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29 Seiten

Point Hope - Teil 5

Romane/Serien · Spannendes
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Israel hatte einen Brief vom Sozialamt an seine Eltern mitgebracht, um sich den Inhalt von Carla erklären zu lassen, sie hatten die Befürchtung, man würde ihnen die Unterstützung streichen und Carla sollte ihnen den Rat geben, was zu tun sei. Sie konnte ihn beruhigen, die Gelder würden nicht gekürzt oder gestrichen, seine Familie solle nur einige Fragen auf dem beigefügten Bogen beantworten.
„Was wollen die denn wissen?“
„Ob ihr heimlich in Saus und Braus lebt, Israel. Ich komme gern bei euch vorbei und dann gehe ich alles mit Mae durch.“
Mae war Israels Mutter und die einzige Erwachsene, die etwas lesen und schreiben konnte. Unter normalen Umständen hätte George Koonook in dieser Angelegenheit geholfen, aber Israels Familie lebte in Point Hope, hatte die enge Gemeinschaft der Tlingits verlassen. Israel nahm den Brief wieder an sich, steckte ihn in das verhasste Englischbuch und machte sich auf den Heimweg, mit einer guten Nachricht im Gepäck. Während sie der Klasse einige Aufgaben an die alte Schiefertafel schrieb, überlegte sie, was sie kochen könnte, irgendwas besonderes weil sie plante, auch Nick Reining einzuladen.
Die Aufgaben für den nächsten Tag beendete sie mit einem kleinen Rätsel, das tat sie gern. Das Kind, welches das Rätsel als erstes löste, durfte nach vorn kommen und sich eine Süßigkeit abholen. Den Zähnen war es nicht zuträglich, aber es lockerte immer wieder die Atmosphäre auf, weil auch einige der schwächeren Schüler die Rätsel lösen konnten.
Sie legte die Kreide weg, klopfte sich den Staub von den Fingern und hatte eine fast perfekte Menüfolge im Kopf. Sie packte ihre Sachen zusammen, in Gedanken suchte sie schon in Hydes Laden nach den passenden Zutaten, hastete aus dem Klassenraum und stieß in der Tür mit Agent Bragas zusammen, der dort offensichtlich auf sie gewartet hatte. Carla machte einen nervösen Schritt zurück.
Werd ihn los, dachte sie, aber komm nicht auf die Idee, ihn zum Essen einzuladen.
„Hallo“, sagte Bragas, „kann ich sie einen Augenblick sprechen?“
„Ich hab es eilig“, erwiderte sie, (geh weg und lass mich in Ruhe!) „wenn sie möchten, können sie mich in den Laden begleiten.“
Sie bestand nicht auf seine Begleitung, weil sie mit ihm reden wollte, sondern weil sie wusste, dass sie im Laden nicht mit ihm allein sein würde. Bragas sollte keine zweite Chance bekommen, ihr unangenehme persönliche Fragen zu stellen.
Percy Hyde begrüßte sie, runzelte die Stirn, sagte aber nichts über ihr gemeinsames Auftauchen. Carla bestellte sich eine Tasse Tee, tat unbekümmert, obwohl ihr die Anwesenheit von Bragas absolut unangenehm war. Er setzte sich neben sie, trank eine Coke und begann seine Fragen zu stellen, die so verpackt waren, als würden sie über belangloses Zeug plaudern.
„Wo ist Ian im Moment?“
Sie wollte diese Fragen nicht beantworten, denn hinter jeder einzelnen witterte sie eine Falle. Es wunderte sie wirklich, dass ihre Hand an der Teetasse nicht zitterte.
„Er ist mit ihren Kollegen unterwegs, Agent Bragas“, sagte sie, „ich dachte, das wüssten sie. Sie wollten die Tlingits und das Forschercamp besuchen.“
„Mein Kollege bevorzugt Alleingänge, aber das nehme ich ihm nicht übel. Er hat sich hier so schnell eingelebt und Freunde gemacht.“ Er hob die Stimme, dass auch Percy es hören musste. „Es scheint fast so, als würden Ian und er sich schon lange kennen, hatte ich jedenfalls das Gefühl.“
Percy Hyde, vollkommen unbedarft, sprang sofort darauf an und sinnierte darüber, dass Ian normalerweise nicht so vertrauensselig war, aber sicher einfach nur dem FBI bei den Ermittlungen helfen wollte – was denn auch sonst. Bragas stimmte Percy zu, benahm sich dabei wie ein schlechter Schauspieler.
„Ich habe große Probleme mit der Kälte und der Einsamkeit hier“, sagte er, „deshalb bin ich dankbar für jede Hilfe. Carla, wie kommen sie hier nur zurecht?“
Carla stellte die Tasse ab, bevor ihre nervöse Hand sichtbar werden konnte, wünschte sich Ian herbei, der diesem Verhör ein Ende machen würde, aber sie war allein und hilflos, mitten in Hydes Laden, wo Kunden ein- und ausgingen, den Fragen des FBIs ausgeliefert, als säße sie in einem geschlossenem Verhörraum.
„Ich bin glücklich hier“, sagte sie.
Bragas trank seine Coke, bezahlte und lächelte aufmunternd, aber Carla war nicht erleichtert, als er verschwand. Der Mann hatte noch etwas vor, er würde sie nicht in Ruhe lassen. Sie hatte Mühe, sich wieder auf ihr geplantes Essen zu konzentrieren.

***
„Ich hoffe, sie haben keine gesundheitlichen Probleme, die sie herführen“. Roberts hatte dicke Augen, die daran denken ließen, dass er zu wenig Schlaf hatte, aber es war eher so, dass er zu viel Schlaf hatte. Jede freie Minute nutzte er, um sich in seiner Praxis aufs Ohr zu hauen, bevorzugt unter seiner Kaltlichtlampe, die er sich gegen das SAD-Syndrom gekauft hatte. Doc Roberts war immer glücklich, wenn er sich mit Gesunden unterhalten konnte. Den Hilfspolizisten auszufragen wäre nicht so ergiebig gewesen, der wäre zu schnell misstrauisch geworden, aber ein einsamer verschlafener Mediziner kam ihm gerade recht.
„Ich weiß überhaupt nicht, was Ian früher gemacht hat, bevor er von dem Schiff runtergekommen und hier geblieben ist. Aber ich denke, dass er es nie einfach gehabt hat. Ich hab die Spuren an ihm gesehen.“
„Was denn für Spuren?“
Doc Roberts machte eine ablehnende Geste, rieb sich den letzten Rest des Schlafes aus den Augen, schielte Agent Bragas von der Seite an.
„Ich denke nicht, dass ich darüber reden sollte.“
„Es ist nicht wichtig, ich dachte nur, ich hätte von Agent Reining gehört, dass er eine wilde Zeit hinter sich hätte, aber wohlmöglich sollten wir wirklich nicht davon sprechen.“
Bragas bot dem Doc eine Zigarette an und sie sprachen über das gute alte Erdöl, was unter dem Eis von Alaska lag, genug Öl für die nächsten Jahrzehnte, die den Reichtum der Region sicherte, und Bragas fragte, ob viele Leute nach Alaska kamen, weil es ein gutes Leben versprach.
„Das Leben ist auch nicht besser als anderswo“, meinte Doc Roberts, „ob mit oder ohne Öl.“
„Sind viele hier, die einfach nur abgetaucht sind?“
„Einige“, grinste Roberts.
„Was ist mit Ian? Was hat ihn hergetrieben?“
„Das weiß ich nicht.“
Bragas ließ ihn wieder etwas von der Leine, aber zu guter letzt bekam er Doc Roberts dahin, wo er ihn hinhaben wollte, sie lachten über komische Unfälle anderer Leute, Bragas wurde sofort wieder ernst, kippte die Stimmung ins Gegenteil und stellte die Vermutung auf, dass es Ian auch nicht leicht gehabt haben dürfte.
„Als ich ihm das gebrochene Bein geschient habe, habe ich einen Blick auf die alten Narben geworfen, die er am ganzen Körper hat. Ich bin Arzt und ich habe in meiner Praxis schon viel gesehen, was entstellte Körper und Unfallopfer angeht, aber die Narben, die er überall hat, sind Spuren von Verletzungen, die er als Kind erlitten hat.“
„Auch Kinder verunglücken manchmal.“
Doc Roberts schwieg und nickte, wurde richtig nachdenklich und es schien, als würde er nicht weiter sprechen, aber dann sagte er: „Ich konnte ihn nicht danach fragen, aber ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Ich weiß, wie stumpfe Verletzungen und Schnittwunden aussehen, wenn sie Kindern beigebracht werden, die Narbenbildung verläuft da anders. Das war kein Unfall. Das hat ihm jemand über einen langen Zeitraum hinweg beigebracht. Ich wette um alles Geld, das ich auf seinen Röntgenbildern passende verheilte Knochenbrüche finden würde, Rippen, Arme, Beine, Finger. Es ist furchtbar, was Kindern angetan wird.“
Bragas machte ein betroffenes Gesicht, obwohl er sich nicht betroffen fühlte wegen dieser Sache, es ging einfach nur um Informationen, die er brauchte.
Doc Roberts hingegen war so mitgenommen, dass er einen Schluck aus seinem Giftschrank brauchte, um sein seelisches Gleichgewicht wieder zu finden. Zwischen den Medikamenten, den Einwegspritzen und den echten Hammerdrogen, die Roberts stets gut verschlossen im Stahlschrank aufbewahrte, stand auch eine Flasche Scotch, die nur noch zu einem Viertel voll war. Bragas argwöhnte sofort, dass der alte Knochenflicker häufig Trost aus der Flasche brauchte und deshalb wohl auch ständig in seiner Arztpraxis schlief.
„Trinken sie im Dienst?“
Er hatte bereits zwei Gläser aus dem Regal genommen, drehte sich zu Agent Bragas herum und als er nicht direkt eine Antwort bekam, setzte er hinzu: „Ich hab auch Eis da.“
Bragas nickte zustimmend, machte sich Gedanken darüber, wo der Mann die Eiswürfel herholen würde, aber er konnte sich beruhigen; das Eis kam nicht aus der Leichenhalle und nicht aus der Truhe bei den pathologischen Resten irgendwelcher Opfer – er machte einfach die Hintertür der Praxis auf schlug mit einem medizinischen Gerät gegen die Regenrinne und das Eis klimperte in die Gläser. Als er zurückkam, war seine Nase rot, aber er grinste breit und endlich schienen seine Augen so wach, wie sie bei einem praktizierenden Mediziner sein sollten.
„Das beste Eis der Welt“, behauptete er großspurig, behielt für sich, dass das beste Eis noch immer aus den Gletschern kam und nicht von der Regenrinne seiner Hintertür. Sie klickten die Gläser aneinander und sprachen von dem Eismann, dessen Namen sie zwar kannten, aber nicht benutzten, als sei ihnen das unangenehm. In Bragas‘ Schädel formierten sich die Informationen zu Bildern zusammen, in deren Mittelpunkt Ian stand.
Doc Roberts bot ihm noch einen zweiten Scotch an, den er allerdings ablehnte und in das Büro zurückkehrte, um dort ein wenig Telefon und Fax zu beanspruchen.


**
Das Gemüse und das Fleisch aus den Konserven ließen sich mit frischen Zutaten aufpeppen, den Rest machte sie mit Kräutern und Gewürzen. Carla hatte sich bei Susannah ein paar Kochbücher ausgeliehen, fand seltsame Eintragungen und Verbesserungen ihrer Freundin, die man nicht unbedingt in einem Kochbuch erwarten würde und sie musste sich hinsetzen, als sie las, dass Albie das eine Rezept besonders mochte. Sie prustete ungläubig die Luft aus den Lungen. Susannah hatte Albie Newton zum essen eingeladen? Was mochte da noch alles gelaufen sein? Und warum hatte sie nie etwas erwähnt?
Ganz klar, warum, dachte Carla, selbst ich würde denken, sie wäre nicht mehr ganz bei Trost. Mit Albie kann man sich ja nicht einmal vernünftig unterhalten, geschweige denn irgendetwas anderes anfangen. Warum hat sie ihn bloß zum essen eingeladen?
Wäre sie nicht mit Kochen beschäftigt gewesen und hätte sie keine Gäste erwartet, hätte sie sich sofort auf den Weg gemacht, um Susannah einen Besuch abzustatten. Sie sagte sich, dass an der ganzen Sache vermutlich nichts dran war und sie sich irgendwas zusammenreimte, aber trotzdem war sie furchtbar neugierig.
Zwei Stunden später kam erst Nick Reining, dann zehn Minuten später trudelte Ian endlich ein, sie waren gut gelaunt und Reining brachte Carla in Verlegenheit, als er eine Flasche Wein hervorzauberte, von der sie genau wusste, wie teuer sie gewesen war.
„Das kann ich nicht annehmen“, protestierte sie, „ich weiß, wie teuer der gewesen ist, die Flaschen stehen bei den Hydes nur hinter der Theke.“
Nick Reining machte eine verschwörerische Geste. „Wenn es sie beruhigt, ich kann so ziemlich alles als Spesen angeben, was ich hier ausgebe und eine Flasche Wein gehört dazu, wenn man sie als Lebensmittel auf die Rechnung setzt.“ Er zwinkerte und Carla war etwas beruhigt, wollte aber nicht diejenige sein, die die Flasche öffnete, weil sie befürchtete, sie könnte den teuren Wein fallen lassen. Und dann machte sie sich Gedanken darüber, dass sie nur alte angeschlagene Weingläser besaß, die zu dem sündhaft teuren Wein überhaupt nicht passen wollten. Es war ihr peinlich, aber noch peinlicher wäre es gewesen, es offen zuzugeben, und deshalb überging sie es, stellte die Weingläser auf den Tisch. Die drei besten.
Reining öffnete die Flasche, ohne den Korken nach innen zu bröckeln oder die Flasche fallen zu lassen. Das erste Glas goss er Carla ein, ließ sie probieren und wollte ihr Urteil hören.
„Ich bin überhaupt keine Weinexpertin“, entschuldigte sie sich, „aber der schmeckt hervorragend. Was kann ich auch anderes sagen.“
Ian setzte sich, drehte das pochende Bein vom Tisch weg, dass er es lang ausstrecken konnte und meinte, als Carla in die Küche hastete: „Ist der Wein wirklich so gut oder wollte sie nur höflich sein?“
Nick probierte einen kleinen Schluck und deutete mit dem Daumen zur Decke. Obwohl er die ganze Zeit versuchte, einen gut gelaunten Eindruck zu machen, schlich sich einen Moment lang, als er sich unbeobachtet fühlte, ein Schatten über sein Gesicht. Ian wollte fragen, was los sei, aber Carla setzte sich bereits wieder an den Tisch, lächelte sonnig und erklärte die Menüfolge, machte dabei ein Trarah, als sei sie Köchin eines Sternerestaurants. Ian legte den Kopf in die Handfläche und wartete darauf, dass sie irgendeinen eleganten Spruch losließ, der sie zum essen aufforderte. Carla fand keinen eleganteren als „Lasst es euch schmecken“, drehte die Weinflache mit dem Etikett zu sich herum, dankte stumm für das gelungene Essen und betete gleichzeitig für einen ruhigen entspannten Abend. Ein Gespräch kam zunächst nicht zustande, aber die Stille zwischen ihnen war wohltuend, sie waren nicht wirklich daran interessiert, etwas zu sagen. Die muntere Plauderei begann erst, als Cara fragte, wie die Eisbärenjagd verlaufen sei, und Nick Reining begann mit Händen und Füßen zu erzählen, wie ihm der Asch auf Grundeis gegangen war.
„Ich hatte wirklich Angst“, sagte er, „dieser Koloss war mir viel zu nahe dran, er starrte dauernd in unsere Richtung, stellte sich auf die Hinterbeine und ich wollte so schnell wie möglich wieder verschwinden, aber Ian sagte immer nur: Mach weiter Fotos, es passiert nichts. Der ist zu weit weg. Mach schon, mach schon. Und ich dachte die ganze Zeit nur daran, ob wir es im Notfall schnell genug auf das Schneemobil schaffen würden.“
„Er hat mit Sicherheit alle Fotos verwackelt“, sagte Ian.
Nick bedrohte ihm grinsend mit dem Messer, das er von seinem Teller hochnahm.
„So sehr gezittert hab ich auch wieder nicht.“
„Doch. Hast du.“
„Vor Kälte vielleicht.“
„Habt ihr Albie Newton in den letzten Tagen gesehen?“ warf Carla ein, sehr nebensächlich, als sei es ihr nur gerade eingefallen. Ian schüttelte den Kopf, Nick überlegte und antwortete: „Nein, ich glaube, das letzte Mal hab ich ihn gesehen, als der irre Japaner in den Laden ging. Er hat versucht, mir irgendwas zu erklären, aber was, hab ich vergessen.“
„Ist auch nicht wichtig, mir fiel nur ein, dass ich ihn mit dieser neuen Fellmütze gesehen habe und dachte, er müsse irgendwas vorhaben. Du weißt schon.“
Sie sah Ian direkt an. Er zuckte mit den Augenbrauen. „Keine Ahnung.“
Sie lachten darüber, dass er so ahnungslos tat.
„Komm schon, du weißt genau, was ich meine. Ob Albie ein Mädchen kennen gelernt hat.“
Nick beugte sich nach vorn und fragte interessiert: „Weil er sich eine neue Mütze gekauft hat?“
„Albie kauft sich nie neue Sachen, er wartet darauf, dass bei der Altkleidersammlung etwas für ihn abfällt. so kommt er zu seinen Klamotten. Er trägt sie, bis sie ihm vom Leib blättern.“
„Wen könnte er sich angelacht haben?“
„Albie ist eine komische Nummer, aber er ist ein netter Kerl“, sagte Ian, „als er diese Kontaktanzeige aufgegeben hat vor zwei Jahren, konnte er sich vor Zuschriften nicht retten.“
„Aber es ist nichts dabei rumgekommen.“
„Natürlich nicht“, meinte Carla, „über ein paar Briefe und Telefonate ist Albie nie hinausgekommen. Eigentlich schade, wo wir doch einige ledige Frauen herumlaufen haben, die nur darauf warten, einen abzukriegen.“
Ian und Nick sahen sich über den Tisch hinweg an und als Nick zu grinsen begann, fragte Ian: „An wen hast du denn da gedacht, wer zu Albie passen würde?“
Carla fühlte sich ertappt, schluckte die Ausflüchte herunter, die ihr auf der Zunge lagen, versuchte das ganze abzutun.
„Ich kann doch keine Namen nennen, Ian. Ich meinte nur, es wäre möglich, dass Albie jemanden findet. Das kam mir nur so in den Sinn.“ Sie zählte in Gedanken bis fünf, stand dann auf und ging in die Küche, murmelte, sie habe etwas vergessen. Nick war zu sehr Gentleman, um laut zu vermuten, dass sie nur in die Küche flüchtete, weil es ihr peinlich war und er vermutete, sie könnte etwas von Albies scheinbarem Verhältnis wissen und sie wolle nur nicht darüber sprechen.
Carla kam mit schwarzem Pfeffer zurück und sie sprachen vom Erdöl und dem Naturschutzgebiet und der Möglichkeit, weiter in den Süden zu ziehen, wo es ebenso einsam, aber klimatisch weniger extrem war.
„Ich kann die Berge nicht leiden.“ Ian nahm sich von dem Wein, goss sich nach und griff nach Carlas Glas, um ihr den Rest aus der Flasche einzuschenken.
„Was hast du gegen Berge?“
„Ich hab zu viele Lawinenfilme gesehen.“
Für den Nachtisch hockten sie sich in die enge Küche, Carla behauptete, Backofenhitze sei besser verträglich als trockene Heizungsluft, die würde die Haut austrocknen und obwohl in der Gebrauchsanweisung immer wieder davor gewarnt wurde, erklärte Carla kichernd, sie würde sehr oft den Backofen bis zum Anschlag aufdrehen und damit die Küche heizen.
„Carla“, fragte Nick Reining, „kann es sein, dass sie betrunken sind?“
„Bei Damen nennt man das beschwipst“. Carla hockte vor dem Backofen, Ian saß mit dem Hintern in der Spüle und Nick stand im Türrahmen, lehnte mit der rechten Schulter gegen das Holz. Betrunkene Frauen hatten etwas Hilfloses und gleichzeitig machte es sie stärker, es hatte etwas von dem torkelnden Hüftschwingendem Gang auf Stöckelschuhen. Nick wollte schon zugeben, dass Damen beschwipst waren, als Carla sich das Haar zurückstrich und hinzusetze: „Möglich, dass ich doch betrunken bin, schließlich kann niemand behaupten, dass ich eine Dame wäre.“
Nick sah sie aufmerksam an, um rechtzeitig etwas einzuwerfen, nach einem Kaffee zu fragen oder ähnliches, sollte Carla so ins persönliche abrutschen, dass es ihr später peinlich werden könnte. Ian, mit dem Hinterteil in die Spüle gerutscht und mit den Beinen baumelnd, starrte auf die Fliesen des Fußbodens und schien nichts mitzubekommen.
„Entschuldigen sie mich“, murmelte Carla düster, „ich rede Unsinn. Möchten sie noch etwas von dem Kuchen, bevor er vollkommen austrocknet?“
„Gerne“, sagte Nick. Es erschien ihm besser, noch etwas in Schweigen zu essen, als gezwungen zu sein, einer betrunkenen Frau zu widersprechen. Ian wachte vorübergehend auf, kratzte an seinem kranken Bein herum und sagte zu Carla, sie solle endlich den Ofen ausmachen, er fühle sich schon wie ein Brötchen. Sie setzte statt dessen den Kessel für den letzten Kaffee auf, holte drei der guten Kaffeetassen aus der Rosenholzvitrine im Wohnzimmer.
„Was ist los?“ fragte Ian.
„Was?“
„Du machst ein Gesicht, als sei der Bär hinter dir her.“
„Es ist nichts. Ich bin nur müde.“
Das aber war nicht die Wahrheit, allerdings war dieser Abend auch nicht die rechte Gelegenheit, um zu erzählen, weshalb seine gute Laune nicht richtig von innen kam. Er konnte nicht sagen, dass Gregory Bragas Ians alte DEA-Akte ausgegraben hatte, wie immer er das auch geschafft hatte und warum; er hatte es Reining genüsslich ins Gesicht gesagt, als er ins Büro kam, um endlich den Report zu schreiben und wegzuschicken. Er hatte darüber nachgedacht, seinem Kollegen von dem Eisbären und dem unglaublichen Licht zu erzählen, ihn daran teilhaben zu lassen, aber was er von Bragas zu hören bekam war, dass der Bericht bereits am Morgen raus gegangen und er hinter Ians geheimnisvolle Fassade gekommen sei. Es zog ihm den Boden unter den Füßen weg, machte ihn gleichzeitig so wütend, dass er auch nur darüber nachgedacht hatte, Frieden mit seinem Kollegen zu schließen und zu vergessen, was bisher vorgefallen war. Um Ian zu schützen, hatte er nur verraten, dass er ein ehemaliger Kollege sei und aus persönlichen Gründen ausgestiegen war, darauf vertrauend, Bragas würde aus Anstand nicht weiter nachbohren.
„Bragas“, begann er und vermied es, den Mann direkt anzusehen, „hat es irgendetwas mit unseren Ermittlungen zu tun, dass sie Ian so auf die Pelle rücken?“
„Sind sie nicht neugierig, was ich gefunden habe?“
Nick Reining war nicht neugierig. Er wollte nichts hören und schon gar nicht wollte er, das Bragas meinte, ihn damit treffen zu können, in dem er noch weiterbohrte.
„Ich kenne Ians Geschichte, ich bin nicht neugierig darauf, irgendetwas davon zu hören. Wenn sie versuchen, mich auf diese Weise auszubooten...“
„Wie sollte das denn funktionieren?“
„Gibt es einen anderen Grund?“ Reining schob die gefaxten Seiten, die Bragas auf dem Tisch ausgebreitet hatte, mit einer Hand zusammen, ohne einen Blick darauf zu werfen, um Bragas keinen Triumph zu gönnen, sah seinen Kollegen fragend ins Gesicht. Er hätte es sich gewünscht, es auf ein Blickduell ankommen zu lassen, aber Bragas wandte sich ab.
„Ich erledige meinen Job“, sagte er, „das ist alles, was ich mache. Meinen Job. Und wenn ich bei meinen Ermittlungen über das Ziel hinausschieße, kann ich mich nur entschuldigen.“
Er meinte es nicht ernst, obwohl er so zu tun versuchte. Entschuldigen würde er sich nie, nicht bei Ian und niemandem, den er mit dieser Aktion noch mit rein riss, aber Nick achte bereits daran, Schadensbegrenzung zu betreiben.
„Es ist mir egal, was sie alles aus den Archiven ausgraben, solange sie sich selbst damit eine Freude machen, Okay? Sollten sie vorhaben, auch nur eine Zeile aus diesen Unterlagen an dritte weiterzugeben, dann werde ich dafür sorgen, dass sie den Ärger ihres Lebens bekommen. Ich werde mich in ihren traurigen Hintern verbeißen und nicht mehr loslassen, bis ich das Gefühl habe, dass sie genug haben.“
Reining schnippte mit den Fingern, bis Bragas ihn wieder ansah.
„Ian hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen und es ist sein gutes Recht, seine Vergangenheit im Geheimen zu lassen. Und verschonen sie mich bitte, an ihren Exkursionen durch das Privatleben anderer teilhaben zu lassen.“
Gregory Bragas zuckte mit den Schultern, als würde er die Waffen strecken, aber ein zweites Mal klappte das nicht. Reining überflog den Bericht, den Bragas an die Zentrale nach Atlanta gefaxt hatte, überlas die Zwischentöne, die ihm von den Seiten praktisch entgegen sprangen.
„Ich sage keinen Ton zu diesem Bericht, heimsen sie ruhig die Lorbeeren ein. Aber tun sie sich selbst den Gefallen und lassen sie Ian in Ruhe.“
Sie hatten nicht darüber gesprochen, was genau Agent Bragas gefunden hatte, und das wurmte Reining noch Stunden später, obwohl er sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als ihn direkt danach zu fragen. Es machte ihn unruhig, dass dort, wo Ians Vergangenheit in Bragas Gehirn abgelegt war, noch ganz andere Pläne stecken mochten, die er bei passender Gelegenheit aus dem Hut zaubern würde. Agent Bragas machte ein freundliches Gesicht, aber er sagte weder ja noch nein zu Nicks Aufforderung. Es blieb unausgesprochen, dass sie unter diesen Umständen nicht weiter in dem Büro zusammenarbeiten konnten, also gönnte Reining sich einen Abgang mit Stil; sein freundliches Gesicht ließ jede andere Deutung zu und er summte vor sich hin, weil er wusste, dass Bragas seine lockere Einstellung zur Weißglut treiben würde und verschwand. Es war schon richtig, dass es nicht viele Orte in Point Hope gab, an denen Reining sich verstecken konnte, aber aus Prinzip würde er sich suchen lassen. Dunkel und kalt war es draußen und von Hütte zu Hütte gehen zu müssen wäre keine einfache Angelegenheit.
Er marschierte die Straße runter Richtung Ians Haus. Der Bericht war ohne sein Zutun zustande gekommen, sein Name und seine Arbeit waren nur am Rande erwähnt, aber er horchte in sich hinein und fand heraus, dass es ihm nichts ausmachte. Er wollte sich an seiner Arbeit keine goldene Nase verdienen. Für die Zeit, die er in Alaska war, stand Ian im Mittelpunkt.
An Ians Küchentisch entnahm er den Film, packte die Kamera zurück in die Plastiktasche, versuchte sich daran zu erinnern, was er außer dem Eisbären noch fotografiert hatte, vor dem Ausflug aufs Eis. Er war an einem Nachmittag durch Point Hope gewandert und hatte im letzten Licht des Tages ein paar Fotos geschossen, aber er war sich sicher, dass er nichts drauf hatte als einsame vereiste Straßen und Strommäste, die im Weg standen. Dann fiel ihm ein, dass er die Hydes vor den Laden gebeten hatte für ein Fotos und die hatten noch darüber gelacht, dass das Foto beim FBI im Archiv landen könnte und Nick hatte gemeint, er könnte für sie beiden ein schönes Fahndungsblatt drucken lassen. Helen Hyde hatte sich Gedanken darüber gemacht, welchem Verbrechen sie angeklagt werden könnten und ihr Mann hatte gemeint, sie würden sich schon etwas Lustiges einfallen lassen. In seinem Gedächtnis fanden sich einige der Fotos, die auf dem Film sein mussten, aber es waren vielleicht fünf bis sechs, an deren Motive er sich genau erinnern konnte, die Polarbärenfotos ausgenommen. Er rollte die Filmkapsel zwischen seinen Fingern, sah sich in der Küche um.
Ian hatte Carla hinausgebracht, mit einem Augenrollen angedeutet, dass sie wirklich genug getrunken habe. In der Küche entdeckte Nick plötzlich mehr persönliche Dinge von Ian, als er erwartet hätte und als ihm in den letzten Tagen aufgefallen war, seit er bei ihm wohnte. Direkt vor seinen Augen, im Regal zwischen dem Kaffeefilter und einer Plastikdose mit Teebeuteln, stand etwas, was er zunächst für eine kleine Speisekarte hielt, aber als er sie herauszog, war es ein kleines Fotos, das auf ein Stück bemaltes Papier geklebt und in Plastik eingeschweißt war. Das alte verknitterte schwarz-weiß Bild Foto zeigte eine verwirrt in die Kamera blickende Frau, die einen Haufen kleiner Kinder um sich versammelt hielt, aber es schien nicht klar, ob es alles ihre Kinder waren und ob es sich dabei nicht nur um ein altes Zeitungsfoto handelte. In den undeutlichen grauen Gesichtern versuchte Nick die Zeichen einer Verwandtschaft zu Ian zu finden, aber die Gesichter waren zu klein und zu undeutlich. Krakelige Buntstiftblumen umrandeten das Bild, einige der Striche erinnerten ein wenig an Buchstaben, die ein Kind zu schreiben versuchte und dabei nicht wusste, wie es die Schreiberei anstellen sollte. Es hatte etwas Rührendes an sich, dass Ian das Bild und den Rahmen wie einen Gewerkschaftsausweis eingeschweißt hatte, aber es passte nicht ganz zusammen, dass er es dann in der Küche aufbewahrte. Nick legte das Foto zurück, warf den Heißwasserboiler an, um sich schon mal an den Abwasch zu machen. Als hätte das alte Foto ihm die Augen geöffnet für die anderen verborgenen Dinge, entdeckte er einen weiteren Hinweis auf Ians geheimes Leben. Bei dem Kaffeeservice, das nur noch aus fünf kompletten Teilen bestand, stand eine einsame angeschlagene Zuckerdose, die nicht vom selben Service war. Nick öffnete die Glastür des Schranks, nahm die Zuckerdose ohne Decke zur Hand und betrachtete sie. Nur nebenbei hörte er die Geräusche aus dem Raum nebenan, er hätte das alte Stück fast fallengelassen, als Ian hinter ihm sagte: „Du weißt doch, wo der Zucker ist, oder?“
Er griff etwas fester nach der rutschenden Zuckerdose, rettete sie vor dem Zerspringen auf dem Boden und stellte sie sorgsam zurück in den Schrank.
„Klar weiß ich, wo der Zucker ist, in der blauen Tupperdose unter dem Besteckfach. Ich hab mich nur gerade gefragt, wie alt dieses Stück Porzellan wohl sein mag. Ich wollte gar keinen Zucker.“
„Ich hab keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, weshalb die alte Mrs. McFadden sie mir in de Koffer gepackt hat, als ich damals ausgezogen bin. Ich hab sie zwischen den Socken und den Unterhemden gefunden, als ich in der Absteige in New Jersey den Koffer ausgepackt habe. Schon komisch.“
„Aber du warst nicht derjenige, der ihr den Ehrenplatz im Geschirrschrank gegeben hat.“
„Das war Carla.“
„Ich hab was mit dir zu besprechen, Ian. Setzen wir uns zusammen.“
Vor dem Essen hatte Ian den halben Tag im Hafen verbracht und dann mit Officer Svensson zusammen eine Kleinigkeit gegessen, dabei hatten sie diskutiert, ob Mätti Hemmo einen Platz auf dem Friedhof in Kotzebue bekommen würde, sollten seine finnischen Verwandten ihn nicht in die Heimat holen wollen.
„Vielleicht wär’s besser gewesen, wir hätten ihn auf eine Eisscholle rüber nach Sibirien geschickt, als wir seine gefrorenen Knochen gefunden haben. Das alles hat uns nichts als Ärger eingebracht.“
„Von dir hätte ich was anderes erwartet, Bo. Du hast endlich was zu tun.“
„Ich hab damit nichts zu tun, überhaupt nichts. Die beiden haben mir alles aus den Händen genommen.“
„Wenn deine Lösung der Seeweg nach Sibirien gewesen wäre, ist das vielleicht auch besser so.“
Sie tranken Wodka nach dem Essen, den Svensson ganz nach russischer Tradition eingoss, nur ein Glas, aber das randvoll bis kurz vor dem überlaufen.
„Agent Reining ist in Ordnung, aber sein Kollege hat irgendwas anderes im Visier. Er hat sich bei Doc nach dir erkundigt. nach privaten Dingen, du verstehst schon.“
Daran musste Ian denken, als Nick schon wieder ein so verdammt ernstes Gesicht machte.
„Heute Mittag hat Svensson mir bei einem Wodka erzählt, dass dein Kollege versucht, etwas über mich rauszukriegen. Ist es das, was du mir schonend beizubringen versuchst?“
„Ach, Herrgott noch mal, es tut mir leid.“

***
Susannah, die seit zwei Jahren allein mit ihren Kindern lebte, verdiente ihren Unterhalt mit Bildhauerei und Malerei, war in ihren Arbeiten sehr beeinflusst von der Landschaft und der indianischen Kultur, aber in den Wintermonaten arbeitete sie nur wenig, wenn das SAD-Syndrom zuschlug. Den ersten langen Winter hatte sie ohne Probleme überstanden, um so mehr hatte sie diese Winterdepression zu Boden geschlagen, dass nicht einmal Doc Roberts ihr hatte helfen können. Seid sie ihre Kaltlicht-Lampe benutzte, ging es ihr besser, und sie fand langsam wieder in ihre alte Form zurück. Roberts war so beeindruckt gewesen, dass er sich direkt auch so eine Lampe gekauft hatte.
Susannah hatte Fotos von den Walgerippen vor Point Hope gemacht, sortierte die Bilder auf dem Fußboden, um einen bestimmten Blickwinkel zu finden, während dieser Arbeit klopfte Carla bei ihr an.
„Komm rein“, sagte sie, „ich bin noch auf der Suche für meine neue Collage, aber mir fehlt noch immer der zündende Funke.“
Sie hielt inne und erstarrte. „Waren wir verabredet und ich hab’s wieder vergessen?“
„Nein“, sagte Carla, „ich bin nur auf einen Sprung vorbeigekommen.“
Sie stand noch im Mantel im Flur, öffnete noch einmal die Haustür, sah hinaus, wobei sie den Kopf blitzschnell zu allen Seiten drehte, dann die Tür zuschlug und auf Susannahs zweifelnden Blick nur die Schultern hob.
„Machst du uns eine Flasche Wein auf?“
Sie gingen auf Zehenspitzen durch die Fotos, ließen sich auf das Rattansofa fallen. Ein solches Chaos richteten nicht einmal Susannahs Kinder an.
„Was ist los mit dir?“
„Mach doch erst mal den Wein auf.“
„Ich hab keinen mehr.“
Carla seufzte laut und verbarg theatralisch das Gesicht in den Händen.
„Ich kann dir sagen, was mit mir los ist, das FBI ist hinter mir her. Agent Bragas verfolgt mich schon den ganzen Tag. Ich öffne die Tür des Klassenzimmers und er steht an der Treppe im Flur. Ich gehe auf einen Kaffee ins Hydes und er setzt sich wie zufällig neben mich.“
„Was will er von dir?“
„Das weiß ich nicht.“
„Aber was sagt er denn?“
„Su, es geht nicht darum, was er zu mir sagt, sondern dass er mich verfolgt.“
Sie tranken Orangensaft, das einzige, was Susannah im Haus hatte und auf Carlas Bitte zog sie die Vorhänge zu, zündete ein paar Kerzen an.
„Du musst Ian davon erzählen, wenn es dich so beunruhigt. Das kannst du dir nicht gefallen lassen.“
Carla nickte stumm, meinte, dass ihr das auch schon durch den Kopf gegangen sei.
„Soll Ian ihm eins auf die Nase geben?“
Susannah deutete einen schwachen Punch an, lachte darüber, weil sie damit niemanden umhauen konnte. Sie war Künstlerin, keine Kämpfernatur.
„Ich werde eher mit Agent Reining darüber sprechen und ihn um Hilfe bitten.“
Schließlich begannen sie die Fotos durchzusehen und diskutierten verschiedene Entwürfe.
„Ich hab so lange nicht gearbeitet“, stöhnte Susannah, „mein Kopf ist wie leergefegt. Die Fotos sagen mir überhaupt nichts. Ich wollte die alten Knochen da draußen benutzen, um etwas Anklagendes auszudrücken. Verdammt.“
„Su, darf ich für eine halbe Stunde unter deine Wunderlampe?“
„Du weißt doch, dass eine Sitzung allein keine Wirkung hat.“
„Bitte, Susannah, nur der Placebowirkung wegen.“
Das Ding, das aussah wie ein gewöhnlicher Gesichtsbräuner, stand in dem winzigen Gästezimmer ohne Fenster, das außer einem schmalen Feldbett jede Menge von Farben, Pinseln und bereits auf Rahmen gespannte Leinwände beherbergte. Es nannte sich das Gästezimmer, wenn dort auch noch niemand übernachtet hatte. Susannah neigte einfach zu Übertreibungen.
Carla knipste die Lampe an, die sofort ansprang und ihr kaltes weißes Licht verströmte, sie setzte sich davor und schloss die Augen. Sie würde niemandem von der Sache mit Agent Bragas erzählen, weil sie keinen Ärger wollte. Jetzt brauchte sie nur etwas Licht für ihr Wohlbefinden und danach etwas Schokolade und schon würde es ihr besser gehen. Möglich, dass sie Susannah bei dem neuen Knochenbild half. Ihrem Gefühl nach hatte sie etwa zehn Minuten vor der Lampe gesessen, ihre Gedanken waren kaum zur Ruhe gekommen, als es an der Tür klopfte.
„Carla?“
„Ich bin noch nicht braun genug, lass mir noch ein paar Minuten.“
„Hier ist jemand für dich.“
Sie öffnete die Augen und drehte sich um, aber sie wusste schon, wer da im Türrahmen stand, noch bevor sie die Drehung vollendet hatte.
„Ich muss mich bei ihnen entschuldigen. Darf ich reinkommen?“
Carla nickte und zeigte auf das Feldbett. Agent Bragas setzte sich, seine Knie stachen nach oben, als die Sprungfedern unter seinem Hintern nachgaben und er fast auf dem Boden saß. Bevor er weiterreden konnte, hob Carla die Hand und machte eine Geste, dass er ihr erst einmal zuhören solle.
„Sie verfolgen mich schon den ganzen Tag und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Also, was ist ihre Entschuldigung?“
„Tut mir leid, wenn ich sie beunruhigt habe.“
„Das sollte es auch. Und jetzt kommen sie mir bloß nicht mit Taktik.“ Sie klang wütend, aber in ihrem Inneren zitterte sie vor Angst und sie betete zu Gott, dass er es nicht merken würde. Er sah unergründlich aus in dem Licht der SAD-Lampe.
„Ich bin ihnen gefolgt, weil ich nach dem rechten Moment gesucht habe, in Ruhe mit ihnen zu sprechen. Darf ich die Tür schließen?“
„Die Tür bleibt offen, ich habe keine Geheimnisse vor meiner Freundin“, sagte Carla, und setzte etwas lauter fort: „Und außerdem lauscht sie nicht.“
Sie konnten Susannah nicht sehen, wohl aber hören, wie sie erschrocken von der Tür wegstolperte, auf Socken herumtapste und dann extra laut in der Küche herumfuhrwerkte.
„Ms. Winman, wir bemühen uns nur, einen Mord aufzuklären und dabei müssen wir jeder Spur folgen. Das ist nicht gerade einfach in einer Stadt, in der jeder nur hergekommen ist, um ein neues Leben zu beginnen.“
Er sprach sehr beruhigend und freundlich und Carla hatte nicht das Gefühl, in die Enge gedrängt zu werden. Nur einen kurzen Moment kam ihr in den Sinn, er könnte einfach nur seine Taktik geändert haben, aber das wischte sie beiseite, weil sie sich bemühte, aufrichtig zuzuhören, dann erst wollte sie ihr Urteil fällen. Sie war schon auf dem halben Wege eingewickelt zu werden.
„Ich weiß von Ians Leben vor Alaska, nicht alles, aber das wichtigste. Er war ein guter Cop, nicht wahr?“
„Er hat mir davon nie etwas erzählt.“
Sie unterhielten sich so lange, bis Carla nicht mehr wusste, worüber sie gesprochen hatten, ob sie irgendwas ausgeplaudert hatte, was sie besser für sich behalten hätte. Zu ihrem Erstaunen war Agent Bragas ein mitfühlender Mann, der seinen Job tat, der mit Sicherheit kein einfacher war, und der nun erklärte, wie leid es ihm tat und dass er es irgendwie wieder gut machen wollte. Vor Jahren, hatte er erzählt, war er bei Ermittlungen in einem Mordfall einem bestechlichen Cop auf die Spur gekommen und hatte es versäumt, genauer hinter die Fassade zu schauen, was zur Folge hatte, dass der Mann mit seinem Wagen Selbstmord begangen hatte, zusammen mit seiner ganzen Familie. Er hatte Bestechungsgelder der ortsansässigen „Familie“ angenommen, um die Behandlungskosten seiner schwerkranken Tochter zu bezahlen, aber das hatte Bragas erst erfahren, als es zu spät gewesen war. Bragas hatte diese Geschichte erzählt, Carla dabei nicht angesehen, als schäme er sich noch immer für diesen Fehler, und den Zeitpunkt dafür hatte er perfekt ausgewählt. Carla schwankte zwischen Ablehnung und Verständnis und das war ihrem Gesicht deutlich anzusehen, obwohl sie meinte, es verborgen halten zu können; genau an diesem Punkt brachte Bragas seine kleine Geschichte, die damit endete, dass der Cop sich, seine Frau und seine kranke Tochter über die Klippen fuhr und das mit dem schrecklichen Resultat, dass Mann und Frau tot waren und die Tochter blind und vom Kinn abwärts gelähmt war. Das mit der allein zurückgebliebenen Tochter hatte er sich erst in letzter Sekunde einfallen lassen, es machte die Geschichte noch ein wenig tragischer, gleichzeitig aber nicht weniger glaubwürdig. Unterschwellig gestand er seine Mitschuld an diesem Unglück ein und als er vorsichtig aufsah, konnte er in Carlas Gesicht sehen, dass sie ihm auf den Leim gegangen war. Er war vollauf zufrieden. Zum Abschluss sagte er, er müsse sich entschuldigen, diese alte Geschichte überhaupt erzählt zu haben und sie möchte das alles ganz schnell wieder vergessen. Sie solle ihm nur etwas Verständnis entgegenbringen, wenn er in Ians Leben etwas herum gegraben hatte und Carla nickte.
Hinter ihr strahlten die Röhren, die wie ein Gesichtsbräuner aussahen und gaben Carlas Gestalt eine helle gleißende Aura, die sie fast überirdisch aussehen ließ. Fast hätte Bragas den Fehler gemacht, ihr zu sagen, wie wundervoll sie aussah, im letzten Moment riss er sich zusammen und sagte nur, er wolle sich verabschieden, Carla könne sicher sein, dass er sie nicht weiter verfolgte. Carla bedankte sich und lächelte befreit. Nachdem Agent Bragas gegangen war, fuhr Carla herum, schaltete die Lampe aus und murmelte: „Wer hat behauptet, diese Lampe würde bei einmaligem Gebrauch nichts bringen? Ich fühl mich schon viel besser.“

***
„Soll ich mit ihm reden? Ich kann das gerne übernehmen, wenn du willst.“
„Fürchtest du, ich könnte irgendwie die Beherrschung verlieren und was Dummes tun mit deinem bärtigen Kollegen?“
„Ich fürchte, du könntest etwas von dem in die Tat umsetzen, was du mir schon angedroht hast.“
„Kein Gedanke.“
Ian machte eine ahnungslose Geste, als wüsste er überhaupt nicht, wovon Nick sprach. Nick war erleichtert, dass Ian den Wortbruch von Bragas so gelassen nahm, ganz entgegen seiner Befürchtung, er könnte total ausrasten.
„Okay, soll ich mit meinem bärtigen Kollegen reden?“
„Von mir aus. Es bedeutet mir nichts, ich will keine Aussprache, ich will mich nicht noch dafür entschuldigen müssen, dass ich verraten habe, was sein dämlicher Name bedeutet.“
Nick stand auf, nahm die leeren Teller und stellte sie in die Spüle. Er konnte nur hoffen, dass Ian auch bei der nächsten Begegnung mit Bragas so ruhig bleiben würde, für sich selbst konnte er keine Garantie dafür übernehmen. In Gedanken war er so damit beschäftigt, dass er sich draußen im Garten wieder fand und erst nach Minuten des Herumstehens und in die Luft Starrens bemerkte, dass er sich die Füße und Nase abfror. Ian riss die Hintertür auf und rief: „Kommst du wieder rein? Sonst bring ich dir deine Jacke und Schuhe.“
„Mach dich ruhig über mich lustig.“
Er sah zitternd und bibbernd zu der Stelle, wo der Hundezwinger gestanden hatte, betrachtete den Boden innerhalb es alten brüchigen Lattenzauns und der Gedanke, den er mit einmal hatte, ließ ihn die Kälte vergessen. Es hatte irgendwas mit dem verschwundenem Hund zu tun. Hätte er den Bericht an die Zentrale geschrieben, hätte er es erwähnt, er hätte es weiter verfolgt. Aber Bragas hatte dem keine Bedeutung beigemessen, die Spur war verloren. Es machte Nick einfach stutzig, dass dort nicht nur die Umrisse des Zwingers zu sehen waren sondern auch noch Spuren von etwas anderem.
„Ian, dein Hund ist in der Nacht verschwunden, als Hemmo erschossen worden ist. Ist das richtig?“ Er schloss die Tür hinter sich, rieb sich die kalten steifen Finger.
„Ich denke schon.“
„Jeder hier kannte Duke. Wenn er durch Point Hope gelaufen ist, hat ihn jeder erkannt, nehme ich an. Sah er gefährlich aus?“
„Nur, wenn man Angst vor großen Hunden hat.“
„Wir hätten das nicht außer Acht lassen dürfen.“
Ian winkte ihn zurück an den Ofen, den er inzwischen noch mal angefeuert hatte.
„Ich muss noch mal ins Büro“, sagte Nick, murmelte vor sich hin, dass er noch irgendwas in den Unterlagen nachsehen müsse, zwängte sich in die Stiefel und sparte sich die Jacke, weil er vor hatte, rüber zu laufen.
„Und erzähl mir bitte nichts von dem, was du mit Bragas vor hast. Ich werde von all dem nichts wissen, wenn man mich später fragt, ob ich es nicht hätte verhindern können. Der Gedanke, meine Hände in Unschuld zu waschen, gefällt mir sehr gut.“
Gut gelaunt erwiderte Ian: „Verschwinde schon.“
Reining trabte den Schotterweg zum Gemeindehaus hoch, von mehreren Zeugen beobachtet, die im Fenster des Hydes saßen und sich die Nasen an der Scheibe platt drückten. Gregory Bragas saß bei ihnen, aber er tat so, als interessierte es ihn nicht, was sein Kollege tat. Helen goss ihm Kaffee nach, aber ihre ganze Aufmerksamkeit galt Albie, der sich über die Theke gebeugt von seinem letzten Ausflug erzählte, dabei kaum einen Satz logisch beendete und richtig ins faseln geriet, je mehr Helen nachfragte, um die ganze Sache zu verstehen.
An Mätti Hemmos Kleidung hatten sie Tropfen von Tierblut gefunden. Nick blätterte durch die Berichte und fand das Ergebnis der Analyse. Er setzte sich in den Stuhl, ließ sich zurückfallen. Hemmo hatte den Frachter verlassen, war durch das finstere Point Hope geschlendert auf der Suche nach einem Laden, wo er etwas kaufen wollte, was es an Bord der Rouven nicht gab und dabei war er Duke begegnet. Niemand konnte wissen, ob der Hund ihn angegriffen oder ob er sich nur bedroht gefühlt hatte – für Reining stand fest, dass er etwas mit dem Hund angestellt haben musste. Dabei war er beobachtet worden und diese unbekannte Person mochte ihn im Affekt erschossen haben. Nichts deutete darauf hin, dass es jemand aus Point Hope gewesen war, ebenso gut konnte es jemand von der Rouven gewesen sein, der Hemmo vom Antlitz der Erde tilgte.
Nach den Aussagen des Funkers hatte Hemmo nicht einen einzigen Freund an Bord gehabt, niemand, dem sein Tod wirklich leid getan hätte. Bragas Zwischenbericht war eine Zusammenfassung der Ermittlungen, mehr nicht, er hatte keine Ergebnisse aufgeführt, sich viel zu sehr dabei verausgabt, seinen Namen in den Vordergrund zu rücken. Nick Reining setzte sich an die Schreibmaschine und tippte einen Ergänzungsbericht aufgrund der Beweise, die sie hatten. Eine unbekannte Person, höchstwahrscheinlich ein Seemann von der Rouven, die im Hafen lag, hatte Mätti Hemmo dabei überrascht, wie er den Hund tötete, wohlmöglich mit der Waffe, die er bei sich trug, allem Anschein nach hatte er den toten Duke ins Hafenbecken geworfen. Das Wasser war im April gefroren, aber die einlaufenden Eisbrecher brachen es auf, Schollen und Schnee drückten über- und untereinander und mochten ihn in die Tiefe gezogen haben. Hemmo wurde zur Rede gestellt, es gab eine Debatte, die schließlich mit einem Schuss endete. Niemand hatte den Schuss gehört, denn der Wind heulte so scharf um die Häuser, dass man ein ganzes Feuerwerk nicht hätte hören können. Nick stellte sich nur die Frage, weshalb Hemmos Leiche nicht auch entsorgt worden war, aber vielleicht war das mit plötzlicher Panik und Flucht zu erklären. Mochte die Waffe jetzt in anderen Händen sein oder in der See liegen.
Diesen Bericht versah er mit Datum und Uhrzeit, unterschrieb ihn und faxte ihn nach Atlanta. Es gab zwei Möglichkeiten, wie sein Boss darauf reagieren konnte; diesen Fall als ungelöst abzuschließen oder zwei seiner Leute, die sich nicht leiden konnten, dem Eisbrecher Rouven hinterherzuschicken, um einen Mörder zu suchen. Hätte ihn jemand gefragt, er hätte sofort die Nummer eins favorisiert. Er war furchtbar müde.

***
Wie in einem Bühnenstück trafen sie sich alle im Hydes. Bragas saß noch immer bei seinem Kaffee, hielt sein Versprechen Carla gegenüber; als sie hereinkam und Hallo rief, sah er sich nicht einmal nach ihr um. Sie wollte eine Flasche Likör kaufen und sofort wieder verschwinden, Susannah wartete auf sie, aber sie konnte sich nicht entscheiden. Percy meinte, sie solle lieber etwas Anständiges nehmen, wenn es schon stärker als Bier sein musste. Die Glöckchen über der Tür schlugen an, Ian kam herein und setzte sich ohne Umschweife auf den freien Platz links neben Albie, zog sich die Baseballkappe vom Kopf und legte sie vor sich auf den Tisch.
„Was gibt’s neues, Albie?“ fragte er, „wo hast du dich versteckt?“
Carla stellte sich auf die Zehenspitzen, um über das Regal hinwegsehen zu können, hatte freien Blick auf die Theke. Der Likör war für Susannah bestimmt, weil sie versuchen wollte, etwas über ihr vermeintliches Verhältnis zu Albie herauszubekommen, ob Albie ihr einfach nur über die übliche Depression hatte hinweghelfen sollen. Susannahs Ex-Mann lebte ebenfalls noch in Point Hope, allerdings taten die beiden alles, um sich nicht über den Weg zu laufen. Im Moment waren die Kinder bei ihm, die der Trennung nur positive Seiten abgewinnen konnten. Sollte Albie jetzt etwas ausplaudern, konnte sie sich die Investition sparen.
„Ich war ein paar Tage unterwegs, aber ich mag es nicht, wenn die mich wie einen Idioten behandeln. Wir hätten da nicht hingesehen sollen, das Gelächter allein schon. Ich wollte ja hierbleiben. Wie war die Jagd? George hat mir erzählt, dass ihr zwei von den Jungs das erste Mal mitgenommen habt. Junge“, er hob den Kopf und rief in Bragas Richtung: „Wenn mein Dad mich gelassen hätte, hätte ich so was auch mitgemacht, aber er wollte das nicht. Er hatte Schiss, ich könnte bei meiner Mutter bleiben wollen, draußen bei ihrer Familie. Dabei wollte ich nur zeigen, dass ich keine Angst habe. Was hätten sie gemacht?“
„Keine Ahnung“, erwiderte Bragas, sah dabei Ian an, „ich für meinen Teil habe meinem Dad immer gehorcht. Ich war immer ein braver Junge.“
Albie Newton grinste breit, rief nach einem Kaffee, den er dann aber nicht anrührte, weil er viel zu beschäftigt war, Agent Bragas seine seltsamen Geschichten zu erzählen. Ian tat so, als würde er von all dem nichts hören und nichts sehen. Carla entschloss sich, doch den Likör zu kaufen, trat an die Kasse und winkte Ian kurz zu, der durch sie hindurch sah. Helen kam hinter die Kasse geeilt, versuchte das Preisetikett auf der Flasche zu entziffern.
„Percy“, rief sie, „was kostet der Kirschlikör? Das hier kann ich nicht lesen, das ist deine Handschrift, Liebling.“
Er rief ihr den Preis durch den Laden zu und Carla protestierte, weil sie glaubte, dass das viel zu wenig sei, selbst der billige Wein sei teurer, aber ihre Einwände wurden beiseite gewischt.
„Seid wann trinkst du Kirschlikör?“
„Der ist für Susannah“, erklärte Carla und Albie hob den Kopf in ihre Richtung, „wir machen es uns heute Abend gemütlich.“
Albie hob seinen Hintern vom Hocker, wedelte mit beiden Händen in der Luft herum und verlor fast das Gleichgewicht.
„Sag Susannah noch mal vielen Dank von mir, das Essen war klasse.“
„Ihr habt zusammen gegessen?“
„Sie hat für mich gekocht, weil ich ihr den Abfluss durchgepustet habe.“ Er sagte das ganz ernst, aber selbst Helen wandte das Gesicht in die andere Richtung, um ihr Grinsen zu verbergen. Also nichts mit einer heimlichen Liebelei zwischen Susannah und Albie, es war einfach nur ein gemeinsames Essen, sonst nichts, und Carla konnte nicht behaupten, dass sie enttäuscht war. An eine Affäre hatte sie ohnehin nicht wirklich geglaubt.
„Ich richte ihr die Grüße aus, Albie.“
Sie war bemüht nicht zu kichern, weil es ihr in den Sinn kam, Albie danach zu fragen, welchen Abfluss er ihr durchgepustet hatte. Agent Bragas sagte irgendetwas an Albie gewandt, jedenfalls hatte Carla den Eindruck, dass es so war. Albie aber drehte sich zu Ian um und stupste ihn an, machte eine auffordernde Kopfbewegung, als wolle er sagen: Hey, du bist gemeint.
Ian sah Bragas kurz an, es änderte sich aber nichts daran, dass er nicht reagierte. Als Bragas es erneut versuchte, rutschte Ian vom Hocker und marschierte an der Theke vorbei nach hinten zu den Waschräumen. Albie Newton, den fast alle als etwas beschränkt einschätzten, weil er nur Hilfsarbeiter war und nie eine Schule besucht hatte, war der Erste, der begriff, was zwischen Ian und Gregory Bragas vorging.
„Solche Fragen sollten sie ihm nicht stellen“, sagte Albie, rollte mit den Augen, „ich kann ihnen sagen, dass sie darauf keine Antwort kriegen und es endet damit, dass sie ihn wütend machen.“
„Warum sollte es ihn wütend machen, wenn ich ihn nur frage, was er früher gemacht hat? Hat Ian was zu verbergen?“
Bragas spielte den Ahnungslosen ziemlich gut, gab es auch nicht auf, als Nick Reining hereinkam, sich Brot und ein Stück Käse aus dem Regal nahm. Als er bezahlte, kam Ian an ihm vorbei, blieb bei ihm an der Kasse stehen.
„Alles in Ordnung?“ Er deutete mit dem Kinn zu Bragas hinüber. „Macht er Ärger?“
„Nein“, sagte Ian, „alles bestens.“
Er zögerte, an seinen Platz neben Albie zurückzukehren, aber vielleicht ließ Bragas ihn in Ruhe, wenn Albie ihn weiter so in Beschlag nahm, wie er es im Moment tat. Zu Percy gewandt bestellte er sich einen Kaffee und setzte sich wieder neben Albie, sah zu Nick hinüber, der noch immer misstrauisch aussah. Nick war fast schon zur Tür raus, um so schnell wie möglich wieder in die warme Hütte zu kommen, als er von Bragas die Frage hörte, die in den Raum hinein, aber ganz offensichtlich an Ian gestellt war.
„Ich kann mir nichts dabei denken, wenn ich frage, weshalb man eine Karriere einfach so den Bach runtergehen lässt. Wenn ich mir nichts zu Schulden haben kommen lassen, kann ich eine solche Frage beantworten, oder?“
Die Hydes erstarrten, vergaßen die Kasse und alles andere, Helen berührte vorsichtig den Arm ihres Mannes, suchte Halt für einen Moment.
„Bragas, wir hatten eine Abmachung“, sagte Nick.
Bis auf Albie Newton wagte sich niemand zu bewegen, er fand seine Position in dieser Dreiecksgeschichte zu riskant, verzog sich von der Theke und wagte dabei niemanden anzusehen.
„Von welcher Abmachung reden sie, Reining? Ich habe nur versucht, ein harmloses Gespräch zu führen und sie benahmen sich, als hätte ich in ein Wespennest gestochen.“
Reining hatte noch immer das Brot und den Käse im Arm, fand diese Diskussion vor Zeugen so unnötig wie einen Kropf.
„Es reicht, verdammt noch mal. Sie lassen Ian in Ruhe. Ich weiß genau, was sie vorhaben, sie greifen Ian an, ich verliere die Fassung und schon haben sie die Oberhand. Das funktioniert nicht. Unsere Arbeit hier in Point Hope ist beendet.“
Im Hintergrund schien jemand zu stehen, der ganz langsam die Lautstärke hochdrehte, denn Bragas und Reining wurden immer lauter, je näher sie sich kamen und je mehr sie ins Detail gingen.
„Sie werfen sich doch aus reinster Wiedergutmachung so ins Zeug, weil sie Ian bei dem Banküberfall vor Jahren fast erschossen hätten.“
Niemand schien zu atmen in den folgenden Sekunden, bis Carla mit heiserer Stimme fragte: „Banküberfall?“
„Er war Polizist, verdeckter Ermittler, und er war in der Bank, die wir gestürmt haben. Es war ein Unfall“, sagte Nick.
„Was heißt, ihre Arbeit ist hier erledigt?“ fragte Helen, „haben sie den Mörder gefunden?“
„Ich habe den Bericht ans Hauptquartier geschickt, in dem steht, dass ich den Mörder auf der Rouven vermute, es sei denn, er ist inzwischen irgendwo von Bord gegangen und damit verschwunden. Unsere Ermittlungen sind damit abgeschlossen.“
„Sie können keinen zweiten Bericht schreiben ohne mein Einverständnis“, schrie Bragas dazwischen.
„Sie konnten den Ersten auch ohne mich schreiben.“
Bragas taxierte Reining, begann übertrieben laut zu lachen. Mit der flachen Hand schlug er auf die Theke, ließ die Hydes auf der anderen Seite zusammenfahren, während Ian seine Kaffeetasse mit beiden Händen hielt und zwischen den Kontrahenten hin und her sah.
„Das ganze ist so lächerlich“, rief Bragas noch immer lachend, „sie tun alles, um zu verheimlichen, dass Ian McFadden bei der DEA war und nach einem missglückten Einsatz gekündigt hat. Er ist danach verschwunden. Hier treffen sie ihn wieder und verwenden mehr Zeit darauf, eine alte Freundschaft aufzuwärmen, als sich um den Fall zu kümmern, der sie hergeführt hat. Ich wette, McFadden hat irgendein Geheimnis, was mit seinem Einsatz als Undercoveragent zu tun hat. Soll ich raten?“
„Brauchst du nicht“, sagte Ian. Er klang so ruhig, als würde es nicht um ihn gehen, aber das absolut gleichgültige in seiner Stimme war verschwunden, ruhig, aber hellwach.
„Ich war als verdeckter Ermittler in dieser Gang, die mit Drogen so viel Geld gemacht hat, dass es sich die meisten Leute hier nicht vorstellen können, und der Boss kam auf die Idee, in eine Bank zu gehen und ab da ist alles schief gelaufen. Alle aus der Gang sind gestorben, außerdem noch zwei der Geiseln. Niemand hat mir die Schuld an der Sache gegeben, aber sie wollten mich danach nicht mehr einsetzen. Das hat mir nicht gepasst und deshalb habe ich gekündigt. Das ist schon alles.“
„Das ist eine schwache Ausrede, McFadden.“
Ian hob die Augenbrauen, suchte Blickkontakt zu Nick, der mit verschränkten Armen dastand und die unmerkliche Veränderung bemerkte; er formte ein ‚nein’ und schüttelte den Kopf.
„Mein Name ist nicht McFadden“, sagte Ian, „ich bin eines von den Carver-Kindern aus Kansas. Das wolltest du doch hören. Das große Geheimnis.“
„Die Carver-Kinder?“ Bragas Grinsen verblasste wie in Zeitlupe und verwandelte sich in ein ungläubiges Starren.
„Das war’s, was du hören wolltest. Weshalb du jedem hinterher gekrochen bist, um dein Puzzle zusammensetzen zu können. Du hast die falschen Leute gefragt, und die falschen Akten angefordert. Was hast du jetzt davon?“
„Die Carvers...“ begann Bragas, konnte das ganze noch immer nicht richtig begreifen.
„Ich bin von den McFaddens adoptiert worden.“
Ian sah zu Nick, der so verzweifelt aussah, wie er sich eigentlich fühlen sollte, dann sah er zu Carla, die stumm dasaß und den Tränen nahe schien, obwohl sie von der ganzen Sache nichts begriff. Alle anderen Gesichter im Laden, die er von seiner Position an der Theke aus sehen konnte, schwankten noch immer zwischen Mitleid und Neugier und niemand verließ den Laden.
„Das ist ein Scheiß-Trick.“ Bragas Stimme klang schrill in die Stille hinein und es war sein letzter Ausbruch vor Zeugen, denn bevor er Ian noch dazu zwang, alles bis ins letzte Detail zu erklären, packte Nick Reining ihn am Daumen, drehte den gesamten Arm auf den Rücken und schleifte ihn nach draußen. Bragas schrie und brüllte ihn an, dass man ihn noch am Hafen hören konnte, denn es war ein freundlicher windstiller Nachmittag, und als Nick Reining atemlos ins Hydes zurückkam, war Ian verschwunden.
„Er ist nach hinten raus“, sagte Percy, „er hat Carla umarmt und ist einfach rausspaziert.“
„Ich weiß, wo er hin ist.“
Carla saß in dem Schalensitz beim Postschalter, ihre Knie zitterten, obwohl sie sie fest zusammenpresste.
„Ja“, sagte Nick, „ich ahne es.“

**
Vierzehn Stunden später kam die Nachricht vom Hauptquartier in Atlanta, dass Reining und Bragas ihre Koffer packen sollten, der Fall sei höchst offiziell zu den Akten gelegt. Seit dem Zwischenfall hatten Bragas und Reining kein Wort miteinander gewechselt und sie würden nicht mit der selben Maschine nach Hause fliegen. Bragas hatte seinen verdrehten Daumen demonstrativ von Doc Roberts schienen lassen und bestand darauf, dass ihm jemand die Koffer trug. Ian war noch nicht wieder aufgetaucht, aber Carla und Nick waren überzeugt, dass er bei George Koonook war.
Carla hatte sich mit Nick zusammengesetzt.
„Kannst du bitte dafür sorgen, dass ich deinem Kollegen nicht mehr begegne?“ Ihre Stimme war müde und zittrig. Sie hatte nicht gut geschlafen, stellte sich zu viele Fragen, die ihr niemand beantworten konnte, solange Ian nicht zurück war.
„Er steigt morgen in die erste Maschine und bis dahin wird er damit beschäftigt sein, seine restlichen Sachen zu packen.“
„Okay, damit kann ich leben.“
Sie hatte Kaffee gemacht, trank ihren mit extrem viel Zucker, als Ausgleich, weil sie nichts hatte essen können.
„Kannst du mir ein paar Dinge beantworten?“
Reining rieb sich mit dem Handrücken über sein unrasiertes Kinn.
„Ich könnte dir eine Menge Fragen beantworten“, sagte er, „aber du wirst warten müssen, bis Ian zurück ist. Ich kann dir nur sagen, dass es für euch beide vielleicht besser ist, das ganze einfach ruhen zu lassen und an dem Punkt weiterzumachen, bevor wir hier eingefallen sind.“
„Es ist unmöglich, das alles auszublenden. Nick, das funktioniert nicht. Weshalb hat er mir nie erzählt, dass er bei der DEA gewesen ist? Das hätte doch schon gereicht.“
„Ian hatte Gründe, nichts davon zu erzählen.“
Von den Tlingitkindern hatte sie erfahren, dass Ian mit George aufs Eis gegangen sei, um etwas zu klären und sie hatten nicht gesagt, wann sie zurück sein würden.
„Ich will nur verstehen, was passiert ist“, sagte sie.
In der Hoffnung, sich noch von Ian verabschieden zu können, hatte Nick seine Sachen noch nicht zusammengepackt, alles lag verstreut herum. Die Personalakte, die Bragas sich hatte schicken lassen, lag noch immer im Büro. Nick holte sie und legte sie Carla hin, weil er wusste, dass nichts so nüchtern und kalt geschrieben war wie die Personalakte einer Bundesbehörde, und alles, was dort drin stand, war Ians Werdegang, das nackte Gerüst seines Lebens vor Point Hope.
„Hier steht drin, was er geschafft und wieder aufgegeben hat“, sagte Nick, schob Carla die Akten auf den Schoss, ließ aber die Hand darauf liegen, als Carla danach griff.
„Das alles wird mehr Fragen aufwerfen als beantworten, Carla. Es ist deine Entscheidung, ob du es lesen willst oder auf Ian wartest.“
Er ließ sie allein, um sie entscheiden zu lassen, ging hinüber zu den Hydes, um nach den Flugzeiten nach Kotzebue zu fragen. Sie musste nicht lange überlegen, bis sie sich dazu entschloss, die Personalakte zu lesen; sie sagte sich, es würde nicht mehr sein als der berufliche Lebenslauf von irgendjemandem, der zufällig Ian McFadden hieß. So etwas hatte sie noch nie in den Händen gehalten und sie vergaß die Zeit, während sie las.

Ian hatte High School und College mit Auszeichnung abgeschlossen, war in die Fußstapfen von Art McFadden getreten und war zu Polizei gegangen. Er hatte nur einige Jahre als Deputy in seiner Heimatstadt gearbeitet, als seine Bewerbung als State Marshall in Kansas angenommen worden war. Obwohl er in Kansas erfolgreich war und seine Beurteilungen immer die besten waren, war auch der Job als Marshall noch nicht das Richtige. Jedes zweite Wochenende fuhr er zu den McFaddens, verbrachte zwei ruhige Tage bei ihnen und wenn sie wissen wollten, wie es ihm ginge, sagte er, er fühle sich gut und alles sei in Ordnung. Ian kam allein gut zurecht, es machte ihm nichts aus, dass er so gut wie kein Privatleben hatte, weil er sich wie ein Irrer in den Job stürzte. Sein Leben hatte einen festen Rhythmus, aber seine Aufgaben, die er als Marshall zu erledigen hatte, füllten ihn nicht wirklich aus. Die meiste Zeit sorgte er für die Sicherheit der Richter und Staatsanwälte bei Gericht, aber Kansas war nicht gerade eine Kriminellenhochburg.
Erst, als vor Gericht gegen einen Drogenhändler verhandelt wurde und er einen Mitarbeiter der DEA kennen lernte, wusste er, was er wirklich tun wollte. Polizeiarbeit war Okay, das war nur die Basis, er konnte das ganze mit der Medizin vergleichen, in der man entweder Allgemeinmediziner blieb oder sich spezialisierte. Ian wollte sich spezialisieren, das stand fest, er hatte nur etwas Entscheidungshilfe gebraucht, in welche Richtung er gehen sollte. Mit dem DEA-Mann unterhielt er sich fast zwei Tage, bis sein Entschluss fest stand. Er schrieb sich in der Uni in jedem Kurs ein, der irgendwie mit Verbrechensursachen und Bekämpfung zu tun hatte, das alles machte er neben seinem Job und schlief deshalb kaum noch. Er achtete darauf, dass seine Arbeit bei Gericht nicht darunter litt, konnte dadurch nicht an allen Vorlesungen teilnehmen, aber er hatte Freunde unter den Studenten, die ihn mit den Unterlagen versorgten. Seine Noten waren so gut, dass einige den Verdacht hegten, es könnte nicht mit rechten Dingen zugehen, aber alle wussten, dass er sich einfach nur doppelt und dreifach anstrengte.
Seine erste richtige Freundin war eine große Blonde mit knochigen Hüften, die ihn nicht nur in Sachen Mode auf Trab brachte, sie studierte Psychologie und Geschichte. Sally-Anne stürzte sich mit aller Macht ins Studium, entwickelte seltsame Theorien für die zwischenmenschliche Beziehungen, aber sie konnte nicht sagen, womit sie eines Tages ihr Geld verdienen wollte. Ihre Eltern bezahlten ihr Studium und ihr Leben. Als sie Ian kennen lernten, waren sie ganz angetan, aber als Ian von seiner Berufsplanung sprach, weigerten sie sich, über eine gemeinsame Zukunft von Sally-Anne und Ian auch nur nachzudenken. Es störte das Verhältnis zwischen den beiden zunächst nicht, aber es ging alles in die Brüche, als Ian nach einem Jahr endlich die Zusage von der DEA New Jersey bekam.
„Du gehst nach New Jersey?“ fragte Sally-Anne ungläubig, „und was wird aus uns?“
„Du kannst mitkommen.“
„Mein Studium, Ian.“
„Glaub mir, in New Jersey gibt es auch Unis.“
Sie druckste herum, sagte dann kleinlaut, dass ihre Eltern sie in New Jersey nicht unterstützen würden. Geld gab es nur in Kansas. Ian brauchte Sally-Anne nur anzusehen und wusste schon, dass sie dem Geld den Vorzug geben würde und er zog allein an die Ostküste. Die McFaddens waren stolz auf ihn. Noch immer verbrachte er jedes freie Wochenende bei ihnen.
Ians Kindheit war der Grund für die Adoption gewesen, denn Art McFadden war einer der vielen Ermittler gewesen, er hatte sich um Ian gekümmert und es hatte ihm das Herz gebrochen, als die Kinder in verschiedenen Heimen untergebracht wurden. Sein Kampf mit den Behörden hatte Jahre gedauert, aber letztendlich hatte er Ian bei sich zu Hause aufnehmen dürfen, erst als Pflegekind, bis dann schnell die Adoption rechtskräftig wurde. In seinen Unterlagen hatte er das einzige Foto von Ians alter Familie gefunden und es ihm gegeben, als Ian sich nach New Jersey verabschiedete.
„Das hat mein Dad gemacht, als er noch gesund war“, sagte Ian, „er hat Fotos von seinem neuen Laster gemacht und für das letzte Bild hat er uns rausgetrommelt. Das da bin ich.“
Er saß im Flieger nach Newark und dachte darüber nach, wie wenig von einem Leben übrig bleiben konnte und fühlte sich plötzlich wie jemand, dem Haus und Hof abgebrannt sind und ihm nichts übrig geblieben war bis auf die Erinnerungen und selbst die wollte er nicht mehr haben.
Newark war eine furchtbare Industriestadt, korrupt, dreckig und voller Typen, mit denen Ian zu tun haben würde. Seine neuen Vorgesetzten und Kollegen nahmen ihn nicht gerade freundlich auf, er war ein Landei, trug lächerliche Klamotten und bekam in den ersten Wochen kaum die Zähne auseinander. Sein Partner, Jaco Guzman, trank den lieben langen Tag kubanischen Kaffee, hatte langes zottiges Haar und fast fünfzehn Jahre auf dem Dienstbuckel. Er behandelte Ian wie einen Trottel, dem man erklären musste, wie man sich Schuhe anzog, aber das hörte schlagartig auf, als Ian um vier Uhr morgens auf einen Fenstersims kletterte und eine junge Frau auf Angeldust daran hinderte, in die Tiefe zu springen. Er redete mit ihr, sie rauchten eine Packung Zigaretten zusammen und nach drei Stunden kamen sie wieder ins Zimmer zurückgeklettert. Jaco lud Ian nach Dienstschluss auf einen Saunagang ein, um eine Erkältung vorzubeugen, wie er sagte, und er wollte von Ian wissen, ob er das irgendwo gelernt oder ob er Fingerspitzengefühl für eine ganze Abteilung habe.
„Ich hab’s gelernt“, erklärte Ian, „weil ich überleben wollte.“
„Tyrannischer Vater?“
„Genau das.“
„Willkommen im Club.“
Sie schwitzten in der Sauna, sprachen über private Dinge und fanden heraus, dass sie ein gutes Team werden würden.
„Ich will in den Untergrund“, sagte Ian, „das ist die Arbeit, die ich machen will.“
Mit Guzman arbeitete er zwei Jahre zusammen, dann ging Jaco mit einem Rückenschaden in den Ruhestand und Ian wurde das erste Mal als verdeckter Ermittler eingesetzt. Er machte den Job, als hätte er nie etwas anderes getan.

***
Carla schaltete den Fernseher und das Radio ein, um sich ein kleines Stück Normalität vorzugaukeln, sollte jemand hereinschauen und nach ihr sehen wollen. Susannah hatte sich schon mehrmals angeboten, bei ihr zu übernachten, aber Carla meinte, sie wolle allein sein und einfach nur ihren Gedanken nachhängen. Ians Lebenslauf war so erschreckend beeindruckend, die Spuren aus einem anderen Leben. Über den Vorfall in der Bank stand nichts geschrieben, nur das Datum seiner Kündigung. Damit endete die Akte. Nick Reining hatte recht gehabt – sie stand vor einem unübersichtlichen Haufen von Fragen, die sie nicht schlafen ließen. Doc Roberts brachte ihr leichte Schlaftabletten, aber wenn sie die nahm und dann wieder aufwachte, hatte sie das Gefühl, sich stundenlang ruhelos hin- und hergewälzt zu haben. Ihre sonst so gepflegten Fingernägel hatte sie bis auf das Fleisch abgebissen. Helen Hyde brachte ihr einen Topf Hühnersuppe und verschwand wieder, in der Tür trafen sie und Nick zusammen und flüsterten miteinander.
„Das arme Kind sieht furchtbar aus“, flüsterte sie, „wie kann man ihr nur helfen?“
„Es wird wieder gehen, wenn Ian zurück ist.“

Reining begleitete Bragas zum Flugzeug, sagte nur ein „Wir sehen uns“ und hörte keine Erwiderung. Die Maschine, beladen mit der FBI Ausrüstung, einigen anderen Dingen und einem missmutigen Agenten, flog pünktlich ab. Jedenfalls nannte der Pilot es so, wenn er nicht mehr als einen halben Tag Verspätung hatte. Reining hatte seine Sachen noch immer nicht gepackt. Nach Bragas Abreise kümmerte er sich um Carla, versuchte nicht sie aufzumuntern, wollte nur, dass jemand an ihrer Seite war.
„Hast du geschlafen?“ fragte er.
„Nur ein wenig. Das kommt mir inzwischen so vor, als würde ich extrem diäten. Man hat irgendwann keinen Hunger mehr.“
Nick machte ihr einen Teller Suppe warm, blieb dabei sitzen, bis sie gegessen hatte.
„Er war sehr gut in seinem Job?“
„Ja“, sagte Nick, „ich hab nie mit ihm zusammengearbeitet, aber alle haben mir erzählt, dass er das gewisse Etwas hatte. Das ist der Grund, weshalb er lieber gekündigt hat, als sich in den Innendienst versetzen zu lassen.“
„Sie hätten ihn doch bestimmt wieder eingesetzt.“
„Er hatte Angst vor der psychologischen Beurteilung.“
 
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Nun muss Nick doch Einiges von Ians Vergangenheit preisgeben und Agent Bragas erfährt mehr als ihm lieb ist.
Carla ist tief erschüttert. Sie darf in die Akte einsehen und sich selbst vergewissern. Was wird Ian als nächstes tun?


doska (16.05.2009)

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