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Hüftgelenkprothesen und andere medizinische Ungereimtheiten

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Wer als älteres Semester zwangsläufig vermehrt auf Mediziner angewiesen ist, macht in der Regel gute, aber mitunter auch haarsträubend schlechte Erfahrungen. Allerdings bleibt uns kaum etwas anderes übrig, denn irgendwo müssen wir ja mit unseren maroden Innereien hin.

Das ist wie bei Autoreparaturwerkstätten: Es dauert eine Weile, bevor man mit den schlechten seine Erfahrungen gemacht und die richtige gefunden hat. Beim Umgang mit Medizinern ist es ähnlich. Das Dumme dabei ist nur: Eine falsch ausgeführte Auto-Reparatur ist verschmerzbar. Letzten Endes alles nur Blech. Bei Ärzte-Fehlern wird’s kritischer, da geht’s um Menschen:

Bei meiner Hüft-Operation hatte zunächst der Anästhesist sein Schlafmittelchen so hoch dosiert, dass ich nicht nur die für die OP notwendige Zeit, sondern gleich 24 Stunden wegetreten war. Als ich mich dann doch noch irgendwie zum Aufwachen und Weiterleben durchgerungen hatte, kam neben dem Dauerschmerz die Erkenntnis: Der Schlachtermeister hatte sich um vier Zentimeter vermessen und eine viel zu große künstliche Hüfte erst ins Fleisch gemeißelt und dann zementiert. Wer unseren Knochenbau kennt, weiß, welche Auswirkungen das auf fast alle anderen Knochen hat.

„Einen Behandlungsfehler können wir nicht erkennen!“ erklärten Weißkittel und deren Haftpflichtversicherungsmafia übereinstimmend. Dann kam die grandiose Empfehlung: „Wissen Sie was: In ein paar Jahren müssen Sie in Ihrem Alter doch bestimmt auch die zweite Hüfte operieren lassen; dann machen wir die auch um vier Zentimeter länger und alles gleicht sich bei Ihnen wieder aus!“

Das war wie ein Weck- und Alarmruf: Ich zerrte Weißkittel und Versicherungsmafia vor den Kadi, bekam dort zwar meine Gesundheit nicht zurück, aber immerhin Schmerzensgeld und Schadenersatz. Das blinde Vertrauen in die Götter in Weiß war verloren gegangen und ich schluckte nicht mehr alles ungeprüft!

Apropos schlucken: Im Krankenhaus lagen abends mehrere Pillen auf meinem Nachtschränkchen. Richtig dicke Brummer! Und verführerisch bunt! Niemand hatte mich über diese Wohltat oder deren Sinn und Wirkung vorher informiert. Also fragte ich die Schwester: „Was ist das, bitte?“

„Nehmen Sie ruhig! Das ist gut für Sie!“ erklärte sie lakonisch und knipste das Licht aus.
„Halt!“ rief ich. „Ich möchte trotzdem wissen, welche Tabletten das sind, welche Inhaltstoffe drin sind, und vor allem warum, für oder gegen was ich die einnehmen soll?!“

„Das hat Herr Doktor verordnet!“ antwortete die Schwester. „Fragen Sie ihn morgen selbst!“
Ich schaltete meinen Laptop ein, googelte die beiden Medikamente und schwankte zwischen Staunen und Erschrecken: Laut Beipackzettel war ich sterbenskrank und nur die Kortison- und Morphinhaltigen Pillen konnten mich von meinem anscheinend tödlichen Leiden befreien. Dabei hatte ich nur Schmerzen im Hüftgelenk. Aber bei den angezeigten Nebenwirkungen hätte ich auch gleich das Beerdigungsinstitut bestellen können. Denn auf dem Beipackzettel stand schwarz auf weiß: „Dieses Medikament darf nur im Notfall verwendet werden, wenn andere Medikamente (es folgten unzählige fachchinesische Begriffe, deren Verständnis ein mehrjähriges Medizinstudium voraussetzen) wirkungslos geblieben sind!“

Am nächsten Morgen wollte ich mit jenem Zauberlehrling reden, der mir großzügig diese Sterbehilfe verordnet hatte. Man hört doch immer so viel vom „vertrauensvollen Verhältnis zwischen mündigem Patienten und verständnisvollem Arzt“. Und daran glaubte ich! Für meine Naivität müsste man mich dreimal täglich auspeitschen…

Der Arzt ignorierte meine Fragen und drohte stattdessen: „Sie wollen also nicht gesund werden und lehnen meine Behandlung ab? Dann werden Sie schon sehen was Sie davon haben!“ Ich hatte schon bessere Argumente gehört und warf, bereits ziemlich eingeschüchtert, in einem letzten Versuch ein: „Ich wollte eigentlich nur wissen…“. Aber er unterbrach mich erneut: „Wenn Sie kein Vertrauen in mich haben, dann dürfen Sie sich gerne einen anderen Arzt suchen!“

Ich besaß tatsächlich die Frechheit und verlangte einen anderen Arzt, und zwar den Chefarzt. Der hörte mich an, murmelte etwas von einem „peinlichen Fehler eines jungen Kollegen“ und danach wurde ich die restlichen acht Tage mit einer nie gekannten Freundlichkeit und Kompetenz zuvorkommend behandelt, dass ich mich im Siebten Himmel für Privatpatienten wähnte. Die Wummen der Nach- und Nebenwirkungspillen wurden nie mehr erwähnt und durch Aspirin und Vitamine ersetzt. Bei der Sterbehilfe durch Vergiftung geht’s also auch ein paar Nummern kleiner…

Schließlich kam ich in die Reha. Stolz teilte mir die AOK mit, was sie alles für meine Gesundheit tue und wünschte mir gute Erholung. Das kasernenartige Gebäude der Klinik war für 400 Patienten ausgerichtet, verfügte aber nur über einen einzigen funktionierenden Aufzug, der immer nur jeweils vier Personen oder zwei Rollstühle in die fünf Behandlungsetagen und in den Speisesaal bringen konnte. Und deshalb fand jeden Tag mehrmals, ich betone: Jeden Tag mehrmals, die Schlacht um einen Platz im Aufzug statt. Ältere Herrschaften, sonst wahrscheinlich brave Bürger, beschimpften sich unflätig, schrien „ich war zuerst hier!“ und schlugen mit Krücken aufeinander ein, bis Blut floss und der Sicherheitsdienst die Rettungssanitäter holte.

Vor der Entlassung wurde ich zum ärztlichen Abschlussgespräch geladen und gefragt, wie es mir denn gefallen hat, ob ich zufrieden sei und welche Fortschritte die Reha mir gebracht hätte. Ich antwortete gemäß der gemachten Erfahrungen: „Ich bin total unzufrieden, die Behandlungen haben keine Verbesserungen gebracht, ich war in der falschen Reha; wieso kam ich als Hüftgelenkpatient in eine kardiologische Rehaklinik?“ Kurz und gut: Ich machte aus meinem Herzen keine Mördergrube. Zu viel ist zu viel! Ich wollte wenigstens einen klaren Entlassungsbrief bekommen.

Die Ärztin schrieb etwas in die Akte, nickte gesalbt und verständnisvoll und schließlich fand ich in meinem Entlassungsbericht folgende Sätze: „Der Patient stuft seinen Reha-Aufenthalt als erfolgreich ein. Die angewandten Behandlungen haben den Heilungsprozess positiv befördert. Das Behandlungsziel wurde erreicht! Der Patient wurde beschwerdefrei entlassen!“

Szenenwechsel:
Letzte Woche war ich in der Dermatologie zur vorbeugenden Jahresuntersuchung von Hautkrebs.
„Möchten Sie die normale Untersuchung?“ wurde ich am Empfang gefragt. „Oder möchten Sie, dass Frau Doktor eine spezielle Lupe benutzt?“ Eine spezielle Lupe ist bei einer solchen Untersuchung sicher ganz nützlich, dachte ich erfreut und bestellte „Einmal mit Lupe, bitte!“

„Das ist aber eine Igel-Leistung, die von der Kasse nicht bezahlt wird!“ flötete die Sekretärin aufklärend. „Kostet 20 Euro extra!“ 20 Euro sind mir meine Gesundheit wert, dachte ich und zahlte. Wenn Frau Doktor mit Lupe besser sieht, soll’s mir Recht sein!

Das Wartezimmer war überfüllt. Als ich nach einer Stunde Wartezeit müde wurde, stützte ich meinen Kopf in beide Hände und dabei drückte sich das Ende meiner Krücke auf meine Stirn und dieser Druck hinterließ auf meiner Stirn einen kräftigen roten Fleck in der Größe eines Eurostückes.

Dann war ich endlich an der Reihe.
Frau Doktor schaute sich mit bloßem Auge, also ohne Lupe, meinen Körper an, fand dermatologisch nichts zu bemängeln, aber als dann ihr Blick nach oben zu meiner Stirn kam, entdeckte sie erschrocken den roten Fleck.

Sie sagte „Oh“, nahm endlich die Lupe, für die ich ja extra bezahlt hatte, schaute sich den Fleck durch die Lupe von allen Seiten prüfend an, murmelte dann „Ohgottohgott!“ und verkündete kategorisch: „Sie haben Hautkrebs! Der muss behandelt werden!“

Mein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Ungläubigkeit und Schmunzeln. Doch bevor ich zu einer Erklärung ansetzen konnte, fuhr Frau Doktor beruhigend fort: „Aber Sie haben Glück! Gott sei Dank ist der Krebs noch nicht so weit fortgeschritten, wir müssen wahrscheinlich nicht operieren und können mit einer Salbe behandeln. Diese Salbe ist leider ein bisschen aggressiv, sie muss über zwei Monate aufgetragen werden; dabei wird sich der Fleck erstmal ein paar Wochen lang nach außen entzünden und mit Grind überziehen. Das ist zwar etwas unangenehm, sieht auch nicht gut aus, muss aber sein! Immer noch besser als eine Operation, die das Gehirn schädigen könnte. Sollte die Salbe wider Erwarten nicht wirken, müssten wir dann doch eine OP in Betracht ziehen…“

Ich will es kurz machen und zum Ende kommen: Ich klärte Frau Doktor über die profane Ursache meines schlimmen Hautkrebses auf. Und zwar behutsam, damit es ihr nicht peinlich sein und sie ihr Gesicht nicht verlieren würde. Aber sie nahm es völlig gelassen, lachte nur und sagte unbeeindruckt: „Na so was! Da seh’n Sie mal, was es alles gibt!“

Möglicherweise denken nun einige unter euch, ich hätte hier eine Satire erzählt. Aber ich schwöre: Nein! Es ist keine Satire …
 
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Kommentare  

Danke für deinen Kommentar, liebe Doska. Gestern Abend habe ich den Text auf der Pankower Lesebühne gelesen; hier steht mehr darüber:

https://sonochnie.wordpress.com/2015/02/24/funf-ecken-hat-ein-tisch/

Lieben Gruß
Michael


Michael Kuss (25.02.2015)

Hallo Michael. Jaja, die "lieben" Ärzte! Ich musste mehrmals schmunzeln. Dabei ist die ganze Sache ziemlich traurig. Was du alles erleben musstest - da, ist es toll, dass du noch deinen Humor behalten hast. Obwohl manchmal das Leben die besten Satiren schreibt, gehört doch ein guter Schreibstil dazu, um den Leser derart humorvoll zu verwöhnen. So wie du es mit deiner kleinen Geschichte getan hast. Danke dafür.

doska (22.02.2015)

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