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4 Seiten

Rocking Chairs - Teil 2

Romane/Serien · Spannendes
© Tintentod
2
Hollis und Rick schliefen lange, wühlten sich erst gegen Mittag aus den Betten und gingen mit mürrischen Gesichtern frühstücken. Sie hatten keine große Auswahl mehr und die Frau, die ihnen Kaffee einschenkte, zischte irgendwas in ihrem Akzent, was sie nicht verstanden und auch gar nicht verstehen wollten. Der Kaffee war dünn und kalt.
„Ist wenigstens die Milch warm?“ fragte Hollis, als sie an ihrem Tisch vorbeikam, erntete aber nur einen bösen Blick.
„Die wird uns noch was anhexen“, sagte Rick und schob seine Tasse hin und her. Er hing seinen Gedanken nach und starrte Löcher in die Luft. Carlos hatten sie im Zimmer gelassen, weil sie in Ruhe essen wollten, allerdings hatten sie da noch nicht geahnt, dass sie nicht mehr viel bekommen würden. Nach dem kläglichen Frühstück, bestehend aus kaltem Kaffee, lappigem Toast, Schweinswürstchen, bei denen sie sich nicht sicher waren, ob sie sich damit vergifteten und einer Portion Nudeln mit Käse, rauchten sie eine nach der anderen, die Beine weit in den Gang gestreckt und blinzelten sich gegenseitig an.
Der alte Portier kam in den Speisesaal geschnauft, schlurfte bis vor ihren Tisch und sagte: „Euer Köter bellt mir das ganze Hotel zusammen.“
„Verpiss dich“, sagte Rick liebenswürdig, ohne ihn anzusehen.
„Ich kann euch beide rausschmeißen“, antwortete der Portier.
„Wir haben für zwei Nächte bezahlt“, sagte Hollis, „und wir bleiben hier und lassen unseren Köter bellen, wenn wir Lust dazu haben.“
„Ich hol die Cops.“
„Ja? Wirklich? He He?“ Hollis grinste zu Rück hinüber, der lauthals zu kichern begann, schob den Stuhl nach hinten weg und baute sich vor dem alten Kerl auf. Sie waren fast allein in dem Speisesaal, nur ein Handlungsreisender mit einem großen schweren Koffer neben sich, den er auf ein fahrbares Untergestell gebunden hatte, trank einen Kaffee nach dem anderen und interessierte sich nicht für seine nähere Umgebung. Der Portier machte einen Schritt zurück, obwohl er größer als Hollis war. Sein Alter und die Müdigkeit hatten ihn klein und unsicher werden lassen. Hollis starrte ihn an, bis er sich umdrehte und verschwand.
„Sehr nett war das aber nicht“, meinte Rick, grinste breit. Er machte sich noch eine Zigarette an und sah sich nach der Bedienung um. Sie kam mit finsterem Gesicht an ihren Tisch und Rick hob seine Tasse.
„Kaffee ist alle“, sagte sie und ging weiter.
„Und dabei ist halb Südamerika voll davon“, rief Hollis ihr nach.

Carlos jaulte, als sie die Zimmertür aufschlossen, versuchte, an Ricks Beinen vorbei aus dem Zimmer zu kommen, aber Rick bückte sich und packte ihn am Halsband.
„Ich geh mit ihm ’ne Runde“, sagte er.
Sie rochen sehr deutlich, dass der Hund noch mehr in das Zimmer gepinkelt hatte, aber sie taten beide so, als wäre nichts passiert. Rick machte Carlos an die Leine, die er irgendwo in seiner Tasche gefunden hatte, und ließ ihn über den Parkplatz laufen. Währenddessen wühlte Hollis in seiner Tasche herum, leerte den Inhalt auf das Bett und suchte den Zettel, auf dem er etwas Wichtiges notiert hatte. In aller Eile und ohne dass Rick es mitbekommen hatte. Er fand ihn endlich, zu einer kleinen Kugel zusammengedrückt, entfaltete ihn mit spitzen Fingern und lief hinunter in die Halle. Neben einem riesigen Gummibaum aus Plastik hing ein Fernsprecher, das zerfledderte Telefonbuch lag auf dem Boden wie eine tote Möwe. Während Hollis Geld einwarf und die Nummer des Zettels eintippte, warf er immer wieder einen Blick nach draußen, um nicht von Rick überrascht zu werden.
„Hallo“, sagte er nervös, als sich jemand meldete.
„Wer ist denn da?“ fragte eine weibliche Stimme.
„Sophie?“
Es klackte laut, als der Hörer neben das Telefon gelegt wurde und Hollis hörte: „Sophie! Für dich!“
Er hörte die Schritte, die näher kamen, legte einen Finger an die Gabel, und als Sophie „Hallo?“ sagte, unterbrach er die Verbindung, als hätte er sich am Telefonhörer verbrannt.
Mit beiden Händen in den Hosentaschen schlenderte er nach draußen, zog die Schultern vor Kälte hoch und gesellte sich zu Rick. Der wusste nichts von diesen Anrufen, die er im Abstand von einigen Tagen nach Blue Hill machte, und Hollis hütete sich davor, ihm etwas davon zu sagen. In dieser Beziehung war Rick sehr dünnhäutig geworden und ging leicht an die Decke.
„Wo ist der Köter?“ maulte er.
„Da hinten irgendwo. Ich hatte ihn an der Leine, aber er hasst das Ding. Könnte jetzt was zu trinken vertragen.“
„Sammel die Töle ein, dann fahren wir irgendwo hin.“
„Was für Namen hast du noch für ihn? Er heißt Carlos.“
„Er hört doch sowieso auf jeden Namen und auf jeden, der ihn ruft.“
„Quatsch“, sagte Rick, „er kennt seinen Namen. Alles andere macht er nur aus Höflichkeit.“
Carlos kam von einem ereignislosen Streifzug zurück, Rick warf noch ein oder zwei Mal Stöckchen für ihn, dann machten sie sich zu Fuß auf die Suche nach einer Bar oder einem passenden Wagen – was ihnen zuerst begegnen würde.
Weeks Mills hatte zwei auffällige Gebäude. Das eine war die Baptistenkirche, die wie ein Atombunker aussah, und das andere war eine Bar, die gerade ihr fünfzehnjähriges Jubiläum feierte. Das stand zumindest auf den Plakaten über der Eingangstür. Um diese Uhrzeit war noch nichts los, die Bar war ebenso verwaist wie die Kirche auf der anderen Straßenseite. Sie bekamen noch nichts zu trinken, durften aber Carlos mit reinbringen und auf den Beginn des Ausschanks warten.
„Wo kommt ihr beiden her?“ fragte das Mädchen hinter der Theke. Sie sah aus, als sei sie heute frühe aus der Schule gekommen und würde jetzt für ihren großen Bruder Gläser spülen.
„Boston“, sagte Hollis.
„Chicago“, sagte Rick gleichzeitig.
„Wenn ihr euch geeinigt habt, können wir es ja noch mal probieren“, antwortete das Mädchen.
Sie hockten stundenlang herum, stopften Erdnüsse in sich hinein, schossen die Nüsse auf der Theke hin und her, warfen Bierdeckel für Carlos, der aber ziemlich unlustig war, bis das Mädchen sich erbarmte und mit routinierten Bewegungen zwei Bier zapfte.
„Ich könnte Ärger deswegen bekommen“, betonte sie.
„Den würdest du auch kriegen, weil du hier hinter der Theke stehst.“
„Mein Dad ist damit einverstanden“, antwortete sie, zuckte dabei mit den Augenbrauen.
„Naja“, Rick hob die Schultern, „ist schließlich ein guter Job, um sich das Taschengeld aufzubessern.“
Hollis kicherte in sich hinein und fragte: „Und was sagt euer Polizeichef dazu?“
„Dad ist der Polizeichef.“
Mit dieser nüchternen Feststellung unterband sie von Anfang an, dass die beiden Unfug machten, sie hatten keine Lust, es darauf ankommen zu lassen, ob sie die Wahrheit gesagt oder sie auf den Arm genommen hatte. Die Bar füllte sich langsam, ein Gast warf Geld in die Musicbox und es ertönten leiernde Country-Klänge.
„Ich war schon lange nicht mehr in so einem Rentnerschuppen“, sagte Hollis. Neben ihm an der Theke hatte eine Altherrenriege Platz genommen, die irgendwas Selbstgebrautes tranken. Das Mädchen an der Bar hatte alle Hände voll zu tun, flitzte hin und her, behielt dabei einen seltsam abgeklärten Ausdruck auf dem Gesicht, als sei sie mit den Gedanken ganz woanders.
„Ich wette, die ist auf irgendeinem Trip“, flüsterte Rick.
Die alten Männer neben Hollis unterhielten sich mit grölenden Stimmen, einer von ihnen stupste Hollis in die Seite und fragte: „Na, wo kommt ihr denn her?“
„Warum will hier jeder wissen, wo wir herkommen?“ entgegnete Hollis laut. Mit zunehmendem Bierkonsum wurde sein Ton immer etwas schärfer.
„Ihr seid nicht von hier, oder?“
„Nein“, sagte Hollis, „wir wissen zwar nicht, wo wir her sind, aber von hier sind wir nicht.“
Der alte Mann lachte und schlug ihm mit der flachen Hand auf den Rücken, als ob er den größten Witz aller Zeiten gerissen hätte.
„Willst du mal auf der Seite hier sitzen?“ flüsterte Hollis und Rick zeigte ihm den Vogel.
Gegen Sperrstunde tanzten sie mit zwei Hausfrauen, deren Männer sich bereits unter die Tische gesoffen hatten, drückten immer wieder dieselbe langsame Platte und schwammen in einer Woge aus Bier und Glückseligkeit. Carlos hatte sich von der besten Seite gezeigt, dann doch ein paar Bierdeckel aus der Luft gefangen und sich dann vor den vielen Beinen und Schuhen hinter der Bar geflüchtet. Dort ließ er sich von dem Mädchen kraulen, die alle paar Sekunden den Mund aufriss und fürchterlich gähnte. Dann unterbrach jemand die Tanzenden, indem er der Musicbox den Saft abdrehte. Es war ein kleiner gebückt gehender Kerl, an dem Rick undeutlich ein blinkendes Polizeizeichen sehen konnte. Die Hausfrauen sammelten ihre besinnungslosen Kerle ein und machten sich auf den Heimweg. Rick suchte lange nach seiner Jacke, die er vor Stunden in irgendeine Ecke geworfen hatte, damit sie ihre Zeche bezahlen konnten. Das Mädchen war verschwunden, sie bezahlten bei einem munter aussehenden Mann, der mit Eimer und Schrubber hinter der Theke darauf wartete, sauber machen zu dürfen. Carlos saß auf der Bar, Rick klemmte ihn sich unter den Arm, obwohl er dafür zu groß und zu schwer war und Rick dadurch Schlagseite bekam. Groß und ehrlich lächelten sie dem Polizisten entgegen, der in der Tür stand und sie zu beobachten schien, seit er hereingekommen war.
„So einen hässlichen Hund hab ich noch nie gesehen“, sagte er, „sieht aus, als hätte er Motten im Fell.“
„Dafür ist ihre Tochter umso reizender“, erwiderte Rick freundlich.
 
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Kommentare  

Rick scheint etwas sehr wichtiges zu planen. Aber was ist es? Hoffentlich nichts Schlechtes, denn bei ihm kann man darin nicht so sicher sein.

Petra (17.01.2011)

Du baust aber sehr langsam den Spannungsbogen auf. Hast aber erreicht dass ich jetzt sofort den nächsten Teil lese...

Jürgen Hellweg (20.10.2010)

Ein banales Leben auf der Strasse, das sich von einem bedeutungslosen Ereignis langsam zum nächsten schleppt. Die zwei leben in ihre Tage hinein und sind so weit vom gesellschaftsfähigem Leben entfernt, dass jeder menschliche Kontakt für sie eher störend ist.

Gute Dialoge und eine ausführliche Beschreibung des Ganzen bringen die Charaktere dem Leser wieder etwas näher... auch wenn man sich immer noch wünscht sie nicht zu kennen.


Jingizu (20.10.2010)

Ausgerechnet die Tochter eines Polizisten hat es Rick angetan. Man darf gespannt sein, wie sich das noch entwickeln wird.

Jochen (18.10.2010)

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