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Happy Birthday

Schauriges · Kurzgeschichten
Happy Birthday

Der Wecker holt mich aus dem Grübeln. Ich hätte seiner nicht bedurft, liege ich doch schon seit Stunden wach. Heute ist mein Geburtstag, heute beginnt mein Rentnerinnendasein, heute werde ich 85 Jahre "jung"!
Mit schweren Gliedern verlasse ich mein wohlig warmes Bett. Wo ist die Freude auf den heutigen Tag geblieben?
Vor einigen Jahren initiierten die Kranken- und Rentenversicherungsträger große Geburtstagsfeste für all jene, die langjährig Beiträge eingezahlt hatten und mit 85 Jahren aus der Beruftätigkeit traten. Heute nun werde auch ich Ehrengast eines solchen Festes sein!
Wie lange freute ich mich schon auf diesen Tag. Doch die Freude ist einer grauen Anspannung gewichen.
Während ich mich im Bad zurecht mache, betrachte ich mich im Spiegel. Seltsam, ich bin jetzt 85 Jahre alt, fühle mich aktiv und lebendig wie mit 40 und sehe aus wie eine 60jährige. Kaum zerfurcht eine Falte mein Gesicht, kaum glänzt ein graues Haar in meinen dunklen Locken. Die ausgewählte Garderobe unterstreicht meine immer noch straffen Konturen. Die Seidenbluse fällt weich über meinen Oberkörper, der weite Rock umspielt die langen Beine.
Ich lege etwas make up auf, als ich eine große Limousine vor der Gartenpforte anhalten sehe.
Ein prüfender Blick in den Spiegel. Ein weiterer in mein Inneres: graue Gewitterwolken ziehen über mein Gemüt.
Der Chauffeur hält mir galant die Tür des Fonds auf, schließt sie sacht. Ich fühle mich etwas unbehaglich in der großen Limousine, die frisch nach teurem Leder riecht. Der große Wagen bewegt sich fast geräuschlos durch die Straßen, souverän gelenkt.
Ich lasse meine Gedanken schweifen: was erwartet mich?
Unsere Nachbarin hat vor drei Monaten Geburtstag gehabt, wurde auf ihrem Fest mit einer Weltreise ausgezeichnet. Sie ist immer noch nicht zurück. Eine andere Frau aus dem Ort, so erzählte man, hat sogar eine Weltraumfahrt gewonnen.
Ich lehne mich in die tiefen Ledersitze zurück, versuche mich auf die Feier zu freuen, doch ich spüre nur Kälte, die mich bereits den ganzen Morgen begleitet.
Der freundliche Chauffeur reduziert die Geschwindigkeit, der Wagen kommt vor einer weißgetünchten Vorortvilla zum Stillstand. Er öffnet mir die Wagentür und geleitet mich zum Eingangsportal. Dort werde ich von einem livrierten Bediensteten empfangen, der mich in einen kronleuchtererhellten Saal führt.
Ein Mann in einem schwarzen Anzug strebt mir mit weit ausgebreiteten Armen entgegen.
"Happy Birthday, meine Liebe und herzlich Willkommen zu unserem kleinen Fest. Dürfte ich Sie kurz nach nebenan bitten?"
Zuvorkommend bietet er mir seinen Arm. Ich genieße diese Aufmerksamkeit, möchte darin eintauchen, möchte mich der leichten Brise hingeben. Stattdessen breitet sich die Kälte wie ein Polarsturm aus, nehmen die Gewitterwolken meine ganze Seele ein.
Das Zimmer nebenan ist klein, nur mit einer nackten Birne von der Decke baumelnd, erhellt. Ein einfacher Holzstuhl wird mir zugewiesen.
Die Kälte hat meinen gesamten Körper vereinnahmt. Mit ihr Hand in Hand bricht die Starre über mich herein.
Die Kammertür öffnet sich geräuschlos. Ohne das nette Lächeln tritt der Chauffeur auf mich zu. Die rechte Hand, pistolenschwer, richtet sich auf meine Schläfe.
Der Mann im schwarzen Anzug tritt in den Lichtschein, sein Lächeln eingefroren.
"Ihr alten Säcke werdet uns einfach zu kostspielig! Happy Birthday, meine .... Teure!"
 
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Kommentare  

echt klasse!!!--zukunftsvision= demnächst ab 67, wenn es rente gibt, grosse feier, weltreise, man kehrt nie zurück....weil man im nebenzimmer eliminiert wurde.... RENTNER sind einfach zu teuer

klausiemausie


anonym (30.12.2008)

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