Generationen leben und aus der Schweiz das gemacht haben, was sie heute ist? Andere Sorgen, als die um die Freiheit und die direkte Demokratie? Sorgen, die nichts mit der Multikultigesellschaft, der Arbeitslosigkeit, den leeren Staatskassen, der Überflutung unseres Arbeitsmarktes und der Sozialhilfestellen durch Ausländer, Asylanten oder dem ständigen Anstieg von Gewalt- und Sexualverbrechen durch Migranten aus dem Balkan, der stetigen Islamisierung der hiesigen Kultur und dem Verlust der schweizerischen Werte wie Familie und der Verwahrlosung unserer Kinder zu tun haben?
Und ob! Doch das kann ich meiner Mutter schlecht beibringen. Sie wäre damit völlig überfordert.
„Nein, Mutter.“, sage ich darum, „Mir geht es gut. Ich halte es nur für sinnvoll, meinen Horizont mal ein wenig zu erweitern und neue Erfahrungen zu sammeln. Ich will diese Menschen und ihre Kultur verstehen lernen, vielleicht bringe ich es ja dann fertig, besser mit ihnen ins Gespräch zu kommen.“
„Für was denn?“
„Um sie zu überzeugen, dass sie wieder dahin zurückgehen sollten, von wo sie gekommen sind und wohin sie eigentlich gehören.“
Meine Mutter seufzt laut und theatralisch.
„Überhaupt“, meine ich plötzlich, „Würden denn nur wir beide, Du und ich, zu diesem Abendessen erscheinen? Mutter und Sohn?“
„Ach, Rolf.“, stöhnt sie, „Fängt das jetzt schon wieder von vorne an. Ich habe auch ein Leben! Meinst Du, ich will den Rest davon alleine verbringen? Ich bin noch lange keine alte Jungfer.“
„Wie heißt er?“, frage ich mit dumpfer Stimme.
„Gustav. Er ist Schwede. Ein intelligenter Mann. Er ist Lehrer. Ihr werdet Euch bestimmt verstehen.“, den letzten Satz sagt sie mit besonderem Nachdruck.
Gustav also. So heißt ihr neuer. Ich hätte es mir auch denken können.
„Kann sich denn dieser Gustav morgen Abend nicht alleine beschäftigen. Wir reden hier immerhin von meinem Geburtstag. Und wenn schon, möchte ich diesen lieber mit meiner Mutter alleine feiern.“
„Gustav ist mein Lebenspartner, Rolf, Du kannst doch nicht Deinen neuen Vater einfach so…“
„Dieser Gustav ist keineswegs mein neuer Vater!“, zische ich scharf, „Nicht jeder Deiner Liebhaber wird automatisch zu einem Vater für mich.“
„Du benimmst Dich wie ein kleines, bockiges Kind.“
„Ich benehme mich gar nicht bockig. Ich kenn diesen Gustav ja überhaupt nicht.“
„Na siehst Du. Dann lernt Ihr Euch morgen endlich kennen. Für was hast Du denn in der Schule englisch gelernt, wenn nicht um Dich zu verständigen?“
„Englisch? Er redet kein Deutsch?“
„Rolf, jetzt mach doch bitte keinen Aufstand deswegen. Englisch ist jetzt halt mal die globale Sprache.“
„Wir sind hier aber in der Schweiz. In der Deutschschweiz, um präzise zu sein, Mutter. Ich schere mich einen Dreck um die globale Sprache. Wir reden hier immer noch Deutsch, Herrgottnochmal.“
„Rolf Walti Fischer, rede nicht in diesem Ton mit mir!“
Ich halte den Hörer von meinem Kopf weg und knurre wütend.
„Dann also morgen um sieben im Storchen. Zieh Dich passabel an und nimm Deine Manieren mit.“, höre ich sie sagen, „ich freue mich darauf. Also hab einen schönen 27. Geburtstag, Liebling und schlaf schön. Bis morgen.“
Sie hängt auf und das Besetztzeichen schallt mir entgegen. Erschöpft lasse ich meinen Arm sinken. Der Hörer landet sachte auf der Gabel.

Gustav heißt also der Neue. Natürlich kein Schweizer. Das wäre ja auch schier einem Wunder gleich gekommen. Und Wunder passieren halt vornehmlich weniger in Zürich. Für Wunder fährt man nach Lourde oder Rom. Vielleicht sollte ich meine Mutter mal nach Lourde schicken und wer weiß, vielleicht trifft sie dort mal einen anständigen Schweizer Unternehmer, der ihr Herz erobert. Ich selber war einmal in Lourde. Es war so eine Phase, in der ich mich besonders stark in meinen Glauben geflüchtet habe. Allerdings wurde mir die ganze Wahlfahrt von den vielen Behinderten regelrecht vermiest. Eigentlich habe ich ja absolut nichts gegen Behinderte. Im Gegenteil. Behinderte sind Teil unserer Gesellschaft. Man müsste das endlich akzeptieren. Aber natürlich bedeutet, Teil einer Gesellschaft zu sein, auch, dass man einen Beitrag zur Gesellschaft leistet. Und genau das wollen viele dieser Behindertensprecher- und Organisationen verhindern. Für die Sozis bedeutet, behindert zu sein, dass man nichts kann und auf eine lebenslange Wohlfühlbehandlung angewiesen ist.
Ich meine, wo sind wir denn hier? Es gibt genug Arbeiten, die getan werden müssen und auch von Behinderten erledigt werden können. Damit meine ich jetzt nicht etwa, zwei Suppenlöffel pro Tag in einen Plastikbeutel zu packen. Auch von Behinderten sollte Leistung verlangt werden dürfen. Es hat nun mal jeder seinen Beitrag zu leisten. Und, wenn wir schon dabei sind, was ist denn eigentlich „Behindert“? Heute schimpft sich ja fast jeder Dritte behindert und schielt bereits auf eine frühzeitige, großzügige IV-Rente. Ich will nicht behaupten, es sei mit allen so. Natürlich gibt es auch solche Menschen, die tatsächlich aufgrund ihrer Gebrechen im Arbeitsmarkt nichts mehr taugen. Aber diese Gruppe von Menschen ist verschwindend klein. Zumindest müsste sie das sein, wenn wir den Leuten die IV-Rente nicht förmlich nachwerfen würden. Arbeit ist heutzutage zu einem Schimpfwort geworden. Psychiater scheinen einen Leistungssport daraus gemacht zu haben, so viele Sensibelchen wie möglich als arbeitsunfähige Behinderte in der IV unterzubringen. Es herrscht Blütezeit für Hypochonder.
„Was, Ihnen tut der Rücken Weh? Ich kann auf den Röntgenbildern zwar nichts erkennen, aber es ist wohl besser, wenn wir Sie für eine IV-Rente anmelden.“
So läuft das heute doch! Unsere Gesellschaft fällt aus allen Fugen.
Kein Wunder kam Hitler auf die Idee, mit allen Behinderten kurzen Prozess zu machen. Nicht, dass ich das in irgendeiner Form gutheißen würde, natürlich nicht. Aber fragen Sie sich jetzt mal selber, würde unter Hitler noch jemand nach einer IV-Rente schreien? Plötzlich wären alle wieder gesund.
„Ach, ich kann ja meine Arme zum Arbeiten benutzen, auch wenn ich im Rollstuhl sitze!“, würde es den einen plötzlich in den Sinn kommen, „Ich bin zwar dumm, aber es gibt auch Aufgaben, die keine Schulbildung voraussetzen und ich bin mir dafür nicht zu schade.“, würden andere rufen.
„Ich hab zwar schlecht geschlafen und fühl mich nicht so gut, aber was heißt da Depression! Ich reiße mich jetzt einfach mal am Riemen und gehe trotzdem arbeiten.“, würden die Psychiatriefälle auf einmal erkennen.
Sogar die jungen Männer würden vom einen Tag auf den anderen die Freude und den Stolz auf ihren Wehrdienst wiederfinden. Das ist ja auch so was. Dienstverweigerer und Untaugliche! In unserer Zeit noch Dienst an der Waffe zu leisten, wird schon schier als Schande angesehen. Lieber wird Zivildienst gemacht oder man hat ein Rückenleiden und wird immer von so schlimmen Panikattacken heimgesucht, dass man zu seiner Pflicht nicht in der Lage ist. Ja klar! Jetzt, wo uns der Terrorismus alle bedroht.

Aber zurück zu Gustav. Ein Schwede. Natürlich gibt es weitaus Schlimmeres als einen Schweden. Sie könnte einen Russen, einen Mohr, einen Bosnier, einen Israeli, einen Araber, Türken, Albaner oder sonst einen von irgendwo dort unten mit nach Hause bringen. Dann doch lieber einen Schweden.
Aber seien wir mal ehrlich, alle anderen Nationalitäten hat sie ja auch schon so gut wie durch.

Mein leiblicher Vater ist in ihrer ganzen Laufbahn der einzige richtige Schweizer gewesen. Ein echter Urschweizer, wie mir meine Mutter versichert hat. Er hieß Ueli und stammte aus einer Bauernfamilie.
Meine Mutter ist eine waschechte Züricherin und hat mit meinem Vater bei einem Schwingerfest auf der Rigi angebändelt. Er hatte zu viel getrunken gehabt und hatte einen erfolgreichen Kampf hinter sich. Meine Mutter fand ihn unheimlich scharf, weil er so einen guten Körper hatte. Wie ich später erfuhr, fand sie es aber vor allem lustig, es mal mit einem Bauerntrampel zu machen, wie sie es nannte. Überhaupt war sie nur aus dem Grund von Zürich mit ihren Freundinnen auf die Rigi gereist. Sie wollten sich amüsieren. Meine Mutter ist damals siebzehn gewesen und hatte es mit ihm zwischen Kampf vier und fünf hinter einem Gebüsch abseits getrieben.

Ueli hat nie was von mir erfahren. Als ich von ihm erfuhr, bin ich bereits fünfzehn gewesen und habe mich postwendend auf die Suche nach ihm begeben.
Der Mann, der von meinem vierten bis zu meinem achten Altersjahr, so etwas wie eine Vaterfigur hatte darstellen sollen, hieß Vincenzo und war ein italienischer Bauarbeiter. Meine Mutter schwärmt heute noch von seinem typisch italienischen Charme, jedes Mal wenn sie Berlusconi im Fernsehen sieht.
„Guck ihn Dir mal an. Ich meine, er politisiert zwar den größten Unfug zusammen, den man sich vorstellen kann. Er tritt von einem Fettnäpfchen ins andere und ist neben Bush der wahrscheinlich unglaubwürdigste und peinlichste Staatsführer der Welt, aber er ist irgendwie eben doch sexy. Ich meine, so sind die Italiener einfach. Die müssen nicht mal besonders hübsch sein. Vincenzo war genauso. Er hatte zwar einen unübersehbaren Bierbauch und stank nach Zigaretten, aber wenn er erst mal mit seinem italienischen Akzent losgelegt hat, dann wickelte er mich immer im Nu um den Finger.“
„Nicht nur Dich.“, hab ich ihr mal geantwortet.
Und genau so war es auch. Ich habe Vincenzo nicht gemocht. Er war nicht nur mein falscher Vater, er war vor allem ein Arschloch.
„Er ist kein Arschloch.“, sagt meine Mutter jedes Mal, wenn ich ihn so nenne, „Du verwechselst das mit seinem Temperament. So sind die Italiener nun mal.“
Temperament ist gut. Vincenzo rastete regelmäßig grundlos aus. Zum Essen gab es täglich Nudeln und niemand durfte vom Tisch, bevor nicht leer gegessen war. Mit vier Jahren hatte er mich so gemästet, dass ich kugelrund war.
„Du musst essen, um eine richtige Seniore zu werden.“, hat er mir immer gesagt.
Aber das ist ja noch nicht mal alles. Mindestens einmal im Monat erwischte ich ihn mit einer anderen im Bett und er machte mir klar, dass es zu meinem Besten sei, wenn ich meiner Mutter nichts davon verrate. Weil Vincenzo wegen so genannter Rückenleiden nur noch Teilzeit arbeitete, verdiente meine Mutter die Hälfte des Haushaltsgeldes als Krankenschwester. Das verschaffte Vincenzo genug Zeit, um sich mit anderen Frauen zu vergnügen.
Mit ach Jahren hatte ich die Nase voll von dem allem, als ich ihn unerwartet mit einer Mutter eines Klassenkameraden im Bett erwischte. Ich verriet Vincenzo folglich bei meiner Mutter und dafür schlug er mich am Tag darauf grün und blau. Ich denke, meine Mutter hätte ihm die Affären sogar verziehen, aber mich zu schlagen, das ging zu weit. Meine Mutter warf ihn endlich raus.

Der nächste Freund meiner Mutter blieb nur drei Jahre lang bei uns. Sein Name war Heiner und er war ein studierter Sozialpädagoge aus Deutschland. Heiner arbeitete tagsüber in einer Institution für schwererziehbare Jugendliche und behandelte mich zuhause, als wäre ich einer von ihnen. In jeder meiner Verhaltensweisen erkannte er etwas Unnatürliches, über das er mit mir reden und das er an mir zu verändern gedachte.
„Er hat doch nichts falsch gemacht.“, nimmt ihn meine Mutter heute in Schutz, „Sieh Dich an, Du bist ein toller, junger Mann geworden. Heiner hat Dich während den wichtigsten Jahren Deines Lebens geformt.“
Mit Heiner sind wir in eine andere Wohnung gezogen. Während wir mit Vincenzo in einer beschaulichen, kleinen Wohnung in Oerlikon außerhalb des Stadtzentrums gewohnt haben, änderte sich das mit Heiner schlagartig. In seinen Augen war das nämlich spießig.
„Wir leben in einer urbanen Stadt.“, fand er, „In einer multikulturellen Gesellschaft.“
Das hieß soviel wie, dass er mit uns in das elendste Quartier der Stadt ziehen wollte, nämlich in den Kreis fünf, wo die Fixer und Nutten an der Strasse Schlange standen und die Nachbarschaft aus Ausländern und Unterschichtsschweizern bestand. Für Heiner stellte das den Idealen Wohnraum für uns dar. Er sagte, dass es nur gut für mich und meine Entwicklung sein könne, wenn ich andere Kulturen schon früh zu akzeptieren lernen würde.
Akzeptieren lernen, ist wirklich gut. Heiner hat unermüdlich versucht, mich mit dem Nachwuchs unserer Nachbarn aus dem Balkan zu verkuppeln. Allerdings hatten die anderen Kinder genauso wenig Interessen an einem fetten Schweizer Jungen, wie ich an ihnen. Stattdessen nahmen wir uns gegenseitig als Fremd- und Störkörper wahr.
Meine Mutter war indessen geradezu von Heiner begeistert. Sie liebte seine aufgeschlossene und soziale Art. Sie ließ sich von seiner sozialen Ader so stark beeinflussen, dass sie ihren Job im Krankenhaus aufgab und stattdessen Tagesmutter für behinderte Kinder wurde. Wenn ich mit meinen rund zehn Jahren also einfach mal in Ruhe zu Hause rumsitzen wollte, musste ich die Wohnung meistens mit geifernden, jaulenden oder sonst wie entarteten Wesen teilen.
In der Regel kannten diese keinen Anstand und bekamen Lob dafür ausgesprochen, wenn sie mal nicht ihr Essen durchs Zimmer warfen oder in die Hose machten. Benahm ich mich hingegen auch nur ein wenig anders als vorgesehen, probierte Heiner gleich eine seiner neuesten pädagogischen Extremmaßnahmen an mir aus.
Nachdem er seine Stelle verlor, zog Heiner wieder zurück nach Deutschland und ließ meine Mutter sitzen. Meine Mutter wurde depressiv, fing zu trinken an und startete eine Affärenodyssee durch die Schlafzimmer jeglicher ethnischen Minderheiten, die sich in der näheren Umgebung finden ließen.

Ein Jahr später war sie endlich wieder reif für einen neuen Freund.
Dieser hieß Dave und war ein amerikanischer Sportstudent Mitte zwanzig. Ich war zu der Zeit zwölf und mein Körpergewicht nahm beängstigende Formen an. Meine Tage verbrachte ich dazumal damit, zuerst in der Schule und nachher in der Nachbarschaft tyrannisiert und schikaniert zu werden. Dave erkannte mein Leiden vom ersten Tag an und sah sich dazu verpflichtet, mir zu helfen.
Dave trug lange und dicke Rastalocken. Mit meiner Mutter kiffte er sich abendlich das Gehirn aus der Birne und unsere Wohnung verwandelte er in einen tropischen Urwald, in dem er jedwedes Gewächs mit nach Hause brachte, das er in irgendeiner Form für konsumierbar hielt.
In den folgenden Wochen stellte Dave für mich einen knallharten Trainings- und Ernährungsplan auf, den ich vom einen auf den anderen Tag strikt befolgen musste. Durch diesen Plan war meine ganze Freizeit von A bis Z durchstrukturiert.
Meine Mutter sah ich in diesem Jahr nur selten, weil sie den ganzen Tag arbeiten musste. Von Dave konnte man so was ja schlecht verlangen, immerhin war er noch Student.
Dave blieb nur dieses eine Jahr, doch in diesem verzeichnete er in meinem Fall einen durchschlagenden Erfolg. Ich nahm nicht nur ab, ich lernte auch, was Disziplin bedeutet. Allerdings waren damit nicht all meine körperlichen Probleme einfach so aus der Welt geschafft. Ich hatte zwar abgenommen und war schlank geworden, doch dadurch hatten sich lose Hautschichten gebildet, die schlaff von meinem Körper herunterhingen. Jedes Mal, wenn ich mich irgendwo frei machen musste, sei es beim Duschen nach dem Sportunterricht, einer ärztlichen Untersuchung oder beim öffentlichen Baden, kam ich mir vor, als wäre ich die Hauptattraktion eines Museums für außergewöhnlich degenerierte Lebewesen.

Ich befand mich damals noch im Wachstumsprozess und nach und nach sollte sich mein Problem ganz von alleine lösen, doch bis es soweit war, musste ich damit leben lernen. Ashrad, der neue Freund meiner Mutter, war Inder und probierte mir mit spirituellen Ratschlägen zu helfen, damit ich lernen würde, mit meinem Leid produktiv umzugehen.
Doch mein Vertrauen in Ashrad bekam einen tiefen Knicks, als ich eines Abends hörte, wie er zu meiner Mutter sagte: „Dieser Junge muss ja dicker gewesen sein, als Buddha.“

Als ich vierzehn war, unterhielt meine Mutter nur noch Kurzzeitbeziehungen, die man auch Affären nennen könnte. Meine Mutter hatte sich unter die Feministinnen gemischt und beschloss, ohne festen Partner durch ihr restliches Leben gehen zu wollen. Der Höhepunkt ihrer feministischen Phase hatte sie erreicht, als sie damit anfing, ihre sexuellen Bedürfnisse mit anderen Männerhasserinnen auszuleben.
Allerdings hielt ich mich schon zu der Zeit kaum noch Zuhause oder in unserem Quartier auf. Dieses multikulturelle Zusammenleben widerte mich genauso an, wie meine Mutter und ihre Lebensweise.
Ich begann ziellos durch die Stadt zu irren und eines Tages dann, da traf ich auf Roland.

2 Roland
Ich begegnete Roland an der Bahnhofstrasse, wo er Wahlpropagandaprospekte für die nächsten Stadtratswahlen verteilte. Roland war achtzehn Jahre alt und wandte sich an eine jüngere Zielgruppe von Wählern und Wählerinnen.
Weil es zu den Prospekten umsonst eine Tüte Popcorn dazugab, ließ ich mir ebenfalls ein Heft von ihm in die Hand drücken.
„Sag mir jetzt nicht, dass Du schon abstimmen darfst?“, scherzte er, als ich meine Hand hinstreckte.
Roland war groß, sportlich und trug ein Bauernhemd und blaue Jeanshosen.
„Nein.“, antwortete ich, „Aber ich könnte das Prospekt ja meiner Mutter geben.“
Er drückte mir gutmütig lächelnd eine Tüte Popcorn und das Propagandamaterial in die Hand. Erst jetzt sah ich, dass es sich dabei um die Kandidatenliste der SVP handelte und ich wusste, dass meine Mutter nicht viel von dieser Partei hielt. Im Gegenteil, ich erinnerte mich, wie sie die Schweizer Volkspartei eine Ansammlung von stumpfsinnigen Rassisten geschimpft hatte.
„Was ist?“, fragte mich Roland, der meinen kritischen Blick bemerkt haben musste.
„Na ja, ich denke, Eure Chancen bei meiner Mutter stehen nicht besonders hoch.“, antwortete ich ihm.
„Trotz des Popcorns?“
Ich kicherte verlegen, „Ja, trotz des Popcorns.“
„Wen will denn Deine Mutter sonst wählen? Etwa die Sozialdemokraten? Die führen unseren Staat schnellsten Weges in den Bankrott und sorgen dafür, dass die Schweiz von Ausländern, die sich nicht integrieren lassen wollen, überrannt wird. Oder wählt sie vielleicht eher die Grünen, welche so naiv sind, dass sie ihre unrealistische Politik einzig mit der Angstmacherei vor dem Weltuntergang und Umweltkatastrophen begründen.“, Roland grinste mich frech an, „Die CVP ist auch nicht viel besser. Die sind nicht in der Lage, Staat und Religion auseinander zu halten und wissen einfach nicht, wonach sie sich jetzt eigentlich richten sollen. Da ist die FDP schier noch das kleinste Übel. Aber mal ehrlich, die FDP wechselt ihre politische Richtung etwa genauso häufig, wie ich meine Unterwäsche. Auf die ist auch kein wirklicher Verlass. Also bleibt da eigentlich nur noch die SVP übrig. Richte Deiner Mutter also aus, dass die SVP die einzige Schweizer Partei ist, welche die Probleme unseres Landes offen und ehrlich anspricht und auch was dagegen tut. Gerade Deine Mutter müsste die Partei unterstützen, welche die Zukunft für uns Junge sicher will. Ich meine, auch wir sollten später mal die Möglichkeit haben, auf unsere Pensionsgelder zurückgreifen zu können und nicht stattdessen auf leere Kassen stoßen.“
Obwohl Roland gerade mal achtzehn, also knapp vier Jahre älter als ich war, schien er genau zu wissen, von was er sprach und was er wollte. Sein Ziel war es, dieses Land zum Besseren zu verändern. Und darin wirkte er total überzeugt und diese Selbstsicherheit beeindruckte mich damals zutiefst.
„Versteh mich bitte nicht falsch.“, fuhr er fort, „Aber dieses Land hier geht vor die Hunde, wenn wir nicht bald was tun. Misswirtschaft leert unsere Kassen und Kriminalität und Arbeitslosigkeit steigen immer weiter an, weil wir alles und jeden in unser Land reinlassen. Ich meine, hast Du Dir schon mal überlegt, was die Ausländer hier so treiben? Hast Du mal einen Blick auf die Kriminalitätsstatistiken geworfen? Der größte Teil der Kriminellen sind Ausländer. Wie viele Ausländer sind in Deiner Klasse? Wie oft haben Dich die ausländischen Mitschüler schon genervt, weil sie sich nicht recht benehmen und für Unruhe sorgen?“
Ich guckte auf das Prospekt in meiner Hand. Die Gesichter der SVP-Kandidaten grienten mich selbstsicher an.
„Ehrliche Ausländer. Also die Wenigen, welche sich benehmen und anständig verhalten, die leiden am allermeisten darunter.“, sagte er und fragte mich, woher genau ich komme.
„Dann verstehst Du doch am allerbesten, von was ich rede.“, meinte er laut, nachdem ich ihm geantwortet hatte, „Dort läuft doch wirklich alles aus dem Ruder. Die Linken haben aus dem ganzen Quartier ein Moloch aus Prostitution und Drogenhandel werden lassen. Und wer ist bei Euch der König? Ich sag’s Dir, der kriminelle Albaner von nebenan.“

Ich weiß nicht genau, warum, vielleicht gefiel es Roland, endlich jemanden gefunden zu haben, der ihm fasziniert zuhörte. Auf alle Fälle entschloss er sich, Mittagspause zu machen und mich auf eine Cola einzuladen. Er selber trank ein Feldschlösschen und erklärte mir dabei, wie es in der Politik so zu und herging.
Roland und ich passten zusammen, wie die zwei richtigen Teilchen eines Puzzles. Er suchte jemanden, der zu ihm aufsieht und ihm folgt, bei dem er den angehenden Politiker ohne Scham raushängen lassen konnte und ich meinerseits suchte nach einem Freund und einem großen Bruder, zu dem ich aufsehen und an dem ich mich orientieren konnte.
Roland arbeitete neben seinem politischen Engagement für die SVP als Lehrling auf dem Arbeitsamt der Stadt Zürich. Ein weiterer Beweis dafür, dass er wissen musste, von was er da eigentlich redete.
„Was ich dort jeden Tag zu hören und zu sehen kriege, ist schockierend. Menschen finden keine Arbeit, obwohl sie arbeiten möchten und andere wiederum bedienen sich aus der Arbeitslosenkasse, wie es ihnen passt und gefällt, als hätten sie eine Einladung zur Selbstbedienung erhalten. Es herrscht ein heilloses Chaos.“, erzählte er mir.
So schnell wie möglich wollte Roland voll in die Politik einsteigen und ich bewunderte die Entschlossenheit, die er dazu aufbrachte. Roland wollte zweifellos etwas bewirken und er glaubte, was er predigte. Roland hatte Prinzipien, denen er selber treu war. Er war ein Mensch, auf den man sich verlassen und dem man vertrauen konnte. Bei ihm wusste man, mit wem man es zu tun hatte. Das alles imponierte mir.

Als ich meiner Mutter am Abend darauf das Prospekt aushändigte, brach sie in einen Wutanfall aus. Obwohl ich ihr die vielen Argumente aufzählte, welche für die Politik der SVP sprachen, ließ sie sich nicht umstimmen. Im Gegenteil, sie wurde sogar noch wütender. Doch letztlich war mir das egal und ihre Schimpftirade gegen die SVP prallte von mir ab, wie leere Patronenhülsen.
Ich kannte ihre Einstellung ja schon zur Genüge. Meiner Meinung nach konnte sie da sowieso nicht mitreden. Viel lieber als mit ihr, wollte ich mich noch einmal mit Roland darüber unterhalten. Im Gegensatz zu ihr schien er was davon zu verstehen. Also besuchte ich ihn am nächsten Tag nach der Schule erneut an der Bahnhofstrasse, wo er neuerlich Prospekte und Popcorn an Interessierte verteilte. Roland freute sich, mich zu sehen und ich war Stolz darauf.

Rolands Familie schloss mich genauso schnell ins Herz, wie er selber. Er lud mich nämlich noch am selben Abend zum Essen bei sich zu Hause ein. Seine Familie wohnte in Meilen am Zürichsee. Sein Vater war der Besitzer eines kleinen Restaurants, welches er mit seiner Frau zusammen bewirtschaftete. Rösti und Sauerkraut mit Speck und Wurst gehörten zu den beliebtesten Menüs, welches sie im Angebot hatten. Rolands Schwester machte gerade eine Gastronomielehre bei ihren Eltern im Geschäft und sein kleinerer Bruder besuchte noch die Realschule. An jenem Abend erfuhr ich, wie es in meinem Leben eigentlich hätte aussehen sollen. Hier wurde miteinander am Tisch gelacht und diskutiert. Man lobte das feine Essen der Mutter und tauschte allerlei Tagesneuigkeiten untereinander aus. Obwohl ich vier Jahre jünger als Roland war, wurde ich als sein neuer Freund sofort von allen akzeptiert.
Die Mutter servierte Kartoffeln, frischen Käse und Aufschnitt. Als überzeugte Vegetarierin kochte meine Mutter nie Fleischwaren, darum freute ich mich ganz besonders über die feinen Wurstorten, die es gab.
Rolands Familie zeigte viel Interesse an mir und wollte alles Mögliche von mir wissen.
Wenn ich so mein liberales Leben mit dem strukturierten, konservativ geführten Familienleben von ihnen verglich, so hätte ich jederzeit, ohne zu zögern mit Roland getauscht. Am liebsten hätte ich mich an den Esstisch gekettet und hätte dieses Haus gar nicht mehr verlassen.
Aber natürlich ging das nicht. Die Realität holte mich ein, indem die Uhr plötzlich acht Uhr schlug und ich nach Hause gehen musste.
Rolands Mutter gab mir einen dicken Kuss auf die Wange, der Vater wuschelte mein Haar und sie meinten zu mir, dass ich jederzeit bei ihnen willkommen sei. Roland begleitete mich noch zum Bahnhof und sagte: „War schön heute Abend mit Dir, Rolf.“
Damit ging der Abend, der eigentlich nie hätte Enden sollen, vorbei und ich fuhr zurück in das Quartier der Hölle.

Und so hatte die Freundschaft zwischen mir und Roland ihren Anfang genommen, allerdings verlief auch jene nicht ohne Schwierigkeiten.
Das, was unsere Freundschaft in nächster Zukunft auf die Probe stellen sollte, war leicht auf einen Nenner zu bringen: Sabrina.
Mit Bestimmtheit kann ich sagen, dass ohne Sabrina die Freundschaft mit Roland um einiges gradliniger verlaufen wäre, als es zum Schluss hin der Fall war.
Als ich an jenem Abend nach dem Essen bei Rolands Familie per Zug nach Hause fuhr, hatte ich das Gefühl, dass mein Leben nun eine entscheidende Wende genommen habe und ich die Chance hatte, ein normaler, glücklicher Jugendlicher zu werden.
Doch bereits am Wochenende darauf musste ich feststellen, dass auch das nicht so einfach werden würde. Denn am folgenden Samstag lud mich Roland zu einem Grillnachmittag mit seinen Freunden ein.
Wir trafen uns am Zürichsee. Als ich eintraf herrschte bereits ein reges treiben. Es wurde Volleyball gespielt, die Leute saßen in verschiedenen Grüppchen rum und lachten, einige machten Musik und alles wirkte idyllisch und frohlockend, als ich eintraf.
Als Roland mich erreicht hatte, umarmte er mich erst mal und hob mich mit einem Ruck in die Höhe und drehte sich so mit mir im Arm einmal um die eigene Achse und ließ mich dann wieder runter.
„HA HA!“, machte er und klopfte sich wie ein Buschkrieger auf die Brust. Ich lächelte verlegen und kämpfte mich wieder auf die Füße.
Doch dann passierte etwas ganz und gar unerwartetes. Während sich Roland immer noch wie ein Barbar aus dem Mittelalter aufführte, warfen sich ihm von hinten ein paar schlanke Arme um den Hals. Was ich daraufhin zusehen bekam, veränderte meine junge Welt von neuem um 180 Grad. Ein zarter Frauenkörper schwang sich meinem Freund auf den Rücken und das schönste Gesicht, welches ich bis anhin in meinem Leben gesehen hatte, tauchte über dem Haarschopf Rolands auf.
„Hüah! Alter Schimmel, Galopp!“, rief die mir fremde Schönheit und gab Roland die Sporen.
Die junge Frau hörte auf den Namen Sabrina, war 19 Jahre alt und ritt bereits erfolgreich bei Schweizer Meisterschaften mit. Dann allerdings nicht auf Roland, sondern ihrem Pferd Salem. Sabrina trug schulterlange Haare, war schlank und trotzdem kräftig gebaut, sie besaß ein beeindruckend großes Mundwerk und ein noch bedeutend größeres Selbstbewusstsein. Doch vor allem war sie in meinen Augen ein strahlender Sonnenschein, der jeden verzauberte und in dem sich jeder einmal sonnen wollte. Vom einen auf den anderen Moment war ich Hals über Kopf in sie verliebt.

3 Meine ganze Welt gehört Sabrina
In Sachen politischer Überzeugung stand Sabrina ihrem Freund Roland in nichts nach. Beide teilten die mehr oder weniger selbe Linie.
Sabrina arbeitete mit behinderten Menschen und war der festen Überzeugung, dass die Sozis einen Schmusekurs fuhren, der niemandem half.
„Bei uns in der Arbeit gibt es Betreuer und Betreuerinnen, die mit den Behinderten immer nur auf lieb und nett machen. Selbstbestimmung heißt das neue Schlagwort. Aber mal ehrlich, wer kann schon über alles um sich herum selber bestimmen? Es gehört zum Leben, dass man sich anpassen muss. Selbstbestimmung ist ja schön und gut, aber es herrschen halt immer noch soziale Regeln. Ich finde, auch Behinderte, ob geistig, körperlich oder psychisch, sollten sich nicht hinter ihren so genannten Behinderungen verstecken können. Nicht fremdbestimmt zu werden, eigenverantwortlich und selbstständig leben, handeln und Entscheidungen treffen zu können, bringt Pflichten mit sich. Da hätten wir zum Beispiel einen Mann mit Autismus. Der macht, was er will und immer heißt es, ja das liegt halt an seinen autistischen Zügen, da kann er nichts dafür! Hallo! Da muss halt mal durchgegriffen werden. Und kaum greifen wir durch, heißt es wieder, wir würden erwachsene Menschen „erziehen“ und das könne man nicht mit Erwachsenen machen. Ich meine, jemand, der sich einfach nicht recht benehmen kann, der braucht halt ein bisschen Nacherziehung, ob erwachsen oder nicht!“
So offen und ehrlich war Sabrina. Nicht immer machte sie sich damit beliebt. Obwohl sie von den Bewohner und Bewohnerinnen in dem Heim, wo sie arbeitete sehr geschätzt wurde, befand sie sich vor allem mit ihren Teammitgliedern stetig auf Konfrontationskurs.
Im Gegensatz zu Roland engagierte sich Sabrina nicht für die SVP und folgte auch keinen politischen Zielen. Sabrinas Leidenschaft gehörte ganz dem Reiten. Sie konnte Ewigkeiten lang ohne Unterbruch von ihrem Pferd „Salem“ erzählen.
Mit Roland war Sabrina seit eineinhalb Jahren zusammen. Die beiden hatten sich an einer Party kennen gelernt und Roland hatte sich auf den ersten Blick in Sabrina verliebt. Bei Sabrina dauerte es hingegen ein bisschen länger, bis ihr Herz erobert war.
„Es war ja fast nicht möglich an sie ranzukommen. Dutzende Männer haben sich um sie herumgetummelt, als wäre sie der Honigtopf, der die Bienen anlockt. Sie kann ja nichts dafür, Sabrina zieht die Menschen halt einfach magisch an.“, schwärmte Roland und wurde für diese liebenswürdigen Worte von Sabrina mit einem dicken Schmatzer belohnt.

Es war tatsachlich so, dass sich die Leute um Sabrinas Aufmerksamkeit rissen. Ihr Humor, ihre Offenheit und Spontaneität waren so ansteckend wie eine Droge. Ich war auf der Stelle süchtig geworden. Sie brachte mich sogar dazu, dass ich bei einem Volleyballmatch mitspiele, obwohl ich Mannschaftsspiele schon immer aus tiefstem Herzen verabscheut habe.
Sabrina schaffte es, dass man sich selber in ihrer Gegenwart besser mögen lernte. Als ob das eigene Bild von einem wie bei einem Spiegel von ihr zurückreflektiert wird, allerdings viel schöner und besser.

In den folgenden Wochen nach meinem Auftauchen in Rolands Leben bekam Sabrina das Gefühl, dass sie sich mir annehmen müsse. Vielleicht bekam sie mit mir Mitleid, weil ich mich an diesem Nachmittag am Zürichsee unter all den vielen Menschen so unbeholfen benommen hatte.
Auf alle Fälle verliebte ich mich immer mehr in sie. Umso mehr sie sich mit mir abgab, desto stärker wurde mein verhängnisvolles Verlangen nach ihrer Nähe. Meine Hormone spielten mit einem mal verrückt. Ich verzehrte mich förmlich nach ihr. Jede Pore meines Körpers schien ihren Namen zu rufen.
Die Freundschaft zu Roland war dadurch schlagartig zweitrangig geworden.
Meine Mutter bewies ihren mütterlichen Instinkt, als sie die erste war, die meine Gefühle durchschaute und mich darauf ansprach. Doch natürlich will man mit vierzehn Jahren kaum etwas weniger, als mit seiner eigenen Mutter über die eigenen, intimsten Gefühle zu sprechen, also ging ich ihr aus dem Weg.

Ich traf mich weiterhin regelmäßig mit Roland. Ihm schien merkwürdigerweise nicht aufzufallen, dass ich mich während Sabrinas Anwesenheit ganz anders benahm als sonst.
Während Roland vor allem so etwas wie mein Orientierungspunkt in der politischen Welt war, nahm Sabrina die Rolle meiner gesellschaftlichen Reiseführerin ein.
Sie dachte, dass ich lernen müsse, mich als Person zu behaupten. Ich war damals ein vierzehnjähriger Junge, dessen Freundeskreis aus zwei Verliebten bestand, die beide fast fünf Jahre älter als ich selber waren. Auch in allen anderen Belangen war ich kein annähernd typischer Teenager. Ich ließ mich noch immer von meiner Mutter einkleiden, hatte null Bezug zur Popkultur, interessierte mich nicht für Sport und verhielt mich meist verschlossen und stumm wie ein Tintenfisch.
Ihr Kursprogramm, das sie für mich ausheckte, war simpel. Sie ließ sich von mir bei ihren Shoppingtouren begleiten. Diese Shoppingtouren gehörten ausschließlich ihr und mir. Wir verbrachten ganze Nachmittage damit, merkwürdige Läden zu besuchen und gemeinsam in den angesagtesten Cafes rumzusitzen und über allerlei Sachen zu reden, über die man als Teenager meines Jahrgangs eben so redete. Diese Nachmittage alleine mit ihr waren Himmel und Hölle zugleich für mich. Die Zeit mit ihr alleine war das Schönste, was ich mir je hätte vorstellen können, doch gleichzeitig wurde es auch mit jedem Nachmittag noch deutlicher für mich, dass aus unserer Beziehung niemals mehr werden könnte. Doch das allerschlimmste stellten die Enden all dieser Nachmittage dar, die Momente, an denen wir jeweils wieder auseinander gingen und mir nur noch meine Erinnerungen an sie blieben.
Ordnung in mein Leben brachte zu der Zeit eigentlich nur die SVP. Ich durfte zwar noch nicht wählen, aber da sich Jugendliche als beste Parteiwerbung herausstellten, war ich natürlich von unschätzbarem Wert. Roland nahm mich ab und zu mit, wenn sich er sich mit anderen aus der Partei traf und schon alsbald hatte ich mich zu einem geschätzten inoffiziellen Mitglied der jungen Zürcher SVP gemausert.
Von meiner Mutter hielt ich mein neues politisches Engagement vorerst geheim. Zu der Zeit hatte sie alle drei Monate einen neuen Gefährten an ihrer Seite, den sie Lebenspartner zu nennen pflegte. Allesamt waren es Männer, die ich in meiner Fantasie als SVP-Bundesrat mit Polizeigewalt aus der Schweiz ausschaffen ließ.
Schulisch wurde ich immer besser. Immerhin hatte ich jetzt Ziele vor Augen, für die es sich einzusetzen lohnte. Obwohl meine Beliebtheit bei Mitschülern auf dem immer gleichbleibend tiefen Niveau stagnierte, wurde ich noch im selben Jahr zum Klassensprecher gewählt.
Eigentlich hatte ich auch nicht vor, um jeden Preis beliebt zu werden. Nach bester SVP-Tradition bildete ich sozusagen die Opposition in unserer Klasse und ging meinen ganz eigenen Weg. Ein weiterer Grund dafür, dass ich meine Unbeliebtheit relativ gelassen akzeptierte, war die Einsicht, dass sich Sabrina nur solange intensiv um mich kümmern würde, solange ich nicht bliebt war. Wäre ich plötzlich ein typischer Vierzehnjähriger, hätte sie ihre Aufgabe als erfolgreich abgeschlossen betrachtet.

Obwohl Roland schier zu so etwas wie einem großen Bruder für mich geworden war und er sogar immer häufiger seine Familie und sein Haus mit mir teilte, wuchs in mir eine unheimlich starke Eifersucht auf ihn heran. Ich gönnte ihm Sabrina nicht, ich würde sie nie irgendwem gönnen können, bemerkte ich. Ich liebte sie. Sie war die Tragödie meines jungen Lebens. Und manchmal tüftelte ich im Geheimen an hinterhältigen Plänen, wie ich meinen Bruder im Geiste würde aus dem Weg räumen können.
 
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Kommentare  

Muss Mino Recht geben. Flüssig geschriebene, lebensechte Geschichte. Hat mir Spaß gemacht, aber den zweiten Teil werde ich nur kurz anlesen, weil ich mich auch um meinen eigenen Roman kümmern muss.

doska (13.08.2008)

Danke für deinen Kommentar, Mino. Stimmt schon, als Deutscher hat man es nicht immer leicht in der Schweiz. Ich hab mit vielen aus Deutschland gearbeitet und hatte auch mal ein Mitbewohner. Wobei, ich glaube, es wird besser, Mino.

also, nochmal danke, gruess mork


Mork (11.08.2008)

Mork schrieb: „Wir sind hier aber in der Schweiz. In der Deutschschweiz, um präzise zu sein, Mutter. Ich schere mich einen Dreck um die globale Sprache. Wir reden hier immer noch Deutsch, Herrgottnochmal.“

Muahahahahaha!!! DIESER Abschnitt war der beste Teil dieser Satire!
Wer jemals in der Schweiz war und sich dort auf "Deutsch" verständigen mußte, der weiß, wovon ich rede. *grins*

Ansonsten ist es - abgesehen von einigen Grammatikfehlern - eine köstliche und lebhafte Geschichte, die durchaus Lust auf weitere Fortsetzungen macht.
Hat mir überaus gut gefallen!

Grüezi und beste Grüße vom Mino!


anonym (11.08.2008)

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