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Einsatz

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Als ihre Mutter die Autotüre zugeschlagen hatte und auf dem Gehsteig stand, schaute Kurt noch einmal kurz nach links und rechts. Es kamen Autos, aber sie waren langsam.
Er fuhr viel zu schnell um die Kurve der Dreißiger Zone. Auf der schmalen Straße beschleunigte er immer wieder.
Sie machte die Reißverschlüsse ihrer schwarzen hohen Stiefeletten auf und stellte sie in den Fußraum, als die Leitstelle den Einsatz durchfunkte: schwerer Verkehrsunfall mit eingeklemmten Personen. Eine Gänsehaut überzog ihren Körper. Ihre Knie begannen zu zittern. Gerade kam sie von der Beerdigung ihrer Tante und jetzt sollte sie blutende Menschen, die vielleicht um ihr Leben kämpfen, aus einem zertrümmerten Blechgebilde herausschneiden?
Kurt fuhr gerade über die rote Ampel. Vor ihm drei weitere Autos.
Sie wurde von der rasanten Fahrweise hin und her geschleudert. Mit einer scharfen Bremsung parkte ihr Stiefvater vor der Fahrzeughalle. Beide schmissen synchron die Fahrzeugtüren auf und stürzten zu ihren Spinden. Sie hatte Kurt schon längst aus den Augen verloren. Sekunden erschienen wie Stunden. Die Zeit verrinnt schneller, als sie sich bewegen kann. Dieses Gefühl hatte sie bis heute jedes Mal gespürt, sobald der Piepser ging.
Die Einsatzhose war schon so auf ihre Stiefel gezogen, dass sie nur in die Stiefel schlüpfen musste und den Hosenbund auf dem Weg zum Fahrzeug hochziehen konnte.
Heute hielt sie nur ihren Gürtel in der Hand und hatte Helm und Jacke unter den Arm geklemmt. Sie hatte im Auto genug Zeit sich anzuziehen. Die eingeklemmten Menschen hatten diese Zeit nicht.
Als sie zwischen den anderen auf der Holzbank saß und sich fertig anzog, konnte sie das erste Mal wieder auf die Außenwelt konzentrieren. Den anderen ging es genauso.
Ein Orchester klopfender Herzen.
Bei der Aufgabenverteilung hatte sie Glück. Sie durfte Verkehr absichern. Eine Aufgabe, bei der sie nicht mit dem Unglück in Berührung kam.

Nach fast zwei Stunde fuhr ein Abschleppwagen mit dem ersten Fahrzeug an ihr vorbei. Ein Sportwagen. Neu und Totalschaden. Vier weitere folgten. Am letzten konnte man Blutspuren an den Scheiben erkennen. Nichts Ungewöhnliches für einen solchen Einsatz.
Ein ähnlicher Unfall war gerade mal drei Wochen her. Keiner der Beteiligten hatte damals überlebt. Heute sollte es besser ausgehen.

Dreiundhalb Stunden waren seit der Alarmierung vergangen. Vier Autos mit Totalschaden sind vom Abschleppdienst abgeholt werden. Fünf Krankenwägen waren an ihr vorbeigeschossen.

Als sie zuhause auf ihr Telefon schaute wurden sechs Nachrichten angezeigt. Andy hatte sich beschwert, dass sie nicht angerufen hat. Thomas, weil sie heute noch vorbeikommen wollte, um ihm die Wäsche zu machen. Die restlichen schaute sie gar nicht an. Es würde sicherlich etwas ähnliches sein.

Sieben Tage die Woche ist sie bereit. Vierundzwanzig Stunden am Tag. Dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr. Sie ist einer der vielen Helden des Alltags.

Manchmal träumt sie nur von einem kleinen Bisschen Annerkennung.
 
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Kommentare  

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich die ersten Sätze wohl zehn Mal lesen musste, ehe ich die drei Personen und ihre familiäre Beziehung durchschaut hatte. Da du "Sie" namenslos lässt und nicht vorstellst, verwirren die Pronomen in den ersten Sätzen nämlich etwas.

Die Beschreibungen und Metapher im darauffolgenden Text sind teilweise richtig, richtig gut gelungen.

Dein kleiner Einblick in den unrühmlichen Polizeialltag gewinnt besonders in den letzten Sätzen. Es kommt mir wie ein Text vor, in dem ein Verwandter (Kind) oder Freund den Alltag eines seiner kleinen Helden der Welt zeigen möchte.


Jingizu (18.06.2012)

Eigentlich war es nicht auf "die Bullen" sondern
Feuerwehrmänner und Frauen bezogen, trifft aber
eigentlich auf beides zu.


Dina Colada (18.06.2012)

Eine tolle kleine Kurzgeschichte, die mal zeigt, was die "Bullen" eigentlich oft leisten müssen und wie wenig Dank sie dafür bekommen.

Gerald W. (18.06.2012)

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