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4 Seiten

Der Bogen der Zeit (1b)

Romane/Serien · Spannendes
© Hanim
Einmal war sie ins Wasser geplumpst, weil sie ihren Bruder ärgerte und das Boot heftig zum schaukeln gebracht hatte, um ihm Angst einzugjagen. In dem Augenblick wo die Sache ihr selbst nicht geheuer wurde, holte sie zu weit aus, um das Schaukeln zu stoppen, dabei fiel sie ungeschickt über die Bordwand. Schwimmen konnte sie kaum und ihr Vater zog sie an ihrem langen Haar aus dem Wasser. Einige Wochen durfte sie nicht mehr mit hinaus fahren. Sie blieb am Ufer, wartete und lernte von den Gassenjungen heimlich angeln.
Das war die Zeit als diese Rastlosigkeit sie überkam. Diese Unruhe, dass sie nach etwas suchen müsste und das Gefühl, dass sie anders war, anders als die anderen Mädchen, ja anders als die anderen Kinder. Sie träumte oft, fremdartige Träume, an welche sie sich nicht mehr erinnern konnte nach dem aufwachen, aber die sie dennoch zutiefst aufwühlten.
Diese Träume hatten sie bis jetzt nicht losgelassen, aber immer öfter konnte sie sich an Szenen aus dem Traum erinnern. Sie machten ihr immer noch Angst.

Sie war ein kluges Mädchen, und sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter beschlossen, dass Akay lernen sollte. Zuerst nur durch den Vater und die Mutter unterrichtet, bestand der Vater darauf, dass Akay richtigen Religionsunterricht erhalten sollte und arabisch und persisch lesen und schreiben können müsste.
Da man sich keinen Hauslehrer leisten konnte, wurde Akay nach zähen Verhandlungen zu Mullah Uthman in die Klasse gesteckt. Alleine, an einem Pult abseits von den Knaben, in einen viel zu großen rosa Charchaf gesteckt, lernte sie nun Koran lesen, zitieren und um die großen Koran Interpreten und Weisen zu verstehen, auch die persische Sprache. Und Akay lernte schnell, und Akay hielt nicht den Mund, wenn es um das Verstehen und Diskutiern der Schrift ging, und genau das brachte Ismail zur Weißglut.
Richtig gängeln tat er sie aber erst, nachdem er entdeckt hatte, dass das Mädchen, damals vielleicht 12 Jahre alt, nach dem Unterricht mit Koranschülern und Gelehrten im Innenhof diskutierte. Man staunte über ihre schnelle Auffassungsgabe und über ihren Wissensdurst, aber weil nicht sein kann was nicht sein darf, unterband Ismail das ganze so schnell als möglich auf seine eigene grausame Art, nicht dass er sie nur bei jeder Gelegheit auf die Finger oder Füße schlug. Er stellte sie so oft er konnte vor der Klasse bloß, mit Fragen, die sie einfach nicht beantworten konnte oder indem er ihre Antworten lächerlich machte.
Da begann die Zeit in der Akay ihre eigenen Wege suchte.

Koray griff das Pferd am Zügel und schlenderte die Straße wieder abwärts. Sie hatte Hunger und sie hatte Durst. Das letztere war leicht zu stillen. Fast überall gab es fließende kleine Brunnen für die Anwohner, meist Stiftungen wohltätiger Menschen. Dort versorgten sich die Leute mit frischem Wasser. Koray blickte in jede Gasse rechts und links ihres Weges und fand schnell einen. Es war ein schlichter Marmorbrunnen mit einem Muschelförmigen Becken, der an der Wand einer kleinen Moschee außen angebracht war. Man ging eine Stufe hoch, um aus dem gewölbten Becken vom frischen Wasser zu schöpfen. Sie zog aus der Satteltasche einen Becher, betrachtete ihn kurz und schob ihn wieder zurück: Er war aus Silber, sie hätte ihn verkaufen können, aber wie ihre Ausrüstung, war er etwas von dem sie sich um nichts in der Welt hätte trennen wollen. Dann befördete sie einen einfachen Holznapf zu Tage und trank daraus. Der Hund schlabberte das Wasser aus dem Überlauf und das Pferd machte es ihm nach.
Koray trank viel, das dämpfte den Hunger, dann nahm sie die Zügel und ging weiter bergab.
Aus einer der Schmieden rief jemand:“Hey- Dein Pferd braucht neue Schuhe!“ Koray hätte sonst etwas erwidert aber sie ging einfach weiter. Es stimmte, was der Mann sagte, nur hatte sie noch nicht einmal Geld für ein Stück Brot. Zwar gaben viele Leute freiwillig etwas an Bettler, aber weder sah sie wie einer aus, noch wollte sie betteln. Es war nicht ihr Stolz, es war die Tatsache, dass sie schon viele Jahre immer für sich selbst gesorgt hatte und dass es Menschen gab, die ärmer dran waren als sie - diesen wollte sie das Almosen nicht streitig machen.
Doch dann fiel ihr etwas ein. Sie wand sich um und ging zurück. Der Mann, der ihr hinterher gerufen hatte, war kein Hufschmied. Aber er würde vielleicht Eisen brauchen können.
Er grinste sie an als sie zurück kam, „Salam, habt Ihr Euch verlaufen?“ „Ja..Nein, ich ..Aleikum Salam, es ist so..ich bin auf der Durchreise...aber ich ...nun was würdet Ihr mir für die Eisen meines Pferdes geben?“ Der Mann schaute sie verwundert an und sagte dann“: sowas hat mich noch nie jemand gefragt...nun ich kann sie noch nicht einmal vom Huf herunter bekommen...?“
„Gebt mir eine Zange, das mach ich selbst...“
Er musterte Koray und in seinem Blick war deutlich zu lesen, was er dachte. Koray war das auf einmal egal. Hunger, dachte sie, ist schlimm, richtig schlimm. Das hier war ganz anders, als das freiwillige Fasten im Ramadan, und das war ihr schon furchtbar vorgekommen.
„Bitte, ein paar Kurus wird es mir schon wert sein!“ sagte er dann gutmütig ging in die Werkstatt, um für Koray eine Zange zu hohlen.

Koray saß kauend am Ufer. Sie waren bis zur Landmauer geritten und hier fand das Pferd ein paar Grashalme am Wegrand und an einem Zaun, der zu einem Zollgebäude gehörte, wuchs üppiges Gras. Ihre Beine baumelten über dem Wasser, während sie von Zeit zu Zeit eine bequemere Position auf dem umgekippten Baumstamm einnahm. Der Hund jagte Ratten. Sie starrte auf ihre Hände. Sie waren schmutzig und zerkratzt. Eigentlich hatte sie sich am Ufer reinigen wollen, aber der Hunger, der sie nun schon seit Tagen begleitete, war so nagend, dass sie das Stück Brot hastig verschlang. Für mehr hatte das Geld nicht gereicht, denn das meiste gab sie für die Gerste für das Pferd aus. Wohl wissend, dass ohne das Pferd ihre Reise schneller zu Ende sein würde als ihr lieb war.
Jetzt starrte sie auf ihre schmutzigen Hände und fühlte eine große Leere.
So viele Jahre, so viel Zeit war vergangen, und alles was blieb, waren ihre Hände, die so schmutzig waren, wie damals, als sie heimlich mit den Jungen aus der Nachbarschaft, in den Kleidern ihres Bruders, an fast der gleichen Stelle gesessen hatte. Was wäre gewesen wenn das Leben anders verlaufen wäre, dann wären ihre Hände vielleicht sauber, aber was würde Ihr Herz sagen...hätte sie den Weg eingschlagen, der für sie bestimmt war. Sie hätte möglicherweise noch nicht einmal die Leere fühlen können.
Und was war geschehen in all diesen Jahren,...Koray blickte auf den Hund der schon vor einiger Zeit zurück gekommen war, um sich an ihrer Seite zusammen zu rollen. Er bemerkte ihren Blick und wedelte kurz mit der Schwanzspitze.
Koray atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder heraus.
Was bei Allah, hatte sie erwartet, wenn sie zurück kehrte. Ihre Familie wohnte schon seit Jahren in Konya, unabhängig davon, dass sie sich dort nicht mehr blicken lassen konnte. Sie wußte zwar nicht welchen Skandal ihr Verschwinden hervorgerufen haben könnte, aber eine Ahnung hatte sie schon. Und wie hätte sie ihren Eltern entgegen treten sollen? Hier bin ich Vater...ja gut ich habe keine Enkelkinder aber ich war bei der Schlacht in Badr dabei...ja und außerdem habe ich noch 2 Jahre als Almeh in Damascus gearbeitet...Tanzen war meine Spezialität...
Warum nur wollte sie hierher zurück, wo alles, jeder Stein, jeder Geruch, jedes Geräusch sie schmerzvoll an die Vergangenheit erinnerte. Sie schauderte und schlang die Arme um ihren Oberkörper, weil sie gehofft hatte, dass die Erinnerungen, den Schatten der ihr folgte, verjagen würden.
 
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Kommentare  

Danke, obwohl die Geschichte eigentlich Fantasy ist sollte sie vor einem realen Hintergrund spielen. Dazu gehört eben auch das die Denkweise der Leute von damals lebendig wird.
Etwa um 1500, ich werde zwar auch reale Personen aus der Zeit auftreten lassen, aber warum man heute von den Ereignissen nichts mehr weiß erklärt sich am Ende


Hanim (11.03.2011)

Ich habe dein neues Kapitel überflogen und arbeite mich jetzt hier erst einmal vor. Ein schöner Rückblick, der einem einen Einblick in die damalige moslemische Welt verschafft.

Jochen (11.03.2011)

Danke für den Kommentar und noch mal sorry für die Fehler, es ist mein dämliches Laptop das wenn man auf das Touchpad kommt immer mal etwas verschiebt. Ich arbeit dran, schade das niemand die Fehler ankreuzen kann, würde das auffinden ungemein erleichtern...

Hanim (24.08.2010)

Man fühlt mit der Protagonistin mit und erfährt etwas über ihre Vergangenheit. Der Schreibstil ist weiterhin sehr leserfreundlich, aber ein paar seltsame Rechtschreibfehler liessen mich manche Sätze zweimal lesen bevor ich sie verstanden habe ;)
Einfach nochmal drüberlesen - von Inhalt gefällt es mir nämlich ausgesprochen gut.


Jingizu (24.08.2010)

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