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10 Seiten

Die Schlangengrube- Teil 1: Ein verlockendes Angebot

Romane/Serien · Spannendes · Fan-Fiction/Rollenspiele
Paris, Bordell Rouge Canard in der Rue Ferrigue, 5. September 1638

Alais hatte gerade erst ihre Kerze ausgeblasen und versuchte zu schlafen. Es war heute kein guter Tag gewesen. Wieder einmal hatte Madame Bosrédon ihre Mutter angebrüllt, weil diese sich weigerte, ihre Tochter im Rouge Canard arbeiten zu lassen. Die Mutter nahm sie dann jedesmal in Schutz, und sagte der alten Vettel, dass sie es auf keinen Fall zulassen würde, dass ihre Tochter ihren Körper verkaufen musste. Alais wusste, dass Madame Bosrédon sie bald hinauswerfen würde, wenn sie sich weiterhin weigerte, aber sie konnte es sich auf keinen Fall vorstellen, im Bordell zu arbeiten, obwohl sie im Rouge Canard geboren und aufgewachsen war, grauste ihr bei diesem Gedanken. Sie war eine Romantikerin, die davon träumte, eines Tages den Mann ihrer Träume kennenzulernen und sich zu verlieben. Doch sie wusste, dass es dazu wahrscheinlich niemals kommen würde.
Im Februar war sie 17 geworden, und Madame war der Meinung, dass es nun allmählich Zeit wurde, dass sie in die Arbeit im Bordell eingewiesen wurde. Alais fragte sich oft, warum sie nicht hässlich sein konnte, denn in diesem Falle hätte Madame für sie keine Verwendung gehabt. Sie hatte eine blasse Haut mit zartem Teint, große blassblaue Augen, rosige Lippen und langes, bis auf die Schultern fallendes hellbondes Haar. Ihre ebenmäßigen Gesichtszüge erinnerten an die Madonnengemälde in den Kirchen und Kathedralen. Madame Bosrédon pflegte zu sagen, dass sie eines Tages das beste Pferd in ihrem Stall sein würde. Alais hasste es, wenn die Hurenwirtin so über sie redete, es machte sie wütend und traurig.
Oft träumte sie davon, zusammen mit ihrer Mutter das Rouge Canard für immer zu verlassen, doch sie wusste, dass das immer nur ein Traum bleiben würde. Sie war ein paarmal in den Straßen von Paris gewesen, und hatte die Armut gesehen die dort herrschte, und sie wusste, dass sie und ihre Mutter genauso enden würden, wie diese bedauernswerten Menschen, falls Madame sie irgendwann wirklich hinauswarf. Von derlei trüben Gedanken gequält, fand sie keinen Schlaf, und vernahm von draußen her immer stärker werdende Geräusche. Der Lärm wuchs an, und drang durch die weit geöffneten Fenster bis in den kleinen Raum, in dem sie schlief. Dann hörte sie auf einmal Glockengeläute, sah Lichter hin und herhuschen und hörte laute Stimmen, und befürchtete sogleich, es sei womöglich eine Feuersbrunst ausgebrochen, denn anders ließ sich dieser Lärm zu so später Stunde nicht erklären. Bei diesem Gedanken sprang sie rasch aus dem Bettund stürzte ans Fenster.
Draußen war die Straße, die sich sonst um diese Zeit meistens längst geleert hatte, voll von wild gestikulierenden, laut jubelnden Menschen, und alle Glocken der zwölf Gemeinden der Cité, auch die der Kathedrale von Notre Dame, die nur zwei Häuserblocks entfernt lag, läuteten auf einmal. Das war kein Feueralarm, das klang eher wie Freudenlärm.

“Was ist denn los? Warum dieser Lärm?”, rief sie zwei alten Frauen zu, die auf der anderen Straßenseite liefen, und dabei mit den Händen die brennenden Kerzen schützten, mit denen sie ihren Weg beleuchteten.
Eine blickte verklärt lächelnd zu Alais Fenster auf.
“Und ist heute ein neuer Dauphin geboren worden, vor drei Stunden hat Gott dem Reich einen Erben geschenkt. Ein Wunder ist geschehen!”
Was sie dann noch sagte, ging im Jubel und Straßenlärm unter.
“Er heißt Louis Diedonné, der von Gott Geschenkte!”, rief ein Mann aufgeregt, “und heute nacht soll es ihm zu Ehren in den Straßen kostenlos Bier, Wein und Braten für alle geben! Gott schütze unseren Dauphin!”
Alais verharrte am Fenster und beobachtete das fröhliche Treiben auf den Straßen. Immer mehr Menschen strömten nach draußen, um die Geburt ihres Dauphins, des so lange ersehnten Thronfolges, der nun im 23. Ehejahr seiner Eltern, das Licht der Welt erblickt hate. Niemand hatte von der Schwangerschaft der Königin gewusst, denn der Hof gab die freudige Nachricht immer erst dann bekannt, wenn das Kind endlich auf der Welt war. Und bei diesem Königspaar hatte eigentlich niemand mehr mit einem Dauphin gerechnet.
Nach einer Weile wehte der Duft von gebratenem Fleisch zu Alais Fenster herein, und vor dem Gasthaus gegenüber bildete sich eine große Menschentraube, weil dort kostenlos Bier ausgeschenkt wurde. Aus den Armenviertel strömten Menschen, die oft kaum noch mehr als Haut und Knochen waren, herbei und stopften sich mit dem kostenlosen Essen voll, nur um sich danach übergeben zu müssen, weil ihre Mägen solch große Mengen an fettreicher Nahrung schon lange nicht mehr gewohnt waren. Irgendwo spielte man zum Tanz auf, und kurz darauf erhellten leuchtend bunte Lichtkaskaden den Nachthimmel, ein Feuerwerk des so lange ersehnten Dauphins. Ein paar Bettelkinder liefen lachend die Straße entlang, die Hände voller süsser, fetttriefender Krapfen. Irgendwo lallten ein paar Betrunkene. Alle Straßen in Paris waren von Leben erfüllt, fast jeder schien nach draußen zu gehen, um die Geburt des Dauphins zu feiern, nachdem die freudige Nachricht die Runde gemacht hatte. Auch Alais freute sich für das so lange kinderlose Königspaar, und vergass darüber sogar für eine Weile ihre Sorgen.
Ein paar Männer in roten Uniformen näherten sich dem Rouge Canard, es waren Gardisten des Kardinals. Alais hoffte inständig, dass die Hurenwirtin keinen der Männer ihrer Mutter zuteilen würde, denn die Kardinalisten behandelten die Frauen oft grob und gingen alles andere als galant mit ihnen um. Sie waren die unbeliebtesten Kunden im Canard, und dennoch ließ die Hurenwirtin sie jedes Mal ein, weil sie gut zahlten.

Etwas später kam ihre Mutter in ihr Zimmer gestürmt, und sie wirkte sichtlich aufgeregt.
“Kommt, Kleines, ich kämme Euch das Haar, und dann müssen wir sofort hinunter, es ist wichtig.”
“Was habt Ihr denn, Mutter? Wieso seid Ihr so nervös? Ist etwas nicht in Ordnung? Ich war schon im Bett, warum soll ich mir jetzt das Haar kämmen?”
Alais befürchtete das Schlimmste. Hatte Madame Bosrédon etwa vor, heute Nacht ihre Unschuld an den meistbietenden Kardinalisten zu versteigern? Neulich hatte sie gehört, wie Madame mit Claire, ihrem besten Mädchen im Canard, darüber gesprochen hatte, Jeannes Unschuld zu versteigern, weil sie sicher wäre, das da bei dieser aussergewöhnlichen Schönheit ein hübsches Sümmchen zusammenkäme. Aber nein, sagte sie sich, dann würde die Mutter bestimmt versuchen, das zu verhindern, und sie nicht auch noch darum bitten, ihr Haar zu kämmen.
“Kardinal Richelieu ist hier”; brachte die Mutter schliesslich nervös hervor, “er sucht ein Mädchen, das er in seine Dienste nehmen will, Ihr wisst schon…eine Agentin..er war schon öfters hier, wenn er eine brauchte, Eure leibliche Mutter hat auch für ihn gearbeitet, er hat sie damals mitgenommen, weil sie die Schönste war. Und Ihr habt gute Chancen, dass er Euch auswählt, Alais. Die Arbeit als Agentin wird gut bezahlt, alle die mal für ihn gearbeitet haben, sind heute reich, einige sogar mit Adeligen verheiratet. Eure Mutter hat er damals mit einem englischen Lord verheiratet, und sie lebt wohl heute noch glücklich und zufrieden in England. Das könnt Ihr auch haben, mein Kleines, Ihr seid nicht dafür geschaffen, Euer Leben in einem Hurenhaus wie diesem zu fristen.”
Alais wusste schon lange, dass Isabella nicht ihre leibliche Mutter war, sie hatte es ihr an ihrem elften Geburtstag erzählt. Ihre richtige Mutter hatte sie im Stich gelassen, als sie gerade einmal zwei Jahre alt gewesen war, und da hatte Isabella sich ihrer angenommen und sie wie eine Tochter aufgezogen. Und so betrachtete Alais Isabella als ihre Mutter, und nicht diese fremde Frau, die sie nur verachten konnte, weil sie sie hier zurückgelassen, und sich niemals bei ihr gemeldet hatte.
“Ihr seid meine Mutter, nicht diese Frau, und ich bin stolz, Eure Tochter zu sein. Ich will nicht fort von Euch, ich will bei Euch bleiben”; meinte sie und blickte Isabella bittend an, “bitte, schickt mich nicht fort, verlangt das nicht von mir.”
“Das hier ist kein Leben, mein Kleines…denkt doch an Adelaide, wisst Ihr noch, wie Madame sie im letzten Herbst hinausgeworfen hat, weil sie schwerkrank wurde? Als Hure hat man keinerlei Absicherung, die Wirtin kann einen jederzeit hinauswerfen. Dieses Schicksal möchte ich Euch ersparen, ich möchte, dass Ihr eine bessere Zukunft habt. Ihr gehört nicht hierher, Ihr habt etwas Besseres verdient.”
“Aber Mutter, ich kann Euch doch nicht im Stich lassen!”, rief Alais.
Sorgfältig kämmte Isabella das hellblonde Haar ihrer Ziehtochter, und steckte anschließend eine mit Edelsteinen verzierte Spange, die ihr vor ein paar Jahren ein Freier geschenkt hatte, hinein.
“Ihr lasst mich doch damit nicht im Stich, Kleines. Glaubt mir, es ist für uns beide besser so. Wenn Ihr für den Kardinal arbeitet, werdet Ihr eines Tages eine große Dame sein, womöglich sogar von Adel, und ein eigenes Haus haben, und dann könnt Ihr mich hier freikaufen und zu Euch holen…wenn Ihr jedoch hierbleibt, sind wir beide dem Untergang geweiht. Bitte, geht mit mir hinunter, und lasst uns sehen, ob der Kardinal Euch nimmt…bitte, tut es, mir zuliebe…ich will doch nur das beste für Euch, meine Kleine.”
“Gut, ich komme mit nach unten, aber nur Euch zuliebe, Mutter”; lenkte Alais schließlich ein, “die Wahrscheinlichkeit, dass er sich gerade für mich entscheidet, ist ohnehin nicht so groß, es gibt genug andere hier, die ihm gefallen könnten.”

Als sie nach unten, in den roten Salon kamen, in dem fast alle Möbel, der Teppich und auch die Wände in Rottönen gehalten waren, hatten sich dort bereits alle Frauen und Mädchen, die im Canard arbeiteten, versammelt, und sich in einer Reihe aufgestellt, um sich vom Kardinal begutachten zu lassen.
“Sie darf nicht älter als sechzehn bis etwa zweiundzwanzig sein”; sagte Richelieu gerade, als Alais sich zu den anderen in die Reihe stellte, “alle die älter sind, könnnen gleich wieder gehen.”
Fünfzehn Frauen gingen gleich wieder nach oben, die anderen zwanzig, die alle in dem bezeichneten Alter waren, blieben stehen und warteten gespannt das Urteil des Kirchenmannes ab.
Wie ein Heerführer, der seine Soldaten begutachtete, schritt der Kardinal die Reihe der jungen Frauen ab, und musterte jede einzelnen eingehend. An diesem Abend hatte der Kardinal die Uniform eines Gardisten angelegt, um auf den Straßen nicht gleich aufzufallen. Als er näherkam, musterte Alais ihn verstohlen, und was sie sah, flößte ihr nicht gerade Vertrauen ein. Der Mittfünfziger hatte eine Hakennase, um seine Mundwinkel lag ein verkniffener Zug, die braunen Augen wirkten streng und kühl. Als er zu Alais kam, betrachtete er sie eingehend, und meinte dann lächelnd.
“Wahrhaftig, Ihr seid Eurer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich erinnere mich noch, als ich Mylady damals in meine Dienste nahm…Ihr reichtet mir damals kaum bis ans Knie, und habt bitterlich geweint, und Euch an ihre Röcke geklammert. Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr noch immer hier seid. Alais war Euer Name, nicht wahr?”
Alais blickte den Kardinal finster an, ihre Augen funkelten vor Zorn.
“Wagt es nie wieder, dieses Miststück als meine Mutter zu bezeichnen! Isabella ist meine Mutter, sie hat mich großgezogen, nachdem sie mich im Stich gelassen hatte, nur um mit Euch zu gehen, Eminenz. Ich hasse sie, und hoffe wirklich, ich muss sie niemals wiedersehen. Dass sie mich im Stich ließ, das werde ich ihr niemals verzeihen können.”
“Ihr werdet sie gewiss niemals wiedersehen müssen, denn Eure Mutter ist seit zehn Jahren tot”; erwiderte der Kardinal, “und ich kann Eure Wut, die Ihr gegen sie hegt, durchaus verstehen. Aber lassen wir das, möge sie in Frieden ruhen…kommen wir nun wieder zu den Lebenden. Ich würde euch gerne in meine Dienste nehmen, um zu sehen, ob Ihr mehr als nur Euer Aussehen von Eurer Mutter geerbt habt…sie hatte die wunderbare Fähigkeit, sich jeder neuen Situation rasch anzupassen und die Menschen in ihrer Umgebung stets dahin zu bringen, wo sie sie haben wollte…und sie verstand sich ausserdem darauf, Geheimnisse ans Licht zu bringen, die beste Agentin, die ich jemals hatte. Ich denke, wenn Ihr genauso talentiert seid, werden wir sehr gut zusammenarbeiten können.”
“Wer sagt denn, dass ich gedenke, Euer Angebot anzunehmen?”, fragte Alais und blickte den Kardinal trotzig an, “warum sollte ich in die Fußstapfen einer Frau treten, die ich zutiefst verabscheue?”
Dass ihre leibliche Mutter tot war, berührte sie nicht im Geringsten, denn für sie war diese Frau eine Fremde gewesen, an die sie sich gar nicht mehr erinnern konnte. Für sie war Isabella der wichtigste Mensch in ihrem Leben, ihre wahre Mutter. Sie fragte auch nicht, wie diese Frau wohl gestorben war, weil es sie nicht interessierte.
“Ich zahle gut, und außerdem bekämt Ihr Euer eigenes Haus am Place Royale..es gehörte einst..ach, nicht so wichtig…ein prächtiges Haus, für Euch ganz alleine, ich werde es sogleich auf Euren Namen überschreiben lassen, wenn Ihr mein Angebot annehmt.”
Alais konnte kaum glauben, dass der Kardinal ihr ein Haus an einer der besten Adressen der Stadt schenken wollte. In den aus rotem Backstein errichteten Stadtpalais am Place Royale lebten hauptsächlich einflussreiche Adelige,die regelmässig bei Hofe verkehrten, und ein paar kirchliche Würdenträger. Dieses Haus musste ein Vermögen wert sein..war sie dem Kardinal wirklich so viel wert? Diese Mylady musste ihm wirklich gute Dienste geleistet haben, dass er bereit war, so viel Geld auszugeben, nur damit ihre Tochter in seine Dienste trat.
Sie wollte sich nicht einfach so kaufen lassen, und ausserdem quälte der Gedanke, sich von ihrer Mutter Isabella trennen zu müssen, sie sehr.
“Wer sagt denn, dass ich käuflich bin, Eminenz?”; erwiderte sie und blickte ihm fest in die Augen, “nicht jeder lässt sich von Euch mit Geld und Häusern ködern, es gibt wichtigere Dinge im Leben.”

“Ihr liebt Eure Ziehmutter sehr, nicht wahr?”; fragte der Kardinal und blickte sie nachdenklich an, “sagt, was würdet Ihr davon halten, wenn sie Euch zum Place Royale begleiten, und mit Euch in dem Haus leben könnte? Wäret Ihr dann nicht womöglich doch noch bereit, darüber nachzudenken, in meinen Dienste zu treten? Falls ja, kaufe ich euch beide bei Madame Bosrédon frei.”
Mit allem hatte Alais gerechnet, aber nicht damit, dass der Kardinal ihr ein so verlockendes Angebot machen könnte. Sie und ihre Mutter zusammen in einem schönen Haus am Place Royale, und Isabella würde sich dann niemals mehr von Madame Bosrédon herumkommandieren, und Freier empfangen müssen. Ein völlig neues Leben, genau das, wovon sie schon so lange geträumt hatte. Was machte es da schon, wenn sie für den Kardinal als Spionin arbeiten musste? Menschen auszuspionieren konnte gar nicht so schwer sein, das war auf jeden Fall besser, als im Canard jeden Abend mit anderen Männern schlafen zu müssen.
Und die Mutter wünschte sich so sehr, dass sie vom Kardinal als Agentin eingestellt wurde, und nun, da sie sie sogar mitnehmen durfte, stand ihr Entschluss schnell fest.
“Ich nehme an, Euer Eminenz, allerdings nur unter der Bedingung, dass ich Euch niemals Liebesdienste leisten muss, und dass Ihr nie wieder diese Mylady erwähnt. Ich möchte von dieser Frau nichts hören, und schon gar nicht mit ihr verglichen werden. Isabella ist meine wahre Mutter, und sie wird es auch immer bleiben.”
“Liebesdienste erwarte ich grundsätzlich nicht von meinen Agentinnen, dafür habe ich meine Mätressen”; erwiderte Richelieu und blickte sie zufrieden lächelnd an, “ich bin sicher, dass Ihr schnell lernen werdet, so dass ich Euch schon in ein paar Monaten an den Hof schicken kann.”
“An den Hof? Ihr meint zu König und Königin? Mich?”; fragte Alais, die das gar nicht fassen konnte.
Der Königshof war für sie eine fremde Welt, die sie, wie die meisten Einwohner von Paris, nur vom Hörensagen kannte. Niemals hätte sie damit gerechnet, jemals dorthin zu kommen. Sie bei Hofe..irgendwie konnte sie sich das kaum vorstellen, denn sie wusste kaum etwas über das Leben dort. Aber irgendwie war der Gedanke, dort hinein in diese so streng abgeschottete Welt zu gelangen, schon sehr aufregend.
Der Kardinal nahm sie am Arm, und zog sie ein Stück beiseite, bis sie außer Hörweite der anderen Mädchen, Isabella und der Hurenwirtin waren.
“Ich schicke Euch als Hofdame in den Louvre, sobald wir Euch alles beigebracht habe was Ihr wissen müsst. Acht Stunden täglich werdet Ihr unterrichtet, den Rest des Tages könnt Ihr nach eigenem Gusto verbringen. Wisst Ihr, ich vermute, dass die Königin einen Liebhaber hat, und ich möchte herausfinden, wer das ist, und dazu brauche ich eine fähige Agentin, die ich in ihren engsten Kreis einschleusen kann. Eure Aufgabe wird es sein, an die Königin heranzukommen und ihr Vertrauen zu gewinnen, und ich bin sicher, dass Ihr darin genauso meisterhaft sein werdet wie Mylady, sie konnte sogar einen Puritaner wie Felton völlig hörig machen..”, raunte er ihr leise zu.
“Was, die Königin hat einen Liebhaber?”; raunte Alais leise zurück, “aber das würde ja bedeuten, dass der Dauphin vielleicht ein Bastard ist…”
“Ihr habt es erfasst, Alais, der kleine Louis könnte tatsächlich ein Bastard sein. Ich habe ihn vor ein paar Stunden kurz nach der Geburt gesehen, und ich finde, er sieht unserem König überhaupt nicht ähnlich. Versteht ihr nun, wie wichtig Eure Arbeit sein könnte? Falls der Dauphin ein Bastard ist, darf er niemals den Thron besteigen, dann muss der König die Österreicherin und das Kind verstoßen. Aber ohne Beweise für ihre Untreue kann ich gar nichts ausrichten. Deswegen brauche ich eine fähige Agentin, die mir dabei hilft. Ihr könntet unserer Nation damit einen großen Dienst erweisen, Alais.”
“Gut, ich mache es”; erwiderte Alais, “eigentlich finde ich es ja nicht gut, die Königin so zu hintergehen, doch da sie ja den König hintergangen hat, brauche ich wohl kein schlechtes Gewissen zu haben.”
“Gut, dann beginnt morgen früh um Schlag acht Uhr Euer Unterricht. Sagt, Alais, könnt Ihr lesen und Schreiben?”
“Ja, meine Mutter hat es mir beigebracht, Euer Eminenz, sie stammt aus einer Kaufmannsfamilie.”
Isabella hatte ihr erzählt, dass sie aus einer Kaufmannsfamilie aus Chartes stammte, aber nie darüber gesprochen, was sie ins Rouge Canard verschlagen hatte, aber am Blick ihrer Ziehmutter hatte Alais gesehen, dass dahinter eine sehr traurige Geschichte stecken musste, und sie nicht weiter quälen wollen, indem sie danach fragte.
“Sehr gut,dann kann ich Euch gleich heute Abend, wenn wir in Eurem Haus sind, die Bücher geben, und dann könnt Ihr schon anfangen, Euch einzulesen.”
“Bücher? Ich bekomme Bücher?”; freute sich Alais, “das ist schön, ich lese nämlich sehr gerne.”
“Ihr werdet in den nächsten Wochen noch mehr lesen müssen als euch lieb sein wird”; meinte der Kardinal, “aber ich bin sicher, dass Ihr eine gelehrige Schülerin sein werdet.”
Doch etwas gab es noch, dass ihr Sorgen machte.
“Sagt, ist es denn nicht so, dass nur adelige Frauen Hofdamen werden können? Und ich bin keine Adelige.”
“Wer sagt, dass Ihr keine seid? Ich meine, wisst Ihr überhaupt, wer Euer Vater ist?”
Sie schüttelte den Kopf. “Nein, ich hatte nie einen Vater..es war wohl einer der Freier…ich wills gar nicht wissen wer, denn ich verabscheue die Männer, die hierherkommen, um sich eine Frau zu kaufen.”
“Ihr wisst es also nicht..das bedeutet also, dass Ihr durchaus von Adel sein könntet. Ich habe auch schon einen schönen Nachnamen für Euch ausgesucht, den Ihr bei Hofe tragen werdet, ein Name, der Euch dort sämtliche Türen öffnen wird. Und es wäre nicht einmal Betrug, wenn Ihr diesen Namen annehmt..”
Der Kardinal redete beinahe so, als ober etwas mehr über ihre Herkunft wüsste..konnte es womöglich sein, dass er…
“Sagt, Eminenz, seid Ihr mein Vater?”; fragte sie und blickte ihm fest in die Augen.
Möglich wäre es durchaus, denn womöglich war er, bevor er diese Mylady mitgenommen hatte, häufiger als Freier bei ihr gewesen. Und der Kardinal war von adeligem Geblüt.
“Nein, ich bin nicht Euer Vater, Ihr wart schon zwei Jahre alt, als ich Mylady das erste Mal sah. Ich weiss nicht wer Euer Vater ist, tut mir leid.”
Sie hatte nie einen Vater gehabt, und wollte auch gar nicht wissen, wer es gewesen war, denn mit den Männern, die hier im Canard ein und aus gingen, wollte sie nichts zu schaffen haben, bei dem Gedanken, dass einer von ihnen ihr Vater sein konnte, grauste es ihr.
Alais war froh, dass der Kardinal sie in ihre Dienste nahm, auch wenn sie zunächst nicht begeistert gewesen war, doch nun fand sie, dass das eine deutliche Verbesserung zu ihrem alten Leben darstellte. Und sogar einen adeligen Namen sollte sie bekommen, das würde das Leben im Bordell endgültig in die Ferne rücken lassen.. Endlich würde die Mutter nicht mehr ständig Freier empfangen müssen, und sie selbst hatte vorerst weiter nichts zu tun, als den Unterricht, den der Kardinal ihr erteilen ließ, zu besuchen. Bis sie an den Hof gehen durfte, würde es wohl noch eine Weile dauern, und darüber war sie ganz froh, denn irgendwie machte ihr der Gedanke, sich unter gekrönten Häuptern bewegen zu müssen, schon ein wenig Angst.
Noch ahnte sie nicht auf was sie sich da eigentlich eingelassen hatte, was alles auf sie zukam, im Moment war sie einfach nur froh, dass sie und ihre Mutter endlich das Rouge Canard verlassen und ein neues Leben fernab des Bordells beginnen konnten.
 
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Kommentare  

Ein toller Anfang. Klasse Schreibstil. Alles sehr plastisch und authentisch geschrieben. Und die Charaktere sind hervorragend ausgebaut. Man kann das Mädchen völlig verstehen.

doska (09.12.2011)

Interessante Gedankenspiele und wunderbar geschrieben. Gefällt mir!

Jingizu (07.12.2011)

@Ingrid

Danke, jetzt weiss ich wie es geht und hab gleich Teil 2 noch online gestellt :)

Lg
Lady Athos


Lady Athos (07.12.2011)

neues kapitel = neuer teil, am besten numerieren mit 1, 2, 3 und so weiter ;-) der titel kann nachträglich geändert werden, also in deinem fall: Die Schlangengrube Teil 1
lieben gruß


Ingrid Alias I (07.12.2011)

@Ingrid

Danke für dein Review, freut mich, dass es dir gefallen hat. Ich fand den Gedanken, dass Mylady eine Tochter gehabt haben könnte, schon immer sehr interessant, und habe mir dazu dann eine Geschichte ausgedacht, freue mich schon, weiterzuschreiben.
Aramis gefällt mir auch, aber mein persönlicher Liebling ist Athos, wie sicher mein Name schon verrät.
Weisst du vielleicht, wie man hier bei einer Geschichte in neues Kapitel hinzufügen kann?

Lg
Lady Athos


Lady Athos (06.12.2011)

das fängt ja schon gut an - und ist zudem ausgezeichnet geschrieben.
ich liebe die musketiere auch sehr, mein liebling ist aramis... ;-)
außerdem halte ich es für eine tolle idee, die sache aufzugreifen und weiterzuschreiben. lady de winter war also die mutter, hmmm... interessant!


Ingrid Alias I (06.12.2011)

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