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Die ungewöhnlichen Gefühle einer verzweifelten Fahrlehrerin

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Roberts fleischiger Daumen klickt frustriert den roten Plastikknopf des Gurthalters.
Die spiegelige Metallfläche der Gurtschnalle wirft blendend grelles Licht der glühenden Mittagssonne in Roberts stechende Mandelaugen.

Seinen ganzen muskulösen Body mit der schlanken sexy Figur, den glänzenden dunkelbraunen Haaren, den meerblauen Augen, die im Normalfall verführerisch glänzten und dem stets zelebrierten aufrecht- stolzen Gang, setzte der stürmische „Anbaggerer“ gekonnt als "Waffe" ein, um die flottesten Mädchen so richtig wild machen zu können.
Robert machte immer einen auf cool und er glaubte mit diesem Erscheinungsbild auch Anja - so heißt diese bildschöne zweiundzwanzigjährige Fahrlehrerin - an Land ziehen zu können. Als ein anmutig stimmendes Lächeln ihren kirschroten Mund umspielte, war es um ihn geschehen. Doch Robert missdeutete, die aus ihren sinnlichen Lippen strömenden Signale völlig. Es war kein verführerisch aufreizendes Lächeln, allenfalls sollte es aufmunternd wirken.
Der im hellweißem Lack glänzende Golf Diesel rauschte vorbei an dichtem, im satten Grün leuchtendem blättrigem Astwerk, schnurgerade, auf die nächste Ortschaft zu. Robert nutzte die scheinbar monotone Strecke, um seine hitzige rechte Grappschhand auf ihren zarten Knien fordernd abzulegen und diese wanderte instinktiv weiter, bis an den Saum ihres tiefvioletten Faltenrockes, während seine linke Hand provokant lässig mit dem Lenkrad spielte.
Erschrocken war die charmante junge Frau zusammen gezuckt. Ein giftiges Blitzen hatte flugs die funkelnden Lachpünktchen aus ihren bernsteinfarbenen Mandelaugen verdrängt und breite Zornesfalten hatten sich plötzlich in ihr schönes ovales Gesicht gegraben.
„Bist du denn total verrückt geworden!“ schwadronierte die sichtlich erregte Frau wutentbrannt. Der Schreck hatte Robert bis ins Mark getroffen und die Fahrlehrerin, sah sich genötigt forsch ins Lenkrad einzugreifen, da er dabei war dieses zu verreißen, um den Supercrash mit einer der zahllosen stämmigen Kiefern noch entgehen zu können.
„T'schuldigung, passiert mir nie wieder!“, lispelte Robert kleinlaut.
Nur mit größter Mühe war es ihm gelungen, sich wieder auf das Fahren zu konzentrieren. Sein arrogantes Imponiergehabe war durch den Schreck plötzlich auf- und davongeflogen.

„Wenn es Ihnen passen würde, können wir uns am Dienstag, um 16.00 Uhr, wieder an gleicher Stelle treffen. Und merken Sie sich das gefälligst: noch eine anzügliche Handlung oder Bemerkung und Sie können sich weitere Fahrstunden bei mir abschminken! Und die Angelegenheit würde dann noch ein gerichtliches Nachspiel haben!“ Ihre Stimme zittert und bebt in diesen Sekunden.
Robert reißt die Tür weit auf.
Ist denn das überhaupt möglich! Der ansonsten so lässig wirkende coole Charmeur, stehlt sich ohne sich von ihr zu verabschieden, wie ein scheues Reh einfach von dannen.
In der tropischen Hitze dieses Julitages lauert schon der nächste Schüler ungeduldig auf seine erste Fahrstunde.
Auch er hat natürlich die nicht gerade freundlichen mahnenden Worte, mit denen sein Vorgänger bedacht worden war, längst aufgeschnappt.
Hände zittern, Arme zittern. Es fühlt sich an, als würde jede einzelne Faser seines schmächtigen Körpers zittern.
Die junge zierliche Fahrlehrerin kann natürlich nicht wissen, was dieses „Nervenbündel“ in seiner nicht gerade glorreichen Vergangenheit, schon so alles angestellt hat.

Ein besonders hitziger Fahrlehrer hatte das „Sensibelchen“ einfach so an die Luft befördert. Unter seinen gestrengen Augen konnte der zappelige Neunzehnjährige nichts, aber auch gar nichts, richtig machen. Selbst dann, wenn der glühende Asphalt monoton geradeaus führte, hatte er immer etwas zu nörgeln. Mal fuhr er zu weit in der Mitte, dann fuhr er zu weit rechts. Er konnte tun und machen was er wollte. Bei nahezu jeder Handlung prasselte ein Gewitter heftigster Schimpfkanonaden auf den immer ängstlicher werdenden Thomas nieder.
Macht er diese Eskapaden nur bei ihm oder müssen viele andere seiner Schüler auch unter seinen ständigen Nörgeleien leiden? Wahrscheinlich nicht, ansonsten hätte sein Klientel schon längst das Weite gesucht und dazu hätte noch der Pleitegeier seine scharfen Krallen über das Unternehmen ausgefahren. Höchstwahrscheinlich spielte er seine Trumpfkarte nur deshalb so geschickt aus, um seinen unbequemsten Schüler zur Selbstaufgabe zwingen zu können.
Manchmal tobte der Fahrlehrer sich so in Rage, dass Thomas kaum noch Kupplung, Bremse und Gaspedal voneinander unterscheiden konnte.
Eines schönen Tages hatte der cholerische Hitzkopf genug von seinem „Nervenbündel."
„Bescheuerter Vollidiot“, dröhnte es hitzig aus seiner trockenen Kehle, in so einer Lautstärke, dass es seine ohnehin schon gestressten Stimmbänder hätte zerreißen können. Diesmal war es zwar verständlich, da Thomas viel zu dicht auf den vor ihm fahrenden LKW aufgefahren war, der plötzlich bremsen musste. Doch war er es etwa nicht, der Thomas, wegen seiner unschönen Allüren, an den Rande eines Nervenzusammenbruch getrieben hatte?
Geistesgegenwärtig drückte der Fahrlehrer mit einem heftigen Schub die Bremse durch, aber nur um Haaresbreite konnten die beiden „Unnahbaren“ einem Crash gerade noch so entgangen.
Die letzten Silben, die er jähzornig über seine spröden Lippen brachte, waren klar und verständlich formuliert.
„Raus, aber sofort!“
Reflexartig hatte Thomas die Tür weit aufgerissen und diese mit melancholischer Bitterkeit resignierend hinter sich zugeknallt. Was sollte ihm auch anderes übrig bleiben. Im Gesicht des Fahrlehrers grinste höhnisch die fatale Fratze menschlicher Gemeinheit, erfüllt von gehässig-markigen Sprüchen. Keine Minute - nicht mal eine Sekunde mehr - hätte er es an der Seite dieses „knochigen Wichtigtuers“ , der von sich glaubt alles richtig zu machen, ausgehalten.

Fortan machte er sich auf die Suche nach einer anderen Fahrschule und fand auch eine preiswerte nach längerem Suchen.

Hektisch zwängt sich Thomas ans Lenkrad. Leise, fast flüsternd, quetscht der schüchterne Stotterer ein „G'g gguten Tag, aus seinem roten Mund. „Matschke“, stellt sich die junge Frau kurz vor und beide begrüßten sich mit einem knappen Händedruck.
Welche Gedanken werden in diesem Augenblick durch ihren bleiernen Kopf schwirren? „Bloß nicht das! Vorher dieser rotzfreche aufdringliche Angeber und jetzt noch dieser nervende Angsthase, denkt sie in diesem Augenblick. Ihre gestraffte Gestalt, die fast bis zum Anschlag aufgerissenen Augen und tiefe Falten in ihrer Stirn zeugen, dass sie ihrem neuen „Zögling“ alles andere als aufgeschlossen gegenüber steht.
„Was soll das! Warum nur so aufgeregt! Ihnen reißt doch niemand den Kopf ab!“
Ihre miese Stimmung versetzt seinen schmächtigen Leib so richtig in Wallung.
Während sie in aller Ausführlichkeit die Bedienelemente des Fahrzeuges erklärt, hört sie förmlich, dass sein weiches Herz in der bedrückenden Enge seiner Brust so laut wummert, als wolle es selbst um Hilfe schreien. Ihren wortreichen Psalm hätte sie sich sparen können. Aber woher soll Anja nur wissen, dass Thomas schon ein gebranntes Kind ist, welches bei einem ihrer männlichen Kollegen schon einmal in tiefste Ungnade gefallen war und er deshalb so einen erbärmlichen Eindruck macht. Der Stachel des Erlebten sitzt immer noch tief in seinem Inneren. Wäre Anja aber tatsächlich die Frau, die die Fähigkeit besitzen könnte, den spitzen Stachel aus den Poren der genarbten Haut dieses „dünnhäutigen Traumwandlers“, herausziehen zu können?
Wahrscheinlich nicht!
„So jetzt habe ich ihnen alles erklärt. Auf geht’s!“
Thomas schaltet die Zündung ein, drückt dabei die Kupplung und legt gleichzeitig den ersten Gang ein. Er löst Handbremse und Kupplung. Alles wie gehabt. Ganz sanft gleitet er davon. Bei seinem Vorgänger war das noch anders. Da hatte er meistens den Motor abgewürgt. Entsprechend „freundlich waren auch die „netten Ausdrücke“ aus dem Tierreich, angefangen vom Rindvieh über das Kamel, das dumme Schaf, bis hin zum doofen Ochsen und schließlich endete beim blöden Affen sein inhaltsreiches Wortrepertoire.
„Klappt ja gar nicht so schlecht. Sie haben doch bestimmt schon mal geübt.“
Anjas Worte klingen in den Ohren des Fahrazubis verdächtig zynisch. Dennoch findet er schnell eine passende Antwort. Hemmungsvoll sagt er zu ihr:
„Stimmt.“
Anja versucht etwas gelassener zu wirken. Nach mehreren Ampeln bittet die Fahrlehrerin Thomas, den Wagen neben einem parkenden Renault-Laguna aufzustellen, der in einer geraden Linie entlang zur Bordsteinkante steht. Er soll diesen in eine Lücke rückwärts einrangieren.
Da ist sie wieder, diese Aufregung. Geräuschvoll hektische Atemzüge, der wild hämmernde Herzschlag in seiner Brust, tief in die Stirn gerissene Angstfalten und das Gesicht – bis unter die Haarwurzel gerötet wie eine vollreife Tomate - dieser ansteckende Virus innerster Unruhe, überträgt sich sofort auf Anja und beginnt sich auch in ihren schönen Körper einzunisten.
Knapp und laut fordert sie von ihm:
„Konzentration! Alles halb so schlimm. Legen Sie den Rückwärtsgang ein! Wenn die Mitte der hintere Scheibe unseres Autos das Heck des Lagunas passiert hat, das Lenkrad scharf nach rechts drehen. Nach einem Winkel von etwa fünfundvierzig Grad flott gegenlenken und solange fahren, bis Sie eine gerade Linie zur Bordsteinkante erreicht haben, aber dabei den Abstand zum hinteren Citroen immer im Auge behalten. Dann wieder ein Stück vorfahren, um einen annähernd gleichen Abstand zwischen Vorder- und Hintermann herzustellen.
„Auf geht’s!, gibt Anja forsch das Kommando.
Seine zittrige Hand versucht sich krampfend am Schalthebel festzuklammern Doch schon das Einlegen des Rückwärtsganges avanciert zu einem kleinen Geduldsspiel, da dieser leicht klemmt und leider nicht so will, wie er sich das vorstellt.
„Nur ruhig Blut bewahren, passiert mir gelegentlich auch mal“, beruhigt sie ihn mit wahren Worten.
Beim zweiten Versucht gelingt es endlich. Nach der Sicht in den Rückspiegel und dem für ihn leidigen Schulterblick, beginnen die Räder sich zu drehen. Er lenkt auch an der richtigen Stelle ein, aber viel zu steil. Doch die Fahrlehrerin greift bewusst nicht ein. Sie lässt das flattrige Nervenbündel ungeduldig weiter zappeln. Natürlich merkt Thomas, dass er viel zu spät gegen- gelenkt hat und er deshalb auf dem flachen Bordstein gelandet ist, doch als Anja ihn fragt, was er falsch gemacht haben könnte, bleiben ihm die Worte wie Klöße im Halse stecken. Den Kopf hält er gesenkt, seine flimmernden Augen bleiben wie im Trance am Tacho hängen.
Dennoch, Anja möchte sofort die richtige Antwort aus ihm heraus kitzeln. Sie scheint sein ängstliches Schweigen provozierend zu empfinden. Ihr Ton dürfte deshalb noch an Schärfe gewinnen.
„Zu spät eingelenkt“,truckst Thoma mit piepsliger Stimme.
„Richtig - aber damit wir uns nicht falsch verstehen. Dieses wird solange geübt, bis Sie schnurgerade in der Lücke stehen!“ In ihrer Stimme schwingt ein Fluch von dumpfer Bitterkeit. „Ja ja Frau Matschke“, truckst Thomas ganz leise, fast flüsternd, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Thomas startet den zweiten Versuch. Diesmal setzt er das Lenkrad viel zu früh in die Gegenrichtung und er bringt den Wagen, fast achtzig Zentimeter vom Bordstein entfernt, zum Stehen.
Anja wird noch etwas ungeduldiger – ihr Geduldsfaden - fast so dünn wie eine Faser – droht aber bald zu reißen. „Nochmal!“, knurrt die gereizte Frau. Thomas setzt zwar den Blinker, vergisst aber den Blick nach hinten zu werfen. Er rollt an und zwei Sekunden später zischt ein rubinroter Peugeot, schrill und lang hupend, gerade so noch haarscharf an ihm vorbei, während die sofort reagierende Anja mit voller Wucht auf's Bremspedal drückt. Der Schreck ist nicht nur Thomas durch alle Glieder gefahren. Auch Anja reagiert wie vom Blitz getroffen und fängt an wie ein Rohrspatz zu wettern.
„Du hast wohl nicht mehr alle...! Passiert das wieder lehne ich es kategorisch ab, mit so einem chaotisch-zappligem Tolpatsch wie dich die Gegend unsicher zu machen. Jeden Cent im Portmonee muss ich dreimal umdrehen. Ich kann und werde auch nicht dulden, dass du das Auto zu Schrott fährst!“ Kaum sind ihre harten Worte verklungen, schiebt sich vor Thomas's Augen ein nebliger Schleier. Während der Pechvogel verschwommen nur noch alles im Kreise sieht, fällt sein Körper wie ein nasser Sack in die Lehne zurück. Seinen Mund, durch den er leicht unregelmäßig atmet, hat er nur halb geöffnet.
In Schockstarre verharrend, bringt er nicht mal mehr ein mageres Wörtchen über seine ausgetrockneten Lippen.
Anfangs dieser Robert, der von sich glaubte, er könne schon alles und der Rest ließe sich mit links machen, der außerdem am liebsten gleich noch am selben Abend mit ihr ins Bett gesprungen wäre und dann noch dieser Thomas, der schlimmste Angsthase der ihr jemals begegnet war – das alles zusammen könnte selbst ihr noch das Genick brechen.
Höchstens mal ein winziges Lüftchen der ersehnten Abkühlung kriecht in das Innere des Wagens, obwohl die Fenster schon weit herunter gerollt sind. Selbst die eingeschaltete Klimaanlage kann auch nicht allzu viel bewirken. Die Hitze ist einfach zu stark. Plötzlich sackt auch Anja zusammen. Die gleißende Scheibe der Julisonne kracht unbarmherzig auf das Dach des Wagens. Aufregung, dazu noch der blanke Ärger und der tief sitzende Frust, sind auch für die ansonsten so stabile Frau viel zu viel.
Von der Hitze gezeichnete Menschen hetzen mit Einkaufstüten in der Hand an den beiden vorbei.
Viele sehen tatsächlich nichts, manche wollen auch nichts sehen, obwohl sowohl Thomas als auch Anja, immer noch regungslos in ihren Sitzen harren.
Endlich – nach fünf Minuten - beginnt die Frau so ganz allmählich den Faden wieder aufzunehmen..
„Wo, wo, wo ...bin ich hier eigentlich, gluckern die Worte wie einzelne Wassertröpfchen aus der weiterhin verwirrten Frau, heraus. Taumelnd zwängt sie sich ins Freie, während unverdrossen eine schier endlos scheinende Menschenmenge sich schwitzend durch die Häuserschluchten der Großstadt plagt.
Die Spur des Blickes eines vorüberziehenden Passanten - kräftige Gestalt, bierbäuchig, kurz geschorenes schwarz gewelltes Haar - fällt rein zufällig auf den in gefährlicher Starre, in der Lehne des Fahrersitzes, hängenden Thomas. Ein ohnmächtig gewordener junger Mann am Steuer eines Fahrschulwagens, dazu noch eine verwirrte Fahrlehrerin mit leichenblassem Gesicht, da muss sofort Hilfe her, schießt es gedanklich durch seinen Kopf, der sich in Bruchteilen von Sekunden scharlachrot färbt.
„Brauchen Sie Hilfe?“, fragt der Mann mittleren Alters höflich. Die Stimme des Herrn zittert und vor Schreck haben sich tiefe Angstfalten in seine Stirn gegraben.
Anja redet kein einziges Wort. Nur ihre Augen starren befremdlich in die harten gestrengen Gesichtszüge des Unbekannten.
„Wo..., wo wo wo bin ich hier eigentlich?“, wiederholt die Frau, die immer noch nicht Herr ihrer Sinne ist, stotternd. „Sie sind hier in der Goethestraße, nicht weit von der Shoppingmeile entfernt. Mensch, der ist ja wirklich nicht mehr bei Sinnen. Kaum sind seine Worte verklungen, setzt ein ängstliches Flackern in seinen Augen ein, die sich zudem sofort nach oben verdrehen.
„Waaas.“ Ihr verstörter Blick wandert zufällig zu Thomas. Anja erschrickt sofort.
„Herr Reinhardt, Herr Reinhardt, was ist mit ihnen!“
Anja ist plötzlich wieder voll da, wenn auch innerlich noch sehr aufgewühlt.
Sie beugt sich zitternd über den Beifahrersitz und mustert tätschelnd seine Wangen und klopft mit ihrer Faust wuchtig auf sein Kniegelenk. Unter leichtem Schreck öffnen sich zwar die Augen, dennoch bricht nur ein kaum wahrnehmbares und zudem auch noch undefinierbares Lallen aus ihm heraus.
„Wir müssen sofort ins Krankenhaus!“, zeigt er sich ihr gegenüber entschlossen, während Anjas Hände sich zu seinen bleiernen Armen vorarbeiten, die ihn so richtig wachrütteln sollen. Doch wieder nur ein unwirkliches Knurren – mehr will einfach nicht kommen.
Gedankenschnell öffnet sie zwei silbrig schimmernde Druckknöpfe und den strammen Reißverschluss ihrer lederbraunen Handtasche. Während ein Gedanke den anderen jagt, tastet ihr suchender Daumen und der rundlige Zeigefinger nach ihrem neuesten Handy der Marke „Nokia.“. Ihr Blick wandert suchend auf dem Display und findet schnell die gespeicherte Nummer des Krankenhauses.
Behänd klickt sie die Tastatur. Die blutjunge Frau, die am anderen Ende der Leitung klemmt, sagt mit heller freundlicher Stimme zu ihr, nachdem Anja die Situation ausführlich geschildert hat:
„Warten Sie bitte einen Moment. Ich verbinde Sie gleich weiter.“
Nach einigen Sekunden ungeduldigen Wartens meldet sich eine andere weibliche Stimme, die sich sehr wohl von der vorherigen unterscheidet.
„Notaufnahme Lampert, Guten Tag“, kreischt es blechern zornig aus ihrem Handy.
„Was liegt denn an?“
Anja antwortet: „Matschke mein Name. Ich bin Fahrlehrerin in der Fahrschule Fröhlich.
Kommen Sie bitte sofort in die Goethestraße, gegenüber eines Reihenhauses mit der Nummer 53!
Thomas Reinhardt, einer meiner Fahrschüler, ist seit etwa einer viertel Stunde am Steuer eingeknickt und gibt kaum einen Laut von sich. Auch ich war für einen Moment ohnmächtig geworden. Zu meinem Glück konnte ein freundlicher Herr mir unter die Arme greifen. Ich brauche unverzüglichst Hilfe, möglichst einen Krankenwagen!“, bittet Anja flehentlich.
„Die sind alle unterwegs. Ich kann leider auch nicht hexen. Bei dieser Glut klappen doch die Alten wie die Fliegen zusammen. Dauert mindestens 'ne Stunde“, wettert die Frau lieblos kalt.
„Warum fahren denn Sie ihn nicht gleich zu uns in die Notaufnahme!“posaunt die aufgekratzte Frau in die Hörermuschel.
„Der hängt fast wie ein Toter am Lenkrad!“ Kaum noch eine Regung gibt der von sich, von einem unverständlichen Grummeln mal abgesehen. „Sollte etwas passieren, hat mich mein Chef auch noch am Wickel!“ Während knallig-harte Worte über ihre Lippen springen, fliegen tiefe Zornesfalten auf ihre weiche glatte Stirn und auch Anjas Augen drohen wegen ihrer stechenden Schärfe aus ihren tiefen Höhlen zu fallen.
„Da kann ich doch auch nichts machen!“, schwadroniert die gestresste Frau, die anfängt scharf nachzudenken. Ihre Stimme beginnt sich deutlich abzuschwächen.
„Mal sehen was sich machen lässt. Unter einer Stunde dürfte es aber kaum dauern. Die Älteren haben natürlich Vorrang vor den Jüngeren. Wohin muss ich kommen?, fragt die Frau nochmals zurück. „Goethestraße, gegenüber Hausnummer 53“, erwidert Anja trocken. Nach einem knappen „Geht in Ordnung“, bedankt sich Anja kurz und nimmt ihr Handy wieder vom Ohr ab.
„Ich bin Herr Bonsack, Ralf Bonsack stellt sich der Unbekannte in höflichem Unterton vor.
„Und ich Frau Matschke“, zeigt sich auch die freundlich lächelnde Anja erkenntlich, die aber bewusst ihren Vornamen nicht preisgibt.
Ein Anflug verlegenen Lächelns huscht aus seinem leicht gerötetem Gesicht. Obwohl sie sein vielsagendes Lächeln nicht erwidert, kommen die beiden schnell ins Gespräch.
„Der sieht aber gar nicht gut aus“, meint Anja mit besorgter Miene.
Ralf nickt zaghaft den Kopf. Tiefe Denkfalten furchen seine Stirn.
„Sagen Sie mal, ist so etwas schon mal vorgekommen?“, fragt er neugierig.
„Noch nicht.“
Ralf fragt sich zurecht, wieso sich eine so junge zierliche Frau in dieser rauen Männerdomäne behaupten kann.

Anja erzählt ihm die tollsten und die spannendsten Geschichten ihrer beruflichen Laufbahn. Die Minuten rinnen wie durch die Finger rieselnde Sandkörnchen dahin. Plötzlich beendet lautes Sirenengeheul abrupt den munteren Plausch und wenige Sekunden später ist der Krankenwagen auch schon vor Ort. Über eine Stunde sollte es dauern, doch bereits nach einer reichlichen Viertelstunde schleudert es - wegen des scharfen Bremsens - spritzende Steinchen von den Rädern. Ralf macht große Augen, aber auch Anja ist sichtlich überrascht. Die Tür öffnet sich. Federnden Schrittes klettert ein Notarzt, in Begleitung zweier Sanitäter, aus dem Krankenwagen. Nach einer flüchtigen Begrüßung weist Anjas Zeigefinger auf Thomas. Der Oberarzt beugt sich nach vorn und er tastet leicht klopfend den Oberkörper ab und fühlt auch gleich noch den Puls.
„Das ist ein Kreislaufkollaps! Gut, dass Sie sofort angerufen haben, lobt der Mediziner die junge Frau mit einer tief-krächzenden - gewöhnungsbedürftigen - Stimme. „Sofortige Eile ist geboten. Schnell die Trage aus dem Wagen!“ , drängt er seine Mitarbeiter. Ohne wesentliche Sekunden zu verlieren, heben die Assistenten die Trage aus dem Krankenauto und setzen diese drei Meter entfernt vom Fahrschulwagen ab. Noch während die Sanitäter versuchen Thomas an Händen und Füßen zu packen, versucht er im Unterbewusstsein sich strampelnd zur Wehr zu setzen. Wieder grunzeln unverständliche Laute aus seinem Mund. Der Oberarzt presst noch zusätzlich mit seinen knochigen Händen beide Beine zusammen. Doch mit vereinten Kräften gelingt es schließlich, Thomas auf die Trage zu legen und ihn in den Krankenwagen zu transportieren. Aus der Ferne ein kurzes „Wiedersehen“, dann braust das medizinische Personal davon.
Anja und Ralf schweigen ein Weilchen bedächtig. Anja merkt anhand der Denkfalten sofort, dass es in seinem Kopf angefangen hat zu rumoren. Nervös gleitet seine dunkelrote Zunge zwischen seinen rissigen Lippen bis er sich ein Herz fasst, ihr ein Angebot zu machen: „Wie wär's, wenn wir uns an irgendeinem Tag in der Woche mal in einer schicken Location treffen könnten?“

„Muss das denn schon wieder sein!“, denkt sie im Stillen.
„Danke, bin leider schon vergeben“, antwortet Anja. Dass dieses nicht stimmt, kann Ralf natürlich nicht wissen. Ralfs Gesicht kann eine gewisse Enttäuschung nicht verbergen. Entsprechend knapp fällt deshalb die Verabschiedung aus - nur ein simples kurzes „Wiedersehen – Schluss, Aus. Sie hört Steine plumsen und kann kann von Glück reden, dass sie an diesem Tag keine weiteren Fahrschüler mehr erdulden muss. Ansonsten wäre es ein Drahtseilakt für ihre an diesem Tag ohnehin schon zu arg strapazierten Nerven geworden.
Anja plagen Gewissensbisse. „Wie wird es nur Thomas ergehen?“ Diese Frage stellt sie sich immer wieder.

Im Krankenbett der Notaufnahme liegend, beginnt Thomas so ganz allmählich zu begreifen, was vor gerade einer Stunde erst geschehen war. Nicht nur ein Kreislaufkollaps hat Thomas voll getroffen. Auch ein gewaltiger Schock hat ihn ebenfalls sichtbar gelähmt.
Am nächsten Morgen ist kurz nach dem Frühstück ein Belastungs-EKG erstellt worden. Nach dieser routinemäßigen Untersuchung hat er sich wieder ins Krankenzimmer geschlichen. Keine fünf Minuten später öffnet sich die Tür um einen breiten Spalt.
„Guten Tag Herr Reinhardt!“ bricht eine bekannte Stimme die andächtige Stille des Krankenzimmers.
Thomas glaubt in einem falschen Film zu sein. Nach einem kurzen Schreck fluten Wellen unsäglicher Angst durch seine Adern. Ein vorsichtiges Zögern, dann antwortet er haarklein:
„Guten Tag Frau Matschke!“, Seine Stimme ähnelt der eines zehnjährigen Kindes.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich viel zu grob zu dir war. Meine Nerven lagen eben auch mal blank. Ist ja auch kein Wunder bei dieser Affenhitze und diesem affigen Typen, der noch vor dir dran war und mich so fertig gemacht hat. Thomas staunt nicht schlecht. Ursprünglich hatte er vermutet, dass sie nur wegen ihm so sehr aus aus ihrer Haut gefahren war – doch weit gefehlt!
„Lag ja doch nur an mir“, sagt er ihr entschuldigend ins Gesicht und atmet erstmal tief durch.
„Nicht nur“, wirft sie beruhigend leise ein. „Aber das erkläre ich Ihnen später noch viel ausführlicher.
„Wie geht es Ihnen jetzt?
„Ganz gut, werde heute noch entlassen, sagt Thomas, der aus seinen Mundwinkeln ein blitzkleines Lächeln zaubert und sich auch nicht scheut - freilich noch etwas schüchtern - ihre schönen Bernsteinaugen zu bewundern.
„Ist doch prima! Wenn es Ihnen besser geht, können Sie sich wieder bei mir melden.
Ich gebe Ihnen gleich meine Handynummer mit.“ Anja kramt ein Blättchen aus ihrem pechschwarzen Portmonee, während der in Gedanken schwelgende Thomas schweigt.
Freudig kritzelt Anja die Nummer auf's Papier und drückt das Zettelchen dem Genesendem in die Hand.
„Danke, werde es mir überlegen und Sie an diesem Abend noch anrufen“, sichert Thomas ihr zu. Nur einen winzigen Augenblick später erfährt Thomas eine gelinde Überraschung, mit der er selbst nicht rechnen konnte.
„Übrigens: Ich würde Ihnen das Du anbieten. Ab jetzt nennst du mich einfach Anja – Einverstanden!“
Thomas glaubt Kopf zu stehen.
„Okay, kannst mich Thomas nennen." Ein zaghaftes Lächeln verliert sich in seinem Gesicht, wahrscheinlich um seine Verlegenheit zu verbergen.
Thomas fragt sich: „Warum und weshalb hat sich diese Frau, die er gestern noch am liebsten zum Teufel gejagt hätte, in einem Wahnsinnstempo gewandelt. Wahrscheinlich setzt sie ihre raue stachlige Schale nur ein, um ihren viel zu weichen Kern, der als unsichtbares Makel an ihr haftet, geschickt verstecken zu können. Natürlich ist es allzu verständlich, dass sie in so einer prekären Situation, auch mal in der Lage sein kann, deutlich lautere Töne anzuschlagen, zumal alles auf einmal – wie bei einem heftigen Gewitterguss - auf sie niedergeprasselt war.
„Leider muss ich mich gleich verdingen. Zeit ist Geld. Mein nächster Kunde wartet schon ungeduldig auf mich. Und Kopf hoch, wir, wir gemeinsam kriegen das schon hin.“ Beruhigend sanft, streicht ihre rechte Hand über sein dunkelbraun gelocktes Haar.
„Mit einem herzlichen „Tschüss“, verabschiedet sich Anja von Thomas und streckt ihm vertrauensselig ihre Hand entgegen. Dabei verfängt sich ihr sinnlicher Blick in den noch etwas ängstlich flackernden wasserblauen Augen des jungen Herrn, der auch Anja mit einem "Tschüss" verabschiedet. Zarte Lachfältchen in ihrem Gesicht, scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen, denn flugs umspielt auch seine Mundwinkel ein sichtbares - wenn auch noch etwas gequält wirkendes, schüchternes Lächeln. Schamröte legt sich auf seine Wangen und sind ein untrügliches Zeichen erster Verliebtheit. Ihr schlanker Traumkörper mit den tollen Beinen, den formschönen Brüsten in ihrem knallgelben T-Shirt, auf dem dazu passend, zwei stolze, feurige Herzen besonders liebevoll eingearbeitet sind, hat ihn tief in seinen Bann gezogen. Aber auch der Glanz ihrer bernsteinfarbenen Mandelaugen unter denen eine gut geformte niedliche Stupsnase klebt, lassen unzählige Männerblicke förmlich auf sie fliegen.

Auch Thomas hat es nun voll erwischt.
Ihr schönes, welliges, über ihre schmalen Schultern fließendes dunkelbraunes Haar, würde auch gut zu ihm passen. Aber wegen seiner profanen Schüchternheit, mag er selbst kaum glauben, dieser verdammt gut aussehenden Fahrlehrerin, noch näher auf die Fersen rücken zu können.


In der Nacht nach der Entlassung ist an Schlaf fast nicht zu denken. Vor seinen geistigen Augen schwebt nur noch Anja und er stellt sich in diesen Stunden die quälende Frage, warum sich ausgerechnet dieses bildschöne Mädchen ihm gegenüber plötzlich so offen zeigt.

Auf dem unmittelbar an seine Wohnung angrenzenden Bürgersteig wartet Thomas auf den Beginn der nächsten Fahrstunde. Das Auto nähert sich. Schon aus wenigen Metern Entfernung nimmt der einstige "Angsthase" ihr freundliches Lächeln wahr.
„Prima, dass du so superpünktlich bist“, lobt die grazile schlanke Schönheit Thomas in höchsten Tönen. Fast schon zärtlich reicht sie ihm die Hand zur Begrüßung.
„Ist doch ganz normal, Frau Matschke“
„Anja“, korrigiert sie den Vergesslichen und zaubert ein liebliches Lächeln in ihr Gesicht.
„Wir hatten doch ausgemacht, dass wir uns fortan duzen."
„Stimmt“, antwortet er kurz und bündig.
Seine „Fahrkünste werden von einer Fahrstunde auf die andere immer besser. Ihr ist das Kunststück geglückt, mit ihrem charismatischen Charme Thomas so weit zu beruhigen, dass er nun viel ruhiger und vor allem viel gelassener, den Wagen an das von ihr anvisierte Ziel, steuern kann.
Jetzt bittet Anja Thomas, rechts, in das weiträumige Terrain eines Shoppingcenters, einzubiegen.
Anja hat mit ihm vor, an seinem wunden Punkt - dem leidigen Einparken - noch etwas zu arbeiten. Nur ein Steinwurf von den Parklücken entfernt, lagert ein ganzes Geschwader Jugendlicher auf sonnenheißem Asphalt, die meisten von ihnen mit abgewetzten zerschlissenen Jeans und mit verbranntem freiem Oberkörper. Mit Getränkedosen, Bier- und Spirituosenflaschen bewaffnet, pöpeln die Chaoten friedliche Menschen grundlos an. Die meisten von ihnen versuchen einen Bogen um diese Rowdys zu machen, um nicht selbst Opfer von gezielten Schlägen oder sogar von Fußtritten zu werden.
Ein erster Versuch, in eine Lücke zwischen zwei parkenden Autos rückwärts einzulenken, misslingt ihm. Möglich, dass ihn diese herumlungernde Horde total aus der Fassung gebracht hat.
„Nicht so schlimm“, versuch es gleich nochmal“, macht Anja ihm Mut.
Neben unerträglichem Hitzeschweiß perlt Thomas jetzt auch noch grausiger Angstschweiß von der Stirn.
Als er erneut in die Parklücke viel zu schräg einlenkt, gerät er erstmals ins Blickfeld dieser betrunkenen Rowdys.
„Zugabe, Zugabe..., fangen die Ersten an zu grölen. Weitere schließen sich an. Bereits nach wenigen Sekunden fangen schallende Wände dieser manchmal so verschmähten Konsumwelt, das jämmerliche Gegröle auf und werfen es hundertfach zurück. Als diese Sturzbetrunkenen dann auch noch die junge knackige Fahrlehrerin ausfindig gemacht haben, haben die Krakeeler ihr neues Opfer gefunden.
"Ausziehen, ausziehen“, skandieren diese völlig durchgeknallten Typen in drohender Lautstärke und ehe Thomas sich versieht, schlägt die erste Bierdose in unmittelbarer Nähe des Autos blechern auf. In diesem Moment handelt er besonnen. Geistesgegenwärtig stößt er den Wagen zurück, lenkt ihn aber in die andere Richtung, um nicht noch an diesen irrsinnigen Randalierern vorbeifahren zu müssen. Noch während des Rückwärtsfahrens scheppert eine leere Bierflasche, klirrend, auf dem Dach des Wagens. Thomas erschrickt zwar kurz, behält aber dennoch kühlen Kopf. Erstaunlich, dass Anja wie gelähmt wirkt und in diesem schrecklichen Augenblick nicht in der Lage ist, auch nur ein einziges Wort über ihre breiten Lippen springen zu lassen.
Scheinbar davon unbeirrt, kämpft sich Thomas durch das weiträumigen Gelände dieser bombastisch thronenden gläsernen Erlebnis- und Shoppingwelt.
Endlich - nach schier endlos scheinenden zwei Minuten - ist es ihm gelungen, einen anderen Ausgang zu finden. Kurz vor dem Ende dieses "Irrgartens" erholt sich Anja von ihrem Schock. „Hast' gut gemacht“, lobt sie ihren ehemaligen „Problemschüler“ über den grünen Klee hinaus und pustet kräftig durch.
Als er wieder an den Fahrbahnrand heran rollt, zirkuliert das Blut schon wesentlich ruhiger durch seine Adern.
Mit einem sanften Händedruck verabschiedet sich Thomas von Anja. Er schält sich mühsam, aber erleichtert aus dem Auto. Plötzlich kommt Anja irgendetwas in den Sinn.
„Einen winzigen Augenblick noch.“ Thomas dreht sich sofort um. „Wärst du einverstanden, wenn wir es uns in meinem kleinen Reich mal so richtig gemütlich machen würden?“
Zum wiederholten Male schießt Verlegenheitsröte in sein Gesicht und auch sein Herz will nicht mit Freudensprüngen geizen.
Die Entscheidung fällt ihm diesmal nicht schwer.
„Warum nicht.“
Thomas strahlt wie ein Honigkuchen.
Beide sind sich schnell einig und legen sich auf Mittwochabend fest.

Thomas ist anfangs so aufgeregt, dass er sich verirrt.
Doch dann finden geduldige wache Augen doch noch den Viergeschosser, um den sich leuchtendes Grün liebevoll rankt. Ein brennender Herzschlag flammt in seiner Brust. Bleierne Schwere klebt stumm an schlackernden Beinen.
Krampfhaft zitternd umklammert seine rechte Hand einen üppigen Rosenstrauß, die diesen so fest an den Körper zieht, als gelte es einen funkelnden Goldschatz vor räuberischen Erpressern zu hüten.
Mindestens fünfmal atmet Thomas ein- und aus, ehe sein suchender Daumen endlich ihren Klingelknopf findet.
„Matschke“, tönt es blechern aus dem Lautsprecher der Haussprechanlage.
„Ich, ich, ich bins, Thomas, stottert er ins Mikrofon.
Anja drückt auf den Knopf. Endlich hört er dieses erlösende leise Surren des Türöffners.
Wie eine schnaufende Dampflokomotive kämpft der Kribblige sich die steinernen Stufen hinauf, die ihn zu seinem neuen Glück tragen sollen. Das Treppenhaus - immer noch den müden Charme längst vergangener Zeiten versprühend - macht einen erbärmlichen Eindruck.
An einigen Stellen bröseln schon häßliche Fetzen einer stinkenlangweiligen Tapete - die ehemals hellblaue Farbe hatte, jetzt aber in grauen Schattierungen kümmerlich vor sich hin schlummert - von rauen Wänden. Doch dieses Makel nimmt Thomas nur beiläufig zur Kenntnis.
In seinem Kopf geistert nur noch Anja, die sich bereits vor die weit geöffnete Tür, mit ihrem gewohnt-stolzem Lächeln postiert hat.
"Endlich bist du da!", ruft sie erleichtert aus und wirft ihren linken Arm überschwenglich über seine Schultern und haucht ihm sogar ein Küsschen auf die gerötete Wange. Noch etwas aufgeregt drückt Thomas Anja den schmucken Rosenstrauß in ihr geschmeidig-warmes Händchen. Anja gibt ihm zu verstehen, dass dieser teure Strauß gar nicht nötig gewesen wäre, aber Thomas winkt mit einer kurzen flachen Handbewegung ab. Überzeugend schwärmt er ihr vor:
„Für so ein hübsches nettes Mädel wie dich, würde ich selbst den teuersten Blumenstrauß der Welt opfern." Mit solch netten Worten versucht der bis über beide Ohren Verliebte bei ihr Eindruck zu schinden.
Der süßliche Duft prächtig schillernder Rosen kriecht genüsslich durch den schmalen Flur und vermischt sich mit dem ihrer wohlriechenden Knusperhaut. Anja bittet Thomas in das helle, geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer. Jede einzelne Rose arrangiert das gütige Wesen in liebevoller Sorgfalt, in eine spiegelblank gewienerte, lieblich-weiße, Vase. Die mit fabelhaft schönen Rosen gezierte Fransentischdecke passt wie die Faust auf's Auge zu diesem leuchtenden Strauß. Anja hat ein schmackhaftes Abendmenü auf den lang ausgefahrenen ovalen Wohnzimmertisch gezaubert.
In kunstvollen Röllchen geschwungene Salami- und Käsescheiben sind liebevoll auf goldrandigen Tellern geschichtet. Zudem lässt der angenehme Geruch ihrer knusprigen Brötchen, das Wasser im Mund des Glücklichen zusammenlaufen.
Thomas und Anja haben es sich auf dem gelbbraun gebümtem Sofa gemütlich gemacht.
Thomas lässt sehr emotional sein bisheriges Leben an Anja vorüberziehen. Sehr konzentriert hört sie ihm zu. Dabei nagelt sich ihr Blick an der faltig gewordenen Stirn des Erzählers fest. Als Thomas von den grausigen Schlägen und Fußtritten seines Vaters erzählt nehmen ihre hellwachen Augen jede Veränderung - auch wenn sie noch so minimal ausfällt - wahr. Erschrocken nimmt sie auch zur Kenntnis, als in ihr Ohr dringt, wie oft der Junge -
der immer von sich dachte ein schlimmer Versager zu sein - die Schule geschwänzt hatte. Wegen seiner Überempfindlichkeit war er kaum noch fähig sich zu wehren. Das Jugendamt kannte keine Gnade mehr und beförderte den Gedemütigten für schmerzliche drei Jahre in ein Heim.
Seine Stimme verliert an Lautstärke und schließlich hört er ganz auf zu reden, da er merkt dass aus der Küche kommend eine rußig-braune Wolke bis ins Wohnzimmer schwappt.
„Die Steaks sind angebrannt!“, dröhnt es aus seiner Kehle. Das in schwere Worte gefasste Schreckensszenario hat sich so tief in ihr verinnerlicht, dass sie die Steaks aus den Augen verlieren musste.
Anja lobt Thomas, dass er – wenn auch etwas zu spät – doch noch die Flucht nach vorn angetreten hat.
„Die angebrannten Steaks sind längst noch kein Beinbruch. Viel mehr läge mir am Herzen, wenn du dein Leben endlich wieder in geordnete Bahnen lenken könntest. Aber was das anbetrifft, bin ich schon viel zuversichtlicher gestimmt. Wir, wir beide, wir... wir gemeinsam kriegen das schon hin", sagt Anja mit einem aufmunterndem Lächeln.
„Ganz bestimmt“, gebärdet sich Thomas überraschend sicher und schaut ihr ununterbrochen in wunderschönen Augen, die anfangen zu leuchten. Nun setzt auch bei Anja ein Redeschwall ein. Sie war in die Fußstapfen ihres Vaters getreten.
Der hatte sowohl in einer Kraftfahrzeugwerkstatt als Karosserieklempner seine Brötchen verdient, aber auch als Fahrlehrer war er sehr erfolgreich. Seine sprichwörtliche Liebe zum Auto, sollte sich schnell auf Anja übertragen - die richtige, die wahre Liebe im Leben - hatte um die bizarre Schönheit bisher – und das trotz ihrer stolzen zweiundzwanzig Jahre – immer einen Bogen gemacht. Einige Bekanntschaften hatte sie zwar schon des öfteren, doch diese sollten sich in wiederkehrender Regelmäßigkeit als Nieten entpuppen. Die meisten dieser Machotypen, waren nur auf eine schnelle Nummer aus, so wie dieser aufsässige, hammergeile Robert. Am liebsten hätte dieser Vollidiot ihr sofort die Klamotten vom Leib gerissen. Tschüss und das war's. Von dieser Sorte Männer hatte Anja die Nase gestrichen voll.
„Vielleicht versuchst' es mal mit einem schüchternen Jungen“, diese Idee war ihr entsprungen, als sie dieses „Häufchen Elend“ im Krankenhaus sah.
"Feinfühlige Menschen haben es im Alltag oft viel schwerer und gerade deshalb steht ihr Handeln oft im Zeichen tiefster Dankbarkeit", dachte sie in jenen Augenblicken. Thomas ist sichtlich gerührt und staunt wie offen sie mit ihm über den Grund ihrer Zuneigung spricht.
Noch während des Speisens kommen sich Thomas und Anja wieder ein ganzes Stück näher.
Wie auf Kommando rücken die beiden fest aneinander.
„Weißt du Thomas, für mich kommt es zuerst auf die inneren Werte an.
„Für mich auch." Seine Stimme strahlt ungewohnte Ruhe aus.
Anja will auf ihre innere Stimme hören. Diese sagt: „Dem kannst du glauben. Der hat so viel Schlimmes erlebt und sehnt sich schon deshalb nach Wärme und Geborgenheit.“
Nachdem beide das Abendessen genüsslich verzehrt haben, schmiegt Anja ihre Stirn ganz sanft an seine. Ihre rechte Hand wärmt behaglich die Schultern des Glückseligen.
„Bist ein liebes nettes Kerlchen“, schmeichelt sein neues Herzblatt. Thomas strahlt, ist aber so verlegen, dass er nicht mal in der Lage ist, auch nur ein einziges Wörtchen springen zu lassen. Wie ferngesteuert legt sich die rechte Hand auf ihre, die immer noch geduldig auf seiner Schulter ruht. Diese gleitet unzählige Male hinauf bis zum Oberarm und dann wieder zurück. Anja kuschelt sich noch fester an ihren liebgewonnenen Schatz, die Augen schließt sie und genießt in aller Stille dieses leise wohlige Kribbeln, was sie noch mehr in Atem hält.
Seine Hände werden immer forscher und würden liebend gern versuchen, fast jeden Zentimeter ihres traumhaft schönen Körpers, gründlich zu erforschen. Die empfindlichsten Stellen, die eine Frau nun einmal hat, hat er - in seiner ihm eigenen rücksichtsvollen Art - bewusst noch ausgespart. Besonders mag sie es, wenn Thomas ihre Ohrläppchen streichelt und zärtlich an ihnen knabbert. Aber auch, als der "Hobbymasseur" ihren Nacken sehr einfühlsam krault und als die Finkerkuppen druckvoll, aber betont langsam, vom Halse - etwas abseits von der Wirbelsäule - den Rücken hinab gleiten,
spürt sie wie Wonneschauer von ihrer samtig-weichen Haut aus beginnen, ihren Leib noch stürmischer zu erobern.
„Mit dir zusammen ist es wie in einem Märchen“, stimmt Anja ein Lobeslied an.
Um eine Antwort muss ihr nicht bange sein.
„Mit dir auch.“
Jetzt beginnen auch ihre glatten Hände seinen Körper zu erkunden.
Auch Thomas schließt dabei die Augen. Er kann zwar nicht sehen, dass prickelnde Gänsehaut auf seinem Körper wie Sekt perlt – dennoch erregen ihn diese Zärtlichkeiten sehr. Zum ersten Male in seinem jungen Leben berauscht ihn das überschwängliche Gefühl einer unbeschreiblichen Glückseligkeit, von der er zwar immer mal geträumt hatte, die aber - wäre es nach seinen Vermutungen gegangen - niemals hätten wahr werden können.

Die nächsten Fahrstunden geht Thomas viel lockerer und entspannter an. Wie weggeblasen, diese unsäglichen Verspannungen und Verkrampfungen.
Nach nur dreiundzwanzig Fahrstunden sagt Anja freudvoll lächelnd:
„Ich bin der festen Überzeugung, dass wir bald mit der Prüfung beginnen können. Du fährst ja schon wie ein alter Hase. Am Vorabend dieses Ereignisses, genehmigen wir uns allerdings noch einen wunderschönen Abend, damit dein Körper am Prüfungstag nicht zu viel Adrenelin ausstoßen muss.“
Thomas hat absolut nichts dagegen – ganz im Gegenteil.

Am Anfang dieses Abends gönnen sich die frisch Verliebten ein liebliches Gläschen französischen Rotweins der edelsten Sorte.
Seine Streicheleinheiten beginnt er in seiner gewohnten feinfühligen Art. Aber irgendein unsichtbares Wesen, muss doch einen geheimnisvollen Zaubertrunk in den Rotwein gekippt haben.
Denn der einst so in sich gekehrte Thomas ist nicht mehr wieder zu erkennen.
Zielstrebige Hände schieben in ungewohnter Eile ihr T-Shirt über den Kopf. Als diese aber dann noch über ihren Büstenhalter wandern und auch noch versuchen, dessen Verschluss zu öffnen, greift die junge Fahrlehrerin erstmals beherzt ein und zieht rücksichtsvoll die „Handbremse“ an. Fürsorglich sanft schiebt sie seine schon etwas zu ungestüm fummelnden Händchen behutsam zur Seite. „Stopp“, flüstert sie ihm liebevoll ins Ohr und fährt fort: „Am Abend nach bestandener Prüfung, gibt’s zur Belohnung noch mehr. Ihre sinnlichen Lippen können aber den stürmischen Eroberer mit einem Kuss, der kein Ende mehr nehmen will, entscheidend trösten.
Dass dieser einst so extrem schüchterne Thomas - eines schönen Tages - die Fähigkeit erwerben könnte, ein derartiges Feuer der Leidenschaft innerhalb einer so kurzen Zeit zu entfachen, damit hat selbst Anja nicht gerechnet. Sie möchte aber, dass er seine bisherige Tour beibehält. Sie findet es besonders spannend, wenn dieses Knistern, dieses atemberaubende Prickeln, von einem Tag auf den anderen immer unerträglicher wird. Es soll sein wie bei einem festlichem Konzert. Nach der Anfangs-Ouvertüre folgt das eigentliche Konzert , welches als Höhepunkt in einen unvergesslichen Schlussakkord gipfelt.
Thomas nimmt ihr nicht übel, dass sie vorerst noch die für ihn reizvollsten Stellen ihres Körpers, zu einer Tabuzone erklärt. Dennoch – eng umgarnt, unter liebevollen Streicheleinheiten, begleitet von zahllosen Küssen – auch dieses hat bei Thomas schon ungeahnte Glückshormone sprießen lassen, aber auch in Anja ist ein völlig neues – ein bisher noch nie gekanntes euphorisches Glücksgefühl - erwacht.
Thomas richtet jetzt den Blick nach vorn, denn er steht unmittelbar vor der Schwelle jenes Tages, den er schon seit langem herbeigesehnt hat. Morgen kann er schon sein heiß begehrtes Kärtchen jubelnd in die Luft reißen – vorausgesetzt, alles läuft nach Plan.
In der letzten Nacht vor der Prüfung ist er innerlich so aufgewühlt, dass an Schlaf kaum zu denken ist. Hypernervös räkelt er sich von einer Seite auf die andere und starrt zitternd in die niederschmetternde Einsamkeit der Nacht. In diesen unerträglichen Stunden des Grübelns wünscht er sich Anja an seiner Seite, doch die wollte ja das Schönste für zuletzt aufheben. Vielleicht ein Fehler?
Pünktlich, um neun Uhr, soll Thomas am Bahnhof, dem Ort der Prüfung, sein. Vorsichtshalber ist er schon eine halbe Stunde früher angerückt. Das Blut schießt wie wild durch alle Blutgefäße und bringt sein Herz von einer Minute auf die andere noch mehr in Wallung. Erst gestern hatte es noch Freudensprünge gemacht, die nur kurzzeitig von ihrer bremsenden Hand gestoppt werden konnten und jetzt droht es schon wieder - wie rissiges Porzellan - zu zerspringen. Frische und Lockerheit scheinen auf einmal abhanden gekommen zu sein. Wenigstens sind die Temperaturen in dieser Morgenstunde noch einigermaßen angenehm.
Endlich ist es soweit. Das Prüfungsfahrzeug rollt unerbittlich auf Thomas zu und kommt vorsichtig bremsend zum Stehen. Nur das übliche Schild „Fahrschule“ klemmt nicht wie gewohnt auf dem Dach. Schließlich sollen die Verkehrsteilnehmer nicht wissen, dass es sich um eine Prüfungsfahrt handelt – und das aus gutem Grund. Zuerst steigt Anja aus, damit Thomas ans Lenkrad kann. Im Gesicht sitzt ihr gewohnt-freundliches Lächeln.
„Guten Morgen, Frau Matschke“, lispelt Thomas ängstlich und reicht ihr zur Begrüßung vorsichtig flach die Hand.
„ Guten Morgen Thomas. Gut, dass du so pünktlich erschienen bist!“ antwortet Anja. Die Pupillen in ihren Augen, die plötzlich anfangen sich zu weiten, deuten darauf hin, dass sie sich verplappert hat. Anja hatte noch am Vorabend mit Thomas ein striktes „ Sie“ vereinbart. Der Prüfer sollte um Himmels Willen nicht spitz kriegen, dass sie mit dem heutigen Prüfling ein partnerschaftliches Verhältnis pflegt. Thomas hat sich an die Abmachung gehalten. Ausgerechnet der besonnenen Anja hat die Macht der neuen Gewohnheit in die Karten gespielt. Sie ist berührt von tiefster Peinlichkeit.
Doch der Prüfer – ein älterer korpulenter Herr im feinsten Zwirn, mit einigen weißgrauen Haaren auf seinem rundlichen Kopf - hat von der Panne keine Notiz genommen. Möglich, dass es ihm egal ist.
„Guten Tag, Müller“, stellt sich der Prüfer freundlich vor und reicht ihm vertrauensvoll die Hand.
Thomas hatte mit einem Pedanten als Prüfer gerechnet, einem Herrn, der selbst den minimalsten Fehler nicht verzeien würde, aber der erste Eindruck stimmt ihn einigermaßen zuversichtlich.

Zuerst dirigiert der Prüfer ihn in eine Verkehrsberuhigte Zone. Wie ein Alteingesessener lenkt er das Auto durch ein schwierig- enges Labyrinth, in deren Mitte farbenfrohe Sonnenblumen die Köpfe recken. Auch das Einparken rückwärts, in eine markierte Parklücke im Gelände eines Netto-Marktes, klappt eins A.
Das Anfahren an einer von Fahranfängern besonders gefürchteten und auch berüchtigten steilen Ebene, bildet den Schwerpunkt einer jeden Prüfung. Auch diese Hürde meistert der Schwitzende mit Bravour.
Thomas wird zusehens ruhiger, obwohl die Übung, vor der er die meisten Schwansfedern hat, erst noch kommen sollte.
Der Prüfling muss jetzt den Wagen in eine knappe Lücke - zwischen zwei am Fußweg parkenden Fahrzeugen - lenken.
Leider setzt "der Flattrige" viel zu steil an und er spürt nach dem Gegenlenken, dass er das Klettern auf den Bordstein nicht mehr zu verhindern ist.
Thomas flucht im Stillen, doch der Prüfer zeigt sich gnädig. Es hat den Anschein, er würde mit ihm mitfühlen.
„Nur die Ruhe bewahren. Ihnen steht noch ein weiterer Versuch zu", macht der Herr des Amtes ihm Mut.
Zitternd geht er den zweiten Versuch an. Schon jetzt schwebt ihm vor, dass er in einer Minute zerknittert aus dem Auto schleichen würde. Doch diesmal ist Gott auf seiner Seite. Zu seiner Überraschung erwischt er den optimalen Winkel. Er stellt das Fahrzeug schnurgerade in die Lücke. Auch die Vorder- und Hinterabstände zeugen von perfekter Maßarbeit.
Ganz kurz atmet er durch. Von nun an ist er sich seiner Sache ziemlich sicher. Wenn er sich jetzt noch die Butter vom Brot nehmen lässt, kann ihm auch keiner mehr helfen. Thomas passiert noch drei Ampeln. Seine ganze Konzentration gilt der letzten Kreuzung. Doch auch das Abbiegen nach links, mit dem für ihn anfangs so leidigem Schulterblick, klappt wie am Schnürchen.
Der Mann vom TÜV setzt ein Ausrufezeichen.
„Die letzte Übung, dann haben Sie es geschafft!“
An einer Gaststätte soll er den Wagen in einer markierten Parklücke in Fahrtrichtung zum Stehen bringen. Dieses gelingt auf Anhieb.
„ Herr Reinhardt – ich gratuliere Ihnen zur bestandenen Prüfung und wünsche Ihnen allzeit Gute Fahrt.“
Während Thomas dem Prüfer etwas ungläubig ins Gesicht starrt, bekommt er den Führerschein gereicht. Er kann sein Glück kaum fassen. Ein Traum ist plötzlich wahr geworden.
Nachdem er sich von dem Bediensteten verabschiedet hat, bricht er in eine Jubelarie aus, die fast kein Ende nehmen will. Der rechte Arm saust mit der „Pappe“ in der Hand in die Luft.
„Geschafft“, sprudelt es stolz aus seinem trockenen Mund.
Von nun an kann er endlich wieder an seine heiß geliebte Anja denken.
Doch die Aufregung nach diesem freudigen Ereignis will sich nur kurzzeitig legen.
Der bevorstehende Abend und sein geplantes „Erstes Mal“ werfen jetzt schon ihre Schatten voraus.
„Hoffentlich klappt auch alles“, schwebt es im Kopf des neunzehnjährigen „Spätzünders“.

Anja hat sich für diesen Abend etwas Besonderes einfallen lassen. Stolz zeigt sie sich in ihrem schönsten Glitzerkleid – tiefviolett, passend zu ihrem knappen Faltenrock. Der gewagte Ausschnitt signalisiert Thomas eindeutig, dass er diesmal kein „Stoppzeichen“ mehr zu beachten hat.
Beide liegen sich auf dem Balkon, unter dem schützenden Dach eines Sonnenschirmes, der im hellen Orange schimmert, eng in den Armen.
Anja hat seine Lieblingsspezialität – eine leckere Pizza-Margherita - auf den langen ovalen Plastiktisch gezaubert, auf dessen festlicher Fransentischdecke liebliche Tulpen prangen. Prickelnder Sekt der Marke „Rotkäppchen“, soll ein neues Stück Freiheit, aber auch das junge Glück, angemessen würdigen. Doch vom Himmel aus droht ein Ungemach. Am Horizont türmen sich erste Gewitterwolken auf und auch ein leises Grollen ist schon deutlich zu vernehmen. Aber die beiden sind so mit sich beschäftigt, dass sie diese Warnzeichen der Natur einfach ignorieren.
Thomas füllt die Weingläser.
„Stoßen wir erstmal an,...Prost!“
„Auf unser Wohl“, sagt Anja, während die Gläser beim Anstoßen melodisch klirren.
Die Gewitterfront entlädt sich wenige Minuten später über dem Wohnviertel. Für die beiden natürlich viel zu schnell.
Eiligst versucht das junge Paar die Pizza zu verzehren. Aber der Donner wird immer lauter und auch die Blitze, die in Form von langen zackig-knittrigen Pfeilen durch die Wolken springen, werfen schaurig-grelles Licht bis auf den Balkon. Erste dicke Regentropfen trommeln gegen die Brüstung.
Heftiger Wind rauscht durch die Wipfel der Bäume, der sich rasend in stürmische Böen verwandelt. Jetzt fängt es an so richtig ungemütlich zu werden, da heftige Windstöße den Platzregen bis auf den Tisch treiben. Anja rettet die Sektflasche ins Trockene, die Pizza ist allerdings nicht mehr zu gebrauchen, da diese im Regenwasser schwimmt.
Die beiden sind ins Schlafzimmer geflüchtet und beginnen sich mit Hilfe eines Handtuches gegenseitig die Haare trocken zu reiben.
„Auch ein Gewitter kann sehr romantisch sein. Nass sind wir sowieso . Ich schlage dir vor, dass wir anfangen uns gegenseitig ausziehen.“ Über ihr temperamentvolles Gesicht huscht ein vielsagendes Lächeln
Die Nadel des Stimmungsbarometers des einstigen Träumers trotzt der gegenwärtigen Witterung und zeigt ein unbeschreibliches Hoch an.
„Warum nicht“, antwortet er spritzig. Mit aufregenden Küssen wird die Symphonie der Liebe eingeläutet und beide genießen das feurige Schmatzen der Lippen und das lüsterne Spiel der Zungen. Dabei wandert - mal so ganz nebenbei - sein T-Shirt über Hals und Kopf. Sekunden später wird auch das Unterhemd „Opfer“ ihrer stürmisch arbeitenden Hände. Dieses wedelt sie mehrmals in der Luft und wirft es anschließend gedankenlos in eine leere Ecke. Die sonnengebräunte Haut des ehemaligen Fahrschülers sehnt sich schon nach der zärtlich wandernden Hand der Fahrlehrerin, und diese wünscht sich, dass ihre so richtig Fahrt aufnehmen möge, damit Gänsehaut wie prickelnder Sekt auf ihr gedeihen kann. Thomas durchlebt die schönste Stunde seines Lebens. Jetzt fummelt seine kriechende linke Hand in den tiefen Ausschnitt ihres Kleides.
„Zieh es doch gleich ganz aus“, mahnt die frotzelnde Anja, die sich vor Lachen kaum noch halten kann.
Auch das frühere Mauerblümchen schießt einige Lachsalven aus sich heraus. Zitternd schiebt der feinfühlige Junge es ihr über den Knopf. Er wirft ihr fesches Lieblingskleid aber nicht so einfach beiseite, sondern faltet es sorgfältig zusammen und legt es behutsam auf den Tisch.
„Daran merkt man, was für ein ordentlicher Kerl du bist“, lobt Anja ihren neuen goldigen Schatz.
Auch ihre Haut fühlt sich so wunderschön an. Nur ihr BH, sowie das Röckchen mit dem darunter ruhenden Slip, stören Thomas noch ein wenig. Unter dem weißen Stoff ihres BH's lugen die sprießenden Knospen ihrer dunkelbraunen Brustwarzen verführerisch, die nur noch darauf warten müssen, von ihm gestreichelt und liebkost zu werden. Schweißnasse Finger nesteln an dessen Verschluss, der sich schnell öffnen lässt und anschließend wirbelt er den "dünnstoffigen Blickfangschutz" im Stile einer Stripperin gekonnt durch die Luft, bis er ihm aus der Hand gleitet und rein zufällig hinter dem Fernseher landet. Minutenlang dürfen die hart werdenden Nippel ihrer drallen Brüste genießen, wie sie gestreichelt werden und wie sie von seinem geöffneten Mund und seiner feuchten heißen Zunge umschlossen werden. Anja hat jetzt schon das Gefühl, als würden hunderte Ameisen auf einmal in ihrem Körper kribbeln. Dabei soll das Klettern auf den „gipfligen Olymp der Lust“ in einigen Minütchen ja erst noch bevorstehen. Als nächstes spielen und fummeln gierige Hände an der Schnalle ihres weißen Gürtels und am Bund ihres knappen Minis, der endlich auf dem Teppich landen will.
Anja und Thomas flüstern sich noch viele zärtliche Worte zu. Beide beteuern wie sehr sie sich doch lieben.
Im Rauschzustand innigsten Glückes spüren die „Unzertrennlichen“ nicht mal mehr, dass aus dem Sommergewitter ein Unwetter geworden ist. Draußen schüttet es wie aus Eimern. Nahezu ununterbrochen grollt oder rumpelt es – nicht selten kracht es fürchterlich. Endlos lange Blitze zucken. Sogar das Licht flackerte mehrfach auf – noch aber fließt der Strom durch die Leitungen. Unbeirrt von diesen Witterungsunbilden, setzt Anja die spannende Entdeckungsreise fort. Ihre schweissnasse Hand arbeitet sich bis zu seinem gewölbten Unterhöschen vor. Beim Herunterschieben dieses letzten Kleidungsstückes fährt ihre Hand zärtlich über sein bestes Stück und massiert es gefühlvoll. Thomas kann es kaum noch aushalten. „Jetzt will ich endlich in dich eindringen.“
„Gleich ist es soweit“, flüstert Anja, die nur noch einen raffinierten Slip an hat, in dem drängende Flüssigkeit sich schon reichlich gesammelt hat.
Ein gleißender Schein bricht durch das Fenster. Zeitgleich scheppert es, als wäre in unmittelbarer Nähe eine Bombe eingeschlagen. Das Licht flackert noch einmal kurz auf, dann ist endgültig Schluss mit lustig. Der Strom kann nun nicht mehr fließen. Sogar schweflig-riechende Funken springen aus einer der vielen Steckdosen. Erschrocken fliegen die Liebenden auseinander. An Sex denken die beiden in dieser Nacht freilich nicht mehr. Zu abrupt hat der Schreck der euphorischen Liebessymphonie ein jähes Ende bereitet.
„Schade, dass es wieder nicht sein sollte“, sagt Thomas leise.
„Macht nichts“, flüstert Anja zärtlich. Da heben wir uns das Schönste eben für morgen auf.
Da bleibt die knisternde Spannung für dich und auch für mich wenigstens noch ein wenig erhalten.“

Anja und Thomas werden ein überglückliches Paar. Was aber hätte aus Thomas werden können, wenn er Anja nicht kennengelernt hätte. Schwer zu sagen. Wahrscheinlich wäre er in die Untiefen des Abgrundes geschlittert und vermutlich für immer von der Bildfläche verschwunden.
 
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Kommentare  

Schön flüssig und humorvoll geschrieben. Der Text war keine Sekunde langweilig.

doska (27.06.2009)

So, nun habe ich diese Geschichte auch gelesen. Mir fiel dabei auf, dass du einen ganz besonderen Schreibstil hast. Du schreibst nämlich derart zynisch über deine Protagonisten, dass man nie richtig weiß, woran man bei dir ist. Man ist gespannt bis zum Schluss. Insgesamt muss ich sagen, dass auch mir dieser Text gefallen hat. Nur den Titel deiner Story empfinde ich als nicht gut, weil der eigentlich schon alles verrät. Wie wäre es mit: Thomas, die Fahrschule und andere Probleme?

Petra (26.06.2009)

Hallo Mikel, da ist dir ja eine süße kleine Liebesgeschichte gelungen. Ich habe bis zum Schluss gebangt, dass doch noch etwas schiefgehen, eine böse Überraschung alles zerstören könnte.

Jochen (26.06.2009)

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