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5 Seiten

Die roten Dessous und der junge Stier

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
© rosmarin
„Wunderschön siehst du darin aus." Verdammter Verräter. "Und so sexy." Dabei hatte er mich geküsst. Dieser Schmierenkomödiant. Dieser Worthülsenknecht. Dieser… na, ich werde mich mal nicht weiter auslassen.
Wütend nehme ich die roten Spitzendessous aus dem Kästchen, knülle das seidige Nichts von einem Hemdchen und Höschen in meine Hände. Soll er sie doch seiner Neuen schenken. Dieser, dieser Wasserstoffblonden. Diesem Blöndchen. Ich brauche sie nicht mehr. Will sie nicht mehr. Wie Feuer brennen sie in meinen Händen. Und nicht nur in meinen Händen. Nein, auch in meiner Seele brennt das Feuer des Verrats. Das Feuer der Scham. Weg damit.
Schnell werfe ich die roten Dessous, die Zeugen einer einstmals großen Liebe und des unerhörten Verrats, auf den Teppich, versinke in meinem Sessel und träume mit offenen Augen. Träume von der Traumreise nach Argentinien. Diesem wunderschönen verträumten Land, in dem die Sonne von rechts nach links wandert, die Grillen zirpen, die Glühwürmchen bei Dunkelheit Gräben, Sträucher und Bäume geheimnisvoll erflimmern lassen, der Mond in seiner Elipsenform so tief hängt, dass man glaubt, ihn mit den Händen berühren zu können. Und das alles mit meinem Geliebten. Und plötzlich entsteht vor meinem inneren Auge das Erlebnis mit dem schönen Stier auf Alpina:

Die Sonne steht noch niedrig am wolkenlosen Himmel, überstrahlt rot die Bergketten, golden die Wiesen, auf denen die Kühe munter grasen. Ich schlendere zu der Bank, von der aus man einen wunderschönen Ausblick auf das Tal hat, den steinigen Fluss, die Berghänge, die herb duftenden Wiesen und sogar ein wenig Dorf.
Ich fühle mich so wohl in den roten Spitzendessous, die ich wegen der Hitze als einziges Kleidungsstück trage. Ein Geschenk meines Geliebten. Wohlig vermitteln sie mir die Illusion seiner Nähe und Wärme.
Um mich nahtlos zu bräunen, entledige ich mich des seidigen Nichts und lege mich entspannt auf meine Lieblingsbank auf einer Lichtung vor einer in Fels gehauenen Indianergruft.
Insekten schwirren, summen, brummen um mich herum. Seltsame Käfer, die immer wieder einen hohen Sirenenton ausstoßen, tanzen lustig auf meinen langen, braunen Haaren.
Gelbe Schmetterlinge sitzen auf den Blüten der Gräser, die sich sanft im lauen Wind bewegen. Papageien fressen kreischend die überreifen Früchte von den nahen Brombeerbüschen entlang der felsigen Hänge.
Alles ist so wunderbar. So friedlich. Ich schließe meine Augen, versinke in einem überaus wohligen Gefühl des absoluten Glücklichseins.
Plötzlich spüre ich etwas Dunkles über mir. Erschreckt öffne ich meine Augen. Direkt über mir in dem wolkenlosen, blauen Himmel kreist ein Schwarm großer, schwarzer Vögel. Bestimmt so fünf oder sieben an der Zahl. Aasgeier. Oh, verdammt. Schnell greife ich nach den roten Dessous. Da verschwinden die Biester. Aha. Ich bin nicht das richtige Futter.
Erleichtert lege ich mich wieder auf die Bank. Doch, oh, Schreck, die Vögel kommen zurück. Ziehen erneut ihre Kreise. Die denken bestimmt, da liegt rohes Fleisch und wollen den Augenblick, da dieses unbeweglich liegen bleibt, abwarten, um sich dann mit Geschrei auf es zu stürzen. Auf mich! Das vermeintliche Aas. Nur schnell weg hier.
Hastig ziehe ich mich an, schaue erleichtert den Vögeln nach, die höher und höher kreisen, weit in den blauen Himmel hinein und endlich meinen Blicken ganz entschwinden.

Etwas abgehetzt gelange ich zu den Zelten auf der romantischen Bergwiese. Doch von den Anderen fehlt jede Spur. Sie werden wohl im nahen Fluss baden.
So laufe ich weiter über die hügeligen Wiesen. Geist und Körper werden immer freier, leichter. Bald ist mir, als würde ich schweben. So über die Hügel. Hinein in die Täler. Als ich wieder in eine Talsenke gelange, steht da plötzlich ein Tier vor mir. Ein junger Stier. Seidig glänzt sein schwarzes Fell in der prallen Mittagssonne. Und seine Augen glotzen mich dunkel an. Herausfordernd senkt er seine mächtigen Hörner, bereit zum Kampf.
Wo kommt nur dieser Kerl so unvermutet her. Hat der sich etwa verlaufen. Der sieht ja echt bedrohlich aus. Vor Schreck läuft es mir kalt den Rücken hinunter.
Was will der von mir. Gleich wird er mich aufspießen…

Panisch renne ich davon. Als ich mich zaghaft umwende, ist der Stier verschwunden. Beruhigt wandere ich weiter. Doch mein Herz wummert noch ganz schön gegen die Rippen.
Hügel rauf, Hügel hinab, Hügel rauf, Hügel hinab geht es. Der Himmel ist niedrig. Die Sonne brennt. Das dürftige Gras wird heiß unter meinen nackten Füßen. Macht nichts. Hauptsache der Stier ist weg.
In einer Talsohle will ich mich ausruhen. Nur einen Augenblick vor mich hin träumen. Doch nichts ist mit Träumen. Wie aus dem Nichts gekommen, steht der Stier wieder vor mir. Wo kommt der nur her? Er steht und glotzt mich stumm an. Als sei ich ein Weltwunder. Bin ich vielleicht auch für ihn. Schnell laufe ich weiter. Der Stier verschwindet. Doch in der nächsten Talsohle steht er wieder und starrt mich erwartungsvoll an.
Ich hab eine Idee. Es sind die roten Dessous, die den Stier anlocken. Ja, Rot macht die Stiere verrückt. Das weiß doch jedes Kind.
Schnell ziehe ich die Dinger aus, knülle sie in meine Hand und laufe weiter über die Wiesen, die stabile Maschendrahtzäune von den Bergen und Schluchten trennen, und fühle mich wie sich Eva und Adam im Paradies gefühlt haben mussten. Nein, noch besser. Das Feigenblatt fehlt ja.

Würzig weht die Luft von den nahen Bergen. Es wird etwas kühler. Ich ziehe die Dessous wieder an, gelange in die nächste Talsohle. Und da steht der Stier, als hätte er auf mich gewartet.
"Da bist du ja wieder. Mein Schöner", versuche ich es mit Lieblichkeit, während ich die Dessous in meine Hand knülle.
Doch den Schönen scheint das nicht im geringsten zu beeindrucken. Kampfeslustig steht er mir gegenüber. Senkt drohend seine Hörner, glotzt mich ausdruckslos an. Ausdruckslos? Na, vielleicht auch nicht. Ich hab ja keine Erfahrung mit Stieraugen. Dieser Kerl ist de erste, der mir die Ehre erweist, ihn von so nah betrachten zu dürfen. Echt gruselig.
"Verschwinde! Verschwinde endlich! Du verdammtes Biest!", schreie ich, einer Eingebung folgend. "Hau endlich ab! Lass mich in Ruhe!"
"Muuuuhhuhuu!"
Einen Augenblick bin ich wie erstarrt. Der antwortet mir. Mutig brülle ich zurück:
"Mmuuuhuuuuuuh!"
Vor Schreck klappt der Stier sein weit offen stehendes Maul zu. Doch nur einen Augenblick, dann brüllt er wieder los:
"Muuuuuhuuuuuuuh!"
Es hört sich an, als würde er sein brünstiges Weh in die Welt brüllen.
"Muuuhhuuuuuuh!", brülle ich mein verzweifeltes in sein offenes Maul.
Sofort verstummt er.
„Na, siehst du“, sage ich ganz ruhig, „es geht doch. Mach dich doch nicht so wichtig.“
Am liebsten würde ich ihn streicheln. Aber das wäre bestimmt zu abenteuerlich. Das Tier ist ja kein Haushund. Was will der nur von mir.
Da brüllt er wieder los.
„Muuuuuhhhhhhhmmmm!“
Lauter noch und schmerzlicher als zuvor. Und tiefer noch senkt er seine Hörner. Das wird mir zu bunt. Ich spüre, wie mir der Angstschweiß auf die Stirne quillt. Nur weg hier. Aber wie.
„Muuuuhhhhuuuuuuuhhh“, brülle ich mit letzter Kraft.
Er verstummt. Glotzt mich wieder nur an. Und diesen Augenblick nutze ich. Ich renne um mein Leben, ohne mich umzudrehen.
Als ich es doch wage, sehe ich den wunderschönen, schwarzen Stier mit dem seidig glänzenden Fell noch am selben Fleck stehen. Sein "Mmuuuuhhuuuhh" hallt grausig als Echo von den Bergen wider.

Atemlos komme ich bei den Zelten an, plumpse völlig erschöpft ins herb duftende Gras.
"Bist du etwa nackt da oben lang gelaufen?" Andi schüttelt sich vor Lachen.
"Ja", sage ich. "So ein blöder Stier ist mir nachgelaufen, weil ich die roten Sachen anhabe. Und da musste ich sie immer wieder ausziehen. Wie bei den Aasgeiern."
"Wir haben dich durch das Fernrohr beobachtet." Brit hält das Fernrohr demonstrativ in die Höhe. "Und das Brüllen haben wir auch gehört. Und die Aasgeier gesehen."
Alle lachen. Nur ich nicht.
"Ich war in Lebensgefahr", sage ich empört. "Und ihr macht euch einen Spaß daraus. Nie wieder ziehe ich Rot an. In dieser Einöde."
"Stiere können doch nur schwarzweiß unterscheiden", klärt mein Geliebter mich auf. Dieser Besserwisser. "Es war das Wedeln, das ihn angezogen hat. Und auch die schwarzen Vögel. Die reagieren doch bei Bewegung. Was treibst du dich auch immer alleine herum?"

In Argentinien ist jetzt Sommer. Es war meine schönste Urlaubsreise. Diese Reise mit ihm. Meinem ehemals so Geliebten. Und das Erlebnis mit dem schönen Stier und den schwarzen Vögeln, diesen Aasgeiern, werde ich nie vergessen.
Hier ist der Winter eingezogen. Mit Glätte, Eis und Schnee. Und einem kalten Wind.
Frühzeitig hatte alles darauf hingedeutet. Schon im Sommer war das Laub von den Bäumen gefallen. Das hatte sogar ich bemerkt. Ich. In meiner Seelennot.
Blicklos starre ich vor mich hin.
Warum hat der Idiot mich verlassen. Einfach so. Was heißt hier einfach so. Wegen dieses Blödchens, äh, Blöndchens. Die kann mir doch nicht das Wasser reichen. Männer. Alles Narren.

Entschlossen knülle ich die roten Spitzendessous in eine Tüte, verlasse schnell das Haus. Mein Ziel ist die Arbeitsstätte meines Ex. Vor der Tür steht sein Auto. Gut so. Er hätte ja auch mit der Bahn fahren können. Bei diesem Mistwetter. Aber nein, das wäre ja unter der Würde dieses Herrn gewesen. Der würde sich doch nie unters gemeine Volk mischen. Aber mich verlassen. Mistkerl.
Mit einem weinenden und einem lachenden Auge hänge ich Hemdchen und Slip an die Antenne, im Herzen ein Gefühl unendlicher Wehmut, aber auch Befreiung.

Die verschmähten Dessous wehen einsam im Winterwind. Verursachen ein leise quietschendes Geräusch, wenn sich der leichte Spitzenstoff an dem blanken Metall der Antenne reibt. Es hört sich an wie unterdrücktes Seufzen.
Fröstelnd eile ich davon. Der Himmel ist düster und verhangen. Nur manchmal wirbeln winzige Eisflocken durch die Luft.

Doch ich bin frei. Frei!

***
 
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Kommentare  

hallo, jochen, ich denke auch, aber können stiere nun rot sehen, oder nicht? was meinst du?
grüß dich


rosmarin (20.12.2009)

Auch Stiere haben eben Geschmack. Diese Spitzendessous hatten es ihm wohl angetan. Drollige Geschichte.

Jochen (19.12.2009)

hallo, ingrid und klaus, danke für die kommis. ich weiß auch nicht - können stiere nun rot sehen oder nicht?
grüß euch


rosmarin (18.12.2009)

Rache ist süß - so süß, wie die an der Antenne flatternden
Dessous. Eine sehr hübsche Geschichte!


klaus60 (18.12.2009)

mit der liebe ist es vorbei, aber das mit dem stier bleibt wohl unvergessen... ob er wirklich kein rot sehen kann? ich glaube mal, er kann - von wegen der dessous... ;))

Ingrid Alias I (18.12.2009)

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