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5 Seiten

Norchas Mühlenkinder (Kapitel 1)

Romane/Serien · Fantastisches
Die Sonne war noch nicht über den nahen Bergen des Kredôrr aufgegangen, der Nebel hatte sich noch nicht durch ihre wärmenden Strahlen gehoben, aber die erwartungsvolle Spannung war bereits deutlich in der Luft der Kopfstein gepflasterten Straßenzüge Fellsanes zu spüren. Selbst in der Festungsanlage, höher gelegen als die Stadt, spürte Calla, als sie den großen Innenhof der Burg querte, die Anspannung des bevorstehenden Festtages. Auch sie konnte den Abend kaum erwarten, war der Morgen noch nicht erwacht.
Grinsend drückte sie den hölzernen Eimer enger an ihre Brust, schalt sich mit ihren siebzehn Jahren ein Kleinkind und pumpte das eiskalte Brunnenwasser in den Kübel. Bald würden die Herrschaften erwachen und ihren allmorgendlichen Kräutersud fordern. Zurück gekehrt in die Küche, strahlte Calla ihre Freundin Garte aufgeregt an. In ihren Augen blitzte der Übermut, was Garte ein helles Lachen entlockte.
„Du bist unruhig wie ein Füllen, Calla.“
„Ja, das bin ich.“
Damit stellte sie den Eimer neben dem Kamin ab, legte ihre Arme um den Leib der Freundin und drehte sich mit ihr übermütig durch die Küche. Ein wenig atemlos und schwindelig kamen die beiden jungen Frauen zum Stehen.
„Das ist das erste Sonnenfest, das ich in der Stadt erleben werden, Garte. Auf dem Land, in der kleinen Siedlung in dessen Nähe mein Vater seinen Pachthof hat, ist dieser Tag wie alle anderen im Jahr angefüllt mit sehr viel harter Arbeit. Nicht, dass wir hier faulenzen würden.“, warf sie schnell ein.
„Aber hier ist das Fest näher. Ich kann es spüren. Ich kann es riechen.“
Garte schaute Calla fragend an, wischte sich vielsagend mit der flachen Hand vor der Stirn.
Lachend stieß die Jüngere ihre Freundin an.
„Hör auf mit dem Blödsinn. Du weißt genau, was ich meine.“
„Weiß ich das?“
Der unschuldige Blick Gartes reizte Calla.
„Ja, denn du warst es, die mir damals erzählte: ‚Wenn das Sonnenfest näher rückt, spielen die Menschen in Fellsane verrückt. Es wird kaum noch gearbeitet, überall findest du Müßiggang und Fröhlichkeit. Am Tag selbst knistert die Luft vor freudiger Anspannung.’ Waren das nicht deine Worte?“
Garte nickte mit einem warmen Leuchten in den Augen.
„Ich freue mich, dass du es auch spürst, kleine Freundin.“
Damit nahm sie die Jüngere liebevoll in den Arm und zog sie an sich.

Die Sonne hatte den Zenit erreicht, als die beiden Frauen mit ihrer Arbeit fertig wurden. Gerade hatten die Herrschaften im Gefolge der ersten Garde die Burg verlassen. Das laute Klappern eisenbewährter Hufe auf gepflastertem Burghof hallte noch zwischen den Mauern.
„Der Herr wird sich die Wettkämpfe ansehen. Jedes Jahr kommen gut geschulte Männer aus der Umgebung, ihre Kräfte bei den Kämpfen zu messen. Die besten verpflichtet der Herr gern in seine Garde. Die zweitbesten können sich als gewöhnliche Soldaten verdingen.“
Calla folgte aufgeregt den Ausführungen der Freundin. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie den großen Krug, den sie gerade in beiden Händen hielt, rasch abgestellt, sich die Schürze abgebunden und wäre den Reitern schnellstens gefolgt. Sie wollte lieber jetzt als später an dem Fest teilhaben.
Schmunzelnd beobachtete Garte die Ungeduld im Blick der Freundin.
„Stell den Krug besser auf dem Tisch ab und dann lauf hinunter in die Stadt. Erfreu dich an den Spielen, an den Schaustellern, Buden und Kleinkrämern. Hier wird heute ohnehin nicht mehr viel von uns verlangt werden.“
Kaum ließen die Beine ihr so viel Ruhe, Garte bis zum Schluss zuzuhören. In der Tür verhielt Calla kurz, schaute sich nach der Freundin um.
„Was ist mit dir?“
„Ich komme gleich nach.“
Gartes Blick glitt durch das kleine Fenster direkt neben der Tür. Sie erkannte Uwlad, einen der gräfschen Gardisten, der sich mit großen Schritten dem Küchenhaus näherte. Ein warmes Leuchten zauberte sich in ihre Züge.
Schmunzelnd erkannte Calla die Gedanken der Älteren. Sie verließ die Küche, gab der Tür einen leichten Schubs, den Durchgang für den Besucher weit zu öffnen. Der genickte Gruß Uwlads ließ sie ihn anlächeln.
„Sie wartet bereits auf dich.“
Als Calla sich nach einem längeren Gang dem Festplatz näherte, begrüßte sie bereits laute Geschäftigkeit. Überall standen Festbesucher in Gruppen zusammen, schwatzen und lachten. Über ihren Köpfen hinweg priesen Händler ihre Waren an, riefen andere zu Wettkämpfen auf. Unterhaltende Töne aus unterschiedlichsten Instrumenten luden zum Tanz ein, Barden brachten ihr Können dar.
Mit dem Strom interessierter Besucher glitt Calla an hölzernen Ständen vorbei. Sie betrachtete feines Geschmeide aus den Schmieden von Gnarphat, der Siedlung der Dwelg, einem zwergischen Volk, das an der Nordspitze des Reldoc-Gebirges lebte und edle Gesteine aus dem Bergmassiv schlug und verarbeitete. Herrliche Schmuckstücke, Ketten, Fibeln und Ringe bot der Dwelg feil, aber auch wunderschön gearbeitete Schwerter, Dolche und Schilde.
Calla vernahm anerkennende Worte von den Umstehenden, erkannte selbst als Frau die Erhabenheit der angebotenen Stücke.
Der Strom der Stauner kam einige Meter weiter erneut zum Stillstand. Hier boten die groß gewachsenen Ferrud ihre Waren an. Wie es die Art des Waldvolkes war, priesen sie ihre Güter nicht an. Sie standen steif und mit starrem Gesichtsausdruck hinter dem Verkaufstisch und warteten.
Calla beschlich ein seltsam befremdliches Gefühl, als sie sich die ausgelegten Stücke ansah.
Da der Wald von Ferrud reich an Wild war, pökelten die Waldbewohner das Fleisch von Wildschwein, Reh und Damwild, es haltbar zu machen oder auf Märkten zu veräußern. Neben Fleisch fand Callas interessiertes Auge viele nützliche Kleingegenstände, die die Ferrud aus Wildschweinhauern oder Hirschgeweihen hergestellt hatten. Sie erblickte feine Nadeln, Knöpfe, Spangen. Bürsten, gefertigt aus den Schweineborsten, Kämme, geschnitzt aus Geweih. Schmuckstücke, gefertigt aus Vogelfedern oder kleinen Knochen. Bearbeitete Felle oder auch Lederwaren rundeten das Angebot ab.
So begeistert sie von der handwerklichen Vielfalt der Ferrud war, konnte Calla sich der Anspannung, die sich zwischen ihren Schulterblättern sammelte, nicht erwehren.
Der starre Blick der Waldmenschen verunsicherte sie. Sie vermittelten ihr das Gefühl, täuschend echten Puppen gegenüber zu stehen, die plötzlich lebendig wurden und auf ein Verkaufsgespräch eingingen, wenn ein Kaufinteressierter entsprechende Signale gab.
Verwirrend, beängstigend. Als lebten die Ferrud in einer anderen Zeit.
Ein Beben aus Unbehagen und Fluchtwunsch lief über ihren Körper und ließ sie einige Schritte weiter hasten. Gleich wurde ihr Schritt gebremst, als sie einen Mann anstieß, der sich den nächsten Stand näher anschaute. Betreten stammelte sie eine Entschuldigung.
Hinter diesem großen Tisch standen ein paar Männer, bekleidet mit eng anliegenden Lederhosen, darüber grob gestrickte Wollsocken aus ungefärbtem Garn, weiten Leinenhemden. Breitkrempige Hüte mit einem ledernen Nackenschutz vervollständigte das Bild des Steppenreiters aus Auxell.
Die Viehzüchter des Siedlungsverbundes boten alles zum Kauf an, was sie selber erwirtschafteten. Von Lederwaren aus den Häuten gut genährter Rinder, über Wollprodukte aus den grob oder sehr fein gesponnenen Garnen der gezüchteten Schafe bis zu sorgfältig eingerittenen Pferden, die auf der Steppe wild aufwuchsen und erst als Einjährige gefangen und an einen Reiter gewöhnt wurden, reichte die Palette. Auch würzige Käsesorten und robuste Schmuckstücke aus Pferde- oder Rinderhaar boten sie an.
Während Calla die fremd wirkenden Haarspangen aus Pferdehaar betrachtete, fühlte sie sich seltsam beobachtet. Ihr suchender Blick traf den eines jungen Auxell.
Bei seiner Tagträumerei erkannt, flammten seine Wangen rot auf. Grüßend tippte er an seine Hutkrempe, senkte aber gleich betreten den Blick und zog sich den Hut tiefer in die Stirn.
Calla spürte eine unangenehme Hitze über ihren Körper hinweg ziehen. Sie wusste, ihre Wangen wiesen die gleiche Rötung auf wie die des jungen Auxell.
'Dummes Gör!'
Schließlich wurde sie nicht zum ersten Mal mit solchen Blicken angesehen. In der Burg wimmelte es von jungen Männern, die kein Hehl daraus machten, dass ihnen die Küchenhilfe gefiel.
Verwirrt tauchte sie in der Masse der Festbesucher unter, spürte aber noch lange den Blick in ihrem Rücken.
„Kommt näher, ihr Leute von Fellsane.“
Warum hörte sie ausgerechnet diese Aufforderung aus all den anderen Stimmen so deutlich heraus? Eindringlich klangen die Worte in ihrem Ohr, hießen ihren Fuß anzuhalten und sich in Richtung des Sprechers zu wenden.
„Lasst Euch berichten, was ich zu erzählen habe.“
Ein Halbkreis hatte sich um jenen gebildet, der einlud.
Calla hob sich auf die Zehnspitzen, konnte ihn aber hinter der Wand aus Menschenleibern nicht ausmachen. Sie nutze eine kleine Lücke, hindurch zu huschen. Mehrmals tauchte sie unter Armen hindurch, schob sich an Leibern vorbei und gelangte so in die erste Reihe.
Ihr Blick fiel auf einen jungen Mann, angetan mit einem langen, fadenscheinigen Mantel, mehrfach und bunt mit Flicken besetzt. Das linnene Hemd, über weiten Hosen getragen, hatte sicherlich einst einen helleren Farbton gehabt. Seine Füße steckten in groben Wollsocken. Schuhe trug er keine. Nur dicke Ledersohlen, mit Schnüren an den Beinen befestigt. Sein Haar hatte er, in alter Manier lang gewachsen, mit einem blauen Band nach hinten gebunden. In seiner rechten Hand hielt er einen langen, blank polierten Stab, dessen oberes Ende in einer rundlichen Verdickung auslief. Das Zeichen seiner Zunft: der Bardenstab.
„Lasst Euch berichten von den Reitern, den schwarzen.“
Als seine Worte ihr Ohr erreichten, schnellte ihr Blick in sein Gesicht. Ein wettergebräuntes Gesicht mit einem schmalen Bart, der den Mund einrahmte. Ein ausdrucksvolles Gesicht, in dem hellblaue Augen die Blicke der Umstehenden suchten. Ein wohlgestaltetes Gesicht, wäre da nicht eine leuchtend rote Narbe, die sich vom rechten Mundwinkel über die gesamte Wange zog. Ihr mit dem Blick folgend, erkannte Calla, dass dem Barden in der rechten Ohrmuschel ein Stück fehlte.
Sie mochte sich nicht ausmalen, was diesem Menschen widerfahren war.
„So lauschet denn meinen knappen Worten.“
Schweigen legte sich über die Umstehenden. Alle waren bestrebt, Neuigkeiten aus anderen Regionen, vielleicht sogar aus den Ländern jenseits der Schluchten zu erfahren.
Calla setzte sich, zog die Beine unter ihrem weiten Rock und sah den Barden erwartungsvoll an.
„So höret von den Reitern, den Schwarzen.
Sie kommen von fern, jagen ihre Rösser über die Lande zu gern.
Kommen herab von den Gipfeln des Reldoc, wo ewiges Eis ihre Herzen erstarrte.
Preschen heran mit donnernden Hufen, lassen verharren ein’ jeden mit ihrem Rufen.
Rot glühend die Augen der Rösser, scharf blitzend die Schwerter der Reiter.
Keiner sich ihnen in den Weg je stellt, wenn sie nahen, zu rauben die Jüngsten.
Pflücken sie von Rain und Feld, gerade wie es ihnen gefällt.
Niemals wieder man ein Zeichen vernahm, von den Lieben, die mitgenommen.
Niemals jemand erfuhr den Sinn, niemals jemand erblickte das Ziel.“
 
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Kommentare  

Dein Schreibstil zeugt von einiger Erfahrung und du beschreibst die Welt in kurzen, knappen Sätzen, ohne dabei zu ausschweifend zu werden. Ich werd mir gleich mal die anderen Kapitel ansehen.

Jingizu (06.05.2012)

vielen Dank für eure positive Rückmeldung. Sonntag werde ich Kapitel 2 reinsetzen :)

Liebe Grüße


Shannon O'Hara (24.04.2012)

Man ist es toll. richtig schön geschrieben. Du fängt ganz langsam an und dann wird es immer spannender. Hautnah hat man das tiefste Mittelalter vor sich. Aber es ist wohl eher eine fantastische Welt, die du meisterlich gestaltest. Freue mich schon auf den nächsten Teil.

Else08 (24.04.2012)

Ein Einblick in das Mittelalter. Schön geschrieben O`Hara und bin gespannt, wie es weiter geht.
LGF


Francis Dille (22.04.2012)

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