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4 Seiten

Die Vernehmung - 5. Kapitel der "Französischen Liebschaften"

Romane/Serien · Spannendes
Fünftes Kapitel der Französischen Liebschaften: "Die Vernehmung".
*
“Ihre Ausweise! Sie sind Deutscher? Was machen Sie in Paris? Wo wohnen Sie? Mitkommen! Sie auch, Mademoiselle!” Nadine und ich wurden mit Handschellen aneinandergebunden. Fünf Polizisten in schusssicheren Westen hatten die Maschinenpistolen auf uns gerichtet. Unsere Köpfe wurden von zwei Zivilisten nach unten gedrückt und in ein Auto geschoben. Unwillig wehrte ich mit dem Ellbogen ab. Ein Mann drosch mit einem Knüppel auf mich. Der Schmerz zuckte über die Rippen bis zum Herz.
“Mund halten! Nichts sagen! Nicht bewegen!” zischte Nadine in Englisch zu mir. “Die Schweine schießen sonst!”
“Du bist auch gemeint, du Hühnchen!” schrie einer der Zivilen. Nadine bekam einen Schlag in den Rücken. Ich zerrte an den Handschellen.
Das Polizeiauto war nicht weit mit uns gefahren. Die Reifen quietschten zwischen Justizpalast und dem Tribunal de Commerce, der Wagen bog scharf in den Hof der Polizeipräfektur ein, hielt an, wir stolperten durch Gänge und über Treppen, die nach Karbol und Terpentin rochen, landeten in einem Vernehmungszimmer, das nichts von der nostalgisch-freundlichen Bissigkeit eines Kommissars Maigret besaß. Wir mussten uns bis auf die Unterwäsche ausziehen. Nadine bekam von einer Polizistin eine Decke umgelegt. Unsere Kleider wurden weggebracht. Die Polizistin blieb im dunklen Hintergrund. Das Sagen hatten die Männer in Zivilkleidung.
“Warum hast du keinen richtigen Ausweis, sondern nur diese Studentenkarte?” begann der Mann die Vernehmung.
“Wurde mir gestohlen!” behauptete ich.
“Wo und wann?”
“In der Metro. Vor einer Woche. Auf dem Weg in die Sprachschule!”
“Hast du es der Polizei gemeldet? Und dem deutschen Konsulat?”
“Nein!“ sagte ich absichtlich zögernd. „Ich war mir nicht sicher, ob sie gestohlen oder verloren sind. Ich wollte morgen sowieso erst einmal aufs Fundbüro gehen!”
“Wo warst du am Achtzehnten abends um halb acht?”
“Ich kann mich nicht entsinnen...!” Ich war eingeschüchtert und doch wach und abwehrbereit.
“Hier! Das wird dir das Nachdenken erleichtern!” Ein zweiter Mann, ebenfalls in Zivil, klatschte mit voller Breitseite seine Hand über meine Backe. Mein Kopf zuckte zur Seite.
“In welcher Beziehung stehst du zu dieser Frau hier?” Er schwenkte den Scheinwerfer, das Licht fiel grell auf Nadine. Sie war blass, aber erstaunlich ruhig. Trotzig blickte sie auf den Bullen.
“Ich kenne sie von der Mensa her. Ich besuche eine Sprachschule und wir gehen im gleichen Saal essen!” versuchte ich eine Erklärung.
“Ihr fickt also zusammen?!”
“Und wenn schon!” rief Nadine aufmüpfig und wütend dazwischen. “Ja wir ficken zusammen! Und ich gebe ihm außerdem Französischunterricht!”
“Franzööösisch?” Höhnischer konnte das kaum kommen. “Franzööösisch!” wiederholt er. Auch der Kerl neben mir lachte verächtlich.
“Kleiner Scherz!” sagte der Vernehmende hinter der Lampe. Er spielte den ruhigen Part. “Kennst du eine Frau mit dem Namen Rebecca?”
“Nnnein!” Ich zögerte. “Nein, ich kenne keine Rebecca!” Der Mann hinter mir klatscht mir über die andere Backe. “Rebecca Tabori, einundzwanzig Jahre alt, Studentin und Terroristin!” sagte der erste ruhig, als wäre nichts geschehen. Er schob mir ein Bild von Rebecca hin. Ich versuchte Nadine anzublicken. Der grelle Scheinwerfer machte es unmöglich. “Hier spielt die Musik!” schrie mich der zweite Mann an. Heiße und kalte Duschen. Schweiß perlte über meine Stirn. Ich wusste nicht, auf welchen der drei Männer ich mich konzentrieren sollte. Dann führten sie Nadine hinaus. Ich blieb mit einem Vernehmenden alleine. Er bot mir eine Zigarette an. Ich lehne ab.
“Nichtraucher?!”
“Ja!”
“Sie lügen!” sagte er ohne die Stimme zu heben. “Und das sogar ruhig und ungeniert!” Er grinste. “Schauen Sie sich einmal Ihre Fingerkuppen an!” Er lachte jovial und machte kumpelhaft auf Vertrauen. Ich fror. Und schwieg. Dann ging auch der Vernehmende hinaus. Einen Moment beleuchtete der Scheinwerfer die grauen, schmucklosen Bürowände, an denen ich meinen Oberkörper und Kopf als langen, überdimensionalen Schatten sah. Dann wurde es dunkel. Nicht einmal von den Fensterritzen drang ein Lichtzeichen von außen. Ich traute mich nicht, mich zu bewegen. Wartete! Fror und wartete!
Plötzlich gingen alle Lichter im Raum an. Vier Männer kamen herein. Ein neuer war dabei. Er stand hinter mir und legte mir ein Foto vor. Es war das Fahndungsfoto jenes Deutschen aus Rebeccas Freundeskreis, das ich bereits aus den Zeitungen kannte und das in den nächsten Jahren noch in vielen Zeitungen der Welt und unzähligen Steckbriefen zu sehen sein würde.
“Kennen’s den da?” Die Frage war in Deutsch gestellt, die Stimme klang bayrisch. Der Mann kam um den Tisch herum und ich starrte ihn an. Blickte auf seine Halbglatze. Und auf seinen Bauch. Es war der Dicke, mit dem Lisa am Lido in das Taxi gestiegen war. Was machen Deutsche bei der französischen Polizei? Und was hat Lisa mit diesem Kerl zu tun?
„Nur aus der Zeitung!” antwortete ich zögernd. Als alle schwiegen, fügte ich hinzu. “Aber es wäre mir recht, wenn Sie ihn bald finden würden!” Ich war überrascht, wie schnell ich mich gefasst hatte. “Oder wollen Sie bis dahin jeden deutschen Sprachschüler in Paris festnehmen und verprügeln, nur weil er blond und groß ist?”
“Sie nehmen’s mit Humor!” sagte der Bayer.
“Der kann einem vergehen!” sagte ich und rieb meine Backe.
“Waren Sie schon einmal in Israel?” Der Dicke wechselte das Thema. Als ich irritiert schwieg, fügte er hinzu “Oder im Libanon?”
“Was soll ich dort?” frage ich. “Mich totschießen lassen?”
Der Dicke musterte mich schweigend und schnippte mit den Fingern zu den anderen hin. Meine Kleidung wurde gebracht. Auch der Drehtabak und der Studentenausweis waren dabei.
“Gehn’s halt morgen früh gleich aufs deutsche Konsulat!” Der dicke Bayer klang beinahe freundlich. “Und lassen’s sich aan neuen Ausweis herrichten! Dann hams auch in Zukunft koane Probleme mehr mit der Polizei! Gehns halt vorher aufs nächste Pariser Polizeikommissariat, da wo Sie wohnen, und machen’s oane Verlust- oder Diebstahlsmeldung. Und damit dann zum Konsulat! Gell?! Also, los! Scher di!” Der Bayer gab den Franzosen einen Wink und sagte „C‘est bien!“. Scheinbar hatte der Dicke hier viel zu melden. Ich zog mich an.
Als ich aus dem Hauptausgang trat, sah ich Nadine wartend an einem Baum lehnen. Ein Mann stand neben ihr. Sie unterhielten sich. Als ich näher kam, gab der Mann Nadine die Hand und verschwand in einem Nebeneingang der Polizeipräfektur. Ein anderer Mann kam heraus. Er blieb stehen, prüfte mit schnuppernder Nase den Wind, schlug seinen Mantelkragen hoch, steckte sich eine Zigarette an und wartete.
Ich war beunruhigt.
*
Dies war ein Auszug aus
Michael Kuss
FRANZÖSISCHE LIEBSCHAFTEN.
Unmoralische Unterhaltungsgeschichten.
Romanerzählung.
Fünfte überarbeitete Neuauflage 2013
ISBN 078-3-8334-4116-5.
14,90 Euro.
Als Print-Ausgabe und als E-Book erhältlich in den deutschsprachigen Ländern, in Großbritannien, USA und Kanada.
Im Web: www.edition-kussmanuskripte.de
*
Auch hier bei Webstories: Das 6. Kapitel der Französischen Liebschaften: "Traumtänzer und Alltag".
 
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