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12 Seiten

Escape - Kapitel 1: Kein Entkommen

Romane/Serien · Spannendes
Es war ein wunderschöner Sommertag.
Alexandra ist ein ganz normales, 16-jähriges Mädchen. Ihre Augen sind blau und ihre Haare braun. Sie hatte schon ihr ganzes Leben im Heim verbracht.
Sie lebte in einem Waisenheim, das überbevölkert war und obwohl das Heim einen Garten hatte, durften die Kinder nicht einmal dort hinaus, um sich auszutoben. Die meisten waren Jungs und somit konnte man nicht damit rechnen, dass man auf Gleichberechtigung stieß. Die Leiterin und die Betreuer kauften nur die Sachen fürs Essen ein, kümmerten sich aber kaum direkt um die Kinder und so waren die Aufgaben unter den Jungen und Mädchen aufgeteilt. Die Mädchen mussten kochen, putzen, die Wäsche waschen und manche Jungs bedienen. Die Jungs waren täglich damit beschäftigt einen Fluchtweg aus dem Heim zu finden, damit das alles ein Ende finden sollte. Manche mussten jedoch die Fluchtwege testen und zu dieser Gruppe gehörten nur vier Kinder. Ray, Roy, Alexis und Alexandra. Alle drei waren schon immer Freunde gewesen, seid sie sich kannten und waren schon immer zusammen geblieben. Sie konnten sich nie trennen und so wurden sie für die Tests eingeteilt.
An diesem Sommertag mussten sie die Flucht durch den Keller wagen.
„Bäh!! Hier ist ja alles total voller Spinnenweben! Hättet ihr das nicht nur zu dritt machen können?“, fragte Alexis. Sie war schon immer etwas eitel gewesen.
„Nein, tut mir leid, Alexis, aber wenn du alleine da geblieben wärst, hätten wir uns später wieder die Mecker von James anhören dürfen“, entgegnete Ray und schubste sie weiter vorwärts.
„HEY!!“, brüllte Alexis und stolperte über einen Stapel Kartons, was ziemlich viel Lärm verursachte.
„Könnt ihr euch bitte beherrschen?!“, zischte Roy nach hinten und half Alexis auf.
Die Gruppe war simpel aufgeteilt. Erst kam Alexandra, da sie sich am besten im Heim auskannte, dann Roy, damit er schnell Alexis von hinten auffangen konnte, wenn die wieder einmal stolperte und ganz zum Schluss Ray. Er musste so zusagen Wache schieben und Bescheid sagen, wenn sich etwas hinter ihm rührte. James war der Anführer der Jungs.
„Pssst!! Ich glaub ich hab den Ausgang gefunden, den James meinte. Aber der führt nur nach draußen in den Garten!“, sagte Alexandra und alles wurde hinter ihr still. Nur Ray grummelte ab und zu etwas in seinen nicht vorhandenen Bart.
Alexandra schob die restlichen Kisten aus dem Weg und stand unter einer Luke, die schräg über ihr lag. „Tretet schnell einen Schritt zurück!“, flüsterte sie nach hinten und alle liefen einen Schritt nach hinten. Als sie das Okay von hinten bekam, ging sie noch einen Schritt weiter vor und machte die Luke langsam auf. Es quietschte jämmerlich in den Ohren und das Sonnenlicht durchflutete den Keller.
„Wow! Ich bin ja richtig froh, dass ich doch mitgekommen bin!“, sagte Alexis und drehte sich um. Das Licht breitete sich wie ein Lauffeuer aus und in den letzten Ecken glaubte man, dass der letzte Schatten versucht, sich gegen das Licht zu wehren. „Tolle Lichteffekte!“, staunte Alexis weiter und drehte sich wieder nach vorne. Ray folgte ihr. Alexandra war schon draußen und streckte sich im warmen Sonnenlicht. Roy stürzte sich sofort ins Gras, schlug Räder und Purzelbäume vor Glück. Alexis hielt sich die Hand vor die Augen und Ray lehnte sich zufrieden lächelnd an den Baum in der Nähe. Endlich sind sie dem ewig dunklen Heim entkommen.
Alexandra atmete tief ein und fühlte sich viel lebendiger. „Habt ihr es also endlich geschafft!“, rief plötzlich eine barsche Stimme von der Hausecke und alle vier fuhren ertappt herum. „Frau Meier!“, brüllte Alexis erstaunt und fiel sofort wieder in Ohnmacht. Solche Anfälle hatte sie andauernd, denn ihre Gesundheit war nicht mehr die Beste. „Ihr wolltet also nach einem Fluchtweg suchen, was? Nun, da muss ich euch leider enttäuschen! Wer von euch ist der Einsatzleiter?“, fragte Frau Meier mit ihrer rauen Stimme und schaute alle vier prüfend an. Roy hatte Alexis bereits wieder soweit, dass sie ihre Augen aufmachte und Ray wollte gerade auf die Leiterin zugehen, als Alexandra ihn aufhielt und sich meldete. „Das war ich“, sagte sie und schaute die Frau kühl an.
Frau Meier grinste und sagte: „Das hätte ich mir ja denken können! Und heute wollten auch noch ein paar Familien kommen, die sich für dich interessiert haben! Tss. Da muss ich ihnen wohl sagen, dass du so dumm warst und hast eine Dummheit angestellt. Können sie dich eben nicht mitnehmen. Aber für deine Freunde könnten sie sich genauso interessieren. Los kommt mit! Die anderen sind auch schon alle in der Halle und warten auf unseren Besuch.“
Sie zog alle vier hinter sich her, stieß die Luke wieder zu und lief direkt auf die große Tür zu. Mit Halle meinte die Leiterin eigentlich die Eingangshalle, wo die vier Freunde auf die anderen stießen. „Los! Reiht euch ein und ihr setzt jetzt alle ein Lächeln auf! Alexandra, du setzt dich in die Ecke und hältst deinen Mund! Verstanden?“, fragte Frau Meier und Alexandra zog sich murrend in die dunkle Ecke zurück, auf die Frau Meier gezeigt hatte.

Kaum eine Minute später, sprang die Tür auf und viele Menschen kamen hereingestürmt. Frau Meier begrüßte alle mit einem Lächeln und die Kinder wurden von den verschiedenen Männern und Frauen in Augenschein genommen. „Lassen sie sich ruhig Zeit!“, sagte Frau Meier und stellte sich neben Alexandra hin. „Was wollen die denn alle hier? Gibt's in irgendeinem Kaufhaus gratis Artikel für Eltern und ihre Kinder, egal welcher Altersstufen?“, fragte sie und schaute dem Spektakel zu. „Da hast du nicht ganz Unrecht, Alexandra. Es gibt tatsächlich so ein Kaufhaus, dass Eltern und ihre Kinder gratis Reisen anbietet und es sollen sogar sehr schöne Hotels sein. Und wenn ihr heut alle wegkommt, dann kann ich mich endlich ausruhen!“, schwärmte Frau Meier.
„Tss. Haben Sie mich etwa vergessen?“, fragte Alexandra. „Nein, natürlich nicht! Du kommst nämlich mit mir in Urlaub!“, grinste die Leiterin breit und ließ die 16-jährige einsam zurück, da sie auf zwei Familien zuging, die sich um ein Kind stritten.
Alexandra schaute sich in der Halle um. Sie konnte ihre drei Freunde bei einer lächelnden Familie sehen, die sehr nett zu sein schien und alle drei gleich nehmen wollte. Alexandra konnte nicht hören, worüber sie sprachen, doch es schienen freudige Nachrichten für die drei zu sein, denn selbst Ray lächelte, was er sonst ganz selten tat. Plötzlich zeigte Roy in Alexandras Richtung und alle sahen herüber. Bitte lass sie nicht mich meinen!, dachte sich Alexandra, doch da stürmten die fünf Menschen schon auf sie zu.
„Hallo! Wir sind Frau und Herr Mersch. Wir haben von deinen drei Freunden gehört, dass du dich für sie eingesetzt hast, als ihr von eurer Heimleiterin im Garten erwischt worden seit und das finden wir sehr mutig! Außerdem haben sie uns erzählt, dass ihr schon von Anfang an Freunde seit und euch ungern trennen wollt! Wir wollen dir einen Vorschlag machen! Wenn du nämlich nichts dagegen hättest, würden wir dich gerne mit zu uns nehmen! Und deine drei Freunde gleich mit!“, sagte Frau Mersch und überrollte Alexandra mit ihrem Angebot.
„D... Das ist sehr nett von Ihnen, aber...“, versuchte Alexandra sich herauszureden, aber mitten im Satz platzte Frau Meier rein. „Aber es ist nicht erlaubt vier Kinder an einem Tag mitzunehmen! Und bis nächste Woche ist kein Adoptionstag mehr!“, sagte sie barsch und Alexandra zog ihre Freunde schnell mit in eine abgelegene Ecke, die drei Erwachsenen diskutierten.
„Sie will unbedingt mit mir in Urlaub fliegen! Manche Eltern hier suchen anscheinend nur ein Kind, um kostenlos in Urlaub zu kommen, hat jedenfalls die Meier gesagt, auch wenn ich ihr kein Wort glaube. Seid ihr so nett und macht alles, was ihr da draußen anstellt für mich auch gleich mit?“, fragte Alexandra, nach einem kurzen Blick in die Richtung der Heimleiterin.
„Wieso? Familie Mersch hat sehr viel Geld und würde für dich bestimmt ein Vermögen ausgeben, um uns glücklich zu sehen!“, sagte Alexis sicher. Nach ein paar Sekunden schweigen, wurden die drei an den Schultern gepackt und wurden umgedreht. „Frau und Herr Mersch! Konnten sie Frau Meier umstimmen?“, fragte Roy hoffnungsvoll. Die zwei schüttelten den Kopf und sagten: „Sie wollte 1.000 für sie haben! Und so viel ist sie nicht wert! Deswegen können wir nur euch drei mitnehmen! Aber wir werden bestimmt eine schöne Zeit im Urlaub haben!“
Sie zogen die drei von Alexandra weg, die mit gesenktem Blick da stand. Nur noch ein paar Familien waren hier und schauten sich die Kinder an. „Moment! Wenn Sie keine 1.000 für sie ausgeben wollen, dann bleibe ich hier und Sie können sie mitnehmen!“, sagte plötzlich Ray und riss sich von den Vieren los. Er kam auf Alexandra zugerannt und wollte sie in die Richtung der Familie schubsen. Doch sie wehrte sich.
„Schon gut, Ray! Geh ruhig! Du verdienst es mehr in eine Familie zu kommen! Du wurdest schon mal von einer Familie getrennt und weißt, wie groß der Schmerz ist! Also geh, ja? Bitte tu's für mich!“, sagte sie und versuchte zu lächeln, aber es wollte einfach nicht gelingen. „Wenn ihr euch in einer Minute nicht entschieden habt, dann nehmen wir ohne große Worte Ray mit!“, sagte Herr Mersch ernst und sie stellten sich vor uns auf. „Geh, los!“, sagte Alexandra zu Ray. „Nein! Du sagtest doch gerade auch, dass ich schon mal in einer Familie gelebt hab! Also bist du dran! Es macht mir nichts aus!“, sagte er und schaute sie entschlossen an.
„Es tut mir leid, aber ich kann mich von diesem Ort nicht trennen, wenn ich weiß, dass ein Freund von mir noch hier drinnen sitzt und auf eine Familie wartet, die wahrscheinlich nie auftauchen wird! Also geh jetzt mit! Oder ich schlage dich!“, meinte Alexandra. Ray schluckte und flüsterte: „Aber ich will doch, dass du glücklich bist!“
„Das bin ich, wenn ich weiß, dass ihr drei zusammen seid! Also geh!“, murmelte sie und schubste ihn auf die Familie zu. „Die Minute ist rum! Er will mit!“, lachte sie und rannte schnell die Treppe nach oben in ihr Zimmer. Dort warf sie sich auf ihr Bett und weinte still.
„Alexandra! Warte!“, rief Ray ihr hinterher, doch er wurde schon von der Familie mitgezogen. Ich wollte doch, dass du endlich spürst, was Liebe heißt!, dachte sich Ray und stolperte über einen Stein, als er sich umdrehte. „Nun mach schon Junge! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“, rief Herr Mersch und Ray brüllte: „Ja, ja! Ich komm gleich!“ Er hatte einen Stift und einen Zettel aus seiner Hosentasche hervorgezogen und schrieb eine Nachricht darauf. Dann umwickelte er den Stein mit dem Papier und zählte die oberste Fensterreihe. Das Zimmer der vier Freunde war das fünfte Fenster von Links. Dort warf er den Stein hinein, wartete bis es klirrte und rannte dann zu seinen anderen Freunden, die schon sehnlichst auf ihn warteten.
Alexandra schaute erschrocken auf und erblickte den Stein, der in mitten der Scherben des Fensters lag. Sie nahm ihn und wickelte das Papier ab und las es:

Wir werden uns bestimmt mal wieder sehen!
Also mach dich darauf gefasst, dass du eine
Prügelei nicht verhindern kannst! Man trifft
sich im Leben niemals nur einmal wieder!
Hoffentlich bleibst du so lange am Leben und
bringst Meier nicht um!
Bis bald, Ray

Alexandra grinste und faltete den Zettel zusammen. Das war ihr größter Schatz, den sie jemals bekommen hatte.
Sie wischte ihre Tränen aus dem Gesicht und lief langsam wieder hinunter in die Halle. Dort war nur noch Sascha, der an die Wand gelehnt da stand und zu schlafen schien. „Auf was wartest du denn?“, fragte Alexandra ihn und schubste ihn leicht an. „Auf jeden Fall nicht auf eine Familie, so wie die anderen. Du wärst wohl gern wieder mit deinen Freunden zusammengewesen?!“, fragte er und grinste leicht. „Nein, es ist doch verboten mehr als 3 Kinder an einem Tag mitzunehmen und diese Woche ist kein Adoptionstag mehr. Das heißt, dass ich nächste Woche auch vergessen kann, abgeholt zu werden.“
„Auf wiedersehen Frau Meier! Wir wünschen Ihnen schöne Ferien!“, riefen die Betreuerinnen vom Tor aus. „Was soll das denn werden?“, fragte Sascha erstaunt und stellte sich gerade hin. „Wir werden wohl beide mit Frau Meier in den Urlaub fahren müssen, damit er kostenlos ist!“, antwortete sie und nach ein paar Sekunden kam eine Durchsage: >Alle Kinder, die noch hier sind und nicht abgeholt wurden, melden sich bitte sofort in meinem Büro! Und zwar zackig!!< Alexandra und Sascha machten sich schweigsam auf dem Weg in Frau Meiers Büro und sprachen nicht ein Wort.

Als sie endlich im Büro ankamen, saß Frau Meier breit grinsend hinter ihrem Schreibtisch und bat die beiden Platz zu nehmen. „Sind wir etwa die einzigen, die hier geblieben sind?“, fragte Sascha Alexandra leise. Sie nickte und setzte ihren kühlen Blick auf. Sascha tat es ihr gleich und versuchte nicht aufgeregt zu klingen, als er von der Heimleiterin wissen wollte: „Was haben Sie jetzt mit uns vor?“ Sie grinste und sagte: „Ich werde mit euch beiden in Urlaub fliegen! Er ist im Angebot und kostenlos! Leider kann ich nur ein Kind mitnehmen, weil ich auch alleine bin und keinen Mann habe! Und ich dachte, dass nur Alexandra da bleiben würde, weil du mir ja vorher schon gesagt hast, dass sie versuchen würden aus dem Keller zu fliehen!“
Alexandra schaute Sascha entsetzt an. Er war also die ganze Zeit über die Petze gewesen, durch die sie schon so viele Strafen bekommen hatte. Kein Wunder, dass sie und ihre Freunde immer geschnappt wurden. Anscheinend merkte Sascha ihre Blicke, denn sein Blick wanderte auf den Boden.
„Und deswegen hab ich dich einer ganz reizenden Familie empfohlen! Sie haben einen großen Garten, ein großes Haus und vor allem haben sie ganz viele Tiere! Es wird dir sehr gut dort gefallen! Was meinst du? Ich könnte sofort bei ihnen anrufen und ihnen Bescheid geben, dass sie dich abholen können!“, fuhr sie fort und er nickte kurz. „Ja, ist gut!“, gab er zur Antwort und Frau Meier griff sofort zum Hörer, verschwand aus dem Zimmer und ließ die beiden Kinder alleine da sitzen. Sascha schien ziemlich aufgeregt zu sein. Seine Finger zitterten und spielten mit seinem T-Shirt und seine Augen schienen nach etwas zu suchen, was er Alexandra sagen wollte. „Weißt du ich...“, fing er an.
Doch Alexandra unterbrach ihn und sagte während sie aufstand: „Schon gut, du brauchst dich nicht zu entschuldigen, falls du das vorhattest. Und wenn nicht ist es auch gut. Du hast es ja schließlich freiwillig gemacht und wolltest bestimmt nur das beste für meine Freunde. Mir war klar, dass ich niemals aus diesem Heim rauskam, egal wie oft ich es versuchen würde. Egal wie viele Eltern kommen würden und mich mitnehmen wollten. Es ist einfach so, dass ich mein ganzes Leben hier wohnen werde. Ich hoffe du hast viel Spaß in deiner neuen Familie. Und ich weiß, dass du es auch ziemlich schwer hattest. Deine Familie ist bei einem schweren Brand gestorben und du warst der einzige, den sie noch aus den Flammen retten konnten! Aber du warst mir schon immer ein Dorn im Auge, denn immer wenn du in meiner Nähe warst, wurde ich von allen anderen so behandelt, als wäre ich Dreck! Und wenn du es doch nicht freiwillig gemacht hast, sondern erpresst wurdest, ist es mir egal, schließlich werde ich ja schön mit unserer Heimleiterin in Urlaub fahren!“
Sie schien geladen zu sein, denn sie lief hin und her, fuchtelte mit den Armen und hatte einen bösen Blick aufgesetzt. Sascha hatte nicht gerade den Mumm, um ihr und den ganzen Vorwürfen zu widersprechen, denn er wusste, wie rabiat sie sein konnte. Als Alexandra ihn anschaute und ihren Mund aufmachte, kam Frau Meier wieder ins Zimmer und grinste breit. „Du wirst es nicht glauben! Sie sind schon auf den Weg hierher! Du kommst jetzt mal mit mir mit!“, sagte sie und nahm Sascha an dem Arm. „Und Alexandra! Geh auf dein Zimmer und such deine Sachen zusammen, die du besitzt! Wir werden direkt nach ihnen aufbrechen!“ Sie antwortete nicht, sondern ging langsam hoch in ihr Zimmer.
Dort schaute sie sich um. Die Fensterscherben lagen noch immer im Zimmer verstreut. Ein Glück, dass Alexandras Sachen nicht von den Scherben getroffen wurden. Sie öffnete den Schrank und schaute sich darin um. Viel war nicht darin. Zwei T-Shirts, eine Hose, einen Pullover und noch ein paar Schuhe. Die Sachen von ihren Freunden war bereits entfernt worden. Nur ein Tuch lag noch im Schuber, in dem Alexandra ihre Unterwäsche gelagert hatte. Sie nahm es und faltete es auseinander. Im Innenraum lag ein kleines Amulett und in einer Ecke stand ein Name: Ray! „Oh nein! Er hat sein Taschentuch vergessen! Er lässt es doch sonst nie zurück!“, rief Alexandra entsetzt auf und steckte beides schnell in ihre Hosentasche. Dort raschelte etwas und sie zog wieder den Zettel heraus.

Wir werden uns bestimmt mal wieder sehen!
Also mach dich darauf gefasst, dass du eine
Prügelei nicht verhindern kannst! Man trifft
sich im Leben niemals nur einmal wieder!
Hoffentlich bleibst du so lange am Leben und
bringst Meier nicht um!
Bis bald, Ray

Wahrscheinlich wollte er, dass ich es finde!, dachte sich Alexandra und steckte den Zettel wieder weg. Plötzlich klopfte es an der Tür und sie stopfte schnell ihre Klamotten in einen Rucksack. „Ach, du bist ja schon fertig! Los komm! Sascha ist mit seiner Familie bereits weggefahren! Also los!“, sagte Frau Meier und zog Alexandra am Handgelenk mit nach unten.
„Worauf wartest du noch?“, fragte sie, als sie und Alexandra vor dem Auto der Leiterin standen. Alexandra antwortete nicht, stieg ein und hoffte, dass die Fahrt nicht allzu grausam wurde. Frau Meier schmiss die Sachen in den Kofferraum und setzte sich vors Lenkrad. „Was für Musik hörst du gerne?“, fragte sie mit einem Lächeln, das Alexandra erschreckte. „Ab jetzt kannst du mich mit meinem Vornamen anreden. Ich heiße Sabine. Du kannst dir auch einen Spitznamen für mich ausdenken. Kann ich dich Alex nennen?“, fragte sie.
Erstaunt nickte Alexandra und gurtete sich an. „Warum sind Sie auf einmal so fröhlich zu mir, Sabine?“, fragte sie nachdem Frau Meier auf der Hauptstraße entlang fuhr. „Sag bitte nicht Sie zu mir! Duz mich doch einfach. Nun, was das fröhlich und nett sein angeht. Ich wollte vor den Kindern nicht die Nette und Liebe raushängen lassen, wie es in anderen Heimen der Fall ist. Ich dachte, dass ihr schon von Anfang an lernen solltet, wie man von alleine überlebt und wie man in Gemeinschaften zusammen arbeitet. Und wenn Sascha mir nicht immer gesagt hätte, dass ihr ausbrecht, hättet ihr es wirklich geschafft. Aber ich hoffe du bist mir deswegen nicht allzu böse.“
„Tss. Ich werde Sie bestimmt nicht duzen. Ich sehe Sie weder als Freund, noch als Mitglied meiner Familie, geschweige denn Bekanntenkreises an. Wegen Ihnen haben wir sehr viele unangenehme Scherereien gehabt! Ich wäre viel lieber im Heim geblieben und hätte mir dort einen schönen Urlaub gemacht, als mit Ihnen weg zu fahren! Es wären bestimmt auch bald wieder neue Kinder gekommen, aber nein! Ich muss mit Ihnen weg gehen, nur weil Sie sich vergnügen wollen, und zwar gratis! Sie würde ich nicht mal als Bekannte annehmen, wenn es meine letzte Chance wäre, aus dem Heim zu entkommen!“, sagte Alexandra und schaute trotzig aus dem Fenster.
Frau Meier lachte in sich hinein und bog auf dem Parkplatz eines Kaufhauses ein. „Was wollen wir jetzt hier?“, fragte Alexandra maulig und schaute sich um. „Wir wollen dir etwas neues zum anziehen kaufen!!“, antwortete Sabine fröhlich und zog Alexandra aus dem Wagen. „HEY!!!“, brüllte die, doch das interessierte ihre „Entführerin“ herzlich wenig und so ging sie trotzig mit.

Im Kaufhaus staunte Alexandra ein Kleidungsstück nach den anderen an. Sie hatte bisher noch nie so viele verschiedene Farben wie hier gesehen! Im Heim war alles grau, schwarz, weiß und ab und zu mal was grün oder orange, aber sie hatte bisher noch nie ein T-Shirt in Rot oder Blau gesehen. „Du kannst dir ruhig etwas aussuchen! Wie wär's zum Beispiel mit dem Kleid da hinten? Ich werde dir auch beim Zumachen helfen, okay?“, fragte Frau Meier und schon verschwand Alexandra mit einem Arm voll Wäsche in einer Umkleide.
Sie schaute sich im Spiegel an. Sie hatte bis jetzt ein rotes Top, ein gelbes T-Shirt, ein hautenges Kleid, eine weiße Hose und einen grünen Rock angezogen. Doch keines von den ganzen Klamotten gefiel ihr. Die Farben waren ihr zu grell. Sie ging noch einmal aus der Umkleide, hängte die Kleidungsstücke zurück und schaute sich nach ein paar dunkleren Farben um. Als sie eine Jeans, zwei T-Shirts und einen Pullover mit in die Umkleide nahm, kam sie strahlend wieder raus und ging mit einem breiten Lächeln auf ihre Heimleiterin zu. „Und? Hast du was schönes gefunden, Alex?“, fragte die und drehte sich zu ihr um. Alexandra warf ihr sofort die Sachen in die Arme und schaute zu den Halsketten, die an einem Ständer hingen.
Sie schaute sie sich an und drehte den Ständer um. Doch keine der Ketten gefiel ihr und somit drehte sie sich enttäuscht zu Sabine um. „Könntest du bitte mal kurz herkommen, Alex?“, fragte sie von der Kasse aus und schon lief Alexandra auf sie zu. „Bist du dir sicher, dass du dieses billige Teil willst? Du weißt doch, dass du alles von mir haben kannst, was du dir wünscht!“, sagte sie mit einem Lächeln und Alexandra antwortete: „Nein, mir gefallen diese Sachen am besten!“ Sabine seufzte und meinte: „Na gut, wenn's sein muss!“ Als Frau Meier die Klamotten bezahlt hatte, liefen sie beide zum Auto zurück und setzten sich wieder hinein.



Ganz woanders, bei Ray, Roy und Alexis, waren die drei Freunde gerade dabei ihren Adoptionseltern auf die Nerven zu gehen:
Ray: „Ich hab Hunger!“
Alexis: „Wann sind wir endlich da??“
Roy: „Mir is’ langweilig!!!“
Alexis: „Können wir nicht mal stoppen?!“
Ray: „JA!! Stoppen!!“
Roy, Alexis, Ray: „Stop-pen! Stop-pen! Stop-pen!!“
Frau Mersch verdrehte die Augen und warf einen bittende Blick zu ihrem Mann hinüber. Er schaute sich die Schilder am Straßenrand an und fand eines mit der Aufschrift: „Raststätte für Kinder“. Er bog sofort in die Straße ein und hielt vor der Raststätte an.
„So, wehe ihr kommt in einer halben Stunde nicht wieder hier her, dann setzt´s was!“, brüllte Herr Mersch, doch da waren die drei schon längst verschwunden.
Ray, Roy und Alexis waren in ein Gebüsch gesprungen. „BIST DU WAHNSINNIG???!!?!??!?!?“, brüllte Roy Ray ins Ohr und packte ihm am Kragen. „Roy! Hör auf ihn zu schütteln! Das bringt jetzt auch nix mehr! Er wird uns nie und nimmer sagen, was er ihr geschrieben hat! Du kennst doch sein Gehirn. Einmal was losgeworden, nie mehr zurück gekommen!“, sagte Alexis zu Roy, der sich sofort wieder beruhigte und seinen Kumpel los ließ. Wenn die wüssten, dass ich mich doch noch dran erinnern kann, dann wär’ ich geliefert!, dachte sich Ray und atmete erleichtert auf.
„Danke, Alexis! Wir sollten jetzt aber wieder zurück gehen, oder soll ich euch beide alleine lassen, damit ihr noch a weng rummachen könnt?“, fragte Ray mit einem Grinsen und verzog sich sofort aus dem Gebüsch, da Roy ihm einen wütenden Blick zugeworfen hatte.
Schnell öffnete er die Autotür und setzte sich hinein. Seine neuen Eltern kamen gerade heran gelaufen, als Roy und Alexis auch einstiegen und Ray einen wütenden Blick zu warfen.
„Können wir jetzt weiterfahren?“, fragte Herr Mersch und alle drei nickten. Ihm fiel jedoch auf, dass sie sich anders benahmen als vorher und meinte: „Falls ihr euch gestritten habt, solltet ihr den Streit bereinigen, bevor wir ankommen, sonst bereinige ich ihn!“ Das war eine Drohung, die sofort von allen drei wahrgenommen wurde. „ES TUT MIR LEID!!!!“, rief Ray und umarmte die andern beiden entschuldigend. „Trotzdem seit ihr ein schönes Paar!“, flüsterte er ihnen zu und zog schnell seinen Kopf zurück, da beide schon ausholten. Die Eltern lachten und Herr Mersch fuhr vom Parkplatz.
Auf der Autobahn schaute Ray verträumt aus dem Fenster. Der Kombi war zwar sehr gemütlich und geräumig, nur musste er sich bei den Koffern und Taschen mit hineinzwängen, weil Roy und Alexis eine Reihe weiter vorne saßen. Ich wünschte du wärst hier, Alex, aber das geht ja leider nicht!, dachte sich Ray und seufzte.

„Was hast du denn? Seit einer halben Stunde geht das nun schon so!“, maulte Frau Meier Alexandra an. „Deine Seufzer werden lauter und immer mehr! Kannst du nicht mal damit aufhören! Das wird deine Freunde auch nicht wieder zurückbringen!“, sagte sie und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Sie waren auf dem Weg zum Flughafen. Ihr Flug ging bereits in drei Stunden und die Fahrt dauerte noch eine.
„Wenn Sie schon wissen, was ich habe, warum fragen Sie dann erst noch?“, fragte Alexandra beleidigt und trank einen Schluck aus ihrer Flasche. Sabine schüttelte verzweifelt den Kopf und schaltete das Radio ein. „Was´n das für´n Schrott???“, wollte Alex genervt wissen und legte eine CD ein. „Und das soll besser sein?“, hakte Frau Meier nach und schaltete das Radio ganz aus.
Stöhnend stieß Alexandra einen Fluch aus und blickte wieder hinaus auf die Straße. Ein großer Kombi fuhr neben ihnen her und hatte insgesamt fünf Insassen. Aus dem Fenster, das Alexandra erkannte, starrte ihr ein ebenso geistesabwesender Blick entgegen. Ray! Das kann nicht sein! Ich hab ihn doch gesehen, wie er mit den anderen weggegangen ist!, dachte sie sich und rieb sich die Augen, doch das Auto verschwand einfach nicht vor ihren Augen und ihrem Herzen.
Der Junge kurbelte das Fenster herunter, Alexandra tat es ihm gleich und streckte die Hand nach Ray aus, der sich weit aus dem Fenster lehnte, um sie zu erreichen. „ICH HAB DICH VERMISST!!!“, rief er ihr vom anderen Wagen aus zu.
Die kollidierten unglücklicher Weise genau in dem Moment, als man die Beiden aus dem Fenster gelehnt entdeckte. „RAY!!“, brüllte Roy aus dem Wageninneren und hinter Alexandra stieß Frau Meier ein paar seltsame Flüche aus.
„Springen wir?“, fragte Alexandra, der etwas Angst in der Stimme lag. Die Wagen verlangsamten sich, fuhren Schlangenlinien und drohten wegzukippen, einen riesigen Unfall zu verursachen, wegen ein paar Kindern, die sich endlich wieder gefunden hatten.
Ray nickte. Kaum setzten beide zum Sprung an, fuhr ihnen hinten ein Lastwagen auf und sie sprangen.
„Alexis, los!“, hörte Ray es innen und die Autotüren schnellten auf. „SPRING!!!“, gab Roy das Kommando und er und Alexis sprangen auch.
 
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Kommentare  

Ich finde auch, dass die Story recht spannend geschrieben ist. Weiter so.

Jochen (03.11.2009)

hey, Petra ^^
danke, dass du mir so viele komplimente machst :D
Ja, ich bin "erst" 17, aber als ich die geschichte angefangen hab war ich noch wen jünger xD
Öhm ^^ jaaa, ich habs so mit Fantasy und nich unbedingt der Realität xD die is nich so mein spezialgebiet


Ingrid^ Selig (03.11.2009)

Das war also ein Sprung in die Freiheit für die vier Freunde, aber auch sehr gefährlich. Du hast einen jugendlichen Schreibstil und daher nehme ich an, dass du noch nicht sehr alt bist. Dafür schreibst du aber schon recht gut. Die Geschichte liest sich flüssig, du machst nicht allzu viele Rechtschreibfehler. Stilistisch bist du allerdings noch etwas unsicher und schwankst hin und her. Ganz realistisch ist deine Geschichte auch nicht. Da ich mir nicht vorstellen kann, dass es Reisen zu verschenken gibt, wenn man Kinder andoptiert. Ich glaube außerdem nicht, dass die Heimleiterin einfach privat mit einem Kind wegfahren dürfte. Aber du kannst ja eine fantastische Geschichte daraus machen. Lass`doch die Story in ferner Zukunft spielen. Dann könnte es ja auch so sein, dass solche Kinder kaum ans Tageslicht kommen und deshalb unbedingt fliehen wollen. Ich bin gespannt, was du noch daraus machen wirst, was mich im nächsten Kapitel erwartet.

Petra (02.11.2009)

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