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4 Seiten

Mission zum Deltatal 2/2

Spannendes · Kurzgeschichten · Experimentelles
Sie machten sich an den Abstieg, und zwar langsamer, weil auch vorsichtiger, als es normalerweise der Fall gewesen wäre. Johnny schwitzte auch weiterhin in seinem hypergemütlichen Raumanzug. Jeden einzelnen Schritt überlegte er sich ganz genau. Er konzentrierte sich sehr stark darauf, keinen Fehler zu machen. Nur ab und zu schaute er auf den kleinen Bildschirm an seinem Handgelenk. Die Drohne tat ihren Dienst, genau so, wie er sie zuvor programmiert hatte. Sie hatte die ganze Gruppe im Blick und flog in regelmäßigen Abständen zu jedem einzelnen hin, nahm diesen kurz als einzigen ins Blickfeld, tat das Gleiche mit dem Nächsten und ging wieder in ihre Anfangsposition zurück, von wo aus sie nach einer gewissen Zeit wieder das Gleiche von vorne begann. Johnny vergewisserte sich regelmäßig, ob die Bilder, die von der Drohne aufgezeichnet wurden, auch tatsächlich zu ihrer Station übertragen wurden. Alles schien in Ordnung zu sein, weshalb sie sich ungehindert weiter an ihren Abstieg machen konnten.
Nach einiger Zeit machte Shirlock, das war einer der zwei Soldaten in ihrer Gruppe, den Einsatzleiter darauf aufmerksam, dass nun vierzig Minuten verstrichen waren, und sie noch etwa zehn Minuten vom Grund des Kraters entfernt waren. Außerdem, dass an der Abstiegsstelle der ersten Mission bis jetzt nichts Ungewöhnliches zu sehen gewesen sei. Er hätte dort alles gefilmt, und an ihre Station weitergeleitet.
„In Ordnung“, sagte daraufhin der Einsatzleiter. „Vielen Dank für Ihren Bericht.“ Johnny nervte das ein wenig. Zu den Soldaten schien der Einsatzleiter immer ein wenig freundlicher zu sein, als zu den Ingenieuren, wie er einer war, oder den Wissenschaftlern wie Freiberg. „Sollte irgendjemand etwas Ungewöhnliches bemerken, so bitte ich um einen sofortigen Bericht darüber. So lange machen wir uns weiter an den Abstieg.“ Und sie setzten diesen fort.
Kurz darauf schwitzte Johnny plötzlich nicht mehr in seinem hypergemütlichen Raumanzug. Eigentlich fühlte er sich vom einen auf den anderen Moment ungemein wohl, ja fast ein wenig beschwipst. War das etwas Ungewöhnliches? Sollte er dies melden? Er war sich nicht sicher darüber, weshalb er beschloss, noch etwas abzuwarten.
Er konzentrierte sich wieder auf seinen Abstieg, zumindest versuchte er es, denn plötzlich fühlte er einen heftigen Schwindel, verbunden mit einer ihn ungemein beunruhigenden Verwirrtheit in sich aufkommen. Er stellte sich plötzlich Fragen, wie: Was tue ich hier eigentlich? Weshalb sind plötzlich diese verdammten bunten Lichter um mich herum? Das ergibt doch alles gar keinen Sinn! Aber was konnte schon zig Millionen Kilometer von seiner Heimat entfernt irgendeinen Sinn ergeben? Sinn musste hier sowieso immer wieder aufs Neue definiert werden, schließlich war das eine der großen Herausforderungen, welche Tristan an sie an jedem verdammten Tag immer wieder aufs Neue stellte.
Plötzlich hörte er Geräusche, wie von tausenden von Stimmen tausendfach überlagert und deshalb nicht wirklich verständlich für ihn. Dann wurde alles um ihn herum vom einen auf den anderen Moment unheimlich ruhig und Grau, ein immer dunkler werdendes, irreales, ja geradezu irres Grau. Gleichzeitig war seine Angst wie weggeflogen, sein Körper wie in Schwerelosigkeit, und sein Verstand so klar und so intensiv wie niemals zuvor. Danach wechselte das Grau abrupt ins Schwarze gefolgt von einer Leere, wie sie Johnny noch nie zuvor erlebt hatte. Diese „Leere“ sollte aber nicht lange leer bleiben. Denn er fand sich am Ende dieses Übergangs in einem grellweißen Raum wieder, und direkt vor ihm stand sehr freundlich lächelnd Tracy.

„Tracy, was machst du hier? Wie kommst du hierher?“
Tracy lächelte ihr bezauberndestes Lächeln, zu dem sie überhaupt nur fähig war, oder besser gesagt: zu dem ihr Programmierer sie befähigt hatte. „Ich bin nur eine Projektion deines Geistes, um mit dir kommunizieren zu können.“
„Eine Projektion? Wo bin ich? Weshalb ist alles so weiß hier? Wie bin ich hierher gekommen?“
„Mach dir keine Sorgen, Johnny. Mach dir einfach keine Sorgen. Deine Seele ist in Sicherheit, in unendlicher Sicherheit. Vertrau mir.“ Und sie lächelte wieder, wobei sich Johnny nicht daran erinnern konnte, dass er jemals ein derartig bezauberndes Lächeln bei ihr gesehen hätte. Denn es schien weit über die Beschränktheit, welche ihre Programmierung ihr auferlegte, hinaus zu gehen.
„Meine Seele? Und was ist mit meinem Körper?“
„Du benötigst von nun an keinen Körper mehr. Denn dein Körper und deine Seele sind jetzt getrennt.“
„Was?!“ In Johnny stieg, ohne dass er etwas dagegen hätte unternehmen können, Panik auf.
„Du bist frei, Johnny, du bist von nun an WIRKLICH frei. Erkennst du denn nicht dieses Geschenk, das dir damit gegeben worden ist? Du bist einer der ganz wenigen Menschen, welche diesen Zustand erreicht haben.“
„Frei? Aber wer hat mich denn gefragt, ob ich solch einen Zustand überhaupt erreichen möchte?!“ Johnny verstand noch nicht so recht, was zur Hölle hier eigentlich vor sich ging, aber irgendwie hatte er das Gefühl, als würde es sich hierbei um eine Ungerechtigkeit handeln. Und die Erfahrung einer Ungerechtigkeit konnte normalerweise ein jeder verstehen, weil meist intuitiv.
„Niemand, Johnny. Aber hat dich jemand gefragt, ob du ein menschliches Lebewesen sein möchtest, bevor du geboren worden bist?“
„Äh, nein... nein, natürlich nicht! Aber, es, ich weiß nicht, es muss wohl so etwas wie Bestimmung gewesen sein.“
„Bestimmung?“ Tracy, oder wer oder was auch immer dies hier tatsächlich war, schien kurz über dieses Wort nachzudenken. „Ja, Bestimmung, das könnte passen. Auch dieser Zustand hier, er ist einzigartig, ihn gibt es nur ein einziges Mal unter genau diesen Umständen, mit dir und mit mir. Dies sind Umstände, die erst durch dein Zutun erschaffen worden sind. Ich denke, dass dies hier deine Bestimmung war, Johnny.“
„Nein, das kann doch nicht wahr sein! So etwas hier, ich weiß nicht so genau, was es denn eigentlich ist, aber so etwas hier ist keine Bestimmung für ein menschliches Wesen. Unsere Bestimmung ist es, mit unserer Seele zusammen in einem zerbrechlichen Körper zu existieren, und mit diesem Körper zusammen nach einer gewissen Zeit zu vergehen, zu Staub zu werden. DAS ist meine Bestimmung. Aber das hier, das hier sieht künstlich aus. Es ist vielleicht die Bestimmung eines außerirdischen Wesens, vielleicht eines Wesens wie dir, vermute ich zumindest, aber nicht eines menschlichen Wesens, es ist nicht MEINE Bestimmung!“
„Beruhige dich“, versuchte ihn Tracy zu besänftigen. „Alles, was einem Wesen im Universum zustößt, ist im gewissen Sinne immer seine Bestimmung gewesen, einfach deshalb, weil es diesem Wesen ansonsten nicht zugestoßen wäre. Dabei gibt es einfach kein Zurück, und auch keine Entscheidung. Denn dies liegt gar nicht in der Hand des Wesens, dem es geschieht.“
„Soll das etwa heißen, dass ich nun dazu verdammt bin, in dieser Art und Weise zu existieren? Was ist dies überhaupt für eine Art und Weise? Werde ich dabei auch irgendwann einmal sterben, oder werde ich nun für immer in diesem unerträglich weißen Raum zusammen mit dir gefangen sein und auf ewig irgendwelchen Unsinn philosophieren? Soll DAS etwa meine Bestimmung sein?“
„Im Universum ergibt ein Wort wie tot gar keinen Sinn, denn nichts stirbt hier. Es wird höchstens Energie umgewandelt, aber ein Vergehen im Sinne von Tot findet nicht statt. Dies ist ein Irrtum deiner Spezies, übrigens im ganzen Universum ein einzigartiger Irrtum.“
Johnny dachte kurz über das bis hierhin Gesagte nach. Dann sagte er nach einer kurzen Weile des Nachdenkens darüber: „Wenn dies hier tatsächlich meine Bestimmung sein sollte, wäre ich denn dann auch in diesen Zustand gelangt, wenn ich niemals hierher nach Tristan gekommen wäre?“
„Sicher ist nur, dass es für dich davon kein Abweichen hätte geben können.“ Und mit einem für Johnny fast zynisch wirkenden Lächeln fügte Tracy dann noch hinzu: „Sonst würdest du nämlich jetzt nicht hier sein.“ Daraufhin fing ihre Projektion zu flackern an, und verschwand kurz danach vollends. Und Johnny machte seine Augen auf, sah an die Decke seines Schlafzimmers in seinen Privaträumen auf der Raumstation „Lutetia“ auf dem Planeten Tristan und dachte bei sich, was das doch für ein abgedrehter Traum gewesen war, wenn es denn ein Traum gewesen war. Allerdings wurde sein kurzes Nachdenken darüber abrupt unterbrochen, als er über die Sprechanlage knisternd darüber informiert wurde, dass seine letzte Mission auf diesem Planeten, die Mission zum Deltatal, in Kürze beginnen würde, weshalb er sich möglichst zeitnah an der Ausstiegsluke 4 einzufinden hatte.
 
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