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6 Seiten

. . .(noch nicht festgelegt)

Fantastisches · Kurzgeschichten
Es ist 5Uhr nachts. Die Hitze in meinem Zimmer ist unerträglich. Seit geschlagenen 2 Stunden liege ich auf meinem Bett und versuche einzuschlafen, doch weit bin ich noch nicht gekommen, denn ich bin ja wach. Mein Fenster steht sperrangelweitoffen, aber auch die Luft draußen scheint stillzustehen. Grillen zirpen wie wild um die Wette, denn jede versucht lauter zu sein, als der Rivale 20cm weiter. Eine Nachtigall, die vermutlich in dem Baum vor meinem Fenster sitzt, gibt ebenfalls keine Ruhe.
Stöhnend drehe ich mich auf den Rücken und werfe einen weiteren Blick auf meinen Wecker: Es sind zwei Minuten vergangen. Seufzend stehe ich auf und gehe ans Fenster. Schimpfend fliegt der Singvogel in den nächsten Strauch und ist ein paar Sekunden lang still. Der Mond ist verdeckt von hauchdünnen Federwolken, die sich wie Watteschleier über ihn schieben. Ich strecke die Hand aus und streiche über eines der großen Eichenblätter, es ist glatt und kalt. Wenn man es zwischen den Fingern hält und ganz langsam darüber fährt, kann man einzelne Adern spüren. Es ist ein feines Netz aus unendlich vielen, dünnen und krummen Linien. Ich drehe mich um und gehe zu meiner Tür, öffne sie und schleiche auf den Flur. Lauschend lege ich ein Ohr an die Schlafzimmertür meiner Mutter. Sie schnarcht leise vor sich hin.
„Wenigstens eine von uns kann bei dieser Hitze schlafen“, flüstere ich gegen die Tür.
Langsam taste ich mich bis zur Treppe und gehe hinauf. Oben angekommen fühle ich zuerst die kühlen Fliesen des Bodens. Von dem Bedürfnis nach Kühlung übermannt, lege ich mich ausgestreckt auf den Bauch und presse meine Wange auf den kalten Stein, er riecht nach Putzmittel und auch irgendwie nach Meer. Ich könnte es praktisch schmecken, würde ich jetzt mit der Zunge über den Boden fahren. Ich erinnere mich an meinen letzten Nordseebesuch zurück und seufze. Das Rauschen der Seeluft dringt an meine Ohren und der salzige Geschmack der Luft legt sich auf meine Lippen. Das macht mich durstig und ich richte mich langsam wieder auf. So leise wie möglich öffne ich die Küchentür und schlüpfe hinein. Auch hier ist der Fußboden gefliest, sodass meine Füße patschende Geräusche von sich geben als ich auf den summenden Kühlschrank zugehe. Über seiner Tür zeigt eine blaue Leiste die Zimmertemperatur an: 25°C. Meiner Meinung nach viel zu heiß für eine Augustnacht.
Nachdem ich fast eine ganze Flasche Mineralwasser gelehrt habe, lässt das Durstgefühl nach. Das eisige Nass durchströmt meine Magengegend und ich fühle mich erfrischt. An die Tischkante gelehnt döse ich einige Minuten und betrachte dabei die Küche. Spüle, ein Schneidebrett und der Kühlschrank füllen die eine Wandseite. Gegenüber, also hinter mir, stehen drei Küchenschränke in einer Reihe. Über ihnen hängen noch zwei weitere. Alle haben Glastüren und man kann jedes Glas, jeden Teller und jede Tasse sehen. Mir gefällt das, denn so findet man alles viel schneller, weil es zu sehen ist. Der kreisrunde Tisch in der Mitte füllt fast den restlichen Raum aus und wird von drei Stühlen umzingelt. Einer ist rot, der andere grün und auf dem Blauen sitze ich am liebsten. So bunt gestrichen sind auch die anderen Möbel und auch die Wände. Die Küche ist, abgesehen vom Arbeitszimmer meiner Mutter, der farbigste Raum im Haus.
„Wir sind Künstlerinnen, Süße. Wir können unser Leben so bunt machen, wie wir es wollen.“
Ich grinse. Meine Mutter ist wirklich eine Künstlerin, aber von mir kann ich das nicht gerade behaupten. Sie ist Malerin, Tänzerin, Sängerin und Bildhauerin. Es gibt nicht viel, was sie nicht kann, oder ausprobiert. Ich für meinen Teil male auch gern, aber es werden keine Meisterwerke und auch meine Tonfiguren sehen meistens eher ungeformt und gestaltlos aus. Aber das macht mir nichts aus, denn für mich hat jedes Bild und jeder Klecks Ton eine eigene Bedeutung und Verbindung mit Ereignissen aus meinem Leben.
Ich tapse wieder auf den Flur und die Treppe hinunter, wobei die Stufen leise knarren. Das dunkle Holz duftet nach Politur und fühlt sich ziemlich rau an. Es kommt mir äußerst seltsam vor, dass meine Sinne momentan so scharf sind, aber ich bilde mir ein, es muss an meinem kurzlebigen Schlaf liegen. In meinem Zimmer knipse ich das Licht an, denn ich bin viel zu wach, um wieder einzuschlafen. Kurzzeitig bin ich von dem Licht geblendet und stolpere, auf dem Weg zu meinem Kleiderschrank, über liegengelassene Klamotten. Im Fall greife ich nach irgendwas, doch es findet sich nichts zum Festhalten und so knalle ich mit dem Kopf gegen den Holzschrank und sinke auf die Knie.
„Mist!“
Ich rappele mich schnell wieder auf und lausche angestrengt auf Geräusche, doch der Krach scheint meine Mutter nicht geweckt zu haben. Ein pochender Schmerz über meiner linken Schläfe macht sich bemerkbar. Vorsichtig fahre ich mit den Fingerspitzen darüber. Das wird garantiert eine dicke Beule. Leise fluchend schiebe ich die Tür zur Seite und klaube ein paar Sachen zusammen. Wenn ich schon nicht mehr schlafe diese Nacht, kann ich mich ja wenigstens schon anziehen. Der Wetterbericht von gestern Abend verspricht für heute sonniges und heißes Wetter, wie schon die letzten 5 Tage. Also werde ich nicht viele Klamotten brauchen. Ich entscheide mich für ein hellblaues Tank-Top und meine kurzen roten Shorts. Auf dem Weg zum Bett betrachte ich mich im Spiegel, der an meiner Tür hängt und stelle fest, dass mir die blonden kurzen Haare in alle Richtungen vom Kopf abstehen. Vergeblich fahre ich mit beiden Händen über den Scheitel, um die Mähne zu bändigen, doch sie sind stärker als mein Wille. Ich gebe auf. Bäuchlings schwinge ich mich auf mein Bett und presse meine Nase in das von Schmetterlingen gesäumte Kissen. Eigentlich ist diese Bettwäsche viel zu kitschig, aber sie sieht so niedlich aus und man fühlt sich darin irgendwie ‘‘beflügelt“. Grinsend drehe ich mich auf den Rücken. Klar fühlt man sich so, wenn einen rund 1000 bunte Flattergeister umgeben, oder nicht? Ich denke darüber nach und mir fällt ein, ich habe dieses Jahr nur sehr wenige Schmetterlinge gesehen, aber dafür genug Frösche. Ob das wohl zusammenhängt? Werden zu viele Schmetterlinge von Fröschen gefressen und deswegen können diese sich so zahlreich vermehren? Über diesen Gedanken schlafe ich ein, komplett angezogen und mit leichten Falten auf der Stirn.
Der Geruch von Kaffee und Honig steigt mir in die Nase und ich öffne die Augen. Meine Mutter sitzt im Schneidersitz vor meinem Bett und lächelt mich schief an.
„Hast du so geschlafen? So eingeengt in deine Sachen?“
Ich bewege den Kopf hin und her. Meine Mutter grinst.
„Aber ich habe dich doch gerade so aufwachen sehn und gestern hattest du noch ein Nachthemd an.“
„Ich bin heute früh aufgewacht, habe Wasser getrunken, mich angezogen und bin dann doch noch einmal eingeschlafen.“
„Ah“, erwidert sie fachmännisch und steht auf. Ihr Morgenmantel bedeckt geradeso alle Bereiche einer Frau, die man nicht unbedingt jedem zeigt. Sie schläft grundsätzlich nackt, auch im Winter, weil sie sich durch Schlafanzüge beengt und in ihrer Bewegung eingeschränkt fühlt.
„Schlafanzüge sind die Zwangsjacken der Träume“, sagt sie immer wieder, aber mir ist ohne meistens zu kalt. In der letzten Nacht jedoch habe ich mich auch irgendwann ausgezogen, obgleich es nicht viel half. Entsetzt stelle ich fest, demzufolge bin ich gestern Nacht komplett unbekleidet durchs ganze Haus gewandert. Aber wer zieht sich schon extra etwas an, um Wasser zu trinken?
Meine Mutter ist im Türrahmen stehen geblieben und schaut mich verwundert an.
„Sag mal, woher kommt den diese Beule an deiner Stirn?“
„Ach, ja“, flüstere ich und fahre über die dicke Stelle an meinem Kopf. Das hatte ich ja schon fast wieder vergessen.
„Ich hab mich am Schrank gestoßen.“
Sie macht ein besorgtes Gesicht und kommt auf mich zu. Ich hebe abwehrend die Hände und springe auf.
„Keine Sorge, mir geht es hervorragend! Ich schwöre es.“
Sie verdreht die Augen und lächelt.
„Ich denke auch nicht, dass meine Tochter deswegen gleich krankenhausreif ist, aber da ist so ein komischer Fleck auf deiner Schläfe.“
Sie winkt mich zu sich und betrachtet den “Fleck“ genauer.
„Hm“, murmelt sie nach einer Weile. Sie hat nachdenkliche Falten auf der Stirn.
„Was ist?“, frage ich verunsichert. Sie tritt einen Schritt rückwärts und nimmt mich an den Schultern.
„Es sieht ein bisschen aus wie ein Blatt, oder so ähnlich.“
Ich gehe zu meinem Spiegel an der Tür, um mich selbst davon zu überzeugen. Den Kopf leicht nach links gedreht entdecke ich tatsächlich einen dunkelblauen Fleck mitten auf der Beule, der wirklich Ähnlichkeit mit einem Blatt hat, mit einem Lindenblatt.
„Tja“, seufzt meine Mutter schulterzuckend.
„da bekommt wohl jemand einen blauen Fleck.“
Sie lacht und zieht mich mit sich in die Küche. Dort ist schon der Tisch gedeckt und heißer Kaffee dampft aus zwei großen Tassen. Die Sonne scheint heiß durch das offene Fenster, wie fast jeden Morgen in diesem Sommer. Ich setzte mich auf den blauen Stuhl und warte, bis meine Mutter die Brötchen aus dem Ofen genommen und auf den Tisch gestellt hat, dann frühstücken wir. Die meisten Leute, die ich kenne, belegen ihr Frühstücksbrötchen mit normalen Sachen wie Marmelade, Nutella oder Käse, aber bei uns gibt es fast immer Obst mit Honig. Heute sind es Bananen, denn es ist Sonntag und sonntags gibt es immer Bananenscheiben mit Honig, das einzige was in unserem Haushalt kontinuierlich eingehalten wird.
Genüsslich beiße ich ab und der Honig tropft auf meine Finger.
„Hast du für morgen schon alles bereit?“, fragt meine Mutter und nimmt einen Schluck aus ihrer gelbgepunkteten Tasse.
Irritiert schaue ich auf und denke nach. Morgen? Morgen ist Montag. Ich verschlucke mich am Brötchen als mir einfällt, was sie meint.
„Oh mein Gott!“
Ich stehe auf, setzte mich aber gleich wieder hin. Morgen ist Montag! Und das heißt die Schule fängt wieder an! Fassungslos lege ich das Brötchen ab und lecke mir den Honig von den Fingern.
„Nein, ich habe noch nicht alles vorbereitet“, murmele ich als Antwort. Sie seufzt.
„Tja, da kann man nichts machen, wenn du noch irgendwas brauchst, können wir es erst morgen holen, da heute Sonntag ist.“
„Ja, ich weiß.“
In Gedanken bin ich schon in meinem Zimmer und sehe nach, was schon da ist, oder was ich noch suchen müsste. Das wichtigste ist alles schon da: Die Bücher, alle Hefter und meine Federmappe müsste auch komplett sein. Fehlt doch nur…
„Ich hab gar keinen Ranzen.“
Überrascht lässt meine Mutter ihr Brötchen sinken.
„Wieso? Du hattest doch einen. Der Blaue mit den kleinen weißen Blumen drauf.“
„Ja, aber der ist doch aufgerissen. Unten am Boden. Außerdem hab ich den schon seit der sechsten Klasse.“
Nachdenklich schiebe ich meine Tasse auf dem Tisch hin und her. Mir war schon länger aufgefallen, dass der Stoff, an der Unterseite der Tasche, ein wenig zerschlissen war, aber ich hatte immer gehofft, er würde noch eine Weile halten. Irgendwann hatte ich dann den losen Faden bemerkt und gedankenlos daran gezogen. Zum Glück stand ich zu diesem Zeitpunkt schon vor unserer Haustür, sonst hätte sich der gesamte Inhalt irgendwo verteilt und das wäre wirklich peinlich gewesen.
Was mache ich denn jetzt nur?! Heute komme ich nicht mehr dazu mir einen neuen Ranzen zu holen. Auf dem Dachboden steht nur noch mein ganz alter Kastenranzen, den ich zur Einschulung bekommen habe. Der scheidet natürlich von vornherein schon aus. Nachdenklich zieh ich die Stirn in Falten und rühre in meiner Tasse herum.
„Ach, Süße.“, meint Mutter stützt lächelnd ihren Kopf ab.
Ich schaue sie gedankenverloren an und unterbreche meinen Rührvorgang.
„Was ist?“, frage ich teilnahmslos.
„Wenn du so da sitzt und die Stirn in Falten legst, siehst du deinem Vater unglaublich ähnlich.“
Meinem Vater ähnlich sehen, ja das kann ich gut. Nur bin ich ihm nicht sehr gerne ähnlich, denn er war, oder ist es immer noch, ein hinterhältiger, von Hass zerfressener Mann, der meine Mutter hat sitzen lassen, weil sie ihm zu freizügig war und sich nicht um ihre Tochter gekümmert hat, wobei man das von ihm natürlich auch nicht behaupten kann. Denn zu all seinen ach so tollen Eigenschaften kam auch noch hinzu, dass er ein phanatischer Workaholic war und mit Sicherheit weiterhin sein wird. Meine Mutter ist ihm trotzdem völlig verfallen, aber so sind Künstlerinnen nun mal, wenn sie sich in eine Sache verlieben, dann verlieren sie sich richtig darin und werden sie auf ewig lieben. Sicher wollte sie nie wirklich wahrhaben, dass er sie verlassen hat, doch ich glaube irgendwann hat sie es einfach verdrängt.
 
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Kommentare  

Diese Story wirkt auf mich eher nicht wie eine Kurzgeschichte sondern mehr wie der Anfang eines Jugendromans. Zudem wirkt das Mädchen am Anfang viel älter als am Schluss nachher herauskommt. Insgesamt aber sehr anschaulich und plastisch geschrieben. Man spürt förmlich die Hitze dieses Spätsommers. Würde mich freuen , wenn die Story weiterginge.

Gerald W. (22.10.2012)

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