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6 Seiten

Selena - Kapitel 15

Romane/Serien · Spannendes
© Alexander
Sie stand an einer Balkonbrüstung. Die Sonne schien. Unter ihr lag eine Stadt, voller Energie, Leben und Frieden. Sie hörte das Lachen von Kindern, das Glucksen von Babys, Rufe von Frauen und Männern. In den Straßen, Gassen und Seitenwegen herrschte das Leben einer blühenden Stadt. Die Albin erkannte das Stadtbild.
Wie war das möglich?
Vor ihr lag Okai, die sagenumworbene Stadt vom Weißen Königreich. Jemand trat neben sie. Selena wandte ihr Gesicht zur Seite.
Es handelte sich um eine Frau. Ihr langes goldblondes Haar wirkte wie Seide. Sie trug ein Gewand mit feinen Stickereien. Um das rechte Handgelenk trug sie einen goldenen Armreif. Die Zierlinien umrahmten harmonisch eine Gravur, die mit kleinen Diamanten besetzt war. Ihr Gesicht war weich und wunderschön. Die grünbraunen Augen strahlten. Sie lächelte sie mit einer Wärme an, die nur eine Mutter ihrem Kind entgegenbrachte.
Auch ihr letzter Zweifel hatte sich verflüchtigt. Sie war die Tochter einer Orin. Irgendwo in ihrem Sein hatte sie es längst gewusst. Als Kind fühlte sie sich nie ganz dem Volk der Albe verbunden. Jetzt kannte sie den Grund.
Selena schaute hinaus auf die Stadt.
Erst jetzt fielen ihr die Bewohner auf. Menschen. Zwerge. Orks. Elben. Albe. Alle vereint unter dem Banner der Orin. Das Bild überraschte. Es schien unwirklich, dass die Völker friedlich miteinander lebten. Sie kannte es völlig anders. Man bekämpfte sich untereinander, miteinander und gegeneinander. Nichts war mehr von der Verbundenheit, wie Selena sie hier sah, übrig. „Die Stadt der Völker.“
Eine uralte Legende. Sie handelte von einer Stadt, in der die Völker friedlich miteinander lebten. Ein Krieg entzweite sie. Die Stadt der Völker geriet in Vergessenheit. Eines Tages, so die Legende, kehrten die Völker zurück, vereinten sich unter einem gemeinsamen Banner.
Das Stadtbild wurde wässrig und verschwamm.

***
Vor ihr ragte ein großes Wandgemälde empor. Eine überdimensionale Landkarte. Selena schaute voller Erstaunen drauf. Sie war detaillierter als alles, was sie kannte. Ihr kam es so vor als wäre praktisch jeder Stein verzeichnet. Sie zeigte Eurasien, Rawa und ein Land, das an Rawa anschloss. „Basra.“, las Selena den Namen. Aus ihrem Inneren stieg kalte Furcht auf. Sie schaute zu ihrer Mutter.
Die Orin blickte wehmütig drein. „Unser Vater teilte das Reich zu gleichen Teilen. Mjra bekam Rawa. Leena erhielt Basra. Mir gab er Eurasien.“, erzählte ihre Mutter sanft. Sie löste eine Geborgenheit bei ihr aus, die ihr fremd und vertraut war. „Als er starb, herrschte Frieden. Neid, Missgunst, Furcht und Angst ließen den Frieden bröckeln. Wir bekämpften uns. Leena bemächtigte sich der magischen Quelle und zog in den Krieg. Mjra und ich schlossen ein Bündnis, um unsere Schwester aufzuhalten.“ Sie seufzte kaum hörbar und hielt inne. „Ich befahl die Zerstörung der magischen Quelle von Eurasien.“ Dadurch versiegte die Magie. Nicht nur in Eurasien, sondern auch in Rawa und Basra. „Leena verlor ihre Macht. Wir konnten ihre Armee zurückschlagen.“ Eine Pause. „Ohne die Magie war sie schwach, verwundbar, angreifbar. Mjra wollte den Augenblick nutzen. Das konnte ich nicht zulassen.“, flüsterte ihre Mutter schwach.
Auf der Karte geschah etwas.
Die Grenze zwischen Rawa und Basra erzitterte. In der Mitte blitzte es. Gebannt schaute Selena auf die Karte. Ein Funkeln stob in glitzernden Partikeln auseinander. An der Stelle folgte ein Riss, der sich wie Maden durchs Land fraß. In Richtung Küste. Eine Spalte entstand. Das Meer ergoss sich darin, trennte die Länder voneinander.
Selena schaute zu ihrer Mutter.
„Es war die einzige Möglichkeit.“, meinte sie traurig. „Mjra schwor Rache. Sie unterschätzte den Willen der Völker. Ihnen gelang ein Sieg über ihre Streitmacht. Sie schlossen das Tor von Okai und gaben die Stadt auf.“ So geriet sie in Vergessenheit.
Bis Selena durch Zufall auf einen alten Text stieß, wo von einem Weg zum Land hinter den Bergen die Rede war. Dieser Weg sollte sie dahin bringen, wo es sie seit ihrer Kindheit hin zog. Ihre Heimat. Zumindest glaubte sie es. Inzwischen war Selena sich da nicht mehr so sicher.
„Was ich damals nicht konnte, obliegt nun dir, Selena.“, sprach ihre Mutter sie direkt an. Ihr wurde die Bedeutung der Worte klar. Widerstand regte sich. „Du bist die Einzige die Mjra aufhalten kann.“, fügte die Orin hinzu.
Das Abbild ihrer Mutter verblasste. Wie bei einem Geist löste sie sich auf. „Nein.“, rief Selena und trat auf ihre Mutter zu. Sie lächelte. Eine Träne rann ihre Wange runter und fiel zu Boden. Ihre Mutter verschwand. Stille.
Ihre Tochter verharrte, hielt ihren Arm ausgestreckt. Es hatte so echt gewirkt. Dabei war das nichts weiter als ein Traum. Eine Illusion.
Am Boden glitzerte etwas.
Vor ihr lag ein Korn großer Stein. Die Träne ihrer Mutter. Vorsichtig hob Selena ihn auf. Er funkelte wie ein Stern am Himmel, vorsichtig strich sie über den Edelstein. Das Licht brach sich wie bei einem Kristallprisma. Violett. Grün. Blau. Orange. Das Farbspiel zog einen in seinen Bann. Sie konnte nicht sagen, ob sie je etwas Schöneres gesehen hatte. Die Farbeffekte bündelten sich in dem tropfgroßen Edelstein. Selena sah gebannt zu, unfähig zu reagieren. Es kribbelte überall.
Ein Lichtblitz erschien…

***
Sie empfand keinerlei Schmerz. Weiße Schlieren lagen vor ihr. Die Luft um sie herum war kalt, doch sie fror nicht. Der Wind beflügelte sie. Sie kippte vornüber, stieß durch die Wolkendecke.
Unter ihr lag eine Weiße Landschaft; Eis. Unter dem Eis machte sie ein bläuliches Schimmern aus. Wasser! Der Adler, mit dem sie flog, ging weiter runter, steuerte einen schwarzen Punkt inmitten der Landschaft aus Eis an. Er wuchs heran und wurde zu einer Gestalt. Im Schnee konnte sie die Spuren sehen. Sie führten von Basra nach Rawa. Die Barriere, die ihre Mutter schuf, war den Gehzeiten zum Opfer gefallen. Das Wasser gefror und bildete eine Eisschicht.
Der Adler spie einen Schrei aus. Die Gestalt blieb stehen, wandte sich um, sah hinauf. Ein Mensch. Wieder schrie der Adler, flog eine Kurve, und schrie erneut. Erst bemerkte es Selena nicht. Inmitten der weißen Landschaft stachen schwarze Punkte hervor. Zwölf an der Zahl. Sie kamen aus der gleichen Richtung wie der Mensch. Aus Basra. Der Adler stieg höher. Die Punkte verfolgten den Mann.
Sie gewannen weiter an Höhe, flogen landeinwärts. Aus der weißen Landschaft wurde ein grünes Tal. Bäume. Felder. Flüsse. Bäche. Unberührte Natur.
Am Horizont tauchten die Gipfel der Bergkette auf, die Rawa von Eurasien trennte. Unter ihnen gleitete das Land ihrer Tante hinweg. Der Adler stieg höher. Die Berghänge bauten sich vor ihnen auf. Schneebedeckt. Sie gewannen weiter an Höhe. Aus dem massiven Bergfels schälten sich die Throngipfel. Man flog zwischen ihnen hindurch, überquerte die unüberwindbaren Berge, erreichte die Ausläufer der Berge in Eurasien.
Der Adler verringerte die Höhe. Sie ließen den Grenzfluss Zion hinter sich, glitten tiefer ins Land hinein. Rauchsäulen tauchten am Horizont auf. Unter ihnen veränderte sich die Landschaft. Verbrannte Erde. Skelette einer Siedlung. Sie hatten das Fürstentum Bremen erreicht. Oder das was davon übrig war. Dunkle Wolken zeichneten sich am Himmel ab.
Sie flogen unbeirrt weiter, ließen das Fürstentum zurück, kamen zu den Ausläufern des Südlandes. Am Horizont tauchte die Südwüste auf. Brauner Sand, wohin das Auge reichte. Die Stadtmauern von Lima ragten vor ihnen in die Höhe. Die letzte Siedlung im Südland. Sie markierte gleichzeitig die Grenze zur Südwüste. Einem schier grenzenloses Meer aus Sand, Dünen, verdorrten Büschen, kahlen skelettierten Bäumen. Eine der tödlichsten Regionen Eurasiens. Unbarmherzig, wie es nur die Natur sein konnte. Selbst die Wüstennomaden wagten nur auf den Stammespfaden die Wüste zu bereisen. Wer von ihnen abwich, so eine Überlieferung, war zum Tode verdammt. Die Pfade wurden von Generation zu Generation weitergegeben. In Gesängen und Erzählungen.
Lima wurde kleiner und kleiner, bis es gänzlich verschwand. Um sie herum brauner Sand. So trostlos es auch aussah war die Wüste die rauste Landschaft in Eurasien. Wer die segnende Hitze am Tage überlebte, konnte in der klirrenden Kälte der Nacht erfrieren. Eine Ironie des Lebens.
Der Adler verlor an Höhe. Was auch immer er ansteuerte, Selena vermochte es nicht zu erkennen. Sie sah lediglich endlose Sanddünen. Es ging tiefer und tiefer.
Auf einmal erschien ihr etwas merkwürdig. Inmitten des Wüstensandes war, was das man leicht übersehen konnte, da man sprichwörtlich vor lauter Sand nichts sah. Im Ausläufer einer gewaltigen Düne zeichnete sich eine bizarre Formation ab. Die Wüste hatte einiges unter sich begraben, aber eben nicht alles. Reste einer Mauer erbaut aus Sandsteinquadern. Das Gestein musste man unter all dem Sand nur ausgraben. Dem Verlauf der Mauer nach, war sie einst sechseckig gewesen. Die Überreste eines Turms kamen zum Vorschein, als sich der Adler weiter näherte. Eine Sandbank hatte den Turm teilweise unter sich begraben. Er flog eine Kurve.
Sie bekam einen Überblick, der Selena zum Staunen brachte. Unter ihr lagen die Ruinen einer Wüstenstadt. Sana Djia, kam es ihr augenblicklich in den Sinn. Bevor Sie sich damit befassen konnte, sah sie mitten in der Ruine eine Gestalt.
Sie lag leblos im Schatten der einstigen Gebäudemauer. Majestätisch landete das Tier auf der Mauer. Auf den ersten Blick würde Selena sagen es handelte sich um einen Mann der Menschen. Doch was machte ein Mensch so tief im Land der Südwüste!! Niemand war bisher so weit vorgedrungen und hatte es überlebt. Geschweige den davon berichtet. Sana Djia war eine Legende, ein Mythos.
Wie einst Okai, hörte sie die Stimme ihrer Mutter.
Als würde er ihr zustimmen schrie der Adler.
Da, der Leib zuckte. Gespannt sah Selena hin, obgleich ihr klar war, dass der Adler hinsah und sie alles irgendwie durch ihn sah. Es war ihr auch egal.
Der Körper zuckte erneut.
Diesmal hatte sie es deutlich gesehen. Das Tier krächzte den Menschen an. Er bewegte sich zur Seite, hob den Kopf, schaute den Adler auf der Mauer über sich an. Selena konnte das Gesicht deutlich sehen.
Ihr blieb das Herz stehen. Michael!
Ein Blitz hüllte die Szenerie in weißes Licht.

***
Etwas stimmte nicht. Dieser Gedanke setzte sich vom ersten Moment an bei Nava fest. Sie wusste nicht wieso. Man kämpfte verbissen gegen die Biester. Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Wie lange dauerte der Kampf jetzt?
Nava konnte kein Zeitfenster nennen. Dafür aber etwas anderes. Niemand war tot. Verwundet ja. Schwer nein. Dabei versuchten die Elben und Albe es mit solch einer Inbrunst, die schon an blanken Hass grenzte. Rache! Das trieb sie an. Sie bemühten sich nach Kräften die Biester zu töten, ohne Erfolg.
Die Orks waren kämpferisch und technisch einfach besser ausgebildet. Dennoch war bisher keiner gestorben. Auf beiden Seiten nicht. Was Nava verwunderte. Wieso hielten sich die Biester zurück?
Plötzlich explodierte ein Blitz, durchflutete die Kammer mit Licht, das jeden blendete. Einen Wimpernschlag später war das Licht erloschen. Erst einige Lidschläge danach konnte Nava wieder klar sehen.
Alle hatten innegehalten. Der Ork mit dem Hauptmannabzeichen riss die Augen auf. Die Orkfrau trat vor, senkte ihre Waffe, kniete sich mit einem Bein hin, verneigte sich ehrfruchtig. Der Hauptmann schaute von ihr zur Spitzohrin und zurück. Er folgte ihrem Beispiel.
An der Stelle, wo vorher der Ork sich aufhielt, stand jetzt Selena. In ihren Augen sah Nava das strahlen der Erleuchtung. Wie beim Imam. Jetzt bestand keinerlei Zweifel mehr.
Sie war die Erlöserin.
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Ende, Kapitel 15
© by Alexander Döbber
 
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Kommentare  

Danke Petra für deine Ausdauer.
Freu mich schon demnächst von dir zu hören. Bin gespannt wie dir der Rest der Geschichte gefällt.

Gruß


Alexander Bone1979 (25.12.2010)

Schön beschrieben, die Reise in die Vergangenheit mit dem Adler. Aber Selena sieht am Ende Michael- mit dem sie wohl Einiges verbindet- und das scheint sie zu erschrecken. Spannend, was hat das zu bedeuten? Werde deine Story bald weiterlesen.

Petra (24.12.2010)

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